Sie ist ein Weltwunder. Nur viel kleiner anzusehen. Wobei man sich zuerst fragen sollte für wie groß man ein Wunder der Welt halten sollte. Die Maid jedenfalls war nicht groß, aber dafür war ihr Gesang wie Wolkenklang. Sie war hübsch anzusehen mit ihrer dunklen Haut, dem langen Haar und den wallenden Gewändern. Sie saß auf einem Stein mitten in der Quelle des heiligen Flußes, der Wasser trug, welches schmeckte wie süße Milch. Der sich wie ein Netz in hunderte Arme spaltete und das ganze Land reich machte durch die fruchtbaren Böden. Überall blühten die Wiesen, die Sträucher, die Wälder.
Doch nahm er auf diesem Weg auch all das mit sich, was die Bewohner zurückließen. Und das waren vor allem ihre Gefühle und ihre Sorgen. Denn sie vertrauen von jeher dem Fluß ihre Ängste an. Irgendwann kam der Fluß deswegen an den Punkt, an dem er alle seine abgespreizten Läufe wieder zu sich nahm, sie vereinte und sich in die Höhlen stürzte. Sie waren aus Eis und endeten im sonnenlosen Meer der Leblosigkeit. Wohin die Ängste und Sorgen auch gehörten.
Und dort saß der Dämon mit seinem fließenden Haar und seinen flammenden Augen in einem dreifachen Bannkreis, damit er niemals ausbreche und den Menschen all die Tränen zurückbrachte, die der heilige Fluß zu ihm schwemmte. In jedem der winzigen Tropfen konnte der Dämon sehen wer sie geweint hatte und warum und wann er sie zum Fluß getragen hatte. Und der Dämon trank diese Perlen wie das Weltwunder am der Springquelle den Honigtau.
Es war das Paradies, so sagt man, wobei man sich zuerst fragen sollte, was man für ein anständiges Paradies halten sollte.
Diesem Ort widerfuhr nun großes Unglück, denn die Ankunft eines schwebenden Palastes, welches aus der Sonne zu ihnen kam und über den Himmel zog, dem Fluß folgte und über den Berg hinfort, das brachte alles durcheinander. Das Luftschloss wendete hinter dem Gebirge und stieß seinen Anker in den Boden. Ein Spinnennetz der Verwüstung raste dem Druck und dem Krach voraus. Schräg riss es eine Kluft in die Flanke des Berges und tief hinein, so dass zum ersten Mal, seit man denken konnte Schatten auf das sonnenlose Meer fiel. Denn die Zitadelle am Himmel war so riesig, dass sie die gesamte Kluft abdeckte mit ihrem Schatten. Unaufhörlich trank das Luftschloß aus der sickernden Wunde die Tränen all jener, die auf der anderen Seite des Berges gelebt hatten. Und pumpte das gesamte unterirdische Reservoir leer und dann flog es fort in der Nacht, zurück in den Himmel, zum Mond.
Der Dämon im Bannkreis starb, denn er ging ein, da ihm sein Meer entzogen war, er verdorrte wie ein Fisch an Land.
Und die Quelle des heiligen Flußes erbebte und spie Brocken groß wie Hagel aus, die als Findlinge überall heute zu finden sind. Das fruchtbare Land wurde wild, der Fluß wurde brackig. Die Menschen konnten ihre Sorgen nicht mehr davon schwimmen lassen und die Maid trauert heute um ihren einstigen Geliebten, den öligen Dämonen unter dem Berg, den sie schrecklich vermisste.
Noch heute sieht man sie in den Nächten des abnehmenden Mondes umherirren an den Ufern und hört ihr Wehklagen, denn weinen kann sie nicht.
(inspiriert von Kubla Khan: or, a vision in a dream: a fragment von Samuel Taylor Coleridge)