„Catch a falling star and put it in your pocket
Never let it say the way
Catch a falling star and put it in your pocket
Save it for a rainy day“
Perry Como
Der kleine Nilflughund Sekani saß neben dem kleinen Wunder. Vor ihnen wallte der Nebel dicht über dem Boden und Yquem, das Wundercremedosen-Wunderwesen erzählte gerade eine Geschichte. Da Publikum waren sämtliche anwesenden Kuscheltiere und das alte Mau-Fch, welches sich mal wieder mit ins Zimmer geschlichen hatte und im Schrank auf den Pullovern seinen Lieblingsschlafplatz bezogen.
Yquem hatte heute besonders viel Lust zu spielen und Geschichten zu erzählen, denn das kleine Wunder lächelte seit ein paar Wochen mit blitzenden Zähnchen. Es hatte nicht lange gedauert und zack, zack, zack waren alle nacheinander hervorgebrochen und verliehen dem Lächeln nun wesentlich mehr - nun ja - Biss. Und wenn das kleine Wunder lächelte, dann freut sich der Cremedosenbewohner umso mehr. Alles war besser, als je wieder für irgendeinen jämmerlichen Emporkömmling oder eine verwöhnte Fischersfrau Wünsche erfüllen zu müssen. Das hier war um so vieles besser. Und das hatte sich der Dschinnī oder die Dschinnīya auch wirklich redlich verdient, so lange wie es schon existierte. Kein Vergleich zu der uralten magie an sich natürlich. Aber alle begann schließlich einmal irgendwo.
Und in dem Fall von Yquem war es eine Reise. Es erinnerte sich nicht genau, aber da war so etwas wie ein atemberaubendes, riesiges, fliegendes Etwas gewesen, mit dem es und seine Familie überall hingeflogen waren. Und zwar wirklich überall, wo immer sie es sich vorstellten, sie hatten so viele Welten gesehen, dass er aberhunderte von Geschichten zu erzählen wusste, je nachdem welches Stichwort man ihm zuwarf. Dann überlegte Yquem kurz und schon sprudelte er los.
Bis zu diesem einem schicksalshaften Abend. Denn alle wirklich wichtigen, magischen Dinge passieren zu besonderen Stunden: Mittags, Mitternachts oder mit der Morgen oder Abendröte. In dem Fall entschied sich Yquem für den Abend, denn es mochte die Zeit am meisten, wenn es diesig wurde und sich das Sonnenlicht zurückzog. Es vertrug die direkte Sonneneinstrahlung nicht so gut. Yquem erzählte:
Wir stürzten Stundenlang. Wir wüssten, dass nichts unseren Sturz mehr aufhalten oder umleiten konnte. Die Anziehung dieser Welt war so groß, dass uns keine andere Wahl blieb. Erst wenn wir alle Geschichten hier erfahren haben würden, würden wir wieder weiterziehen können. Und Zeit spielt für uns wirklich überhaupt keine Rolle. Solange wie nur weiter das tun, für das wir geschaffen worden sind. Sammeln und Bewahren. Das können wir gut. Und hier gefiel es uns: Die noch so unglaublich junge Welt versprach uns so viele atemberaubende Geschichten.
Doch wir landeten so früh, dass wir sogar noch Geschichten von Wesen erzählen können, die ihr heute Drachen nennt. Damals waren sie majestätische, gewaltige Echsen und sie fraßen und pupsten und zogen herum. Wir landeten einfach mitten unter ihnen, mit einem gewaltigen Knall rauschten wir erst durch den Himmel und dann zu Boden. Damals waren die Länder natürlich noch nicht so aufgeteilt wie heute und kein Mensch lebte, um ihnen lustige Namen zu geben. Heute nennen sie den Krater, in dem ich damals landete: Chicxulub. Ich war nicht der Erste und nicht der Letzte. Aber alle Krater dieser Erde und natürlich auch die auf dem Mond sind von uns Dschinnīs und Dschinnīyas. Meine ganze Familie macht das. Wir kommen immer mal wieder vorbei, weil es hier so schön ist.
Manchmal sind wir auch nur als Sternschnuppen zu sehen, das ist dann der Fall, wenn wir nur mal schauen wollen und nicht landen. Und selbst dabei können wir die Wünsche und Sehnsüchte der Menschen hören. Aber nicht nur von denen. Denn die Menschen sind nicht die einzigen Wesen auf dieser Welt die fühlen, die lieben und die Wünsche haben. Nicht wahr, kleiner Flughund?
Sekani reckte sich und hörte auf von seinen Erdbeerstückchen zu essen. Nicht seine Lieblingsfrucht, wie er gerne zugab. Aber das kleine Wunder liebte sie und daher teilten sie sich brüderlich die ganze Schale. Schließlich konnte man nie genug davon essen, die waren gesund. Wer wusste das nicht besser als er? Weil Yquem ihn angesprochen hatte, fiepte er jetzt schrill zur Antwort, ohne auch nur nennenswert einen Beitrag zur Unterhaltung beigetragen zu haben.
Das kleine Wunder neben ihm klatschte aufgeregt in die Hände und forderte Yquem dadurch auf, weiterzureden. Auch wenn es die Worte noch nicht beherrschte und so langen Geschichten inhaltlich ohnehin noch nicht folgen konnte. Seine Aufmerksamkeit hing eher an visuellen Reizen und Liedern, dazu wippte es, wackelte mit dem bewindelten Popo und bewegte rhythmisch die Arme. Manchmal ließ es sich auch dazu hinreissen mit den Fingern herumzudeuten und mit dem Kopf im Takt zu nicken. Bei Liedern, die ihm außerordentlich gut gefielen drehte es sich auch.
Der Nebel, der Yquem war und in dem er sich verbarg waberte weiter, wuchs und beulte sich zu Figuren, zu Farn und Palme und Dinosaurier. Es summte dazu beruhigende Töne, die sowohl Sekani, als auch die Katze im Schrank und das kleine Wunder erreichten. Alle die noch Wünsche und Sehnsüchte in den Herzen trugen, konnten Yquems Lied hören. Denn es war eine Freude es zu fühlen. Wenn der Wunsch erhört wurde und in Erfüllung ging. Yquem und seine Geschwister, Onkel und Tanten und Cousins und Cousinen, sie alle waren irgendwo und wanderten im Weltall umher und warteten darauf, dass sie eine Geschichte fanden, um sie zu sammeln, zu bewahren, weiterzuerzählen und als Gegenleistung einen Wunsch zu erfüllen. Was das kleine Wunder für einen Wunsch haben würde, wusste Yquem noch nicht. Aber es fühlte, dass es etwas ganz Besonderes werden würde, wenn es soweit war. Und bis dahin wohnte er in der kleinen, blauen 30gr Wundercremedose und kam heraus zum Spielen, wenn das kleine Wunder oder Sekani anklopften.
*gehört thematisch zu
https://belletristica.com/de/books/21088-sixty-minutes/chapter/94135-spurlos
https://belletristica.com/de/books/21088-sixty-minutes/chapter/89345-weisser-nebel
https://belletristica.com/de/chapters/104930-lodernde-flammen