Schuhe, Kappe, Tuch, Seifenblasen. Endlich hat es aufgehört zu regnen. Die Sonne scheint - na ja über den Wolken bestimmt. Trotzdem: Endlich raus. Draußen riecht es herrlich nach dem letzten Aufbäumen des Sommers, bevor er sich dem Herbst beugt. Aber wie immer, ist Sommer ziemlich klebrig, will nicht gehen, klammert sich noch an die Sonnenblumen, die versprechen sich jetzt erst zu öffnen, um das ‚Gold‘ zu bringen.
Noch bevor die halbe Auffahrt hinter uns liegt, fällt eine gewisse Beklemmung von uns. Es ist ein unbestimmtes Gefühl von „Nicht mehr eingesperrt sein.“ Obwohl es doch nur schlechte Kleidung gibt. Tatsächlich haben wir keine Gummistiefel oder Schmutz-Overalls. Der Spielplatz ist nicht weit entfernt, unter hundert Schritte wahrscheinlich, wir haben sie nie gezählt, denn wir brauchen für den kurzen Weg länger als jeder andere.
Denn es gibt so viel zu sehen. Ein Schneckenhaus am Wegesrand, Ameisen die in ein Loch rein und raus krabbeln in einer organisierten Reihe, durch das Loch im Zaun die Gartenzwerge des Nachbarn, überhaupt die Maserung des Zaunes. Wir bleiben überall stehen und schauen es uns genau an. Jedes einzelne Fundstück ist einen zweiten und dritten Blick wert. Manches kann man aufheben, anderes nur mit der Fingerspitze antippen. Wir hören das Rauschen des Windes in der riesigen Tanne, die zwei Grundstücke überragt und hintergründig eine Maschine, die irgendeine Arbeit erledigt. Wir sehen uns selbst in der spiegelnden Wasseroberfläche einer Pfütze und pitschen mit der Fußspitze hinein.
Erleichtert stellen wir fest, dass wir verfolgt werden. Sie sehen sich rechts und links um, unsere Bodyguards. Manchmal ist es anstrengend mit ihnen, sie weichen nicht von unserer Seite. Sie sehen uninteressiert aus, als schlendern sie auch nur zufällig in unsere Richtung. Aber ihr Streunen wirkt sehr aufgesetzt, denn sie lassen nie mehr, als einen bestimmten Abstand zwischen sie und uns kommen.
Ganz unauffällig versuchen wir um die Ecke zum Spielplatz abzubiegen. Doch sie beschleunigen und holen uns sofort ein, überholen uns, bemessen das Areal mit zügigen, ausladenden Schritten. Sie blicken in die Spielhütte und klettern den Turm hinauf, sie checken alles auf ungebetene Gäste oder Hinterlassenschaften. Sie gehen den ganzen Platz ab bis zur Wippe und zurück. Eine bleibt am rückwärtigen Ausgang stehen und hält Wache. Der andere umrundet uns, während wir rutschen.
Dann haben wir keine Lust mehr zu rutschen und sammeln Kastanien auf. Sie sind noch ganz weiß innen, noch nicht reif. Aber die Oberfläche fühlt sich so wunderbar an. Das ist wie mit Leder: nichts riecht wie Leder, Leder ist der Vergleich für anderes Zeug, das ledrig riecht; oder Blut, Blut schmeckt und riecht nicht metallisch, Blut schmeckt blutig; und Kastanien sind kein Zwischending von samtig und glatt - besonders diese eine Stelle - nein, Kastanien sind kastanig. Und nun lassen wir diese besonderen kleinen Naturschätze die Rutsche herunterfallen und es macht einmalige Geräusche.
Wir stellen uns dabei vor, wie die beiden Bodyguards miteinander reden, über den Abstand zwischen ihnen hinweg. Ein großer Wagen klappert über die Straße am Spielplatz vorbei. Der Kopf ruckt herum, behält das Gefährt genau im Auge, aber es passiert natürlich nichts. Was sollte auch? Erwarten die beiden etwa die würden anhalten, die Tür aufreissen und zu uns kommen?
Wir wechseln das Spielgerät hinüber zu den Schaukeln. Wir schaukeln aber nicht gern, noch nicht. Die beiden Wächter wechseln unbemerkt ihre Position. Als wir uns das nächste Mal drehen, sind sie weg, als wären wir allein, aber ich spüre ihre Präsenz deutlich, sie können nicht weit weg sein. Noch bevor wir an der Wippe sind, sind sie wieder da, beide. Einfach so, als wären sie aus der Luft aufgetaucht.
Die eine streicht um unsere Beine in einer Acht herum und macht sich auf den Weg zu dem Picknicktisch, vielleicht liegen dort noch Krümel von irgendwem. Der Kater springt vorwitzig auf den Holzbanken der Wippe und schnuppert dort herum. Ein Schmetterling flattert an ihm vorbei, er schaut ihm nach, schnauft und zuckt mit den Ohren. Er dreht sich zu uns, als würde er seine Erlaubnis erteilen: Alles sicher hier. Wir lachen, er sieht so süß aus, wenn er so verantwortungsbewusst ist. Sie werden so lange hier sein wie wir. Wir wippen und dann pusten wir schillernde Seifenblasen über den ganzen Platz. Aber sie halten nicht lange, sind sehr schwer. Die Mischung ist nicht richtig angesetzt und der Tipp mit dem Zucker hat auch nicht funktioniert. Wir brauchen ein anderes Rezept. Aber es gefällt allen trotzdem, denn sie sind so wunderschön bunt.
Es war kein langer Ausflug, aber wir sind trotzdem ein bisschen müde nun und wollen wieder zurück, der Rückweg wird lang sein. Wir gehen auf der anderen Straßenseite zurück, da gibt es auch so viel zu entdecken.
Sie machen einen wirklich guten Job. Ihre Aufmerksamkeit bedeutet uns viel. Wir lieben sie, manchmal haben wir Sorge, dass sie auf der Straße laufen könnten. Aber sie sind schlau, ihnen wird nichts passieren. Aber wenn wir bis zum Laden unten an der Hauptstraße laufen, möchten wir nicht, dass sie mitkommen. Die Hauptstraße ist gefährlich und wir müssen doch auf unsere Bodyguards aufpassen. Damit sie auf uns gut achten können, wenn wir zum Spielplatz gehen, damit alle den Seifenblasen nachjagen können. Und danach alle auf der großen Couch kuscheln können und das Mittagsschläfchen machen, schnurrend.
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