Falls sich noch jemand erinnert, gehört thematisch mit zu dem Prompt:
https://belletristica.com/de/books/21088-sixty-minutes/chapter/88631-flackern-im-wind
„Schicker Undercut, Chief.“
„Siehst gut aus, Chief.“
Ein Zwinkern, eine Geste mit der Faust am Kopf zum Zeichen, dass alles gut war: gehört-verstanden, hieß es ursprünglich in der Handzeichensprachen. Dann irgendwann auch: gesehen-verstanden und irgendwann nur noch: alles klar. So änderte sich alles irgendwann.
Sie schritt den Flur hinunter, links und rechts von ihr leuchteten die Lichter vorschriftsmäßig. Es war - ohne zu lügen - ein tolles Gefühl. Ihr Schiff und ihre Crew stand Spalier zum Empfang. Einen Großteil davon kannte sie. Hatte mit ihnen die Grundausbildung absolviert, in denselben Löchern geschlafen oder zu anderen Gelegenheiten kennengelernt. Die meisten schnitten ihre Haare nach Clanzugehörigkeit. Haaren wohnte Macht inne, sie besaßen Magie, weshalb man sie nur zu besonderen Gelegenheiten schneiden ließ. Etwa wenn jemand starb, der einem sehr nah gewesen war; oder zur Hochzeit. Deswegen gab es Crewmitglieder, die - wie sie einseitig rasiert waren. Oder nur im Nacken. Oder die Stirn. Manche trugen dazu Zöpfe oder flochten allerlei Tand hinein. Sie hatte sich den neuen Schnitt gegönnt, weil sie befördert worden war.
Ob sie das Wunder mit ihrem „FiW“ noch mal wiederholen könne? Hatte man sie gefragt, bei der Gala.
Ob sie noch für weitere Überraschungen gut sei? Halb scherzhaft, eher mahnend.
Ob sie vorhabe mit diesen kleinen magischen Tricks bis in die Riege der Häuptlinge aufzusteigen? Ganz und gar nicht mehr scherzhaft.
Sie blieb stehen, kam zu den neuen Gesichtern und grüßte sie anständig. Indem sie ihr Gesicht dicht vor das der anderen brachte, mit der Schulter gegen die des Gegenüber stieß und wartete. Höflicherweise hatte der Gegrüßte die Geste zu erwidern. Sie war so alt wie die ‚Verstanden‘-Geste mit der Hand. Wenn man so nah an den Gegenüber herantrat, begab man sich in Gefahr. Meinte man es böse, hätte man in grauer Vorzeit eine Klinge im Bauch stecken gehabt. Oder das Knie im Schritt. Oder war sogar Gefahr gelaufen in die Nase gebissen zu werden. Kein Scherz.
So was machte man heute nicht mehr.
„Freue mich mit einem Chief ihres Rufes fliegen zu dürfen, Chief“, nuschelte der Gegenüber und stieß mit seiner Schulter zurück.
„Sehr schön.“
Sie ging weiter, schritt die Reihen ab und sah jedem neuen Gesicht tief in die Augen.
Dann drehte sie sich am Ende um, sah wie ihre Crew näher zusammenrückte und eine lose Aufstellung bezog. Sie lächelte, hielt ihre motivierende Ansprache und brachte sich dann schnellstmöglich in Sicherheit. Vor allem vor den Crewmitgliedern, die sie ein wenig besser kannten und die ihr alle persönlich gratulieren wollten.
Sie fanden sie trotzdem. Vielleicht war die Offiziersmesse auch nicht der beste Ort, um sich vor Schulterklopfern zu verstecken. Aber wenigstens hatte sie einen Augenblick Ruhe gehabt und kaum, dass einer lauthals rief: „Hier, ich habe den Chief gefunden“, musste sie auch schon aufstehen, warf einen Blick auf ihren Zeitmesser und lachte: „Das ist aber schön, Kleiner. Und jetzt Weggetreten, wir legen ab, ich begebe mich jetzt auf die Kommandobrücke.“ Und da waren sämtliche privaten Unterhaltungen tabu.
Sie ließ die schmollenden Leute zurück und fand erst so etwas wie Schadenfreude, als sie sich in ihren Kommandostuhl fläzte. Die voll automatische Sitzfläche passte sich ihrem Gesäß optimal an. Kaum zu glauben, dass ihre Ur-Vorfahren in Streitwagen stehend losgefahren waren. Nun heute gab es allerhand Luxus. Auch den die Konsolen vor sich mit einer Hand bedienen zu können und somit die Systeme checken zu lassen vor der Startfreigabe.
„Wie bitte, Chief?“, fragte links eine Piepe-Stimme vom Radar-Kontroll-Gerät.
Sie sah auf. „Hm, habe ich was gesagt?“ Sie konnte sie nicht entsinnen.
„Sie sagten, da käme ein Rauschen im Meer, Chief.“
Alles schien still zu sein und sie erwartungsvoll anzustarren.
„Was ist ein RiM?“
„Das weiss ich nicht, Sie haben es ja gesagt und vielleicht ist es ein Codewort, dass wir noch nicht kennen?“
War es das? Die Leute starrten sie immer noch an, erwarteten ihre Befehle, eine Erklärung.
„Hicks“, machte sie und bekam große Augen. Auch das noch. Immer in den unpassendsten Momenten bekam sie Schluckauf. Dabei hatte sie diesmal nichts getrunken, ehrlich.
„Chief?“, hakte nun jemand anderes nach und Sorge schwang in der Stimme mit, „ist alles in Ordnung, soll ich die Medizinfrau verständigen?“
Alles, bloß das nicht. „Alles gut, danke. Können wir Segel setzen?“
Bestätigendes Gemurmel. Dann stand sie auf und rief im vollen Brustton der Überzeugung: „Dann alles klar machen zum Segel setzen, volle Kraft voraus. Wir haben eine lange Reise vor uns, viele Gefahren werden uns erwarte, aber wir werden ihnen mutig entgegentreten.“ Sie stemmte ihre Fäuste in die Seiten, zog den Bauch ein, streckte die Brust raus und lachte. „Und wenn Sie das Rauschen im Meer hören, geben Sie mir unverzüglich Bescheid.“
So stand sie da, mit einem eigentümlichen Blitzen in den Augen, als sähe sie einen gänzlich anderen Horizont als den den ihre verwirrte Crew sah.