„Ich bin der Neun-Uhr-Termin.“
Die Tür öffnete sich nicht automatisch, ganz altmodisch bewegte sich ein livrierter Schatten hinter dem Milchglas und zog.
Innen begrüßten bunte Vögel - anders wusste Tamy es nicht zu beschreiben - ihre Ankunft. Neonfarbene Handschuhe, Flitter, Sternchen, Glitzer, vielfarbige Perücken. Man sah auf Anhieb, dass es aus Plastik war. Und genauso künstlich wirkte auch die Schminke. Querbalken über dem Nasenrücken, gekringelte Augenbrauen, übertriebene Lidstriche und überall Konfetti und Sticker. Tamy wollte nichts lieber als rückwärts raus, doch da griffen sie schon alle die Hände und zogen sie weiter. Stimmen tobten um sie herum, hoch, schrill, überschlagend. Das krasse Gegensatz zu dem wunderhübschen Mann im Anzug und mit dem silbernen Knopf im Ohr, der als Security fungierte. Er sah ihr nur ganz kurz nach, dann hatten die Angestellten sie mitgenommen in den hinteren Bereich. Schnatternd und tötternd machten sie ein Riesen Aufhebens um sie. Eine hantierte mit einem Zollstock, eine mit einem Maßband. Ein dritter zog ihr im Laufen die Schuhe aus und stellte ihr Plüschpantoffeln bereit. Es fehlte nur noch ein disneyeskes Lied zu den Minions. Die einzige Frage war: War Tamy auf dem Weg zum betörend, verführerischen Antagonisten ihrer eigenen Geschichte, wie es schon Arielle und Prinz Naveen zum Verhängnis geworden war? Oder kam sie zu ihrer persönlichen guten Fee, die ihr ein paar Haselnüsse im Austausch für einen Scheck aushändigen würde? Sie wurde über einen flauschigen Teppich durch einen lichten Flur gehetzt, gedreht und gestolpert. Ständig schubste etwas an ihr und jedes Mal waren da andere Hände, die sie wieder aufrichteten. Ihre Jacke war ebenso verschwunden, wie ihre Haare aus der Spange gelöst und ausgekämmt. Unaufhörlich trieben sie sie auf die Tür zu, welche ebenso milchig wirkte wie die am Eingang. Tamy konnte sich all die hübschen Gemälde und Poster im Flur gar nicht ansehen, so schnell ging das. Und für ein: ‚Ich hab es mir anders überlegt‘, war es wohl auch zu spät.
Das bunte Volk stieß sie durch die Tür und zog sie zu, Tamy fand ich sich außer Atem in einem Salon wieder. Weiche helle Chaiselongues, ein Zierbrunnen, der dreifarbig marmorierte Schokolade sprudelte, ein Ventilator, der Seifenblase pustete, immer wenn er zur Raummitte zurückkehrte auf seinem fest bestimmten Weg. Und ein Bildschirm, der eine ganze Wand einnahm. Darauf drehte sich das Logo der Firma, in einem nie enden wollendem Tanz um sich selbst, ein riesiges großes ‚O‘. Es wechselte seine Gestalt mehrfach, blieb sich in der Rotation aber treu. Ein O der Schriftfamilie Times New Roman, ein O wie eine sich selbst beißende Schlange und eine verschnörkelte Initiale.
„Hallo.“
Tamy fuhr erschrocken herum, ein Bein angezogen, als wolle sie einen Kickboxer nachahmen, die Arme in Abwehrposition. Wie bitte hatte sie den wuchtigen Schreibtisch übersehen können? An dem eine wunderschöne Gestalt saß, Frau oder Mann? Ein Gesicht wie eine Puppe, bemalt wie Porzellan. Die Haare aus Engelslocken - in Lila. Die Toga türkisfarben, die locker über einer seidigen hing. Tamy stellte sich schnell gerade hin und machte eloquent: „Hi.“
„Willkommen bei den Traummachern, wir helfen dir deine Träume zu verwirklichen. Was wünschst du dir, Tamy?“
Ein Flyer wurde über den Schreibtisch geschoben: „Step-by-Step die unerfüllten Träume verwirklichen“.
Tamy lächelte, sie wusste gar nicht wo sie anfangen sollte.