„Ein letztes Mal, Romero, sieh mich an.“
Das Zepter unterm Kinn, blieb dem jungen Mann gar nichts anderes übrig. Der Druck wurde unangenehm. Er hob den Kopf, doch die Augen versuchte er weiterhin geschlossen zu halten.
Von der Seite erklang die rauchige Stimme der Beraterin: „Wie kannst du es wagen, dich einem direkten Befehl unseres Herrschers zu widersetzen?“ Sie hob ihre Hand, die lange Stoffschärpe ihres Ärmels wehte durch die Luft bei der Bewegung. Ihre Hand beschrieb ein filigranes Zeichen und die Wachen reagierten umgehend.
Der Delinquent knurrte, er versuchte - mit dem Kinn noch immer auf dem Zepter des Herrschers - den Kopf zu schütteln und sich von den Wachen zu befreien, sich den Händen zu entziehen, welche ihn zu greifen versuchten. Sie hielten ihn fest und packten so hart zu, dass er schmerzhaft das Gesicht verzog und nur noch mehr die Augen zukniff. Tränen quollen unter den Lidern hervor, er zischte angriffslustig.
„Romero, zeig mir deine Augen.“
Der junge Mann gab auf und blinzelte.
Der Herrscher zuckte zurück, er senkte seine Regierungsinsignie und seufzte: „Nein, nicht auch du, mein Sohn.“
Romero öffnete nun ganz seine Augen, himmelblau strahlende Augen richteten ihren Blick erst auf den Herrscher, seinen Vater, dann auf die Ratgeberin, seine Patentante. Der alte Mann brach gramgebeugt in seinem Thronsessel zusammen und verbarg sein Gesicht hinter der freien Hand.
Erneut startete der junge Mann den Versuch sich von den Wachen zu befreien. Die Kriegerin links von ihm drückte seinen Oberarm. Rechts der Gardist lockerte seinen Griff hingegen. Doch sie ließen ihn erst los, als das Oberhaupt lahm winkte mit seinem Stäbchen.
„Ich schäme mich meiner Gefühle nicht.“ Nicht mehr.
Sein Vater, dessen Augen ganz normal farblos waren, aber nicht blind, nur eben ohne jede Farbe, wie bei allen Menschen eben, blinzelte nun zwischen den Fingern zu ihm und schüttelte den Kopf. „Dummer Junge.“ Er stöhnte: „Du weisst ganz genau, dass es verboten ist.“
Und wie rebellische, aber zuweilen eben auch nicht bis zum Ende denkende Jugendliche waren, trotzte Romero, nun frei im Raum stehend und mit geschwellter Brust: „Ein Tabu, ja, ist mir hinlänglich eingetrichtert worden. Aber keiner von euch hat mir je gesagt, wie schön es ist.“
Seiner Patentante entfuhr ein unterdrückter Aufschrei und sie bekam einen lauten Schluckauf. „Romero“, tadelte sie.
Doch der Herrscher lehnte sich in seinem protzigen Stuhl nur zurück und holte tief Luft. „Du zwingst mich dazu, dir wehzutun.“
„Nun, so wie ich das sehe, bist du hier der Allmächtige, also tu es einfach nicht, Vater“, sprach der Junge eindringlich und kam dem Thron näher. Er streckte die Hände nach seinem Vater aus. Einer seiner Ärmel war gerissen, bei der Festnahme. Schade, um das schöne Stück, vielleicht konnte es jemand für ihn wieder flicken.
„Nein.“
Romero blieb stehen und senkte die Hände. War ja klar. Keine Ausnahmen, nicht einmal für ihn.
Die Beraterin erhob ihre hicksende Stimme und mit jedem Wort, welches sie rezitierte wurde ihre Stimme wieder fester. „Es ist verboten sich zu verlieben. Wer sich verliebt, erhält zum Zeichen seiner schändlichen Emotion das blaue Leuchten des Himmels im Blick. Er soll eingesperrt werden, bis seine Verliebtheit erlischt und seine Augen wieder erblasst sind.“
Der König nickte. Gefühle. So lästig. Er wünschte, er könnte sie abschalten. Allesamt: die Liebe und den Hass vor allem. Sie waren für die meisten Tode verantwortlich. Dann die Trauer und die Freude, sie überrumpelten einen ständig und lähmten einen. Und schließlich sollten auch Stolz und Enttäuschung unterdrückt werden. Alle Farben mussten erlöschen. Es lag nur wahre Weisheit in Grau und Weiß und Schwarz. Nie wieder blaue Vergissmeinnicht-Schwüre in den Augen der Liebenden, nie wieder mörderische Feuerlohe in den Augen der Leidenschaftlichen und -schaffenden. Nie wieder sattes Gelb für helles Glockenblumenlachen. Nie wieder flieder, veilchen und lila Tulpenstolzes Gerecke, so tollkühn wie sein eigener Sohn. Und nie wieder türkisene Krokusse der unerfüllten Hoffnung, wie die, die er gerade verspürte. Blassgrün zog es in seine Augen und schwamm mit seiner Träne hinaus. Er wischte sich mit dem Handschuh unwirsch über die Wange.
„Ich weiss nur zu gut, was für ein Akrobat du bist und wie leichtsinnig. Hausarrest wird nicht reichen.“
„Vater, bitte, tu das nicht“, flehte Romero und das Blau seiner Augen strahlte noch mehr.
Der Herrscher konnte es nicht ertragen, diese Intensität zu sehen, er erhob sich und hob das Zepter: „In den Turm mit ihm.“
Die Wachen waren sofort wieder zur Stelle und ergriffen den jungen Mann. Sie zerrten ihn hinaus.
Romero schrie, sie alle konnten es im Saal hören, bis er so weit hinfortgezerrt war, dass er einfach nicht mehr laut genug schreien konnte.
Ein paar der anwesenden Adeligen im Raum fingen an zu tuscheln.
Der Herrscher wandte sich an seine Beraterin: „Wie lange wird es dauern?“
Sie presste ihre Lippen aufeinander. „Schwer zu sagen, Hoheit.“
Verfluchte Gefühle. Eines Tages würde er sie komplett ausgerottet haben. Es dauerte länger als geplant, aber am Ende würden alle von diesem sinnlosen Makel befreit sein. Er sehnte sich so sehr nach der Ruhe die dann herrschen würde. Bis dahin…
„Bringt den Nächsten.“
Und zwei andere Wachen zerrten den Hofnarren zum Thron, dessen Schellen klimperten.
„Sieh mich an.“ Der Herrscher deutete mit dem Zepter auf den Mann, doch er sah es schon von Weitem, des Narren Augen schillerten im bunten Regenbogen.