Hab da mal gearbeitet. Bei den Hühnern mein ich. Hatte da meinen ersten und einzigen Zusammenbruch.
Kann ich euch also echt den Schocker des Monats antun?
Betrachtet das als Vorwarnung.
Ich war naiv und brauchte das Geld. Hatte einen Bekannten einer Bekannten, der ihren Bruder gefragt, ob er mir den Job besorgen könnte. Nicht weit von unserem Wohnort gab es eine Hühnerfarm. Bei den Legehennen an sich war ich nicht drin. Ich habe nur gesehen wie jemand die toten Hühner rausgebracht hat und weggeworfen, in eine Tonne direkt neben mir, aus gut 3-4 Metern Fallhöhe. Rums. Das war einer der ersten Tage gewesen, ich musste an allen Ställen vorbei nach ganz unten auf dem Hof. Da war die Eiersortieranlage. Und grad vor Ostern: Hochbetrieb.
Hab da einige Wochen dann geschuftet von morgens früh bis abends spät. Es gab eine Pause. Meine Kollegen waren vor allem Kollegen von Freunden von Verwandten aus den östlich gelegenen Nachbarländern. Wir verstanden uns trotzdem irgendwie. Na ja in der Mittagspause eben. Es gab Ostereier in der Pause, vom eigenen Hof, mit besten Grüßen aus der Personalabteilung. Es wurde ununterbrochen geraucht am Arbeitsplatz. Meine Aufgabe bestand darin schadhafte Eier vom Band zu nehmen, denn kaputte Eier verlieren Eigelb und Eiweiß und verkleben die Rollen und hinterlassen auf allen nachfolgenden Eiern zwar hübsch bunte, aber ungewollte Streifen. Manche Eier sind blutig. An vielen hängen Kot oder Federn. Die müssen auch raus. Ich weiss genau wie haltbar Eier sind und wie man sie am besten lagert und wie strapazierfähig sie sind.
Um meine Leistung zu steigern, stieß ich die Eier nur noch nach unten durch, statt sie herauszunehmen. Kaputte Eier waren glitschig und ließen sich nicht „rausheben“, sie fielen runter und machten alles dreckig. Dann musste angehalten werden und geputzt werden. Die Eier kamen von links, die Eier zogen an mir vorbei, die Eier rollten nach rechts. Sie wurden nach Größe automatisch sortiert und kamen am anderen Ende der Halle wieder raus. Und wurden umgestapelt in Rollwägen.
Mein Tag begann früh morgens vor Sonnenaufgang und endete spät abends. Meine Füße machten das nicht mit, ich bekam vom Stehen an der Maschine in alten Schuhen Blasen und Druckstellen, darüber hinaus Käsemauken und eine Pilzinfektion. Nachts saß ich in der Dusche und schrubbte meine Füße rot, weil es nicht aufhören wollte zu jucken und zu pochen. Danach fiel ich hundemüde ins Bett. Einmal verpasste ich meinen Bus und ging zu Fuß nach Hause.
Nach jeder Schicht musste die große Wanne unter der Maschine und die Maschine an sich gereinigt werden. Denn Eier stinken. Eier, Hühner, der ganze Hof. Alles stank. Ich stank. Die Wanne wurde mit den Eierschalen und Schmierfetten und Zigarettenstummeln und was einem sonst so reinfällt (Knoppers zwischendrin, Kaugummi etc) nach draußen gebracht. Da schwelte ein Feuer, es war nie aus, in einem Container. Da wurden zermatschte Pappen mit Eiern und all unser Abfall reingeworfen. Auch das stank.
An diesem einen Abend hatte die Schicht länger gedauert. Die Sonne war untergegangen. Ich hatte jemanden organisiert, der mich abholen sollte, weil kein Bus mehr fuhr. Ich hing noch in meiner Maschine und schrubbte, als ‚die Kollegen‘ schon weg waren. Ich brachte meinen Müll raus. Und es war kein einziges Auto auf dem Hof. Es war ein arschkaltes Ostern. Und es regnete. Ich zog die Halle hinter mir zu und ging hoch zur Straße. Ich war mitten in der Pampa, nachts, mit dem Gegacker der Hühner, denn die Legehennen schlafen nie. Es regnete und niemand war gekommen, um mich abzuholen. Ich hatte kein Mobiltelefon. Ich hatte nur eine Pause gehabt, mit selbst geschmiertem Brot, bunten Ostereiern und einem Joghurtdrink. Meine Kippen waren alle. Meine Füße bluteten. Ich wusste nicht was ich tun sollte.
Da bog ein Lieferwagen auf den Hof, um die Lieferung für den nächsten Tag zu holen. Der Mann sah mich an der Wand kauern und heulen. Und sagte: „Warum gehst du denn nicht in den Aufenthaltsraum? Der ist doch immer offen und da ist ein Telefon.“
An den Rest der Nacht erinnere ich mich nicht. Als ich abgeholt wurde, habe ich nur gezittert und geheult.
Ich ging am nächsten Tag wieder hin. Und kündigte.
Ich konnte jahrelang keine „Frisch Ei Waffeln“ essen, ich weiss, was in Voll-Ei drin ist. Und ich kann den Gestank von Hühnern nicht leiden und gottverdammt ich hasse vorgefärbte bunte Ostereier.
Aber immer wenn ich ein Päckchen Eier kaufe, muss ich jedes Ei in die Hand nehmen und drehen und schauen, ob da so ein filigranes, hauchzart, graues Spinnennetz-artiges Geflecht drauf ist. Denn das hätte schon in der Sortieranlage aussortiert werden müssen.