Als sie das Zimmer verlassen hatte, ging Marti zu seinem Mann, legte den Arm um seine Taille und sagte leise:
„Was auch immer passiert. Wir werden das schaffen, wir beiden.“
Es dauerte nur wenige Augenblicke, als Marita schon zurück kehrte, mit Klaus im Schlepptau. Sie schaute ihren Sohn und ihren Schwiegersohn ernst und doch liebevoll an.
Dann nickte sie Klaus zu.
Jakos Vater holte Luft und sagte mit seiner tiefen, angenehmen Stimme:
„Jakob, mein Sohn. Auch mir tut es leid, dass wir dir offensichtlich einen falschen Eindruck von dem mit auf den Weg gegeben haben, was du unserer Familie schuldig bist. Sicher schuldest du unserem alten Namen eine gewissen Achtung. Aber ...“
Er räusperte sich.
„... du solltest wissen, dass du diese Achtung am besten durch Selbstachtung zeigst. Dadurch, dass du dein Leben mit Würde und Stolz lebst, und deinen eigenen Weg gehst. Und, mein Junge ...,“
Nun fuhr er sich verlegen mit der Hand über den Nacken.
„... ein Sub zu sein, hat mehr Stolz und Würde in sich, als es auf den ersten Blick vielleicht den Anschein haben mag. Denn ein Sub zu sein, heißt seinem Dom das größte Geschenk zu machen, dass man machen kann, nämlich sich selbst. Und das geht nur dann wirklich, wenn man sich darüber im klaren ist, dass man selbst ein solches Geschenk ist!“
Jako schnaubte verächtlich.
„Das ist ja alles gut und schön. Aber was meinst ausgerechnet du, Vater, mir darüber erzählen zu können? Du mit deinem alten Familienstolz, der fast an Arroganz grenzt? Ach, was heißt hier fast ...“
Wenn Blicke töten könnten, wäre Klaus jetzt leblos zu Boden gesunken.
So aber schüttelte er nur den Kopf.
„Es tut mir Leid, Jakob. Wir haben versucht, das richtige zu tun, und haben ganz offensichtlich nicht gesehen, wie sehr du darunter gelitten hast. Aber ... ja, ich bin durchaus derjenige, der dir zum Thema Sub eine ganze Menge sagen kann.“
Und zu Jakos und Martis größtem Erstaunen öffnete Klaus die oberen Knöpfe seines Hemdes und schob den Hemdkragen auseinander. Darunter zeigte sich ein Halsband ...
Ein Halsband!
Aus weichem Leder offenbar, mit einem Ring, an dem eine kleine Plakette befestigt war, auf der etwas eingraviert zu sein schien.
Das ganze bedeutete nur eins:
Klaus von Joiko war ein Sub.
Jako starrte seinen Vater völlig entgeistert an, und auch Marti konnte es kaum fassen: Klaus von Joiko, der Mann, der mit seinem voll tönenden Bass selbst den steifsten englischen Butler zum Erzittern bringen würde, wenn es hier einen solchen gäbe; der Mann, dem Stolz aus allen Poren drang; der Mann, dessen Schritte selbst dann, wenn er über billiges Linoleum lief, so wirkten, als schritte er über uraltes Parkett oder polierten Marmorboden; dieser Mann war ein Sub.
„Aber ...“, stotterte Jako und wusste nicht, was er nun tun oder denken sollte.
Marti war es, der als erstes die Sprache wiederfand.
„Ich bin komplett überrascht“, sagte er. „Ich hätte nie gedacht, dass ihr beide das Kanazé Virus habt.“
„Haben wir auch nicht“, sagte Marita. „Nicht beide. Nur Klaus. Ich selber bin ... weder Sub noch Dom.“
„Aber wie ...“
Jako brachte anscheinend immer noch keine vollständigen Sätze raus.
„Wie wir zusammen leben, möchtest du wissen?“, fragte Marita. Jako nickte.
„Nun, wir waren schon seit ewigen Zeiten verheiratet, als das Virus bei Klaus auftrat. Und es war klar, dass ich selber nicht betroffen bin. Wir haben viel geredet, aber von Beginn an stand fest: eine Trennung kommt nicht in Frage. Wir lieben uns. Das war einfach keine Option.“
„Wir haben einen Kompromiss geschlossen“, sagte nun Jakos Vater.
„In unserem Alltag leben wir weiter wie bisher. Das ist für mich nicht immer ganz einfach, aber deine Mutter ist alle Anstrengungen wert. Und manchmal ...“
Nun schwieg er verlegen.
„Manchmal“, führte die Mutter den Satz fort, „nehmen wir uns ein Wochenende Zeit und … spielen ein bisschen. Dann lasse ich Klaus ausleben, was er braucht ... was er fühlt.“
Sie sah Jako eindringlich an.
„Klaus hat recht. Es ist nicht immer einfach. Aber wir haben einen Weg für uns gefunden. Der für uns beide gangbar ist. Mit dem wir beide leben können.“
Jako glühte bis unter die Haarspitzen. Dass ganze war ihm furchtbar unangenehm. Über so etwas redet man nicht gerne mit den eigenen Eltern.
Marti dagegen grinste zufrieden.
Eigentlich rückte sich hier doch gerade alles in ein gerades Licht. Und wie es aussah, schien auch Jako langsam zu begreifen, dass es in Sub-Dom-Beziehungen so viel mehr gab, als nur schwarz und weiß. All die Schattierungen dazwischen machten das ganze so bunt und individuell unterschiedlich, wie auch Menschen an sich es waren.
„Ich möchte nachdenken“, sagte Jako. „Ich muss das alles erst einmal sacken lassen. Das war gerade alles ein bisschen viel.“
Er sah Marti flehend an.
„Du möchtest allein sein?“
Jako nickte.
„Ja, Marti. Ich werde einen Spaziergang um den See im Park machen.“
Marti küsste seinen Mann und blickte ihm ein bisschen sorgenvoll hinterher, als er über die Terrasse hinaus in den Park verschwand.
„Was für ein Tag“, sagte Marti. „Ich bin jetzt echt fertig. Ist es okay, wenn ich mich ein bisschen hinlege?“
„Natürlich“, sagte Marita. Sie zögerte einen Augenblick. „Das ... das Bett im Gästezimmer ist bezogen ...“
„Ja“, sagte Marti. „Ich lege mich dort hin. Dann kann Jako nachher selber entscheiden, was er möchte.“
Er war schon halb auf dem Weg die Treppe hoch, als er sich noch einmal umdrehte.
„Marita“, sagte er zu seiner Schwiegermutter, die in der Tür zum Wohnzimmer stand und nachdenklich aussah.
„Ich bin ein Dom, und wenn Jako sich entscheidet, dass er das will, also dass ich SEIN Dom sein darf ... ich verspreche euch, dass ich ihn immer mit Respekt und Achtung behandeln werde. Ich hoffe, das wisst ihr?“
„Wir zweifeln nicht daran“, sagte sie und lächelte ihrem Schwiegersohn warmherzig zu.
„Danke“, sagte Marti und dann ging er nach oben, kuschelte sich in das Gästebett und war nach ein paar Sekunden eingeschlafen.