Marita bekam am Donnerstag Morgen auch nicht viel von Klaus zu sehen. Entgegen ihrer Gewohnheit hatte sie recht lange geschlafen. Wahrscheinlich war die Erschöpfung daran schuld. Andererseits hatte sie ein starkes Kratzen im Hals und ihre Stirn fühlte sich etwas warm an. Es schien, als würde sie eine Erkältung bekommen.
Sie hatte sich gerade Kaffee gemacht, als Klaus in die Küche stürmte.
Er steuerte geradewegs auf die Kaffeemaschine zu und nahm sich, ohne etwas zu sagen, eine Tasse aus dem Schrank.
„Guten Morgen“, sagte Marita etwas verschnupft (und das in zweifacher Hinsicht.)
„Morgen“, grummelte ihr Mann und war schon halb wieder aus der Küche raus.
„Klaus!“, sagte sie. „Warte doch mal!“
Einen Augenblick zögerte er, dann sagte er:
„Ich muss los, zur Arbeit. Bin spät dran heute.“
„Klaus, ich war doch gestern bei den Jungs...“
„Später, meine Liebe, später“, fiel er ihr ins Wort und schwupps, war er fort und die Küchentür fiel hinter ihm zu.
„Verdammt noch mal“, knurrte Marita verärgert, aber sie fühlte sich nicht gut und hatte weder Kraft noch Lust, hinter ihm her zu laufen.
Sie machte sich eine Thermoskanne Kräutertee, den aus der Apotheke, der bei Erkältungen lindern und helfen sollte. Dann legte sie sich auf das Sofa, kuschelte sich in eine Decke und war Ruck Zuck eingeschlafen.
Als sie erwachte, taten ihr alle Gliedmaßen weh und die Nase saß jetzt richtig zu. Ihr Kopf schwamm ein wenig. Dennoch ging sie in die Küche, um das Frühstücksgeschirr aufzuräumen und dabei ein wenig ihren Gedanken nachzuhängen.
Was war nur los mit Klaus? Er benahm sich schon seit ein paar Tagen so merkwürdig.
Nun, vermutlich lag es an der Situation der beiden Jungs, ja sicher, er machte sich große Sorgen um beide.
Er hatte ihnen ja auch wirklich helfen können und wahrscheinlich versuchte er das auch weiterhin. Vermutlich war es besser, das sie gar nicht alles wusste.
Trotzdem, es wurmte sie. Sollte man nicht gerade in einer solchen schwierigen Zeit zusammenhalten?
Ob sie die Jungs mal anrufen sollte? Es drängte sie geradezu danach. Sie wollte gern wissen, ob noch alles in Ordnung war.
Aber wahrscheinlich war es besser, den Kontakt zu den beiden auf das nötigste zu beschränken, um die Gefahr zu mindern, dass man sie fand und verhaftete.
Sie schauderte bei dem Gedanken. Andererseits – Klaus war ein hohes Tier durch seinen Vorstandsposten. Ob er in einem solchen Falle etwas würde unternehmen können – immerhin hatte er einiges an Einfluss ...?
Nun, vermutlich nicht, immerhin hatten die Jungs gegen irgendwelche Gesetze verstoßen, mochte sie auch noch so antiquiert und falsch sein ... oder hatten sie das nicht?
Waren sie vielleicht gerade in diesem Augenblick im Begriff, das zu tun? Mit Hilfe dieses ... wie hieß das? UMC-Stick? Oder so ähnlich?
Marita seufzte.
Wenn sie doch nur etwas tun könnte, um zu helfen und die Jungs zu schützen!
Das alles belastete sie und ausgerechnet jetzt musste diese verdammte Grippe kommen.
Sie kuschelte sich wieder auf das Sofa unter ihre warme Decke und sank, voller Sorgen und Ängste, in einen erneuten Fieberschlaf.
* * *
Der Mann, der als Der Leader bekannt war, saß erneut in seinem Büro und telefonierte mit Gott und der Welt.
Die ausgebrochenen Gefangenen waren noch immer nicht wieder gefasst.
Von den anderen Gesuchten gab es auch noch keine Spur.
Der verdammte Polizeibericht war noch nicht wieder aufgetaucht, es gab noch keinen Hinweis auf ihn.
Die Lage rund um die Welt wurde immer dramatischer. Überall gingen Subs und Doms auf die Straße, forderten Anerkennung und Rechte.
Es gab blutige Zusammenstöße mit der Polizei. Nun gut, davon war man in Deutschland bisher verschont geblieben. Aber das hieß nicht, dass die Lage hier besser war.
Fest stand, dass es keine noch so geringe Chance gab, das ganze im Sande verlaufen zu lassen und zu einem Zustand, wie er vor diesen Ereignissen geherrscht hatte, zurückzukehren, und das war ja das gewesen, was seine Auftraggeber eigentlich von ihm verlangt hatten.
Fest stand daher auch, dass er seine Position, seine Macht langsam aber sicher verlor.
Man hörte nicht mehr uneingeschränkt auf ihn, es gab Widerstand gegen seine Befehle. Und diejenigen, die bisher keinerlei Zweifel in seinen Fähigkeiten gehabt hatten, solch schwierige Situationen zur Zufriedenheit zu lösen, vertrauten ihm auch nicht mehr.
Nun, er konnte es niemandem verübeln. Dieser kleiner Haufen junger Leute mit ihrem vermaledeiten Video hatten es geschafft, seine Grundfesten ins Erbeben zu bringen. Er schien tatsächlich nicht mehr in der Lage, die geforderten Ergebnisse zu liefern. Und das war bisher immer das gewesen, was seine Position ausmachte.
Nun, das war aus und vorbei.
Und dass ausgerechnet sein Sohn an alle dem beteiligt war, machte die Lage nicht besser und seine Magengeschwüre nicht kleiner.
Nun, wenigstens war der in Sicherheit. Er hatte nicht nur dafür gesorgt, dass der Junge sich in einem sicheren Versteck befand, sondern auch dass man dort nicht nach ihm forschte. Gewisse Dinge konnte er mit den verbliebenen Fäden seines einst so umfangreichen Netzwerkes immer noch erreichen.
Und ausgerechnet heute hatte man in der Firma, in er er einen Posten innehatte, der doch eigentlich nur der Tarnung diente, nach ihm verlangt, ein wichtiges Meeting stand an...
Er war nicht lange geblieben, hatte Gespräche und Außentermine vorgeschoben und war schnurstracks in sein Büro in seinem langweiligen Wohnhaus zurückgekehrt und hatte sich wieder an die Arbeit gemacht.
Und dann war seine Kaffeemaschine, die er hier stationiert hatte, kaputt gegangen.
Verflucht!
Er brauchte dringend einen Kaffee, also verließ er das Büro, schloss wie immer sorgfältig hinter sich ab ab und ging hinunter in die gemütliche Wohnküche.
Seine Hoffnung, sich ungestört einen Kaffee holen zu können, wurde nicht erhört.
In der Küche stieß er zu seinem Unbehagen auf seine Frau.