Er hatte jetzt eigentlich überhaupt keinen Nerv, sich mit ihr auseinanderzusetzen.
Sie, die genau wie ihr Sohn ursprünglich nur seine Tarnung hatte sein sollen, um seiner Fake-Existenz einen passenden Rahmen, eine glaubwürdige Legende zu geben. Sie, die er, ebenso wie den Jungen, über die Jahre hinweg lieb gewonnen hatte, etwas was nicht geplant war und was eigentlich nicht hätte passieren dürfen.
Es würde sich wieder einrenken; vielleicht würde er ihr alles erzählen irgendwann ... nein, das würde er sicher nicht. Das wäre viel zu gefährlich, für ihn selber, aber auch für sie und den Jungen.
Egal, im Augenblick hatte er anderes zu tun, und wollte sie einfach nur loswerden.
Sie sah ihn an und wollte etwas sagen, doch dann verzog sich ihre Nase, und anstatt ihn anzusprechen, nieste sie herzhaft.
Herrgott, sie schien wirklich heftig erkältet zu sein.
„Nur schnell nen Kaffee, ich hab zu tun, keine Zeit“, sagte er und strebte Richtung Tür.
Doch das funktionierte nicht.
„Warte!“, rief sie.
Er blieb stehen.
„Mein Lieber, lass mich doch hier nicht einfach so stehen!“
Er seufzte verhalten.
„Ich bin krank“, schniefte sie, „und ich mache mir Sorgen!“
Er, der Mann, vor dem hochrangige Politiker, Geheimdienstler und Wirtschaftsbosse erzitterten, brachte es nicht fertig, seine Frau einfach abzufertigen, wie es vermutlich das beste gewesen wäre.
„Hör mal, ich habe alles im Griff!“, sagte er. Es war ihm klar, dass sie sich damit nicht zufrieden geben würde.
Er schwitzte. Gott, er hasste es, wenn er ins Schwitzen kam. Dieser Sommer war dahingehend ohnehin schon eine Herausforderung, und wenn nun auch noch ihr Blick so vorwurfsvoll auf ihm lag ... er hasste das Schwitzen vor allem, weil dieses verdammte Halsband dann so juckte ...
„Das will ich dir wohl glauben“, sagte sie, „aber ich möchte mich dennoch hier mit dir an den Tisch setzen und ein paar Dinge bereden.“
Reden. Er hatte jetzt keine Zeit zum Reden.
„Ich habe wichtige Dinge zu erledigen, ich muss schnell wieder in mein Büro ...“
„Klaus von Joiko!“
Ihre Stimme war ruhig, aber sehr bestimmt. Der Mann, den sie den Leader nannten, seufzte.
„Also gut.“
Er konnte Fäden ziehen, ganze Armeen kommandieren, na jedenfalls im übertragenen Sinne.
Aber ihr, seiner Frau, Marita von Joiko, hatte er nichts entgegen zu setzen. Und das hatte wenig damit zu tun, dass sie, die keine Kanazé war, für ihn hin und wieder ein wenig Dominanz spielte. Für ihn, den zu seinem größten Ärger und Verdruss das Virus voll erwischt und zu einem Sub gemacht hatte, eine Tatsache, die außer seiner Familie niemand jemals würde erfahren dürfen.
Niemals!
Nein, der Grund dafür, dass er sie nicht abweisen konnte war viel einfacher.
Er liebte sie.
Er hielt seine Nase über seine Tasse Kaffee und sog den heißen Dampf, den würzigen Duft ein.
Marita klammerte sich an einer Tasse mit dubios riechendem Kräutertee fest. So ein Zeug würde er niemals runter bekommen ... da mochte es noch so gesund sein.
Kaffee. Kaffee war sein Lebensretter.
„Weißt du“, sagte sie, „ich habe hohes Fieber und fühle mich scheußlich. So eine Erkältung ist sehr unangenehm. Und ich hatte gehofft, dass mein Mann sich ein wenig um mich kümmert, aber ich habe das Gefühl, du hast noch nicht einmal mitbekommen, dass ich krank geworden bin.“
Was sollte er sagen, sie hatte ja recht.
„Du hast dich komplett in deinem Büro verkrochen, Klaus, und das gerade jetzt, wo die Jungs in Schwierigkeiten stecken.“
„Was meinst du denn was ich in meinem Büro mache? Ich versuche die Jungs zu schützen!“
Sie sah ihn groß an.
„Was soll das heißen? Was kannst du schon tun? Sicher, du hast auf Grund deines Postens ein paar Kontakte, das will ich gar nicht bestreiten. Aber das hier ist doch eine Nummer zu groß für dich, oder?“
Nun, das war es sicher nicht, aber davon konnte er ihr nichts erzählen.
„Klaus, ich will nicht, dass du auch noch Schwierigkeiten bekommst!“
„Werde ich nicht“, brummte er.
„Und außerdem“, sagte sie verletzt, „kannst du mich nicht einfach so allein lassen. Ich habe Angst um die Jungs, und ich brauche dich an meiner Seite. Brauche deinen Trost, deine Zuneigung, verstehst du?“
„Tut mir leid“, sagte er und nahm ihre Hand.
Einen Weile schwiegen sie.
„Gerade jetzt“, sagte sie. „Wo vielleicht alles noch schlimmer wird. Marti und Jako haben zwar gesagt, das würde es nicht, aber ich weiß nicht, ob ich ihnen glauben kann.“
Klaus zog die Stirn kraus.
„Schlimmer? Wieso?“
„Na ja“, sagte Marita, „wegen dem Stick.“
Stick? Was?
„Welcher Stick?“, fragte Klaus und spürte, wie sein Schwitzen langsam aber sicher in kalten Schweiß überging.
Marita lächelte schief.
„Ja weißt du, das war fast so eine kleine James Bond Nummer, die die Jungs da gebracht haben. Das war so ein ...ähm ... UPS-Stick oder so ähnlich. Da war was wichtiges drauf und die Jungs haben ihn in meinem Geburtstagspaket versteckt. Schlau, nicht? Ich habe ihn gestern zu ihnen auf die Hütte gebracht ...“
Sie fuhr erschrocken auf, weil Klaus aufgesprungen war und sein Stuhl laut krachend nach hinten gefallen und auf den Fliesen des Küchenbodens aufgekommen war.
„Wann?“, schrie er.
„Was ... meinst du ...?“, stotterte Marita ängstlich. So kannte sie Klaus gar nicht.
„Wann, verdammt noch mal, ist dieser Stick hier angekommen?“
„Na gestern! Mit der Post! Klaus, was ist los ...“
Doch sie kam nicht dazu, ihn zu fragen was los sei, denn er war aus der Küche gestürmt.
Sie lief ihm hinterher und sah nur noch, wie er ins Auto sprang und in Richtung des Waldes davon brauste.