Kriminalhauptkommissar Sven Schneider saß am Schreibtisch in seinem Büro im Kommissariat. Er hatte den Kopf auf die Hände gestützt und hing seinen Gedanken nach.
Der Fall, den er da im Moment bearbeitete, bereitete ihm Bauchschmerzen.
Die beiden jungen Männer, die er vorhin befragt hatte, schienen ihm aufrichtig zu sein. Und er hielt sich zugute, dass sein Bauchgefühl ihn selten trog.
Zwar hätte er die Hand nicht dafür ins Feuer gelegt, dass sie nicht doch etwas mit dem Verschwinden des Berichtes zu tun gehabt hatten. Aber ... sie wirkten nicht so auf ihn, als hätten sie schlechtes damit vor.
Denn, und das war etwas, worüber er sich den Kopf zerbrach, wäre die Veröffentlichung des Papiers wirklich eine schlimme Sache?
Oder wäre es nicht vielmehr ein Schritt in die richtige Richtung?
Er selber war Single, und das schon lange. Es gab keine Frau an seiner Seite, und ja, dafür hatte er sich größtenteils bewusst entschlossen, da seine Arbeit als Kriminalpolizist ihn in Tuchfühlung mit Verbrechern bringen würde, ihn aber auch in gewisser Weise angreifbar machen würde, was seine Integrität betraf. Menschen, die einem nahe standen, machten erpressbar, und er war jemand, der sich seine offene und freie Meinung nicht gerne abkaufen lassen würde.
Und wenn er eine Partnerin gehabt hätte, so wäre für ihn nur eine Vanillabeziehung in Frage gekommen, denn er war weder Sub noch Dom, konnte mit all dem nichts anfangen.
Dennoch empfand er es als bedenklich, dass die Menschen, die der Sub-Dom-Kultur angehörten, nicht in ausreichendem Maße berücksichtigt wurden, in den Medien, dem Alltag aber vor allem auch Gesetzen und behördlichen Regelungen. Er hatte sich das Video inzwischen wieder und wieder angesehen und war erschrocken ob der Tatsache, dass es so viele Menschen betreffen sollte. Wenn das stimmte, war es einfach eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, was hier geschah.
Aber – stimmte es tatsächlich?
Nun, er würde sich die entsprechenden Studien beschaffen, die im Video erwähnt wurden und nachforschen.
Und warum sollte man so besorgt sein um den Polizeibericht sein, wenn der nicht ganz ähnlich brisante Informationen barg?
Nun, wie auch immer. Sven Schneider war niemand, der unkritisch Meinungen übernahm. Er würde die Sache prüfen.
Und bis dahin würde er seinen Job machen.
Seufzend griff er zum Telefonhörer und ordnete er die weitere Überwachung der beiden Verdächtigen an.
* * *
Felix und André saßen in der Küche der WG, die sie gemeinsam bewohnten, und starrten auf die verschlossene Schublade, in der sich der verdammte Bericht befand. Beinahe hundert Seiten eng beschriebenes Papier mit brisantem Inhalt. Sie hatten die etwas seltsame Nachricht von Max und Flo erhalten und nun saßen beide da, unsicher, unschlüssig, und wussten nicht recht, was sie tun sollten.
„Na ja“, brummte André, „ich denke, wir sollten das Zeug hier wegschaffen und irgendwo verstecken.“
„Du hat recht, das wäre sicher am klügsten“, antwortete Felix, und dann seufzte er.
„Aber wo bringen wir es hin?“
André zuckte mit den Schultern. Er hatte keine Idee.
Wieder saßen sie da und fixierten die Schublade mit den Augen, als würde sich die Lösung da heraus materialisieren.
Aber es half alles nix, ihnen fiel einfach nichts ein.
* * *
Marti und Jako hatten ein paar Stunden geschlafen. Es war am späten Samstag Nachmittag, als sie beide an ihrem Küchentisch saßen und einen frischen Kaffee genossen.
„Komische Zeit für'n Frühstück“, sagte Marti.
Jako grinste und nahm einen tiefen Schluck aus seiner Tasse.
„It's always coffee o'clock!“, sagte er.
Dann reckte er sich und fragte Marti:
„Ich könnte auch ein bisschen Rührei mit Toast vertragen. Wie sieht es aus?“
„Oh ja“, sagte Marti und stand auf.
Jako war aber schneller. Mit hochrotem Kopf sagte er:
„Ähm, lass ... mich das bitte machen.“
Marti legte den Kopf schief.
„Weißt du, Jako“, sagte er, „nur weil wir beide beschlossen haben, es als Dom und Sub zu versuchen, heißt das nicht, dass du mich von vorne bis hinten bedienen musst!“
Er grinste seinen Ehemann an.
„Na ja, jedenfalls nicht immer!“
Und er zwinkerte Jako zu.
Jako seufzte.
„Ich weiß, mein Schatz. Aber ... nun, ich möchte das gerne. Dich ein bisschen mehr bedienen, meine ich. Jedenfalls manchmal.“
Er klang unsicher.
Marti griff nach ihm, zog ihn zu sich heran und küsste ihn zärtlich.
„Nun, wenn das so ist“, sagte er, „dann werde ich mich darüber ganz sicher nicht beschweren.“
Und er gab Jako einen liebevollen Klaps auf den Hintern, woraufhin der sich an die Arbeit machte.
Als sie ihre Teller leergegessen hatten – das Rührei war richtig gut geworden – klingelte Martis Handy.
Er ging dran. „Joiko?“
Felix war am anderen Ende der Leitung.
„Hallo Marti. Ähm ... ich hoffe, ich habe dich nicht geweckt?“
„Nö, Felix. Jako und ich sitzen gerade beim 'Frühstück'.“
Felix lachte, wurde dann jedoch wieder ernst.
„Marti, habt ihr beide gerade Zeit? André und ich haben ein ... Problem bei dem wir nicht weiterkommen. Könnt ihr eventuell vorbeikommen?“
Marti zog erstaunt die Augenbrauen hoch.
„Jetzt?“
„Wenn es geht ...“
„Klar“, sagte Marti und sah Jako fragend an. „Jako, Felix braucht uns.“
„Wir kommen“, sagte Jako. Wenn sein bester Freund und Bandkollege Felix ihn brauchte, zögerte er nicht.
Also zogen sich die beiden Joikos an und machte sich auf den Weg. Eine halbe Stunde später standen sie bei Felix und André vor der Tür.
* * *
Flo und Max waren durch die Straßen ihres Viertels gelaufen, doch sie hatten niemanden entdeckt, der ihnen folgte.
Nun, das musste gar nichts heißen. Es konnte bedeuten, dass ihnen tatsächlich niemand folgte, oder es konnte auch sein, dass sie es schlichtweg nicht bemerkten und ihre eventuellen Verfolger einfach gut in dem waren, was sie taten.
Sie beschlossen also, nach Hause zurück zu kehren.
Auf dem Heimweg jedoch war Max sehr nachdenklich. Und als sie schließlich wieder vor ihrer Haustür standen, gab er Flo einen Kuss und sagte:
„Geh schon nach oben, Kleener. Ich komme nach. Ich habe noch etwas zu erledigen.“
„Aber...“, wollte Flo ansetzen. Er wollte jetzt nicht allein sein.
Doch Max' strenger Blick ließ ihn innehalten.
„Ja, Max“, sagte er und senkte den Blick.
Und während er den Schlüssel in die Haustür steckte, lief Max die Straße hinunter und um die nächste Ecke.
Er war auf dem Weg zu einem ganz bestimmten Laden.