Während Schneider mit Flo, Max und Olli also im Fahrzeug seines Freundes dem Stadtrand von Berlin zustrebte, war der blaue Renault mit Marti und Jako bereits auf dem Weg nach Süddeutschland. Sie fuhren über die Autobahn, wenngleich sich beide nicht darüber klar waren, ob das klug war. Sollten sie vielleicht lieber Landstraßen benutzen? Oder würde man sie dort nur um so eher finden? Suchte man überhaupt nach ihnen?
Sie hatten beide keine Ahnung, wie ernst ihre Lage überhaupt war. Denn schließlich waren sie zum ersten Mal in ihrem Leben überhaupt auf der Flucht.
Sie redeten nicht viel, ihnen war nicht danach zu Mute. Marti spürte Jakos Unsicherheit, nun, er hatte ja schließlich selber Angst. Aber die Vorstellung, für Jako, für seinen Sub stark sein zu müssen, gab ihm Kraft und Mut. Jako dagegen strahlte bei aller Beklommenheit auch ein tiefes Vertrauen zu Marti aus.
Es war bereits später Nachmittag, als sie sich der kleinen Stadt näherten, in dem die von Joikos lebten.
Während Jako das Auto steuerte, rief Marti Klaus von Joiko an.
„Wir sind in einer halben Stunde da!“
„Gut“, sagte sein Schwiegervater, „aber fahrt direkt zur Hütte. Kommt nicht erst hierher. Ich mache mich auch auf den Weg und werde dort sein.“
„Bis gleich dann“, sagte Marti und legte auf.
Also folgten sie der Landstraße, die sich in die bewaldeten Berge schlängelte. Dann bogen sie auf einen Waldweg ab, der sich scheinbar endlos durch den Forst zog, bis er schließlich zur Hütte führte.
Unter einer hohen Fichte stand schon der Wagen von Klaus von Joiko.
Marti parkte den Renault daneben und stieg aus. Jako folgte ihm.
Die vordere Tür der Hütte öffnete sich und Jakos Vater trat heraus. Er schritt auf seinen Sohn zu und nahm Jako in den Arm. „Mensch Junge. Was macht ihr denn für Sachen.“
Marti musste grinsen. Das war ein so typischer Eltern-Spruch. Den hätte seine Mama genau so gebracht.
Klaus umarmte nun auch Marti.
„Ich hab Euch Vorräte hierher gebracht. Ein paar Tage kommt ihr damit aus“, sagte er. „Morgen besorgt euch Mutter ein wenig frische Kleidung. Die bring ich euch morgen Abend. Und wenn ihr sonst noch was braucht, ruft an.“
„Machen wir“, sagte Marti.
„Wollt … ihr mir erzählen, was denn nun eigentlich los ist?“, fragte Klaus.
„Das Video...“, murmelte Jako leise.
„Hat halt ziemliche Wellen geschlagen“, sagte Marti. „Aber ich glaube, das wird sich alles einrenken. Es ist einfach nur eine Frage der Zeit.“
Klaus öffnete den Mund, als wollte er noch etwas sagen. Aber dann schwieg er doch. Wenn die beiden jungen Leute gerade nicht so geprächig waren, war es vielleicht besser, es dabei zu belassen.
Klaus klatschte in die Hände.
„Gut“, sagte er. „Dann mach ich mich mal wieder auf den Weg. Ich muss zurück nach Hause und Marita beruhigen. Sie ist ganz schön fertig.“
„Gib ihr ein Küsschen von mir, ja?“, fragte Jako.
„Na klar“, versprach Klaus. Dann blickte er zu Marti.
„Und du, versprich mir, dass du gut auf deinen Sub aufpasst?“
„Auf jeden Fall“, sagte Marti und legte den Arm um Jako.
Klaus nickte. Dann drehte er sich um, verließ die Hütte, stieg in sein Auto und fuhr rumpelnd und zockelnd über den Waldweg davon.
„Komm“, sagte Marti. „Lass uns ein wenig häuslich einrichten. Ich schau mal, was da ist und mache uns ein Abendessen, okay?“
Jako jedoch klammerte sich an Marti.
„Ich habe Angst“, sagte er leise. „Meinst du, dass wir hier erst einmal in Sicherheit sind?“
Marti schluckte.
„Ich weiß es nicht. Vermutlich nicht lange. Aber zumindest ein paar Tage. Und wahrscheinlich reicht das schon, bis sich die Wogen glätten.“
Er war sich da gar nicht so sicher, aber es war wohl besser, eine Gewissheit auszustrahlen, die er nicht empfand, um Jako die Angst zu nehmen.
„Und egal was geschieht“, sagte er, „ich bin bei dir und werde dich beschützen. Das weißt du doch, ja?“
„Ja, Marti“, sagte Jako leise und gab ihm einen liebevollen Kuss auf die Wange.
Marti lächelte und gab ihm einen Klaps auf den Hintern.
„Na, komm, in die Küche!“
Bratkartoffeln und Spiegeleier. Dazu Gurkensalat.
Es war einfach, doch es hatte ihnen gut geschmeckt. Nun saßen sie am Küchentisch und tranken gemeinsam ein gut gekühltes Bier. Klaus hatte einfach an alles gedacht.
„Ich glaube“, sagte Jako, „so langsam komme ich zur Ruhe.“
„Schön“, sagte Marti. „So schwierig die Situation auch ist. Es nützt ja nichts, wenn wir ausflippen. Also ist Ruhe bewahren das beste, nicht wahr?“
Jako nickte.
„Hör mal Jako.“ Marti sah seinen Mann nachdenklich an. „Das Paket hast du heute morgen auf die Post gebracht, ja?“
„Hab ich gemacht“, sagte Jako.
„Gut. Dann wird es morgen, spätestens übermorgen bei deine Eltern ankommen.“
Marti nahm noch einen Schluck.
„Und Flo hat gesagt, wenn sich die Lage nicht grundlegend ändert, soll der Bericht in drei Tagen an die Öffentlichkeit. Das wäre also Donnerstag.“
Jako nickte.
„Und wie die Lage nun mal ist“, fuhr Marti fort, „obliegt diese Entscheidung nun uns, und auch die Aufgabe an sich.“
Er griff nach Jakos Händen.
„Bist du bereit dazu?“
Jako nickte. „Ja, Mann.“
„Die Frage ist nun, wie machen wir das?“, fragte Marti.
„Nun, wir fragen Mama oder Papa, je nachdem, wer hier raus gefahren kommt, ihn mit zu bringen. Und dann...“
Jako stand auf und grinste.
„Weißt du, das hier heißt zwar 'Hütte', aber wenn Papa Joiko Entspannung sucht, dann mit Stil. Und daher gibt es neben fließen Wasser und Strom, Fernseher, Kühlschrank und sogar einer Mini- Geschirrspülmaschine auch das hier.“
Er öffnete eine Schublade in dem geschnitzten Bauernschrank...
„Voila.“
… und entnahm ihm ein zugeklapptes Laptop.
„Inklusive Internet-Breitbandanschluss.“
„Dein Ernst?“, fragte Marti mir großen Augen.
„Japp. Papa gibt sich nicht mit Halbheiten zufrieden.“
Jetzt musste Marti lachen, und Jako lachte mit ihm. Und zum ersten Mal seit heute Morgen fühlte es sich an, als würde wieder etwas Leichtigkeit in ihrem Leben herrschen.
* * *
Der Mann hatte geflucht, als er heute Morgen einen Anruf aus Berlin bekommen hatte und ein sichtlich erschütterter Schmidtke ihm mit zitternder Stimme von der Flucht der drei festgenommenen berichtet hatte.
Verdammte Scheiße!
Nun, Schmidtke würde sich rechtfertige müssen. Der hatte den Zenit seiner Karriere soeben überschnitten.
Nun, aller Wahrscheinlichkeit hatte er, Der Mann, das auch. Nach diesem ganzen Desaster würde er seine Position wohl aller Macht zum Trotz nicht halten können.
Wenn er oder seine Leute doch wenigstens diesen verdammte Polizeibericht finden könnten!
Verflucht!
Er seufzte.
Nun, der einzige Lichtblick im Augenblick war, dass sein Sohn immer noch auf freiem Fuß und in Sicherheit war.