Marti und Jako saßen gemeinsam mit André und Felix in der WG-Küche und starrten auf das, was da mitten auf dem Esstisch lag.
Das war zum einen ein Stapel Papier, nämlich der ausgedruckte Bericht. Und das war zum anderen ein USB-Stick, der genau den gleichen Inhalt hatte.
„Tja“, sagte Felix nun und schaute in die Runde.
„Und das ist jetzt also die Frage: Was machen wir damit?“
Eins war klar: die Nachricht von Flo und Max hatte sie alle ein wenig aufgeschreckt, und sie waren sich einig, dass es gut wäre, das brisante Material zu verstecken. Aber wo?
„Nun, ich würde sagen, den Papierausdruck verbrennen wir ganz einfach“, sagte Marti.
„Und wo?“ Felix schien nicht überzeugt.
Aber André fand die Idee gar nicht schlecht.
„Wir haben doch diesen gemauerten Grill unten im Hinterhof“, sagte er. „Lasst uns gleich ein paar Sachen grillen, Kohle und Würstchen haben wir noch, und der Biomarkt um die Ecke hat noch auf. Da können wir Gemüse besorgen. Und wenn wir dann auf dem Grill das Zeug da verbrennen, fällt das gar nicht auf.“
Felix nickte. „Du hast recht. Der Grill ist von einer Hecke verborgen und von den Wohnungen nicht direkt einsehbar. Da bekommt das niemand mit.“
„Alles gut und schön“, sagte nun Jako. „Aber was machen wir mit dem Stick?“
Wieder überlegten sie. Der Stick durfte natürlich nicht vernichtet und die Daten nicht gelöscht werden, den Flo wollte den Inhalt gerne in der Hinterhand behalten.
So richtig wollte keinem was einfallen. Erst einmal war der Stick in der Schublade ganz gut aufgehoben gewesen. Aber natürlich war abzusehen, dass die Polizei früher oder später die Wohnung von Flo und Max, aber auch die Wohnungen aller anderen am Video beteiligten durchsuchen würde.
Wobei eine offizielle Durchsuchung durch die Polizei beinahe noch das geringere Übel war. Keiner von ihnen traute sich recht, den Gedanken zu Ende zu denken, doch es war anzunehmen, dass Geheimdienste oder etwas Vergleichbares sich nicht an solche offiziellen Wege halten würden. Wer sollte das schon kontrollieren?
Schon in den Satiren des Juvenal hatte es geheißen:
„sed quis custodiet ipsos custodes?“
Was bedeutete:
„Wer bewacht die Bewacher?“
Und das war eine für sie entscheidende Frage, denn niemand von ihnen traute dem Frieden, dass diejenigen, die dafür da waren, Verrat und Terror abzuwenden, bei denen, die sie solcher Dinge verdächtigten, vor genau den gleichen Methoden zurückschreckten, die sie doch bekämpfen sollten.
Nun, wie auch immer. Es nützte ja nichts, jetzt philosophisch zu werden. Der Stick musste weg.
„Wie wäre es denn“, sagte nun Marti, „wenn wir den Stick ... mit der Post verschicken?“
„Mit der Post?“
Felix schüttelte den Kopf.
„Ich glaube, Marti, du hast zu viele Agentenfilme gesehen.“
„Nö, Leute“, warf Jako ein, „die Idee ist gar nicht mal blöd. Wir könnten den Stick an meine Eltern schicken.“
Alle sahen ihn fragend an.
„Du weißt doch, Marti“, fuhr Jako fort, „dass ich meinen Eltern immer kleine Geburtstagspäckchen mache. Und Mama hat nächste Woche Geburtstag. Ich wollte das Päckchen ohnehin Montag auf die Post bringen. Und wenn wir nun einfach den Stick in einen Umschlag tun und mit in das Päckchen legen? Ich bitte Mama dann in dem Brief, den ich ihr immer beilege, dass sie den Umschlag an die Seite legen soll, weil da ... eine Überraschung für dich drin ist. Zu ... unserem Hochzeitstag. Den wir ja, wenn es geht, immer dort verbringen. Und ich kann ja auf den Stick noch was aufspielen ... Ich hab nämlich wirklich was für dich gemacht, na ja ...“
Er wurde knallrot und Marti musste schmunzeln.
Jako hatte für Marti eine Fotodatei gemacht, mit allen möglichen Schnappschüssen von Marti oder ihnen beiden. Er hatte die Bilder künstlerisch bearbeitet, zusammen geschnitten und mit Musik unterlegt. Das ganze war gut geworden und er hatte Marti erst am Hochzeitstag davon erzählen wollen ... na ja, er hatte ja immerhin noch nicht verraten, was es war.
„Das könnten wir tatsächlich machen“, sagte Marti. „Jakos Eltern haben es nicht so mit der modernen Technik, also selbst wenn Marita den Umschlag allen Annahmen zum Trotz öffnen sollte, und das ist extrem unwahrscheinlich, würde sie mit einem USB Stick nicht viel anfangen können, und Klaus ist auch nicht anders.“
„Das klingt gut“, sagte Felix.
„Dann ist es beschlossene Sache. Gleich Montag früh bringe ich das Päckchen auf die Post. Und bis dahin verstecken wir ihn … in … in der Dose mit dem Zucker oder so“, sagte Jako und schaute zufrieden drein.
„Gut“, sagte André, „dann gehe ich mal den Grill anschmeißen, ihr beide geht zum Bioladen und Felix, holst du bitte Getränke aus dem Keller?“
Marti nahm den Stick, steckte ihn in seine Hosentasche und nahm Jakos Hand.
„Dann bis gleich, unten im Hof“, sagte er, und die anderen beiden nickten.
Jako und Marti sprangen also die Treppe hinunter und machten sich auf den Weg, den Einkauf zu erledigen. Immer wieder fuhr Martis Hand dabei über die Hosentasche, um zu fühlen, ob der Stick noch da war. Dieses kleine, nur wenige Gramm schwere Plastikteil fühlte sich an wie ein Schwergewicht.
Er würde froh sein, wenn er das Ding aus den Händen hätte.
Kurze Zeit später saßen sie zusammen um den Grill, und nachdem das Essen auf ihren Tellern verteilt war und ein paar Biere die Runde gemacht hatten, ließen sie es sich schmecken und sahen dabei zu, wie ein Blatt Papier nach dem anderen in Flammen aufging und sich in Rauch auflöste.
* * *
Der Sonntag verlief bei unseren Freunden ruhig und ohne irgendwelchen Vorkommnisse.
Weit entfernt jedoch war Der Mann sehr unruhig. Er hatte an diesem Tag wenig Zeit in seinem geheimen Büro zubringen können, viel weniger als ihm lieb war. Denn immerhin hatte er Familie und Freunde, und hier musste er seiner Rolle gerecht werden, war dieses normale Leben doch immerhin seine Tarnung uns somit sein bester Schutz.
Und doch. Als gegen Abend noch immer keine Änderung der Lage, keine Nachrichten von Erfolgen oder Fortschritten eintrafen, traf er eine Entscheidung. Er nahm sich die Zeit, die nötig war und tätigte ein paar Anrufe.
Im Laufe des Montags sollten die Wohnungen sämtlicher Macher des Videos durchsucht werden. Im geheimen.
All jener, die in den Credits des Videos angegeben waren. Auch wenn das dem Mann Bauchschmerzen bereitete.
Wie auch immer, es sollte doch mit dem Teufel zu gehen, wenn seine Leute da nicht fündig werden würden.