Sie saßen im Park, in der geschützten Ecke um den kleinen Springbrunnen herum, mit bleichen, ängstlichen Gesichtern. Ratlos und nicht sicher, was sie nun tun sollten.
„Die wichtigste Frage ist doch“, sagte Olli, „was wir nun machen. Sollen wir abhauen und uns verstecken? Oder sollen wir uns dem stellen und den Kampf ausfechten?“
Jeder für sich tat seit dem Anruf von Schneider nichts anderes, als sich genau mit dieser Frage auseinanderzusetzen.
Niemand von ihnen wollte von der Polizei verhaftet werden, natürlich nicht. Aber niemand von ihnen hatte das Gefühl, dass eine Festnehme und alles, was darauf möglicherweise folgen würde – Verhör, Prozess, Verurteilung, Strafe – gerechtfertigt sei. Sie hatten nichts getan, was gegen geltende Gesetze verstieß. Nun gut, der Polizeibericht, okay. Das war sicher eine strittige Angelegenheit. Aber da der unveröffentlicht war und sie ihn ja nicht selber entwendet hatten, konnte man ihnen doch eigentlich auch hier nichts vorwerfen, oder?
Das ganze war eine verzwickte Angelegenheit, und es fühlte sich verdammt Scheiße an.
Flo jedoch, so schien es, hatte seine Entscheidung bereits getroffen.
„Ich finde, das können wir nicht als Gruppe entscheiden“, sagte er. „Das ist etwas, was jeder von uns mit sich ausmachen muss.“
Er sah mit festem Blick zu Max.
„Ich ... möchte nicht weglaufen. Ich habe das ganze losgetreten, damit endlich etwas geschieht und sich die Dinge vorwärts entwickeln. Und daher will ich mich nicht verstecken. Ich will kämpfen, mit aller Konsequenz.“
Max schluckte.
Das ganze gefiel ihm nicht.
Seinen Florian in den Händen von Fremden zu sehen. Die Kontrolle über ihn abgeben zu müssen. Zulassen, das möglicherweise auch andere Doms ihn anfassen würden. Das Fremde ihn händelten, ihn zu was auch immer zwangen. Ihn nicht schützen zu können, nichts von ihm abblocken zu können.
Max schauderte allein bei dem Gedanken.
Doch der Blick in Flos Augen belehrte ihn, dass Flo fest entschlossen war. Und Max war sich nicht sicher, ob sein Flo, der bisher noch immer fügsam gewesen war, dem es wichtig war, seinen Gehorsam zu zeigen, und dessen Ungehorsam eher in kleinen Schusseligkeiten bestanden hatte als in echtem Aufbegehren, sich diesmal nicht doch widersetzen würde, sollte er seine getroffene Entscheidung ignorieren und ihm verbieten, sich zu stellen.
Nein, anders: Max war sich sicher, dass Flo rebellieren würde.
Er schluckte wieder.
Dann nahm er Flos Hand, zog ihn an der Leine noch ein wenig näher an sich heran und sagte:
„Gut, dann soll es so sein. Wir beide werden gleich aufbrechen, zurück zum Büro. Ich denke, man wird uns wohl schon erwarten.“
„Du kommst also mit?“, fragte Flo leise.
„Hast du ernsthaft geglaubt, Kleener, ich lasse dich das alleine durchstehen?“
Flo kuschelte sich an ihn und schloss einen Moment die Augen.
Dann sah er die anderen erwartungsvoll an.
„Ich ... komme mit euch“, sagte Olli leise.
Er hatte hin und her überlegt, er wollte Flo unterstützen so gut es ging und ihm wurde regelrecht schlecht bei dem Gedanken, Flo in den Händen der Polizei zu wissen. Aber Flo war so entschlossen, und da schien es ihm falsch, nicht mindestens ebenso mutig zu sein.
„Aber vorher“, sagte er, „werde ich ein paar Leute von der Presse anrufen.“
„Der Presse?“, fragte Jako überrascht.
Olli nickte.
„Ja klar. Seit Freitag hat sich viel getan. Es gab in etliche Zeitungen Hinweise auf unser Video und Artikel und Diskussionen zu dem Thema. Gerade in linksgerichteten Blättern. Und sogar in einigen konservativeren Zeitungen. Ich denke, wenn wir da ein bisschen Wirbel machen ... man kann uns nicht mehr einfach ignorieren.“
„Du hast recht“, sagte Flo und nickte ihm zu.
Olli schnappte sich sein Handy, ging ein paar Meter abseits und begann, einige seiner Kontakte bei den Printmedien und lokalen TV-Sendern anzurufen.
„Rick und ich werden nicht bleiben“, sagte Anna nun. Ihr Sub hatte sich auf Knien neben ihr niedergelassen, und sie kraulte sanft und beruhigend sein Haar.
„Wir werden uns verstecken, und sehen, dass wir in Freiheit bleiben und die Sache von da weiter unterstützen.“
Rick blickte auf.
„Verfickte Scheiße“, brummelte er, was ihm eine liebevolle Kopfnuss seiner Domme einbrachte.
„Au! Na ist doch wahr“, knurrte er, „das ganze fühlt sich an wie ein verdammter Guerillakampf.“
„Wie auch immer“, sagte Anna, „wir gehen nach ...“
„Stopp!“, fuhr André dazwischen. „Stopp! Wir ... wir sollten uns das nicht gegenseitig erzählen. Ich meine, wenn wir nicht wissen, wo die anderen sind, können wir uns nicht gegenseitig verraten, oder?“
Oh verdammt.
Er hatte recht. Auch wenn das ein wirklich unschöner Gedanke war. Aber da keiner von ihnen wusste, was man mit ihnen anstellen würde und wie man sie behandeln würde, war nicht auszuschließen, dass man alle möglichen Methoden anwenden würde, um sie dazu zu bewegen, den Aufenthaltsort der anderen preiszugeben.
„Du hast recht“, sagte Felix leise, und auch die anderen gaben zustimmende Laute von sich.
„Wir sollten uns also hier trennen“, sagte Steve, der sich wie ein ausgesetzter Welpe fühlte.
„Ja“, sagte Flo und blickte in die Runde.
„Gut“, sagte Steve. „Machen wir. Aber was dann? Wie geht es weiter?“
„Keine Ahnung“, knurrte Max. „Woher zum Teufel sollen wir das wissen?“
Wieder schwiegen sie einen Augenblick. Sie wollten nicht auseinander gehen. Es war, als würde dann die ganze Sache auseinander brechen... Sie waren eine eingeschworene Truppe, die zwar alle ihre eigenen Wegen gingen im Leben, aber eben doch zusammengehörten. Doch das hier fühlte sich so falsch an. So endgültig.
Aber es blieb ihnen letztendlich keine Wahl.
„Einen Sache noch“, sagte Flo und sah nun zu Felix.
„Der Polizeibericht ...“
„Den hab ich nicht mehr“, sagte Felix.
Flo riss überrascht die Augen auf.
„Aber ...“
„Der ist sicher“, fuhr Felix fort und warf Marti, der etwas hatte sagen wollen, einen scharfen Blick zu.
Innerhalb ihrer Gruppe Geheimnisse voreinander zu haben, war ebenfalls etwas, was es bisher nicht gegeben hatte und was sich falsch anfühlte. Aber Felix dachte, dass es besser wäre, und Marti schwieg, weil er einsah, dass Felix recht hatte.
„Ich möchte, dass der in drei Tagen veröffentlicht wird, wenn sich die Lage bis dahin nicht zum positiven verändert. Ungeachtet der Konsequenzen“, sagte Flo und blickte fragend zu Felix.
Felix' Blick suchte wieder Martis. Marti senkte kurz die Augenlider und signalisierte damit Zustimmung.
„Das ist gewährleistet“, sagte Felix.
„Gut“, sagte Flo. „Dann sollten wir jetzt gehen.“
Er stand auf, und sein Blick in die Runde der Freunde war ernst.
Aber es war alle Ängstlichkeit daraus gewichen.