In einem kleinen Landhotel in einem Dörfchen im Oberharz, knapp unterhalb des Brockens, buchten am Abend des selben Tages ein junges Ehepaar und ein junger Mann in ihrer Begleitung zwei Zimmer für einen kurzen Erholungsurlaub.
Sie hatten anstrengende Jobs, so erzählten sie der Inhaberin, und wollten einmal so richtig ausspannen. Wandern, die gute Luft genießen, die Stille des Waldes ...
Sie verstanden sich gut, diese drei, und hatten vor, den Stress der Stadt hinter sich zu lassen.
Nun, das was es jedenfalls, was sie der Dame des Hauses erzählten. Und so ganz falsch war es ja nicht: Anna, Rick und Steve, um die es sich hierbei handelte und die natürlich unter falschen Namen hier eingekehrt waren, erhofften sich, vielleicht tatsächlich ein wenig zur Ruhe zu kommen.
Natürlich würden sie die Augen offen halten, und keiner konnte wissen, ob man sie nicht doch hier aufspüren würde.
Aber es war zumindest den Versuch wert.
Ansonsten hatten sie sich ein Laptop beschafft und würden die politische Lage im Auge behalten.
Und je nachdem, wie sich das alles entwickelte, würden sie ihr Gehen oder Bleiben entscheiden, oder auch ihr sonstiges Handeln.
Aber erst einmal tat es gut, sich hier ein wenig unterhalb des Radars zu wissen und eine Atempause zu haben.
* * *
André und Felix waren ebenfalls zusammen geblieben.
Sie schlugen in der Abenddämmerung jenes Tages ein Zelt auf, auf einem winzigen Waldcampingplatz an einer glitzernden blauen Wasserfläche inmitten der Mecklenburger Seenplatte.
Sie gaben sich als Studienfreunde aus und gaben vor, hier einen Teil ihrer Semesterferien verbringen zu wollen.
Wald, Wasser, Stille; wandern, schwimmen, faulenzen. Das war es, was sie angeblich vorhatten, und im Gegensatz zu ihren Freunden hatten sie beide beschlossen, sich tatsächlich aus allem raus zu ziehen. Sie hatten kein Laptop mitgenommen und ihre Handys natürlich auch zurückgelassen (in einem Postschließfach in Berlin), so dass die Chancen, sie aufzuspüren, dadurch wesentlich geringer zu sein schienen.
Klar, der Nachteil war, dass sie dadurch auch ein wenig aus dem Weltgeschehen raus waren. Doch wenn etwas weltbewegendes geschehen würde, würden sie es mitbekommen, entweder durch die anderen Leute auf dem Campingplatz oder durch die Tageszeitung, die hier am Kiosk angeboten wurde.
Und irgendwo fühlte es sich gut an, einfach mal nicht mittendrin in all dem Stress zu stecken.
Zwar konnten sie natürlich nicht sagen, ob und wie lange ein solcher friedlicher Zustand anhalten würde.
Theoretisch konnten sie noch heute Nacht aufgespürt und verhaftet werden; theoretisch konnte aber auch schon morgen der dritte Weltkrieg ausbrechen oder ein Meteor auf die Erde stürzen.
„Oder gar ein Virus ausbrechen“, hatte André grinsend gesagt, als sie ihr Vorgehen besprochen hatten.
„Ha, ha, sehr witzig“, hatte Felix geantwortet und ihn mit der Faust freundschaftlich auf den Oberarm geboxt.
Nun, wie auch immer. Diese beiden waren also auch erst einmal aus dem Blickfeld der Behörden verschwunden, blieb also nur noch Niklas.
* * *
Niklas a.k.a. Tommy Blackout hatte einen ganz anderen Weg gewählt.
Wo versteckt man am besten einen Baum? Richtig, im Wald.
Wo versteckt man einen Musiker? Am besten inmitten anderer Musiker.
Niklas kannte jede Menge Leute, jede Menge Musiker und ansonsten Dod und Deibel in der Künstlerszene.
Er kannte auch Leute, die auf dem großen Rockmusikfestival auftreten würden, das von Mittwoch bis Sonntag in Kopenhagen in Dänemark stattfinden würde. Und so schloss er sich einigen von ihnen an, als eine Art Roadie, und tauchte damit in der Menge unter.
* * *
Olli war müde und legte sich daher früh schlafen.
Flo schloss sich ihm an, und Max und Sven übernahmen gemeinsam die erste Wache.
Sie hielten es für keine gute Idee, alle gleichzeitig zu schlafen, und daher schien es ihnen so die beste Lösung.
Olli traute Sven immer noch nicht hundertprozentig. Das hatte dabei gar nicht mal was mit dem Mann an sich zu tun, sondern eher mit ihrer verzwickten und komplizierten Lage. Daher wollten sie es so halten, dass immer zwei Mann gemeinsam Wache schoben und die anderen beiden schliefen.
Sven nahm Olli das Misstrauen nicht übel. Er hätte an ihrer Stelle genau so gehandelt. Vorsicht walten zu lassen war sicher nicht das dümmste.
Eigentlich ist das gar nicht so übel, dachte er. Dann kann ich mich mal in Ruhe mit Max unterhalten. Ich habe so viele Fragen zu der ganzen Sub-Dom-Problematik, vielleicht ist er ja bereit, mir einige zu beantworten und mir tiefere Einblicke in das Ganze zu geben.
Als Max aus dem kleinen Schlafzimmer zurückkehrte, wo er Flo zugedeckt und noch einmal geküsst hatte, hatte Sven für sie beide ein kaltes Getränk geöffnet.
Er reichte Max eine Flasche.
„Alles gut?“, fragte er.
„Denke schon“, sagte Max. „Ich glaube Flo wird schlafen wie ein Stein. Und Olli schnarcht schon.“ Er grinste.
Sven antwortete mit einem Lächeln.
„Hör mal Max“, sagte er dann, „ich würde gerne mehr darüber wissen. Über dich und Flo, aber auch über eure Lebensweise im allgemeinen.“
Max schaute ihn skeptisch an.
„Keine Sorge“, sagte Sven, „ich will euch nicht ausfragen. Auch wenn Oliver wohl an mir zweifelt, was ich ihm nicht mal verübeln kann, soll das hier kein Verhör sein. Ich wünsch mir einfach, euch besser zu verstehen, in dem was ihr tut.“
Max nickte.
„Schon gut. Ja, ich denke, ich kann dir ein bisschen erzählen. Was genau möchtest du denn wissen?“
Sven knetete ein wenig seinen verspannten Nacken und überlegte sich, was ihn konkret interessierte.