„Selbstverständlich“, sagte Max, ohne auch nur eine Sekunde zu zögern.
Und natürlich entging ihm nicht der zweifelnde, verblüffte, fragende Blick in Svens Augen.
Er leckte sich die Lippen, Himmel, war das selbst jetzt, am Abend noch heiß, dieser Sommer hatte es echt in sich.
Dann setzte er zu weiteren Erklärungen an.
„Weißt du, alles, was zwischen Florian und mir geschieht, und grundsätzlich sollte das bei jedem Sub-Dom-Paar so sein – also alles was geschieht, beruht auf gegenseitigem Einverständnis. Zwei Leute, die eine solche Beziehung miteinander eingehen, klären das zu Anfang.“
Er neigte den Kopf.
„Das ist wirklich wichtig. Wir haben besprochen, was wir für Erwartungen haben, für Vorstellungen und Wünsche. Haben Kompromisse geschlossen. Fragen geklärt. Vielleicht auch an der ein oder anderen Stelle zurückgesteckt. So ist das nun mal, wenn sich zwei unterschiedliche Menschen miteinander einlassen. Und eigentlich ist das doch grundsätzlich bei jeder Beziehung so, oder?“
„Sicher“, sagte Sven, „aber ich denke, bei einer Kanazé-Beziehung ist das um so bedeutsamer, oder?“
„Da magst du durchaus recht haben.“
„Es ist halt nicht einfach“, sagte Sven, „das zu verstehen. Besonders ...“
Er verkrampfte unbehaglich die Schultern.
„... so etwas, wie ... du ... also ich habe das vorhin mitbekommen. Wie du ihm angedroht hast ... ihn übers Knie zu legen ... also ...“
Er schluckte.
„Du ... du schlägst ihn, oder?“
„Wow.“ Jetzt war Max etwas sprachlos.
„Sven, dir muss eins klar sein: ja, manchmal bestrafe ich Flo auf diese Weise. Aber das hat nichts mit Gewalt oder dergleichen zu tun. Weil auch hier wieder gilt: Nichts passiert, ohne dass wir beide es wollen. Wir haben das zu Anfang besprochen. Dass ich Gehorsam erwarte und welche Art von Strafen für Ungehorsam in Frage kommen.“
Sven nickte.
„Flo weiß, was ihn erwartet. Es ist okay für ihn. Oder um genauer zu sein: er braucht das. Und dann ...“
Max sah Sven eindringlich an.
„... haben wir natürlich Safewörter, mit denen jeder von uns jederzeit abbrechen kann, was immer wir gerade tun.“
„Du meinst also“, fragte Sven, „dass Flo jederzeit auch eine Strafe abbrechen kann?“
„Klar“, sagte Max.
„Und dann? Was geschieht dann?“
„Dann reden wir. Was der Grund dafür ist. Manchmal ist es einfach nur der falsche Zeitpunkt, und wir können die Strafe später fortsetzen. Manchmal entscheide ich mich für eine andere Art von Strafe.“
„Und wenn“, fragte Sven, „Florian das Gefühl hat, keine Strafe zu verdienen?“
„Dann erwarte ich, dass er mir das sagt. Und zwar vorher, bitte schön. Ohne Ehrlichkeit funktioniert hier nichts, und in einem solchen Falle reden wir, bis wir das geklärt haben. Wir hatten so einen Fall noch nicht in unseren gemeinsamen Jahren. Aber wenn das mal eintritt, dann werde ich Florian nicht bestrafen, wenn er den Grund dafür nicht versteht. In einem solchen Falle hätten wir vermutlich tieferliegende Probleme, um die es sich zu kümmern gilt.“
Max nahm noch einen Schluck aus seiner Flasche.
„Im übrigen“, sagte er, „ist das so, wie Flo und ich das regeln, nur eine Möglichkeit von vielen. Ich kenne einige Sub-Dom-Paare in unserem Freundeskreis, und jedes ist anders. Es gibt welche, die komplett ohne körperliche Bestrafung auskommen ... jedes Paar findet seinen eigenen Weg. Und das macht es doch so interessant, nicht wahr?“
„Ich glaube“, sagte Sven, „ich fange an, das ganze etwas besser zu verstehen. Aber sag mal: was ist für dich denn das wichtigste in eurer Beziehung?“
Max zog bei dieser Frage die Stirn in Falten.
„Ganz normale Dinge“, sagte er. „Liebe, Achtung, Respekt. Geborgenheit.“
Sven nickte.
„Respekt ist entscheidend“, sagte Max. „Ohne das geht es nicht, dann scheitert eine Beziehung auf Dauer, und zwar ganz egal was für eine. In vielem unterscheiden sich Kanazé-Beziehungen nicht von Vanilla-Paaren. Die grundlegenden Dinge sind gleich. Nur in der Ausführung liegen die Unterschiede. Aber das war ja irgendwie auch schon der Fall, bevor es das Virus gab, oder?“
„Stimmt“, sagte Sven. „Du hast recht. Und dass ihr beide euch liebt, das sieht man einfach, wenn man mit euch zu tun hat.“
„Ich würde für Flo mein Leben geben“, sagte Max leise und mit einem tiefen Ernst, der einfach unmissverständlich klar machte, wie tief seine Gefühle für seinen Partner gingen.
„Jemanden wie Flo zu haben, eine solche Liebe zu empfinden, ich glaube, das macht mich verletzlich und stark zugleich. Aber wie auch immer. Ich könnte mir ein Leben ohne ihn nicht mehr vorstellen.“
Beeindruckt schwieg Sven.
Er hatte den Menschen, der ihm so viel bedeuten würde, noch nicht getroffen im Leben. Gut, er hatte es auch immer versucht zu vermeiden. Aus den schon geschilderten Gründen. Aber jetzt, in diesem Augenblick, bedauerte es das und war sich nicht sicher, ob er das Richtige getan hatte. Andererseits, wenn die Frau, für sie er so tief empfinden könnte, in sein Leben treten würde, könnte er vermutlich ohnehin nicht dagegen an und das Herz würde über den Kopf siegen.
Man konnte letztendlich dem Schicksal keine Vorschriften machen.
Die beiden unterhielten sich noch eine ganze Weile und tauschten Gedanken und Erfahrungen aus, versuchten, die Situation, in der sie sich befanden, zu bedenken.
Und kamen beide zu dem Ergebnis, dass sie im Moment nicht viel mehr tun konnten, als abzuwarten, was geschehen würde.
* * *
Die nächsten Tage verliefen ruhig für unseren Freunde.
Keiner von ihnen wurde in ihren Verstecken aufgestöbert, nichts geschah, sie alle blieben offenbar unterhalb des Radars der Polizei und Geheimdienste.
Die Weltlage dagegen wurde aufgeregter; überall gingen immer mehr Menschen an die Öffentlichkeit, überall sah man immer mehr Subs und Doms, die sich nicht versteckten und die sich nicht mehr zufrieden gaben.
In den europäischen Nachbarländern, in Russland, in den USA ging es nicht voran.
Auch in Deutschland blieb es ähnlich.
Noch immer sträubte sich die Politik, die Sache offiziell zu Kenntnis zu nehmen.
Und das, obwohl die Medien langsam aber sicher Fahrt aufnahmen und sich des Themas bemächtigten. News, Dokumentationen, Brennpunktsendungen gab es. Und an Mittwoch Abend wurde zur allgemeinen Empörung bekannt, dass man versucht hatte, die Medien zu beeinflussen und das Thema zu unterdrücken.
Das war der Augenblick, wo Marti und Jako beschlossen, das der Zeitpunkt reif war.
Morgen würden sie den Polizeibericht veröffentlichen.