Jako hatte sich panisch zu Boden gekauert, hatte die Arme um seine Knie geschlungen, zitterte und schluchzte.
Marti kniete neben ihm und versuchte, ihn zu beruhigen.
Klaus hatte, nachdem er sich aufgerappelt hatte, vorsichtig und mit geschultem Blick aus der Tür des Häuschens geschaut. Seine Blicke hatten alle möglichen Details wahrgenommen und schnell festgestellt, dass sie allein waren.
Niemand war hier, es bestand keine weitere unmittelbare Gefahr.
Er wandte sich zu den Jungs. Hockte sich auf den Boden neben Jakob und sagte leise und so klischeehaft, dass er sich ob seiner Worte selber innerlich zusammenkrümmte:
„Wie es aussieht, ist die Luft rein.“
Marti war viel zu beschäftigt, Jako zu beruhigen, um sich um seinen Schwiegervater zu scheren. Er warf ihm nur einen wütenden Blick zu.
„Marti, ich ...“, wollte Klaus ansetzen. Doch Marti fuhr dazwischen.
„Halt die Klappe!“
Es war sehr untypisch für ihn, so respektlos mit seinem Schwiegervater zu reden, aber er war einfach zu aufgebracht.
Dann jedoch seufzte er.
„Hör zu Klaus, mich interessieren gerade deine inneren Sorgen und Kümmernisse einen Scheißdreck. Ich will nur eines von dir wissen. Kannst du mir sagen: Galt das uns oder dir?“
Klaus war nun auch genervt.
„Es war mein Auto – was meinst du also?!“, schnappte er.
„Dir also“, fauchte Marti.
„Verdammte Scheiße! Du scheint tief drin zustecken in ... ja was eigentlich ...?“
Marti schaute ihm nun direkt in die Augen.
„Was zum Teufel bist du? Wer bist du?!“
Klaus schnaufte.
„Das, Marti, ist eine lange Geschichte.“
„Gib uns die Kurzfassung!“, sagte nun Jako mit leiser Stimme. Er hatte sich ein wenig gesammelt und wollte nun offenbar auch wissen, was hier los war.
Er litt wie ein Hund. Er liebte seinen Vater, und die Tatsache, dass der offenbar der „Gegenseite“ angehörte und dabei ebenso offensichtlich als jemand, der was zu sagen hatte, machte ihm schwer zu schaffen.
Doch Klaus schüttelte den Kopf. Er stand auf und klopfte sich den Staub von den Knien.
„Das hat so keinen Sinn“, sagte er. „Ich werde euch alles erzählen, aber nicht hier und jetzt.“
Er schien mit sich zu ringen.
„Jakob“, wandte er sich dann an seinen Sohn, „warst du jemals in meinem Büro, bei uns zu Hause?“
Jako nickte.
„Ein einziges Mal, da war ich sieben oder acht. Das war das einzige Mal in all den Jahren, dass du wirklich wütend auf mich warst. Mich angeschrien hast und beinahe übers Knie gelegt hättest, wenn Mama nicht dazwischen gegangen wäre. Danach hat sie tagelang nicht mit dir geredet. Und ich habe mich furchtbar gefühlt, weil ich dachte, ich wäre Schuld an eurem Streit.“
Klaus nickte. Ja, er erinnerte sich.
„Rechts neben meinem Schreibtisch steht die Vitrine mit den Büchern. Und wenn du das obere Regalfach leer räumst und genau hinter der Stelle, wo die Erstausgabe von 'Jahrmarkt der Eitelkeiten' steht, fest gegen die hintere Wand drückst, öffnet sich ein Geheimfach.“
„Nicht dein Ernst“, stöhnte Marti. „Sind wir hier in nem schlechten Geheimdienst-Roman?!“
„Mein Vater ist James Bond“, sagte Jako und brach in eine Art hysterisches Kichern aus.
Er kriegte sich aber relativ schnell ein und kuschelte sich an Marti.
„Ich hasse es enttäuschen zu müssen, aber ich habe weder eine Lizenz zum Schießen noch eine Doppelnull-Nummer“, sagte Klaus mit einem schiefen Grinsen, und er war erleichtert, festzustellen, dass ein Sohn zurück grinste. Nur Marti schaute noch immer finster.
„Also was ist jetzt in dem Fach?“, fragte Marti, offenbar immer noch zornig.
„Ein Datenstick“, sagte Klaus. „Vier Gigabyte, mit Kryptokodierung.“
Jako fiel fast die Kinnlade runter.
„Du kennt dich mit so was aus?!“
„Ja, mein Junge. Ich fürchte es gibt einen Menge Dinge, die ich dir verschwiegen habe.“
Er schluckte.
„Nun, darauf findet ihr alles, was eure Fragen beantwortet. Eigentlich dumm von mir, dass ich das alles auf einem Medium abgespeichert habe. Es war immer klar, wenn das in die falschen Hände fällt, bin ich tot. Aber ...“
Sein Kopf nickte in Richtung Tür und Vorplatz,
„... wie es aussieht, bin ich das nun eh.“
„Papa!“, rief Jako gequält.
Klaus seufzte. Dann klatschte er in die Hände.
„Wir müssen hier weg, Jungs.“
Er streckte seine Hand in Martis Richtung.
„Gib mir euren Autoschlüssel.“
Marti verschränkte die Arme vor der Brust und dachte nicht daran.
Klaus verdrehte die Augen.
„Junge. Gib sie mir. Ich muss weg, ich weiß auch, an wen ich mich erst mal wenden kann. Ihr dagegen ruft umgehend Marita an und lasst euch abholen. Die ganze Sache um die Subs und Doms wird nun nach eurer letzten Veröffentlichung ohnehin mit großen Kawoosh auffliegen, in die eine oder die andere Richtung. Da braucht ihr euch auch nicht mehr zu verstecken, und wenn doch versteckt Marita euch erst mal im Keller unseres Hauses. Also mach schon!“
Marti schüttelte stur den Kopf.
„In Martis Jackentasche, im Flur“, sagte Jako leise.
„Jako!“, fuhr Marti ihn wütend an.
Jako schaute zu ihm auf und verzog den Mund zu einem entschuldigenden Lächeln.
„Herrgott“, schimpfte sein Dom, „das Thema Gehorsam müssen wir beide aber dringend vertiefen!“
Jako zuckte mit den Schulter.
„Ich denke einfach, es ist das richtige. Wenn du mich nun dafür bestrafen musst, dann ist das eben so.“
„Worauf du wetten kannst“, knurrte Marti. „Dein Hintern kann sich schon mal drauf einstellen, dass ich ihn zum Glühen bringen werde.“
Jako nickte beschämt und schaute zu Boden. Nun, auch wenn er sich sicher nicht darauf freute, eine Tracht Prügel zu beziehen – er wusste ja auch nicht, ob Marti das ernst gemeint hatte – fühlte er sich doch wohl angesichts von Martis klar ausgestrahlter Dominanz.
Herr Gott, wie sehr hatte er sich doch in kurzer Zeit verändert! Es war beinahe ein wenig erschreckend … aber nein, wenn er ehrlich war, fühlte es sich einfach nur genau richtig an.
Klaus hatte inzwischen den Schlüssel aus besagter Jackentasche geholt und zog bei Martis letzten Worten die Augenbrauen hoch.
„Marti du...“, wollte er ansetzen, aber Marti fuhr mit dem Zeigefinger auf ihn los und sagte hart:
„Raushalten!“
Er kochte anscheinend immer noch vor Zorn.
„Was ich mit deinem Sohn, meinem Sub anstelle, geht dich einen feuchten Kehricht an!“
Klaus nickte.
„Tut mir leid“, sagte er leise.
„Ich weiß ja, dass er bei dir in guten Händen ist. Wenn ich gleich fort bin. Und ihn vermutlich ...“
Er musste sich regelrecht zwingen zu den nächsten Worten.
„... nie wieder sehe.“