Müde und mit hängenden Schultern, als trüge er die Last der Welt auf den Schultern, schritt Klaus die hölzernen Stufen vor der Hütte hinab.
* * *
Nahe Berlin war Flo dagegen ein Bündel an Energie und gespannter Aufmerksamkeit.
Er und seine Freunde klebten regelrecht vor dem geliehenen Handy.
Der Blog war erst der Anfang gewesen.
Er bekam jede Menge Aufmerksamkeit. Es wurde Kommentare dazu geschrieben; beipflichtende Kommentare, pure Empörung darüber, was der Bericht beinhaltete und was der Bevölkerung alles verschwiegen worden war.
Aber natürlich auch kritische Stimmen und Hate.
Doch die Mehrzahl der Leute, die sich äußerten, befürworteten, dass er veröffentlicht worden war.
Und dann wurde der Link verteilt.
Innerhalb der ersten Stunde erschienen die ersten hastig zusammengestückelten Reaktionsvideos auf der Webvideo-Plattform.
Und es ging weiter.
Immer mehr Leute, darunter auch Künstler, Politiker und andere bekannte Menschen, äußerten sich auf die ein oder andere Weise.
Aufrufe wurden gestartet, Aufrufe, sich gegen die Willkür aufzulehnen, die in den vergangen Tagen schon und durch den Bericht nun noch einmal verstärkt deutlich geworden war.
Als der Abend voranschritt, kamen auch nach und nach Reaktionen aus dem Ausland dazu.
Und dann kurz vor Mitternacht tauchte ein Link zu einem Video auf, das mehr als brisant war.
Es handelte sich offenbar um eine heimlich geschossene Aufnahme. Wer das gedreht hatte und aus welchem genauen Grund war nicht festzustellen.
Es erschien auf einem Account der Plattform, der frisch eröffnet worden war, und der wurde kaum eine halbe Stunde nach Eröffnung bereits wieder geschlossen und der komplette Inhalt gelöscht.
Zu diesem Zeitpunkt aber war das Video bereits vielfach verteilt und angesehen worden.
Und auch wenn nun nach Löschung der Link natürlich nicht mehr funktionierte, hatten viele Leute das geahnt, und das Filmchen war unzählige Male kopiert und heruntergeladen worden und wurde nun von anderen weiter verbreitet.
Das Video beinhaltete eine Szene, die eindeutig den Präsidenten des zum aktuellen Zeitpunkt politisch bedeutsamsten Landes der Welt, oder zumindest des Landes das sich dafür hielt, zeigte.
Und seine Frau.
Er, der sich in der Welt aufführte wie der Macho schlechthin und bei jeder sich bietenden Gelegenheit die metaphorischen Muskeln spielen ließ, kniete hier mit fest verschnürten Gliedmaßen in eindeutiger Haltung vor seiner Frau.
Diese stand vor ihm, eine Reitgerte in der Hand, in schwarzes Leder gekleidet, mit arroganter und herrschsüchtiger Mine.
Und die Szene, die sich abspielte ... nun, ästhetisch war das nicht, denn der Präsident war alles andere als ansehnlich in seiner Halbnacktheit ...
Nun, nicht, dass nicht Menschen jeden Alters und jeden Körperbaus ein Recht haben auf ihr Vergnügen, solange es hinter verschlossen Türen passiert und alle Beteiligten happy sind ... nun, Vergnügen war möglicherweise des falsche Wort, denn dieser Präsident schien eher zu leiden ...
jedenfalls, darum ging es nicht.
Der Punkt war doch, dass ausgerechnet der Mann, der als einer der eifrigsten gegen die „Sub-Dom-Unkultur“ gewettert hatte und abgestritten hatte, dass das ganze als gesamtgesellschaftliches Phänomen überhaupt existierte, hier in einer solchen Situation gezeigt wurde, die eindeutig war.
Mit verzerrtem Gesicht, rotem Hintern und ...
Flo schüttelte sich.
„Ist wie bei nem Unfall“, murmelte Olli, „man will nicht hingucken, aber man kann auch nicht wegschauen.“
„Idiot“, knurrte Max.
„Scheiße“, sagte Flo.
Er schluckte.
„Ich bin froh, dass die Jungs den Bericht veröffentlicht haben. Dennoch. Die Lage ist brisant. Brisanter, als wir dachten.“
„Was wird jetzt geschehen?“, fragte Olli leise.
Tja, das war eine gute Frage.
Fest stand, das hier war der Point of no Return. Es wäre nun nicht mehr möglich, dass die Verantwortlichen weiterhin alles abstritten und sich alles in falschem „Wohlgefallen“ auflöste.
Fremde Regierungen würden sich auf die Tatsache stürzen, dass ausgerechnet er, der sich als den „mächtigsten Mann der Erde“ bezeichnet, ganz offensichtlich ein Sub war.
Eigentlich sollte so etwas keine Rolle spielen.
In einer idealen Welt wäre es völlig egal, da private Vorlieben bzw. Gegebenheiten nichts, aber auch gar nichts über die berufliche Befähigung desjenigen aussagte, ganz gleich ob es sich bei dem betreffenden um den den Präsidenten einer der Weltmacht oder um einen Pizzadienstfahrer im südlichen Ostwestfalen-Lippe handelte.
Aber leider war die Welt weit weg von solch wünschenswerten Zuständen, sowohl im kleinen, und erst recht in der hohen Politik, wo der gesunde Menschenverstand ja offenbar mit Erlangen eines Amtes an der Eingangspforte abgegeben wurde.
Jetzt war auch klar, warum gerade in Amerika solch starke Ablehnung der Kanazé Kultur gerade von staatlicher Seite herrschte.
Und sicher war das in Deutschland ähnlich.
Die hiesige Regierung würde vermutlich ganz ähnlich dazu stehen.
Herr Gott, niemanden ging es doch letztendlich an, welcher Abgeordnete oder Parteivorsitzende oder was auch immer nun Sub, Dom oder Vanilla war! Diese Leute sollten wie jeder andere auch danach beurteilt werde, wie sie ihren Job machten, und nichts anderes!
Aber so war die Welt eben nicht.
Einen Augenblick schloss Flo die Augen.
Er wusste nicht recht, wie er jetzt reagieren sollte. Und was sie jetzt machen sollten? Tja, keine Ahnung.
Hier bleiben?
Sich besser verkrümeln, und anderswo verstecken? Oder gar nicht mehr verstecken?
„Was wird jetzt geschehen?“, fragte Olli erneut.
Flo seufzte.
„Ich weiß nicht ... aber fest steht, dass das hier und jetzt ein Knackpunkt ist. Es führt kein Weg mehr zurück. Also entweder“, er schluckte, „entweder wird jetzt alles gut und wir haben geschafft, was wir schaffen wollten. Oder ...“
Und es fühlte sich kalt an in seinem Inneren bei dem nächsten Gedanken.
„... wir haben mit der ganzen Sache einen Krieg ausgelöst.“
Sie starrten sich gegenseitig an, entsetzt, ängstlich und doch hoffnungsvoll.
Sie konnten nichts tun als warten.