„Ladys und Gentlemen, ich begrüße Sie im Namen unserer Crew an Bord von BLUE SKY Airlines Flug 414 von Tokio nach Los Angeles. Die Maschine erhält in Kürze ihre endgültige Starterlaubnis. Ich möchte Sie nun bitten, die Sitzlehnen in aufrechte Position zu bringen, sich anzuschnallen und zurückzulehnen. Wir starten in wenigen Minuten. Sobald wir eine optimale Flughöhe erreicht haben, wird die grüne Lampe über Ihrem Sitz aufleuchten. Das bedeutet, dass Sie den Gurt wieder lösen dürfen. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und wünsche Ihnen einen angenehmen Flug.“
Matthew Sheltons Augen hingen wie gebannt an den Lippen der jungen Flugbegleiterin, die sich mit diesen Worten an die Passagiere wandte. Sie hatte eine angenehme klare Stimme und ihre Hände lagen, während sie sprach, routinemäßig auf den Lehnen der Notsitze in der ersten Reihe, die den Mitgliedern des Flugteams während des Startes vorbehalten waren. Ihre Dienstuniform, bestehend aus einer weißen Bluse, einem dunkelblauen knielangen Rock und der dazu passenden Weste mit den zwei weißen Streifen im Design der „Blue Sky Airlines“- Fluggesellschaft, bildete einen wirkungsvollen Kontrast zu ihrem kastanienbraunen Haar, das sie zu einem lockeren Knoten hochgesteckt hatte und dessen Länge nur durch die lockigen Strähnchen zu erahnen war, die sich zu beiden Seiten aus der Frisur gelöst hatten.
Während die Maschine langsam über das Rollfeld auf die vorgegebene Startposition zurollte, begann die junge Frau gewohnheitsgemäß die Maßnahmen für eventuelle Notfälle an Bord zu erläutern. Dabei wanderten ihre Augen lebhaft zwischen den Passagieren des übersichtlichen Business -Class-Abteils umher, als wolle sie sichergehen, dass man ihr auch wirklich die notwendige Aufmerksamkeit für diese unter Umständen überlebenswichtigen Ausführungen schenkte.
Ihre Gesichtszüge wirkten zart und strahlten zugleich eine unbändige Energie aus. Doch das allein war es nicht, was Matt so an ihr faszinierte.
Es waren ihre Augen. Mit dieser außergewöhnlichen Farbe und dem geradezu elektrisierenden Glanz erinnerten sie ihn unwillkürlich an seltene, in der Abendsonne geheimnisvoll schimmernde Bernsteine. Sie gaben ihrem ebenmäßigen Gesicht etwas Faszinierendes. Etwas, das man so leicht nicht vergaß.
Irgendetwas in diesen Augen nahm ihn gefangen und weckte ein Gefühl tief in seinem Inneren, das er längst vergessen geglaubt hatte. Gedankenversunken betrachtete er ihr anmutiges Gesicht und konnte seinen Blick einfach nicht losreißen.
Bisher hatte er alle Frauen, die ihm nur halbwegs interessant erschienen, sofort nach den Maßstäben seiner Ex- Frau gemessen und sie heimlich mit ihr verglichen, als suche er verzweifelt nach einem Double für sie. Eine Partnerin, die ihr glich, äußerlich wie auch im Charakter. Sonderbar war nur, dass diese junge Flugbegleiterin, zumindest was ihr Äußeres betraf, rein gar nichts mit seiner Geschiedenen gemeinsam hatte. Marina war deutlich größer, ein paar Jahre älter, hatte viel helleres, glattes Haar, das sie meist offen trug, und ein zwar ebenfalls sehr hübsches, aber eher puppenhaft anmutendes Gesicht mit hohen Wangenknochen, blauen Augen und bleistiftdünnen Augenbrauen. Ihr Aussehen wich deutlich von dem ihrer beiden mexikanischen Brüder ab. Sehr zum Leidwesen ihrer Mutter, die dadurch immer wieder aufs Neue schmerzhaft an ihre stürmische Liaison mit einem Isländer erinnert wurde, ein Fehltritt, den sie zutiefst bereut und den ihr Ehemann ihr zu seinen Lebzeiten niemals ganz verziehen hatte.
Wer weiß, vielleicht hatte Marina ihr unergründliches Verhalten damit bereits in den Genen gehabt.
Verdammt!
Nein, er wollte nicht schon wieder an sie denken, wollte nicht zulassen, dass sie sich bei jeder sich bietenden Gelegenheit in seine Gedanken drängte und ihn mit der schmerzlichen Erinnerung an eine große Liebe quälte, die mehr als nur einen bitteren Nachgeschmack bei ihm hinterlassen hatte.
Konsequent verbannte er sie aus seinen Gedanken, stützte das Kinn in seine Hand und beobachtete leicht amüsiert, wie die junge Flugbegleiterin mit tatkräftiger Unterstützung ihrer etwa gleichaltrigen Kollegin eine der Schwimmwesten anlegte, um den Gebrauch der verschiedenen Funktionen dadurch anschaulicher erläutern zu können.
Die beiden Frauen schienen ein gutes Team zu sein, denn sie lockerten diese für sie routinemäßige Aktion durch ihr Lachen und die ein oder andere witzige Bemerkung auf, so dass sie sich inzwischen der ungeteilten Aufmerksamkeit und Sympathie der zuhörenden Passagiere sicher sein konnten.
Matt lächelte versunken.
Wie alt mochte sie wohl sein? Anfang Zwanzig? Jedenfalls sah sie noch sehr jung aus. Verträumt stellte er sich vor, wie es wohl wäre, Hand in Hand mit ihr am Strand entlang zu gehen, Sonne auf der Haut, den Wind im Haar, sich der neidvollen Blicke der anderen Männer bewusst, denn zweifellos würde sie auch im Bikini eine fantastische Figur abgeben, dessen war er sicher.
Für einen winzigen Augenblick schien es ihm, als verharrte ihr Blick etwas länger in seiner Richtung, fast so, als hätte sie seine Gedanken erraten. Ihre Augen begegneten seinen und für einen Bruchteil von Sekunden umspielte ein Lächeln ihre Lippen. Bevor er jedoch in der Lage war, es zu erwidern, bohrte sich plötzlich ein spitzer Ellenbogen in seine Seite und holte ihn auf schmerzhafte Weise aus seinem Tagtraum zurück.
„He Matt!“
Die neben ihm sitzende rothaarige junge Frau war seinem Blick unbemerkt gefolgt und funkelte ihn nun aus ihren katzenhaften grünen Augen wütend an. „Hast du nicht gehört, du sollst dich anschnallen! Und hör gefälligst damit auf, diesen albernen Pinguin anzustarren, als hättest du noch nie eine Flugbegleiterin aus der Nähe gesehen“, zischte sie deutlich genervt.
„Anni“, mahnte er leicht verärgert, griff nach dem Gurt und ließ ihn zuschnappen. „Zufrieden?“
Sofort verzog die Rothaarige ihre blutrot geschminkten Lippen zu einem anzüglichen Lächeln.
„Du weißt genau, wann ich zufrieden wäre, und was du dafür tun müsstest“, gurrte sie und blinzelte ihn mit einem rekordverdächtigen Augenaufschlag an.
Matt lehnte sich unbeeindruckt zurück.
„Träum weiter“, erwiderte er kopfschüttelnd und blickte wieder nach vorn.
Schmollend lehnte sie sich zurück und verschränkte demonstrativ die Arme unter ihrer bemerkenswert prallen Oberweite, die sie damit beängstigend weit nach oben schob, so dass zu befürchten war, dass die dünnen Spagettiträger ihres hautengen knallroten Minikleides dieser Belastung nicht mehr lange standhalten würden.
Der anwesende Flugbegleiter, ein junger Mann mit dem durchtrainierten Körper eines Bodyguards, gönnte ihr einen unverhohlen anerkennenden Blick, während er ein letztes Mal vor dem Start durch die Reihen ging, um die ordnungsgemäß geschlossenen Gurte der Passagiere zu kontrollieren, bevor auch er sich, wie kurz zuvor seine beiden Kolleginnen, zu den dem Personal vorbehaltenen Notsitzen begab.
Annis Wut auf Matt verrauchte augenblicklich. Sie quittierte die Aufmerksamkeit des gutaussehenden Flugbegleiters mit einem aufreizenden Blick und lächelte selbstzufrieden.
Sie war sich ihrer Wirkung auf Männer im Allgemeinen nur allzu bewusst, mit ihren Reizen hatte sie bisher jeden bekommen, den sie wollte.
Jeden?
Ihr einstudiertes Lächeln gefror augenblicklich zu Eis.
Nein, nicht jeden. Ausgerechnet bei dem einen, den sie wirklich wollte, schienen all ihre Verführungskünste kläglich zu versagen.
Sie wandte den Kopf und sah ihn an.
Matthew Shelton – zum Greifen nah – und doch so unerreichbar fern.
Sie liebte ihn, seitdem er damals vor vielen Jahren ins Nachbarhaus eingezogen war. Groß, schlank, dunkelhaarig, geheimnisvoll und unglaublich sexy. Aber leider nicht an ihr interessiert, zumindest nicht so, wie sie es sich erträumte. In all den Jahren, die sie beide sich kannten, war er ihr Freund geworden, ihr Vertrauter, ihr Fels in der Brandung. Alles, aber nicht ihr Geliebter.
´Das würde nur unsere wunderbare Freundschaft zerstören.´, pflegte er stets aufs Neue seine Zurückhaltung ihr gegenüber zu begründen, wenn er wieder einmal einen ihrer unzähligen Annäherungsversuche abgewiesen hatte. Dabei sah er sie mit seinem umwerfenden Lächeln an, mit diesen verdammten sexy Lachfältchen um seine Augen, die sie regelrecht dahin schmelzen ließen.
´Scheiß auf die Freundschaft, Matt! Du weißt, was ich von dir will!´
Die Maschine hatte ihre Startposition erreicht und begann, in immer schneller werdendem Tempo die Rollbahn entlang zu jagen. Schließlich legte der Pilot den Schub ein und Matt wurde leicht nach hinten in die Sitzpolster gedrückt. Er liebte dieses Gefühl, wenn er die Kraft der riesigen Maschine spüren konnte, ihre unvorstellbare Energie, bevor sie scheinbar leicht wie eine Feder abhob, hinauf auf ihre lange Reise durch die Wolken, hin zum endlosen Horizont. Diesmal würde sie der Sonne entgegenfliegen, und der Flug nach Los Angeles endete mitten in der Nacht, während in Tokio ein neuer Morgen begann.
*
„Na, dann mal los!“, meinte Santana, die Chefstewardess und ließ sich neben den Mitgliedern ihrer Crew nieder. „Genießt diesen Start, es wird für längere Zeit unser letzter sein.“
Sie schloss energisch ihren Gurt und strich sich zum wiederholten Mal eine der drahtig wirkenden Locken aus der Stirn. Die übrige schwarzglänzende Haarpracht hatte sie kompromisslos fest zu einem unspektakulären Knoten am Hinterkopf zusammengedreht. Sie war eine dralle Mittvierzigerin mit der immer noch nahezu makellosen bronzefarbenen Haut einer Afroamerikanerin. Trotz ihrer geringen Größe von höchstens 1,55m schien sie auf den ersten Blick irgendwie respekteinflößend. Doch wer sie kannte, wusste um ihre Güte und ihre untrügliche Menschenkenntnis, die sie sich über viele Dienstjahre hinweg angeeignet hatte. Ihr warmherziges Lächeln wirkte wie ein Sonnenstrahl auf ihrem strengen Gesicht und hatte schon so manche Skeptiker, die meinten, dieser „kleinwüchsige General“ sei auf einem Schlachtschiff besser aufgehoben als in einem Passagierflugzeug, sehr schnell Lügen gestraft.
Heute jedoch fiel ihr dieses Lächeln schwer. Tiefe Traurigkeit zeigte sich nur allzu deutlich in ihren leicht schräg stehenden exotisch braunen Augen, während die Maschine scheinbar federleicht von der Startbahn abhob und in einer langgezogenen Linkskurve gen Himmel flog.
„Und was werdet ihr als nächstes tun, wenn dieser Flug vorbei ist?“, brach sie nach einer Weile das ungewohnte Schweigen. „Hat einer von euch schon konkrete Pläne?“
„Also ich genieße erst einmal ausgiebig meine Freizeit“, platzte die neben ihr sitzende junge Flugbegleiterin, die zu Beginn ihrer Kollegin bei der Demonstration der Schwimmwesten geholfen hatte, spontan heraus. Sie warf ihr langes weizenblondes Haar schwungvoll zurück und zwinkerte ihrer Vorgesetzten, die bis vor ein paar Wochen noch ihre Ausbilderin gewesen war, aus ihren grünen Augen heraus schelmisch zu. „Sonne, Meer, Palmen, tolle Typen am Strand, das sind doch Aussichten, die uns den Abschied von BLUE SKY ungemein versüßen, findet ihr nicht? Ich glaube, ich werde fürs Erste das verlockende Angebot von Mitch annehmen, zumindest für die nächsten Wochen oder bis ich einen neuen Job gefunden habe.“
„Mitchs Angebot?“, hinterfragte der junge Flugbegleiter mit dem Killerbody die Aussage seiner Kollegin etwas skeptisch. „Chelsea, bist du sicher, dass er das wirklich ernst gemeint hat?“
Die Blonde hob gleichgültig die Schultern.
„Klar, ich glaube schon“, meinte sie leichthin. „Warum sollte er denn sonst so etwas sagen? Außerdem fände ich es toll, wenn wir in L.A. nicht gleich alle getrennte Wege gehen, sondern uns noch ein paar schöne gemeinsame Tage gönnen. Immerhin waren wir wirklich ein Superteam. Und diese Zeiten sind nach diesem Flug ein für alle Mal vorbei, so traurig es auch klingen mag. Also...“ Sie hob die Schultern und sah ihre beiden jungen Mitarbeiter herausfordernd an, „Warum machen wir nicht einfach das Beste daraus?“
Bevor sie eine Antwort bekam, seufzte Santana.
„Wirklich zu dumm, dass BLUE SKY pleite ist. Ich bin gerne mit dieser Fluggesellschaft geflogen. Das waren schöne Jahre. Mir persönlich tut es auch für Mitch leid. Er hat so hart gearbeitet. Und ausgerechnet jetzt, wo er es endlich zum Flugkapitän geschafft hat, kündigt ihm sein Arbeitgeber.“
„Er kündigt uns allen“, verbesserte Chelsea. „Mitch wird bald für eine andere Linie fliegen, da bin ich ganz sicher. Er beherrscht seinen Job, er ist jung und dynamisch, und so, wie der aussieht...“ Sie verdrehte begeistert die Augen.
Obwohl ihr momentan nicht danach zumute war, musste Santana doch über so viel jugendliche Schwärmerei lachen. Begütigend klopfte sie ihrer jungen Kollegin aufs Knie.
„Du bist nicht die Erste, die sich in Mitchell Capwell verguckt, meine Liebe! Stell dich gefälligst hinten an.“
Chelsea kicherte, während eine leichte verräterische Röte in ihre Wangen schoss.
„Ein bisschen vordrängeln wird ja wohl erlaubt sein.“
Schelmisch grinsend verschränkte der Flugbegleiter die Arme vor der Brust.
„Und ich dachte immer, aus Danielle und Mitch wird mal ein Paar.“
„Wie kommst du denn darauf?“, riefen Chelsea und die mit Danielle Angesprochene gleichzeitig entsetzt heraus.
„Na ja“ Der junge Mann bedachte seine Mitarbeiterinnen mit einem gekonnt unschuldigen Lächeln, wobei sich auf seinen Wangen zwei äußerst attraktive Grübchen bildeten. „Ist doch sonnenklar! Chelsea steht auf mich und unser Käpt’n steht auf…“
„Moment mal, Leute“, mischte sich die brünette junge Flugbegleiterin namens Danielle lachend ein und hob abwehrend die Hände. „Um das ein für alle Mal klarzustellen, Mitch und ich, wir sind nur Freunde.“
„Schätzchen, es gibt keine echte Freundschaft zwischen Männern und Frauen! So etwas endet zwangsläufig immer im Bett oder im Chaos“, widersprach Chelsea altklug. „Irgendwann kriegen es die Kerle im Kopf und wollen mehr. Und dann ist es entweder die große Liebe, oder…“ Sie verzog das Gesicht, als hätte sie auf eine Scheibe Zitrone gebissen „Oder es ist aus.“
„Hört, hört.“ Santana grinste und zwinkerte Danielle zu. „Da spricht jemand aus Erfahrung.“
„Und wenn schon.“ Chelsea zog bedeutungsvoll die Augenbrauen nach oben. „Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste, was feste Beziehungen angeht. Außerdem habe ich meine Ansprüche. Aber einen wie Mitch würde ich trotzdem nicht von der Bettkante stoßen.“ Sie pustete ihre Ponyfransen aus der Stirn und wandte sich an ihren Kollegen. „Und was dich betrifft, Dean Lockwood, werde gefälligst erst einmal trocken hinter den Ohren! Ich stehe nämlich nicht auf kleine Jungs, sondern auf reife Männer.“
„Na dann verbrenn` dir mal nicht die Finger, Kleines“, erwiderte Dean ungerührt und fuhr sich mit den Fingern durch sein widerspenstiges dunkles Haar. „Wenn ich deinen gehobenen Ansprüchen nicht genüge, dann werde ich wohl auf das verlockende Angebot aus Reihe drei zurückkommen müssen.“
„Reihe drei?“, fragte Chelsea sofort neugierig.
„Rote Haare, grüne Augen, und riesige...“, begann er langsam und genießerisch seine detaillierte Beschreibung, doch Danielle unterbrach ihn lachend.
„Knallrotes Minikleid und eine zur Schau gestellte Oberweite, die jeden Mann glatt erblinden lässt. Glaub mir Dean, die ist selbst für dich eine Nummer zu groß.“
„Männer! Kaum sehen sie mal einen anständigen Vorbau, schon fangen sie an zu sabbern“, maulte Chelsea und schnappte Sekunden später hörbar nach Luft, als die Maschine aufgrund einer letzten Höhenkorrektur etwas nach unten absackte. „Meine Güte, Mitch! Wenn er so liebt wie er fliegt, dann geht aber die Post ab!“
Santana schüttelte amüsiert den Kopf.
„Unverbesserlich!“
Das Flugzeug hatte seinen Steigflug nun endgültig beendet und glitt ruhig und sicher über den Wolken dahin.
„Ladys und Gentleman“ meldete sich eine angenehm klingende Männerstimme über die Bordlautsprecher. „Hier spricht Ihr Flugkapitän Mitchell Capwell. Ich darf Sie herzlich an Bord der BLUE SKY - Airlines auf dem Flug von Tokio nach Los Angeles begrüßen. Die Entfernung zu unserem Reiseziel an der Westküste der USA beträgt 8835 Kilometer oder umgerechnet 5490 Meilen. Die Wettervorhersagen sind gut, so dass Sie sich entspannt zurücklehnen und den Flug mit einer Reisezeit von ungefähr 11 Stunden genießen können. Wir haben jetzt die für uns optimale Flughöhe von 8000m erreicht und reisen mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von circa 800 km/h beziehungsweise 430 Knoten der Sonne entgegen. Die Zeit läuft auf unserer Flugroute gewissermaßen gegen uns, man könnte sagen, wir werden uns ein Stück des vergangenen Tages zurückholen. In Kürze können Sie einen märchenhaft schönen Sonnenaufgang erleben, der für uns hier oben wie ein gigantischer Sonnenuntergang aussieht. Genießen Sie dieses außergewöhnliche Naturereignis, das nur während eines Fluges gen Osten möglich ist. Ich wünsche Ihnen im Namen der gesamten Crew einen angenehmen Flug.“
Chelsea lächelte verträumt.
„Haaach, hat er das nicht schön gesagt? Ich liebe diesen Mann!“
„Mmh“ ließen sich Santana und Danielle vernehmen und rollten einvernehmlich mit den Augen, worauf alle vier wieder in lautes Gelächter ausbrachen.
Mit einem kurzen, aber gut hörbaren Ton verlosch das Anschnallzeichen über den Sitzen.
„Auf geht’s, Leute, die Pflicht ruft!“ Energisch löste die Chefstewardess ihren Gurt und erhob sich als Erste. „Ich bereite schon mal das Essen vor. Dean, du wirfst einen Blick ins Cockpit und fragst, was gewünscht wird. Danielle und Chelsea, ihr beide sorgt bitte für die Getränke der Passagiere.“
*
Wenig später schob Danielle ihren frisch aufgefüllten Getränkewagen durch den Flugzeuggang.
„Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten?“, fragte sie die Passagiere der vorderen Reihen mit freundlichem Lächeln und schenkte bereits die ersten Gläser ein.
Erneut spürte sie den Blick dieses gutaussehenden Fremden, der ihr vorhin sofort aufgefallen war. Er hatte dunkles Haar, von dem ihm ein paar widerspenstige Strähnchen in die Stirn fielen, während es an den Seiten modisch kurz geschnitten war. Seine Augen unter den dichten Brauen strahlten etwas Geheimnisvolles, fast schon Düsteres aus und unterstrichen sein attraktives, markantes Gesicht, das von der Sonne gebräunt war.
Danielle hatte sich zwingen müssen, während ihrer Begrüßungsworte vor dem Start ihren Blick nicht andauernd wieder in seine Richtung wandern zu lassen.
`Sei nicht albern!`, schalt sie sich in Gedanken, verunsichert über ihre Reaktion auf diesen Mann. Sicher war er bereits verheiratet oder zumindest fest liiert, zum Beispiel mit dieser mondänen Rothaarigen, die neben ihm saß und ihn so besitzergreifend musterte.
`Vergiss es, Belling!`, rief sie sich insgeheim zur Ordnung. `Er hat eine Ehefrau und mindestens drei kleine Kinder. Solche attraktiven Männer laufen nicht einfach frei herum.`
Entschlossen schob sie ihren Wagen eine Sitzreihe weiter.
„Darf es etwas zu trinken sein?“, fragte sie routinemäßig und blickte auf, geradewegs in jene tiefblauen Augen, die für ihre innere Unruhe verantwortlich waren und sie in diesem Augenblick erneut mit unverhohlenem Interesse musterten.
`Blau, dunkles Blau… Ich hätte geschworen, seine Augen sind schwarz wie die Nacht!`, schoss es ihr durch den Kopf.
Er lehnte sich entspannt in seinem Sitz zurück und meinte lächelnd:
„Wenn Sie bitte ein Glas Mineralwasser für mich hätten?“
„Gerne, Sir.“, erwiderte sie freundlich, sehr darum bemüht, sich ihre unter seinem Blick schlagartig aufsteigende Nervosität nicht anmerken zu lassen.
„Bitteschön!“ Sie reichte ihm das gewünschte Glas, und ihre Fingerspitzen berührten einander. Es war, als läge in diesem Augenblick plötzlich ein geheimnisvolles Knistern in der Luft. Sie spürten es beide und verharrten für einen Bruchteil der Sekunde in ihrer Bewegung, bevor sich Danielle hastig von seinem Blick losriss und an die Rothaarige wandte, die sie missmutig beäugte.
„Und was hätten Sie gern, Miss?“
„Ein Glas Champagner, aber eisgekühlt. Nicht diese abgestandene Brühe aus dem Kantinenschrank!“, lautete die Antwort in einem Befehlston, der die junge Flugbegleiterin augenblicklich ernüchterte.
Wortlos nahm sie die Champagnerflasche aus dem Kühler und füllte ein Glas, das sie der unhöflichen Person mit einem mühevoll aufgesetzten Lächeln reichte. Die bedankte sich nicht einmal, sondern stieß ihren am Fenster sitzenden Nachbarn, der unentwegt mit seinem Laptop beschäftigt war, unsanft in die Seite.
„Was ist mit dir, Edward?“, knurrte sie.
„Was soll mit mir sein?“, entgegnete der Mann, sichtlich ungehalten über die Störung.
„Willst du einen Drink oder nicht?“, fragte ihn die Rothaarige mit ihrer etwas rauen Stimme schnippisch. Sie nahm einen Schluck aus ihrem Glas und sah ihn ungeduldig an.
Der Mann nickte zerstreut und schenkte Danielle einen kurzen Blick.
„Einen Cognac bitte.“
Sie schätzte ihn auf Ende Vierzig, der typische Geschäftsmann, gepflegtes Äußeres, teurer Maßanzug, sorgfältig geschnittenes, an den Schläfen schon leicht ergrautes Haar und Hände, die aussahen, als hätten sie mit Sicherheit noch nie im Leben hart gearbeitet.
Aalglatt und erfolgsgewohnt.
Während Danielle den gewünschten Drink einschenkte, nippte die Rothaarige mit einem theatralischen Seufzer erneut an ihrem Champagner.
„Unerträglich, dass wir uns auf einem Langstreckenflug in diese furchtbare Sardinenbüchse quetschen müssen, anstatt wie gewohnt mit dem Firmen-Jet zu fliegen! Und warum? Weil Mister Hochwohlgeboren unbedingt morgen in seinem Büro sitzen will, aber versäumt hat, den Privatflug rechtzeitig anzumelden!“, giftete sie mit einem vernichtenden Blick in Richtung ihres rechten Sitznachbarn.
„Darf ich dich daran erinnern, meine Liebe, dass wir einen wichtigen Termin haben, und du trotz allem Zeitdruck wie üblich bequem erster Klasse reisen darfst“, erwiderte dieser ungerührt, während er den Erhalt seines Getränkes mit einem flüchtigen Lächeln in Danielles Richtung quittierte. Nachdenklich schwenkte er die goldfarbene Flüssigkeit im Glas und grinste kurz darauf boshaft. „Inzwischen frage ich mich, wieso du nicht noch etwas länger in Tokio geblieben bist. So hätten Matt und ich wenigstens einen ruhigen Flug.“
„Du kannst mich mal!“, schnaufte seine Sitznachbarin wütend.
„Interessantes Angebot, Anni, aber… nein danke.“
Beinahe hätte Danielle laut gelacht, aber weil sie befürchtete, dass der Traumtyp neben der Rothaarigen ihre Belustigung über das Gespräch bemerken könnte, schob sie ihren Getränkewagen rasch weiter und versuchte, sich wieder auf ihre Arbeit zu konzentrieren, aber die tiefblauen Augen des attraktiven Fremden gingen ihr einfach nicht mehr aus dem Sinn.
*
Ein paar Sitzreihen weiter hinten saß ein nervös wirkender, ziemlich beleibter Mann Mitte Sechzig, der sich ständig mit dem Taschentuch den Schweiß von der Stirn wischte.
„Alles in Ordnung, Sir?“, fragte Danielle besorgt.
Der Dicke schnaufte beängstigend.
„In Ordnung? Nichts ist in Ordnung, wenn man in so einer engen Schachtel über den Ozean geschossen wird!“
Die junge Flugbegleiterin nickte verständnisvoll. Flugangst!
„Wie wäre es mit einem Glas Mineralwasser?“, schlug sie vor. „Das wird Ihnen sicher gut tun.“
„Mineralwasser?“ Der Dicke sah sie an, als habe sie ihm gerade eben eröffnet, er müsse in den nächsten paar Minuten mit dem Fallschirm abspringen. „Kindchen, was zum Teufel soll ich denn mit Wasser? Wenn ich aus dem verdammten Bullauge hier nach unten schaue, sehe ich seit dem Start nichts als Wasser! Nein...“ Er fuhr sich stöhnend mit den Fingern durch sein schütteres weißgraues Haar. „Ein doppelter Whisky, das ist es, was ich jetzt brauche!“
Danielle lachte.
„Natürlich Sir, kommt sofort.“ Sie reichte dem Dicken das gefüllte Glas, das er in einem Zug leerte.
„Aaah...“, stöhnte er und verdrehte genüsslich die Augen. „Noch einen, bitte!“
Sie schenkte erneut ein und stellte ihm vorsichtshalber ein Glas Mineralwasser daneben auf den Tisch. Er schob es verächtlich bei Seite und kippte den zweiten Drink mit ähnlicher Geschwindigkeit hinunter wie den ersten. Danach blickte er Danielle dankbar an und streckte ihr freundlich die Hand entgegen.
„George Freeman“, stellte er sich vor. „Ich fliege sonst nie, ich habe eine erbärmliche Flugangst, müssen Sie wissen!“
„Reisen Sie allein, Mister Freeman?“ fragte Danielle teilnahmsvoll.
Der Mann nickte.
"Ich habe eine Computer- und Software- Firma, die weltweit expandiert. Der Hauptsitz befindet sich in Tokio“, erklärte er schwer atmend. „Bisher hat sich meine Frau immer vor Ort um die Geschäfte dort gekümmert. Sie war eine ausgezeichnete Geschäftsfrau, aber vor einem Jahr kam sie durch einen Unfall ums Leben, und von da an ging irgendwie alles den Bach runter. Der Geschäftsführer, dem sie vertraute, erwies sich als windiger Betrüger. Es blieb mir nichts weiter übrig als selbst nach dem Rechten zu sehen. Ich habe diesem Verbrecher zwar ordentlich das Handwerk gelegt und sofort einen meiner besten Mitarbeiter in Tokio eingesetzt, aber Fliegen ist von jeher der blanke Horror für mich. Allerdings habe ich für morgen eine wichtige Konferenz einberufen, und das hier war so kurzfristig der letzte verfügbare First-Class-Platz in dieser verdammten Maschine. “ Wieder zückte er das Taschentuch und betupfte seine Stirn.
`Zwei doppelte Whisky!`, dachte Danielle entsetzt. `Diese Menge würde mich glatt umhauen!`
Dem Dicken schien es allerdings danach wirklich besser zu gehen.
„Danke Kindchen, Sie sind ein Engel!“, schnaufte er, lehnte sich zurück und schloss die Augen.
Als Danielle später den Getränkewagen zurück zur Bordkantine schob, schlief er und schnarchte mit offenem Mund.
„Hey, Sie!“ hörte sie plötzlich die unverwechselbar kehlige Stimme der Rothaarigen. Obwohl sie auf rüde Zurufe dieser Art eigentlich grundsätzlich nicht reagierte, drehte sie sich doch zögernd um, in der vagen Hoffnung, den geheimnisvollen blauen Augen in dieser Sitzreihe zu begegnen. Aber der gutaussehende Fremde saß nicht auf seinem Platz. Dafür schnippte diese unmögliche Person mit ihren langen rotlackierten Fingernägeln gegen den Rand des leeren Sektglases.
„Nochmal dasselbe!“
Danielle nahm wortlos die Flasche aus dem Kühler.
„Nein, verdammt nochmal...“, ließ sich die Rothaarige vernehmen. „Doch nicht dieses fade Zeug, mit dem sie nun schon durch das ganze Flugzeug gerannt sind! Ich will frisch geöffneten Champagner, aus dem Kühlfach!“
„Aber der hier ist eiskalt“, verteidigte sich Danielle, worauf ihr die Dame sofort ins Wort fiel:
„...und abgestanden.“ Mit überlegenem Lächeln und boshaftem Funkeln in den Augen fügte sie nachdrücklich hinzu: „Wie ich schon sagte, frisch und eiskalt! Oder ist das bei dieser Fluggesellschaft nicht möglich?“
Danielle atmete tief durch.
Sie hatte auf ihren zahlreichen Flügen schon die verschiedensten Kategorien von Passagieren kennengelernt, nette, schüchterne, laute, ängstliche, interessante, unausstehliche... Aber diese Person gehörte zweifellos zur letzten Sorte, zu der, die ihr persönlich am verhasstesten war. Sie hätte kein Problem damit gehabt, der unhöflichen Dame eine angemessene Antwort zu geben, aber heute war ihr letzter Tag bei BLUE SKY, und den wollte sie sich keinesfalls verderben lassen, durch nichts und niemanden, erst recht nicht durch eine solche arrogante Hexe, die sie mutwillig zu provozieren versuchte.
„Einen Moment.“
Ohne eine Miene zu verziehen stellte Danielle die Champagnerflasche zurück in den Kühler, schob ihren Wagen zur Kantine und verschwand seitlich in dem kleinen Raum.
*
„War irgendwas?“, fragte Santana, die sich mit der Zubereitung des Essens beschäftigte, beiläufig. Danielle schüttelte den Kopf und nahm eine neue Flasche Champagner aus der Kühlzelle.
„Das Übliche“, seufzte sie resigniert, während sie die Flasche mit geübtem Griff öffnete. „Aufgedonnerte Miss „Busenwunder“ hält sich für Lady Gaga und verlangt frischgeöffneten, halbgefrorenen Champagner.“
Santana lachte.
„Meinst du die Rothaarige in dem knappen Kleidchen, die Deans Hormone vor dem Start in Wallung gebracht hat? Die neben diesem äußerst attraktiven Mann in der dritten Reihe?“
Danielle hielt kurz in ihrer Tätigkeit inne und hob erstaunt die Augenbrauen.
„Genau die meine ich.“
„Ignorier sie“, riet ihre Chefin. „Sie ist wahrscheinlich stinksauer, weil ihr Begleiter vorhin nur Augen für dich hatte.“
„Ach was, das bildest du dir bestimmt nur ein“, wehrte Danielle bescheiden ab und strich gedankenverloren ihre Dienstbluse glatt. Im Grunde konnte sie mit ihrer Figur durchaus zufrieden sein. Sie hatte wohlgeformte schlanke Beine, eine Taille, um die sie manch ein Model beneidet hätte und dank der Jahre im Jugend-Schwimmteam ihrer Highschool einigermaßen kräftige Schultern. Schade nur, dass ihr Busen ihrer Meinung nach ein wenig klein ausgefallen war. Aber mehr als ein einigermaßen hübsches Dekolleté war in den Familiengenen leider nicht drin gewesen, und mit Hilfe eines gut sitzenden „Wonderbra“ konnte man daraus rein optisch eine durchaus sehenswerte Oberweite zaubern.
Santana betrachtete sie lächelnd, als hätte sie ihre Gedanken erraten.
„Du musst dringend an deinem Selbstwertgefühl arbeiten, meine Liebe“, bemerkte sie augenzwinkernd. „Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du eine echte Schönheit bist?“
Danielle grinste etwas gequält.
„Ich weiß nicht, Santana, mit der Schönheit ist es so eine Sache. Die Boys auf dem College früher sagten einem Mädchen sowas andauernd, solange dabei ein bisschen Knutschen und Fummeln auf dem Rücksitz ihres Wagens für sie raussprang.“
„Knutschen? Fummeln?“, quiekte Chelsea, die eben dazukam, ungläubig. „Wann soll denn das passiert sein? Soweit ich weiß, warst du schon gefühlte hundert Jahre mit Brendon zusammen, bevor du ihn in die Wüste geschickt hast!“
„Ich habe auch nicht von mir gesprochen, nur so allgemein.“
„Ach ja?“ Chelsea musterte sie abschätzend. „Wo wir gerade dabei sind, nur mal so allgemein, lass mich raten… Hat dein Verlobter dir jemals gesagt, dass du…“ Sie unterbrach sich selbst und schüttelte entschieden den Kopf. „Nein, der wohl eher nicht!“
„Hey, so schlimm war er nun auch wieder nicht“, verteidigte Danielle ihren Ex, aber es klang eher, als müsse sie sich selbst und nicht ihre Mitarbeiterinnen von dieser Aussage überzeugen.
„Erde an Dani“, rief Chelsea auch sogleich entrüstet und wedelte mit den Händen vor deren Gesicht herum. „Brendon hat mit allem rumgemacht, was einen Rock anhatte und bei drei nicht auf den Bäumen war! Du kannst dich echt glücklich schätzen, dass du`s noch rechtzeitig bemerkt hast! Schon vergessen, Süße?“
„Wie könnte ich“, seufzte Danielle und atmete tief durch. „Aber dank euch beiden weiß ich ja nun, wer die wahre Miss Universum hier an Bord ist. Also werde ich jetzt hinausgehen und dem rothaarigen Biest in der dritten Reihe mit überlegenem Lächeln ihren tiefgefrorenen Sekt servieren.“
„Am besten in Form von Eiswürfeln direkt ins Dekolleté“, lachte Santana. „Und bei dieser Gelegenheit kannst du ihrem unverschämt attraktiven Sitznachbarn gleich noch einen heißen Blick zusätzlich gönnen.“
*
Matt hatte inzwischen mit Erlaubnis des Flugbegleiters Dean einen Besuch im Cockpit gemacht. Er grinste, als er dem Piloten über die Schulter sah.
„Mitch Capwell... Ich muss zugeben, die Uniform steht dir hervorragend! Ich hoffe nur, dass du die Nase dieses Vogels bis L.A. schön oben halten wirst.“
Der Flugkapitän drehte sich erstaunt um.
„Matt? Matt Shelton?“, fragte er ungläubig. Dann hellte sich sein jungenhaft anmutendes Gesicht schlagartig auf, und er lachte schelmisch. „Das gibt’s doch gar nicht, du bist es wirklich!“ Freundschaftlich schüttelte er Matts Hand. „Hey, was um alles in der Welt machst du in Tokio? Genügt dir unsere Millionenstadt Sun City nicht mehr?“
„Ich war geschäftlich in Japan, gemeinsam mit Edward und Anni.“, erklärte Matt.
Mitch zog erstaunt die Augenbrauen zusammen.
„Anni ist auch mit an Bord? Also ich sollte wirklich ab und zu mal die Passagierlisten durchsehen.“ Ungläubig blinzelte er Matt an. „Seit wann interessiert sie sich für Geschäfte?“
„Seitdem ihr Vater auf die glorreiche Idee gekommen ist, ihr zum fünfundzwanzigsten Geburtstag diverse Aktienanteile an der Firma zu überschreiben, und zwar genug, um ihr Stimmrechte im Vorstand zu sichern. Sehr zum Leidwesen von Edward, wie du dir sicher denken kannst, denn sie quatscht ihm überall rein.“
Mitch lachte.
„Das kann ich mir gut vorstellen, das sieht ihr ähnlich. Übrigens reine Glückssache, dass wir uns heute noch begegnen. Das ist nämlich der offiziell letzte Flug von „BLUE SKY Airlines“. Die Fluggesellschaft ist pleite, und wir sind alle ab morgen ohne Job.“
Matt zog die Stirn in Falten.
„Was? Das tut mir leid für dich.“
Der Pilot winkte ab.
„Dumme Sache, aber leider nicht zu ändern.“
„Und was wirst du jetzt tun?“
„Ach weißt du, Matt, ich habe zur Abwechslung auch gerne mal festen Boden unter den Füßen. In den letzten Monaten bin ich pausenlos geflogen. Jetzt wird erst einmal Urlaub gemacht, und dann werden wir weitersehen. Übrigens, darf ich dir meinen Team-Kollegen vorstellen?“ Er wies auf den Mann rechts neben sich. „Mein Co-Pilot Hank Steward, er hat schon ein paar Jahre Flugerfahrung mehr als ich und achtet darauf, dass ich als Neuling nicht alle Luftlöcher durchfliege und den Vogel einigermaßen auf Kurs halte. Hank“, wandte er sich an seinen Kollegen. „Matthew Shelton, ein sehr guter Freund von mir aus meiner Heimatstadt!“
Die Männer reichten sich die Hand.
Hank Steward war der älteste im Team, er schien Ende Vierzig zu sein, während sein Kollege dagegen noch recht jung wirkte. Mitch Capwell war mit Sicherheit ein absoluter Frauenschwarm mit seinem offenen, jungenhaft anmutendem Charme und dem gewinnenden Lächeln, das bis in seine leuchtend blauen Augen zu strahlen schien.
Das blütenweiße Pilotenhemd spannte leicht um seine Schultern und ließ darauf schließen, dass er, genau wie Matt, in seiner Freizeit sportlich sehr aktiv war.
„Ich freue mich jedenfalls schon richtig auf zu Hause“, meinte er und fuhr sich mit der Hand durch das widerspenstige blonde Haar, das einen krassen Gegensatz zu seinem sonnengebräunten Gesicht bildete. „Hoffentlich ist soweit alles in Ordnung. Ich schätze, ich werde einiges am Haus überholen müssen.“
Matt lachte.
„Auf jeden Fall steht es noch. Und deine Mitbewohner halten es ganz gut in Schuss, wie mir scheint.“
„Ja, auf Luke und Randy ist glücklicherweise Verlass. Die Wohngemeinschaft war eine super Idee. Es wäre wirklich nicht gut, wenn die Hütte so lange Zeit leer gestanden hätte.“
„Na dann warte mal, bis du heimkommst“, zwinkerte Matt ihm zu, „Ich glaube, die beiden haben da eine echte Überraschung für dich!“
Mitch sah ihn gespannt an, aber sein Freund machte nur eine abwehrende Handbewegung.
„Ich verrate nichts.“
„Vielleicht haben die zwei deine zahllosen ehemaligen Freundinnen zur Begrüßung eingeladen“, mutmaßte Hank lachend. „Oder sie haben die Bude inzwischen zum Disco- Keller umgebaut.“
Mitch schüttelte entschieden den Kopf.
„Interessante Vorstellung, aber nicht nach meinem Geschmack. Das erste bedeutet Ärger ohne Ende, und das zweite auf Dauer auch.“
Matt warf ihm einen prüfenden Blick zu.
„Und gibt es in deinem Leben inzwischen wieder jemanden?“
„Seit Anni nicht“, erwiderte Mitch, fügte aber sogleich mit fröhlichem Augenzwinkern hinzu: „Ich genieße die Freiheit, genau wie du.“
„Ja“, nickte Matt mit einem verhaltenen Lächeln, das seine Augen nicht erreichte. „Genau wie ich.“
„Wird wirklich Zeit, dass wir mal wieder gemeinsam um die Häuser ziehen“, lachte Mitch gutmütig. „Das Leben ist verdammt kurz!“
Matt klopfte ihm freundschaftlich auf die Schulter.
„Okay, auf dieses Angebot komme ich mit Sicherheit zurück. Aber ich will euch nicht länger von der Arbeit abhalten, sonst landen wir statt in L.A. noch irgendwo am Äquator. Vielleicht schaue ich später nochmal rein. Jetzt werde ich erst mal nach Anni sehen, vorausgesetzt, Edward hat sie inzwischen nicht bereits erwürgt. Sie hat heute eine Laune zum Davonlaufen.“
„Ja, ihre Launen habe ich in lebhafter Erinnerung“, bestätigte Mitch mit einem Schmunzeln. „Du kannst jederzeit zu uns nach vorn kommen, wenn sie beginnt, dich zu nerven.“
Matt verließ das Cockpit und kehrte genau in dem Moment an seinen Platz zurück, als Anni ihren Champagner serviert bekam.
„Das wurde aber auch Zeit“, knurrte sie ungehalten, wobei nicht genau abzusehen war, ob nun Matt oder die junge Flugbegleiterin mit dieser bissigen Bemerkung gemeint war.
Verärgert über so viel unbegründete Unfreundlichkeit drehte sich Danielle eilig um und prallte abrupt gegen Matt, der sie geistesgegenwärtig auffing. Sprachlos stand sie da und starrte ihn wie gebannt an.
„Verzeihung, Sir“, murmelte sie zwei Sekunden später verlegen und wollte schnell an ihm vorbei, doch seine Hände gaben sie noch nicht frei. Für einen Moment nahm er den dezenten Duft ihres betörenden Parfüms wahr.
„Wofür?“, fragte er schmunzelnd. „Es war mir ein Vergnügen!“
„Ja… ähm…“ Sie lächelte verlegen und befreite sich dann sanft, aber bestimmt aus seinen Armen. „Sorry, Sir, ich muss weiter.“ Hastig drehte sie sich um und eilte den Gang entlang zurück zur Bordkantine. Dort sank sie auf einen Hocker und atmete tief durch. Ihr Herz klopfte zum Zerspringen. Sie schloss die Augen und spürte noch immer seine Hände auf ihren Armen.
`Was ist nur los mit mir?`, überlegte sie, irritiert über ihre Gefühle für diesen völlig fremden Mann. Warum benahm sie sich in seiner Nähe so idiotisch? Ob es wirklich so etwas wie die berühmte „Liebe auf den ersten Blick“ gab?
„Alles okay?“, fragte Chelsea, die dabei war, das Essen in den Wagen einzusortieren.
Danielle schüttelte den Kopf und strich sich nachdenklich über die Stirn.
„Ich glaube, ich werde doch erst einmal ein paar Tage Ferien mit euch machen“, beschloss sie spontan.
„Super!“, freute sich ihre Mitarbeiterin und klatschte begeistert in die Hände. „Mitch wird vor Freude ausflippen, wenn wir seinen Vorschlag annehmen und in sein Strandhaus einziehen.“
Danielle warf ihr einen etwas skeptischen Blick zu.
„Bist du sicher?“
„Na klar! Das wird absolut cool, ein richtig heißer Sommer!“
*
„Was zum Teufel ist denn nur los mit dir?“, fragte Matt ungehalten und warf Anni einen bitterbösen Blick zu.
„Nichts, was soll denn sein?“, gab sie unfreundlich zurück und nippte an ihrem Champagner.
„Dann hör gefälligst auf, deine miese Laune an unschuldigen Leuten auszulassen.“
„Ach daher weht der Wind“, giftete Anni sogleich. „Ich habe deinen Flug-Pinguin beleidigt.“ Sie verdrehte genervt die Augen. „Mein Gott, sie wird es überleben. Ich weiß sowieso nicht, was du an der findest, die hat doch gar kein Format! Jedenfalls nicht so, wie du es verdient hättest.“
Belustigt hob Matt die Augenbrauen.
„Was hätte ich denn deiner Meinung nach für ein Format verdient?“
„Als ob du das nicht wüsstest.“
Vertraulich legte sie eine Hand auf seinen Arm und rieb ihr Knie an seinem Bein, wobei ihr ohnehin schon superkurzes Minikleid noch einige Zentimeter höher rutschte, was dem Herrn auf dem Außensitz der Nebenreihe mit Sicherheit den Blutdruck in schwindelerregende Höhe schießen ließ.
Aber Matt war für Annis so offen zur Schau gestellte Reize nach wie vor unempfänglich. Er rückte merklich von ihr ab und schob auch ihre Hand weg.
„Hör schon auf, sonst verfrachtet dich Mitch in die Holzklasse.“
„Ach der“, maulte sie unverdrossen weiter. „Der hat mir gar nichts mehr zu sagen. Der ist Vergangenheit. Wir beide dagegen…“
„Anni! Schluss jetzt!“
„Warum?“ Sie nippte erneut an ihrem Champagner und zog einen Schmollmund. „Wir beide wären das ideale Paar. Sieh es doch endlich ein, du und ich...“
„Herrgott nochmal! Lass endlich gut sein, du bist nun mal nicht sein Typ, Anni. Mach dich nicht die ganze Zeit zum Clown!“, ließ sich Edward von seinem Fensterplatz aus vernehmen, während er endlich seinen Laptop zuklappte. „Falls dir langweilig sein sollte, kann ich dir ja ein paar Geschäftsunterlagen zu lesen geben, damit du zum nächsten Meeting vorbereitet bist und weniger inkompetente Fragen stellst als beim letzten Mal.“
„Ah, der Herr Immobilien-Macker ist ansprechbar“, höhnte Anni boshaft zurück. „Wie schön, und gleich wieder mit derart geistreichen Kommentaren!“
Sie ließ sich in ihrem Sitz zurückfallen und verschränkte beleidigt die Arme.
Von der Reise nach Tokio hatte sie sich viel mehr versprochen als nur wichtige geschäftliche Konferenzen, an denen sie als neue Teilhaberin einer der größten und erfolgreichsten Immobilienfirmen an der Westküste Kaliforniens zugegen sein musste. Das hatte sie nicht nur als äußerst langweilig und überflüssig empfunden, für Anni war die ganze Geschäftswelt eher nebensächlich. Sie war vielmehr mitgeflogen, weil sie gehofft hatte, Matt während der Reise endlich entscheidend näher zu kommen.
Seit der smarte, gutaussehende Mann vor knapp zehn Jahren von England nach Sunset City, ihrem kleinen Heimatort an der kalifornischen Südwestküste gekommen war, liebte sie diesen Kerl. Und als sie es als seine blutjunge Nachbarstochter endlich geschafft hatte, dass er sie überhaupt wahrzunehmen schien, musste ihm ausgerechnet die Tochter dieser Kartenlegerin begegnen, Marina Cortez, die er dann auch prompt heiratete.
Anni hatte daraufhin begonnen, sich in zahllose Affären zu stürzen, um sich über ihre unerfüllte Liebe zu Matt hinwegzutrösten, doch dieses starke, alles verzehrende Gefühl für ihn blieb, und das tat weh.
Aber dann vor zwei Jahren geschah das Unfassbare: Marina verließ Matt und brannte mit seinem Bruder durch. Tief verletzt und fassungslos blieb er zurück. Er hatte seine Frau über alles geliebt und fühlte sich derart verraten, dass er sich zunächst von allen zurückzog.
In dieser Zeit entwickelte sich zwischen ihm und Anni ein sehr vertrautes Verhältnis, das jedoch seinerseits nie über Freundschaft hinausging. Anni hingegen wohnte nicht nur nebenan, sie blieb auch immer in seiner Nähe, ständig darauf hoffend, er möge vielleicht irgendwann mehr als eine gute Freundin in ihr sehen.
Aber nicht einmal in Tokio, dieser herrlichen mystischen Stadt mit dem interessanten Nachtleben, war sie auch nur einen einzigen Schritt weitergekommen. Matt war charmant, umgänglich und sehr geduldig, was ihre gelegentlichen Launen und Eskapaden betraf, die letztlich allesamt darauf ausgerichtet waren, seine Aufmerksamkeit zu erringen. Aber er schien nicht im Entferntesten daran interessiert, auf ihre offensichtlichen Annäherungsversuche einzugehen.
Und nun saß sie hier in diesem verdammten Flugzeug und musste mit ansehen, wie er irgendeine völlig unbedeutende Stewardess anhimmelte.
Zum Teufel nochmal, womit hatte sie das nur verdient?
Wütend nahm sie ihr Sektglas und trank den Inhalt mit einem Zug.
Matt musterte sie erstaunt.
„Was hast du vor, Anni? Willst du deine schlechte Laune ertränken?“
„Klar“, erwiderte sie patzig. „Was bleibt mir anderes übrig! Rechts von mir ein hoffnungslos arbeitswütiger Tyrann, mit dem man kein vernünftiges Wort wechseln kann, und links ein Kerl, der sein Liebesleben nicht in den Griff bekommt, nur weil er einmal in seinem Leben enttäuscht worden ist.“
„Anni...“, warnte Matt mit drohend verhaltener Stimme. „Übertreib es nicht!“
„Ich würde dich nie enttäuschen“, bohrte sie unbeirrt weiter.
„Das würde ich mir aber an deiner Stelle schriftlich geben lassen, Matt“, mischte sich Edward Hamilton erneut von seinem Fensterplatz aus ein und grinste.
„Halt du dich gefälligst raus!“, fauchte sie ihn an. „Kümmere dich um deine eigene Frau, oder willst du mir erzählen, du hättest „Cruella“ im Griff?“
Edward verschluckte sich an seinem letzten Schluck Cognac und musste husten.
„Na toll“, lästerte Anni sofort und klopfte ihm alles andere als fürsorglich auf den Rücken. „Schon bei bloßer Erwähnung von Sophias Namen verkrampft er sich.“
Matt lachte und stand auf.
„Wo willst du hin?“ fragte Anni misstrauisch.
„Ich hole dir ein Glas Mineralwasser, das wird dir gut tun.“
Bevor sie noch etwas erwidern konnte, war er weg.
Resigniert ließ sie sich in die Polster zurückfallen und seufzte tief. Sie bemerkte den immer noch interessierten Blick des Herrn in der anderen Sitzreihe und lächelte gequält.
Es war wie verhext!
Jeder schaute sich nach ihr um, jeder machte ihr Komplimente, jeder andere wäre sofort zu allem für sie bereit, jeder... nur nicht Matt!
*
Während Santana, Dean und Chelsea vom anderen Ende der Maschine aus begannen, die Passagiere mit dem Essen zu versorgen, räumte Danielle in der vorderen Bordkantine die benutzten Gläser und die leeren Flaschen vom Wagen. Sie war noch immer ganz in Gedanken und bemerkte nicht, wie der Vorhang am Durchgang ein wenig zurückgezogen wurde und jemand in den kleinen Raum trat.
„Ich hoffe, Anni hat Sie nicht allzu sehr verärgert“, hörte sie hinter sich eine angenehme Stimme, die ihr einen unerwartet heißen Schauer über den Rücken jagte.
Sie drehte sich um.
Da waren sie wieder, diese tiefblauen Augen, die ihr sofort Herzrhythmusstörungen verursachten. Sie hoffte nur, dass er ihr nicht ansah, welche Auswirkungen sein bloßes Erscheinen auf ihr Innenleben hatte.
„Anni...“, sagte sie betont langsam und zog dabei die Augenbrauen bedeutungsvoll nach oben „kann mich nicht ärgern. Wer könnte denn ihrer reizenden, liebenswerten Art widerstehen?“
Er quittierte ihre Worte mit einem sympathischen Lachen, mit dem er sie sofort ansteckte.
Doch bereits im nächsten Augenblick besann sie sich auf ihre Arbeit und räusperte sich hastig.
„Was kann ich für Sie tun, Mister…“
Spontan streckte er ihr die Hand entgegen.
„Shelton, Matthew Shelton! Bitte nennen Sie mich Matt.“
„Danielle Belling“, stellte sie sich ihrerseits vor.
„Danielle…“ wiederholte er ihren Namen mit einem leichten Akzent, den sie momentan noch nicht so recht zu deuten wusste. Er hielt ihre zierliche Hand einen Moment länger fest als beabsichtigt und sah sie lächelnd an.
Etwas verunsichert erwiderte sie seinen Blick.
`Seine Augen sind der Wahnsinn...!`, schoss es ihr durch den Kopf. `Tiefe unergründliche Seen, geheimnisvoll, gefährlich…`
`Aus der Nähe ist die Farbe ihrer Augen noch viel schöner, warm und freundlich, absolut einmalig…`, dachte er seinerseits und musste erneut an die fantastische Farbe von funkelndem Bernstein denken. Nur mit Mühe widerstand er der Versuchung, ihr zartes Gesicht zu berühren.
Sie hatte sich zuerst wieder gefasst und holte ihn mit sanfter Stimme zurück in die Wirklichkeit.
„Also, was kann ich für Sie tun… Matt?“, fragte sie.
Er räusperte sich, um seiner Stimme einen festen Klang zu geben.
„Ja also, ich dachte, bevor meine... Bekannte von dem vielen Champagner anfängt, alles doppelt zu sehen, hole ich ihr ein Glas Mineralwasser.“
Danielle lächelte und nahm eine Flasche aus dem Kühlfach.
„Eiskalt und nicht abgestanden“, betonte sie, während sie ein Glas einschenkte.
„Sie haben es bestimmt nicht immer leicht mit den Passagieren.“, mutmaßte Matt.
„Mit der Zeit gewöhnt man sich daran. Es gibt auf jedem Flug die verschiedensten Typen, und zum Glück sind auch viele Nette dabei, die einem die Arbeit leicht machen.“
„So wie Anni?“
Danielle lächelte.
„So wie Sie.“
Matt wollte gerade etwas erwidern, als die Stimme des Piloten aus dem internen Kantinenlautsprecher zu hören war.
„Wer von euch Hübschen ist gerade in der Nähe?“
Danielle drückte auf den Knopf der Sprechanlage.
„Was hast du auf dem Herzen, Mitch?“
„Dani, Schätzchen, mach dem alten Käpt`n eine Freude und komm mal eben kurz vor zu uns. Wir fliegen geradewegs in diesen absolut gigantischen Sonnenaufgang, den musst du dir ansehen! Hank und ich könnten ein Stück zur Seite rücken, du kuschelst dich gemütlich in die Mitte und wir genießen das einmalige Naturereignis. Na, was sagst du?“
Danielle wechselte einen amüsierten Blick mit Matt, während sie erneut auf den Knopf drückte.
„Okay, aber nur, wenn du mir versprichst, dabei das Höhenruder nicht aus den Augen zu lassen.“
„Ach was“, lachte Mitch. „Der Vogel kennt seinen Weg. Na komm schon!“
Sie sah Matt fragend an.
„Möchten Sie mich begleiten? So ein Sonnenaufgang hier oben ist fantastisch!“
„Ja, sehr gerne.“
Er folgte ihr zum Cockpit.
Hank öffnete ihnen nach kurzem Klopfzeichen.
Der gesamte Raum der Flugkanzel war in gleißend rotes Licht getaucht.
„Ich habe jemanden mitgebracht“, wandte sich Danielle an Mitch, nachdem sie eingetreten waren.
Er sah sich kurz um und nickte lachend.
„He, gut dass du da bist, Matt! Dieses Schauspiel hier ist absolut einmalig.“
„Ihr kennt euch?“, fragte Danielle erstaunt.
„Schon seit einer Ewigkeit“, antwortete Mitch. „Er ist ein sehr guter Freund von mir.“
Dann war es still im Cockpit.
Fasziniert starrten alle vier nach draußen.
Linkerhand sah man die glutrote Sonne, die den Himmel in alle nur möglichen Rottöne färbte, zur Mitte hin wurden die Farben dunkler und auf der rechten Seite des Flugzeuges verschluckte das tiefe Schwarz der vergangenen Nacht die herrliche Farbenpracht. Dort leuchteten bereits die ersten Sterne.
„Tag und Nacht in einem einzigen Augenblick“, sagte Danielle andächtig. „Wir fliegen der Zeit entgegen. Das ist faszinierend und so unglaublich schön!“
Matt betrachtete sie heimlich von der Seite. Die Farben des Sonnenaufganges ließen ihr anmutiges Gesicht auf märchenhafte Weise strahlen, während ein verklärtes Lächeln auf ihren leicht geöffneten Lippen lag.
Unter Aufbietung all seiner Willenskraft widerstand er der Versuchung, seinen Arm um ihre Schultern zu legen.
„Ja, es ist kaum zu fassen“, antwortete er leise, und er meinte damit nicht dieses Naturschauspiel, das sich da draußen vor ihren Augen am Himmel abspielte, sondern vielmehr seine unerwartet starken Gefühle für diese fremde junge Frau, die hier in achttausend Metern Höhe neben ihm stand, und die er vor ein paar Stunden noch gar nicht gekannt hatte.
Plötzlich überkam ihn eine unerklärliche, ganz seltsame Unruhe.
Was tat er hier eigentlich?
Mit einem Mal erschien ihm dieses aufkeimende Gefühlschaos total idiotisch. Flirtete er wahrhaftig hier in einem Flugzeug mit einer Unbekannten wie ein frisch verliebter Teenager? Sollte er mit über dreißig nicht etwas mehr Lebenserfahrung haben, um zu wissen, dass solche Sachen nur Ärger einbrachten? Sicher war sie längst vergeben, hatte irgendwo einen Mann oder Verlobten, der auf sie wartete.
Das gab unnötige Komplikationen, Verdruss und verdammten Herzschmerz!
Nein, davon hatte er bereits mehr als genug erlebt...
Das Flugzeug war an der aufgehenden Sonne vorüber und tauchte in die sternenklare Nacht.
Danielle seufzte lächelnd.
„Das ist wirklich jedes Mal wieder ein besonderes Erlebnis“, schwärmte sie und drehte sich um.
Matt war verschwunden.
Mitch, der sich umwandte und ihren Blick bemerkte, hob irritiert die Schultern.
„Der Anblick hat ihn wohl überwältigt“, meinte er leichthin und zwinkerte ihr aufmunternd zu. Sie nickte nur wortlos und verließ eilig das Cockpit.
Enttäuscht und nicht minder verwirrt über Matts eigenartiges Verhalten machte sie sich wieder an die Arbeit.