„Das Essen war wirklich phantastisch“, schwärmte Danielle, als sie später mit Matt Hand in Hand den YACHT CLUB verließ. „Ich würde mir gerne noch ein wenig die Beine vertreten, denn ich habe das Gefühl, das Dessert war eindeutig zu viel.“
Matt lachte.
„Ich hoffe, unsere zum Teil geschäftlichen Gespräche haben dich ansonsten nicht allzu sehr gelangweilt?“
„Nein, im Gegenteil!“, erwiderte Danielle. „Es war wirklich interessant. Die Leute vom Forscherteam sind nett und wirken sehr kompetent, was ihre Arbeit angeht.“
„Ja, ich denke, wir haben die richtige Wahl getroffen“, nickte Matt.
„Und dieser Manuel Cortez ist also der Bruder von deiner... von Marina?“, fragte Danielle etwas vorsichtig, da sie noch nicht einzuschätzen vermochte, wie er auf dieses etwas heikle Thema reagieren würde.
Matt schien jedoch damit kein Problem zu haben, denn er lächelte nachdenklich.
„Du wirst es kaum glauben, aber Manuel wollte damals unbedingt Priester werden. Ich erinnere mich genau, wie entsetzt sein älterer Bruder Stefano und seine Mutter darüber waren. Ständig versuchten die beiden, ihm sein Vorhaben auszureden. Marina war die Einzige in der Familie, die seine Entscheidung akzeptierte. Als er dann ein Priesterseminar erfolgreich abgeschlossen und einen Studienplatz als Theologiestudent in Mexiko City bekommen hatte, muss irgendetwas Schwerwiegendes vorgefallen sein, wobei Madame Dolores und Stefano ihre Finger im Spiel hatten, um ihn endgültig von seinem Berufswunsch abzubringen. Daraufhin kehrte er seiner Familie und seiner Heimatstadt den Rücken und hat sich seitdem nie wieder gemeldet. Bis heute.“
„Es muss schon etwas ziemlich Schlimmes gewesen sein, wenn er sich von seiner Mutter und seinen Geschwistern losgesagt hat“, mutmaßte Danielle. „Vier Jahre sind eine sehr lange Zeit.“
Matt hob die Schultern.
„Keine Ahnung, Marina hat nie darüber gesprochen. Ich weiß, es tat ihr ziemlich weh, dass ihr jüngerer Bruder im Unfrieden von hier fortging, denn die beiden hatten ein sehr enges Verhältnis zueinander. Aber nicht einmal ihr hat er damals gesagt, wohin er wollte. Nun ja, das ist alles Vergangenheit...“ Er sah Danielle lächelnd von der Seite an. „Wer weiß, jetzt wo er zurück ist, versöhnt er sich vielleicht wieder mit seiner Familie, denn was auch damals passiert sein mag, im Grunde haben sie ihm mit ihrem Verhalten sogar einen Gefallen getan.“
„Ach ja?“, entgegnete Danielle etwas skeptisch. „Wie meinst du das?“
„Nun, wenn er wirklich Priester geworden wäre, dann hätte er mit Sicherheit nicht geheiratet und seine hübsche Frau vielleicht niemals kennengelernt. Außerdem habe ich den Eindruck, dass ihm sein jetziger Job ganz gut gefällt.“
Danielle nickte.
„Ja, vielleicht hast du Recht. Zumindest wirkte er recht zufrieden.“
Sie atmete tief durch, während sie langsam die Strandpromenade entlang schlenderten. „Somit wäre also die Familie Cortez endlich wieder vereint.“
Matt warf ihr einen prüfenden Blick zu. Ihre letzte Bemerkung hatte etwas sarkastisch geklungen und erinnerte ihn schmerzhaft daran, was er sich heute, als er von der Hütte in den Bergen nach Hause fuhr, fest vorgenommen hatte: Keine Geheimnisse sollten zwischen ihnen stehen. Danielle hatte die Wahrheit verdient.
Er musste ihr von der letzten Nacht erzählen, dieser merkwürdigen Nacht, die er bei Marina verbracht hatte, und an die er sich beim besten Willen nicht mehr erinnern konnte.
Aber was auch immer dort geschehen war, es war ohne jede Bedeutung für ihn. Er würde nicht zulassen, dass irgendetwas seine wundervolle neue Beziehung zerstören würde, noch bevor diese richtig begonnen hatte.
Unwillkürlich legte er seinen Arm fester um Danielles Schultern.
„Ich möchte dir etwas sagen.“
Sie blieben stehen, er zog sie dicht zu sich heran und sah ihr in die Augen.
„Ich habe mich in dich verliebt, Danielle! Dass du etwas ganz Besonderes bist, spürte ich schon, als ich dich im Flugzeug zum ersten Mal sah. Damals hatte ich nur noch nicht den Mut, um es mir einzugestehen.“
Danielle schaute ihn mit großen Augen an, und an ihrem strahlenden Blick und ihrem Lächeln konnte er deutlich erkennen, dass sie genauso für ihn empfand. Er strich liebevoll über ihre Wange und küsste sie sanft und zärtlich, bevor sie schweigend und eng umschlungen weitergingen.
Als sie in stillem Einvernehmen den Weg zum Pier einschlugen, jenem Ort, wo sie einander zum ersten Mal so nah gewesen waren, fasste sich Matt ein Herz.
„Danielle... ich muss dir noch etwas sagen...“
In diesem Augenblick bemerkten sie die beiden Streifenwagen, die mit grellem Blaulicht in rasantem Tempo unten am Pier entlangfuhren und am Fuße der Treppen, die zur Brücke hinaufführten, anhielten.
Polizisten sprangen heraus und begannen sofort damit, alles abzusperren.
„Was ist denn da los?“, fragte Danielle neugierig.
Auch Matt reckte den Hals.
„Keine Ahnung, da muss irgendetwas passiert sein. Dort hinten kommt noch ein Krankenwagen!“
Zögernd traten sie näher.
„Hey, da sind ja Mitch und Randy...“ Danielle hatte die beiden entdeckt und winkte ihnen zu. „Mitch, hallo!“
„Bleiben Sie bitte zurück!“ Einer der Polizisten verstellte ihnen den Weg. „Sie dürfen den Tatort nicht betreten.“
Matt und Danielle sahen sich erstaunt an.
„Den Tatort? Was meinen Sie?“, fragte Matt beunruhigt. „Was ist denn hier los?“
„Darüber darf ich keine Auskunft geben, Sir“, erwiderte der Polizist, als hinter ihnen ein Dienstwagen des Police Departements stoppte.
Ein dunkelhaariger, sehr sportlich aussehender Detektiv um die Dreißig sprang heraus und kam eilig näher.
„Hallo Matt“, grüßte er im Vorbeigehen flüchtig.
„Stefano“ Matt nickte ihm seinerseits zu.
Der mit „Stefano“ Angesprochene wandte sich sofort an den Polizisten, der noch immer die Absperrung bewachte.
„Wo ist er, Skipper?“
„Liegt dort hinten“, erklärte der Officer und wies in Richtung des Treppenaufganges. „Aber den Krankenwagen hättet ihr euch sparen können, der Kerl ist hinüber.“
Stefano klopfte seinem Kollegen auf die Schulter, während er die Absperrung passierte.
„Du kennst die Vorschriften. Der Herr Staatsanwalt beliebt zu entscheiden, wann jemand tot ist und wann nicht, gemeinsam mit dem diensthabenden Notarzt. Also werden wir brav auf die beiden warten.“
Officer Skipper Davis zuckte gleichgültig mit den Schultern.
„Von mir aus.“ Er zeigte in die Richtung, wo sich Mitch und Randy befanden. „Der Tatverdächtige steht dort drüben. Randy Walker. Nolan nimmt gerade seine Personalien auf.“
„Randy?“, rief Matt entsetzt. „Was hat Randy mit der Sache zu tun? Stefano... komm schon, was ist hier eigentlich los?“
Der Detektiv bedeutete ihm mit einer knappen Handbewegung, sich einen Augenblick zu gedulden und ging hinüber zu den jungen Männern. Er redete mit ihnen, machte sich ein paar Notizen und sah sich einige Papiere an, die Officer Nolan ihm reichte.
Inzwischen hatten sich trotz der späten Stunde bereits zahlreiche Schaulustige versammelt, die in gebührendem Abstand neugierig das Geschehen beobachteten.
Nach ein paar Minuten, die den Wartenden wie eine Ewigkeit erschienen, kam Stefano Cortez wieder zu Matt und Danielle herüber.
Bedenklich schüttelte er den Kopf.
„Stefano! Nun rede endlich, was ist hier los?“, fragte Matt äußerst beunruhigt.
„Tja, ich fürchte, es sieht nicht besonders gut aus für Walker“, meinte der junge Detektiv. „Es ist jemand ermordet worden, und er hat ihn angeblich hier gefunden. Leider gibt es dafür keine Zeugen.“
„Aber... Warum verdächtigt ihr Randy?“, rief Matt aufgebracht. „Das ist absurd, du kennst ihn doch! Und du weißt so gut wie ich, dass er keiner Fliege etwas zuleide tun könnte!“
„Einer Fliege vielleicht nicht, aber dem dort schon“, erwiderte Stefano und deutete mit dem Daumen in Richtung des Toten. „Wir haben gerade seine Papiere gecheckt. Sein Name ist Roger Thorne. Randy kennt den Namen, laut seiner Aussage ist Thorne der Stiefvater von seiner Freundin Kimberly.“
„Ja und? Ich verstehe nicht, was das beweisen soll“, widersprach Matt.
„Nun, das hätte ich auch gedacht, aber vor fünf Minuten waren Rebekka Myers und Kimberly bei mir auf dem Revier. Sie haben mir erzählt, dass dieser Kerl dort seine Stieftochter verprügelt und damit gedroht hat, sie gewaltsam wieder mit nach Hause zu nehmen, und dass Randy daraufhin losgestürzt sei, um ihn zu finden. Glaub mir, Matt, die Ladys hatten verdammt große Angst, dass die beiden Männer aneinandergeraten könnten.“ Stefano lachte bitter. „Und wie man sieht, war diese Sorge ja durchaus begründet.“
Matt schüttelte entschieden den Kopf.
„Ein dummer Zufall, Stefano, weiter nichts! Glaub mir, ich kenne Randy schon seit einer Ewigkeit. Der geht nicht einfach los und bringt einen Menschen um!“
Stefano holte tief Luft und strich sich über seine Stirn.
„Erzähl das mal dem zuständigen Haftrichter.“ Er trat näher und legte seine Hand auf Matts Schulter. „Ich weiß, dass du mit Randy Walker befreundet bist. Und es ist mir auch bekannt, dass er kein gewalttätiger Mensch ist. Aber dennoch spricht momentan leider alles gegen ihn.“
„Was kann ich tun?“, fragte Matt und sah Stefano Cortez eindringlich an.
Der hob die Schultern und wies auf den Staatsanwalt, der soeben mit seinem Gefolge aus einem der Autos hinter ihnen stieg.
„Sorg dafür, dass Randy einen guten Anwalt bekommt... Einen wirklich guten. Er wird ihn brauchen!“
*
Suki sah dem Ende ihrer Schicht mit etwas gemischten Gefühlen entgegen. Schwester Tilly hatte ihr gesagt, dass Mitch sie nach Feierabend von der Klinik abholen würde. Wenn sie nur daran dachte, klopfte ihr Herz gleich doppelt so schnell.
`Sei nicht albern`, versuchte sie sich zu beruhigen und das Kribbeln in der Magengegend zu ignorieren. Das Gefühl an sich war gar nicht so verkehrt, und wenn vielerorts behauptet wurde, es gelänge einem einfach alles, wenn man verliebt sei, so musste wohl was dran sein. Seit Mitchs Anruf war ihr die Arbeit viel leichter von der Hand gegangen, sie war fröhlich und ausgeglichen, und selbst eine übel gelaunte Anni Parker, der sie aufgrund eines Bänderrisses für die nächsten Wochen einen Gehgips hatte verpassen müssen, konnte ihrer guten Laune nichts anhaben.
Aber was erwartete Mitch eigentlich von ihr?
Und was fast noch wichtiger war: Was war sie selbst bereit zu geben?
Immerhin war es noch nicht allzu lange her, dass sie ihre Verlobung gelöst hatte, eine Tatsache, die angesichts der strengen moralischen Grundsätze ihrer Erziehung schon ein halber Skandal war. Und dann gleich eine neue Beziehung? Noch dazu mit einem Amerikaner? Sie konnte das entsetzte Gesicht ihrer Mutter und den missbilligenden Blick ihres Vaters förmlich vor sich sehen. Aber war sie nicht genau aus diesem Grund aus ihrem bisherigen Leben ausgebrochen? Um endlich tun und lassen zu können, was sie wollte?
Genau! Und wenn sie ehrlich zu sich selbst war, dann musste sie zugeben, sie wollte Mitch Capwell, sie wollte mit ihm zusammen sein, mit ihm streiten und flirten und ihn wieder so küssen wie neulich im Weinkeller des OCEANS…
„Also dann, Doktor Yamada, starten wir in den angenehmen Teil des Abends, was auch immer der bringen mag“, sagte sie zu sich selbst und zog entschlossen ihren Arztkittel aus. Im selben Augenblick kam Stacy, Dr. Mendes` Sprechstundenhilfe, aufgeregt hereingestürzt.
„Soeben ist ein Notruf eingegangen! Ein Mann wurde schwer verletzt am Pier gefunden, vielleicht ist er sogar tot. Die Polizei braucht unbedingt einen Notarzt vor Ort...“ Mit einem Blick auf den Kittel, den Suki in der Hand hielt, fügte sie entschuldigend hinzu: „Tut mir wirklich leid, Ihnen den Feierabend zu verderben, aber Dr. Mendes ist vor ein paar Minuten selbst zu einem Notfall gerufen worden. Ein Baby, das einfach nicht die Zeit abwarten konnte.“
„Schon gut, Stacy, ich bin sofort da.“ Suki griff nach der Jacke mit der deutlich sichtbaren Aufschrift „Notarzt“, die ihr die Schwester dienstbeflissen reichte. Einen winzigen Moment lang spürte sie das Gefühl herber Enttäuschung, das sich in ihrem Inneren auszubreiten drohte. Dann jedoch siegte das Pflichtbewusstsein. Eilig folgte sie Stacy hinaus.
Draußen wartete bereits der Notarztwagen auf sie.
Mit aufheulender Sirene lenkte der Sanitäter das Fahrzeug in Richtung Pier.
*
„Randy, ich verhafte dich wegen des dringenden Verdachtes, Roger Thorne ermordet zu haben“, sagte Stefano Cortez mit ernstem Gesicht, und man merkte deutlich, dass es ihm schwerfiel, diese Worte auszusprechen. Während Officer Davis die Handschellen herausholte, um sie dem Verhafteten pflichtgemäß anzulegen, begann Stefano, Randy seine Rechte vorzutragen.
„Du hast das Recht zu schweigen, anderenfalls kann alles, was du sagst, gegen dich verwendet werden. Du hast das Recht auf einen Anwalt. Solltest du dir keinen leisten können...“
Von den Umstehenden nahm keiner bewusst die Worte wahr, die er sagte, ebenso wenig wie Randy selbst, der fassungslos auf seine Handgelenke starrte, um die sich die Handschellen mit einem metallischen Klicken schlossen. Langsam hob er den Kopf und sah Mitch, Suki und Danielle an, die hilflos dastanden und nichts gegen die Maßnahmen der Polizei tun konnten. Kaum merklich schüttelte er den Kopf, als könne er nicht begreifen, was hier mit ihm geschah. Dieser Mann, den er angeblich ermordet haben sollte, war laut Aussagen der Polizei Kims Stiefvater, und er hatte ihn noch nie vorher gesehen. In tiefer Verzweiflung suchten seine Augen schließlich den Blick jenes Mannes, dem er am meisten vertraute.
„Ich war es nicht, Matt! Bitte glaub mir, ich habe das nicht getan“, sagte er verzweifelt.
„Das weiß ich, Randy“, erwiderte Matt aus tiefer Überzeugung heraus und nickte ihm beruhigend zu. „Keine Sorge, ich werde dir helfen. Verlass dich darauf.“
„Wir lassen dich nicht im Stich“, fügte Mitch mit ernster Miene hinzu. „Halt durch!“
Stefano legte Randy seine Hand auf die Schulter.
„Na komm, wir müssen los.“
Im Vorübergehen blickte er Matt bedeutungsvoll an.
„Besorg ihm schnellstens einen Anwalt. Ich werde versuchen, das Verhör durch den Staatsanwalt so lange wie möglich hinauszuzögern.“
Matt nickte.
„Ich werde tun, was ich kann.“
Es herrschte betretenes Schweigen, als der Dienstwagen der Polizei mit Randy davonfuhr. Keiner schien begreifen zu können, was soeben geschehen war.
„Gibt es denn keinen Zeugen dafür, dass Randy den Mann erst gefunden hat, als dieser schon tot war?“, fragte Matt schließlich.
Mitch schüttelte den Kopf.
„Das wäre zu schön, um wahr zu sein. Aber hier war keine Menschenseele zu sehen, als ich vorbeikam. Randy hockte neben dem Toten und kam sofort ganz aufgeregt zu mir, als er mich sah und meinte, hier sei etwas Furchtbares passiert.“ Er schüttelte den Kopf. „Vielleicht war es gar kein Mord!“
„Auf jeden Fall sah das Gesicht des Mannes ganz danach aus, als hätte ihn jemand ziemlich mit der Faust traktiert“, erwiderte Suki. „Aber gestorben ist er allem Anschein nach an einem Genickbruch. Genaueres wird die Gerichtsmedizin herausfinden. Ich werde gleich morgen früh versuchen, konkrete Informationen zu bekommen.“
Mitch legte beschwichtigend seine Hand auf ihren Arm.
„Fahr zurück in die Klinik, Suki. Schreib in Ruhe deinen Bericht und warte dort auf mich. Ich werde im Revier vorbeischauen und komme dich später abholen. Ich möchte nicht, dass du allein nach Hause gehst.“
„Das ist nicht nötig, Mitch, es kann mich jemand von der Klinik nach Hause fahren“, warf sie ein, doch er schüttelte entschlossen den Kopf.
„Ich hole dich ab.“
Zu jeder anderen Zeit hätte sie seine Fürsorge als Bevormundung empfunden und entschieden zurückgewiesen, jetzt aber nickte sie nur und stieg widerspruchslos in den Krankenwagen.
„Würdest du bitte vorher Danielle nach Hause bringen?“, wandte sich Matt an Mitch. „Ich werde Edward aufsuchen und mit ihm reden. Ich hoffe, sein Bruder übernimmt Randys Verteidigung.“
Danielle sah Matt mit großen Augen an.
„Edward Hamiltons Bruder ist Anwalt?“
„Ja.“ nickte Matt. „Einer der Besten, die ich kenne.“
Nachdem die Leiche von Roger Thorne abgeholt und die Polizeiabsperrung aufgehoben worden war, kehrte wieder Ruhe unter dem Pier ein. Die Leute von der Spurensicherung waren mit ihrer Arbeit fertig, und die schaulustige Meute hatte sich verzogen.
Inzwischen senkte sich die Nacht wie ein schwarzer Mantel über den Strand.
Im fahlen Schein des Mondes und der Laternen auf der Brücke löste sich unbemerkt ein Schatten aus den Dünen und bewegte sich eilig in Richtung Strandpromenade.
*
Als Matt bei Edward eintraf, war dieser gerade dabei, seinem angestauten Frust über Sophias heimliches Verschwinden Luft zu machen, indem er mit Sam Dexter telefonierte und sich lautstark beschwerte, dass sein privater Detektiv noch immer keine konkreten Hinweise über ihren derzeitigen Aufenthaltsort vorzuweisen hatte.
Rosita bat Matt höflich herein und zog sich danach sofort wieder diskret in die Küche zurück. Heute war es wohl besser, dem Hausherrn nicht mehr allzu oft über den Weg zu laufen.
„Dann bewegen Sie gefälligst Ihren Hintern und bringen Sie mir Ergebnisse, mit denen ich etwas anfangen kann, Dexter, ansonsten können Sie ab morgen im YACHT CLUB Teller waschen, verdammt“, bellte Edward in den Hörer und bedeutete Matt nebenbei, er solle auf dem Sofa Platz nehmen.
Der setzte sich mit einem mitleidigen Grinsen für den bedauernswerten Menschen am anderen Ende der Leitung, der sich diese wüsten Beschimpfungen anhören musste.
„Das interessiert mich nicht im Geringsten!“, wütete Edward unbeirrt weiter. „Morgen früh will ich handfeste Resultate sehen, ansonsten war das der letzte Auftrag, den Sie in dieser Stadt bekommen haben. Ich hoffe, ich habe mich klar ausgedrückt.“
Wutschnaubend legte er auf und drehte sich zu Matt um. „Nicht zu fassen! Jetzt sind vier Stunden vergangen, und der Kerl hat überhaupt nichts Brauchbares herausgefunden.“
„Sam Dexter?“, fragte Matt und zog ärgerlich die Stirn in Falten. „Arbeitet dieser schmierige Schnüffler immer noch für dich?“
„Na ja, hin und wieder. Er nimmt es mit der Auswahl seiner Methoden nicht so genau, das gefällt mir an ihm“, gab Edward unwillig zu. „Und in diesem Fall brauche ich schnell ein Ergebnis, sehr schnell.“ Er ging zur Bar hinüber. „Auch einen Drink?“
„Ja, warum nicht, ich könnte jetzt einen vertragen.“ Matt beobachtete seinen Geschäftspartner aus den Augenwinkeln heraus. „Was ist denn das für ein Auftrag, der so wichtig ist, dass du dich deswegen so aufregst?“, erkundigte er sich scheinbar beifällig.
Edward kam mit den halb gefüllten Cognac- Gläsern herüber, reichte ihm eines davon und setzte sich.
„Sophia ist weg“, sagte er knapp und nippte an seinem Drink.
Erstaunt sah Matt ihn an.
„Was heißt... weg?“
„Verreist, abgehauen, verschwunden, keine Ahnung! Als ich vom Büro nach Hause kam, sagte mir Rosita, sie sei mit einem Koffer in ein Taxi gestiegen und hätte mir ausrichten lassen, sie wäre bis auf weiteres bei einer Freundin.“
Matt verzog erstaunt das Gesicht..
„Also deswegen hat dich Caroline heute anstelle ihrer Mutter in den YACHT CLUB begleitet! Ich hatte schon Bedenken, dass es Sophia nach dem Klinikaufenthalt vielleicht doch noch nicht so gut geht.“
Edward lachte abfällig.
„Oh, es geht ihr gut, danke der Nachfrage, es geht ihr anscheinend schon wieder viel zu gut!“
„Habt ihr euch gestritten?“
„Ach was, dazu war überhaupt keine Gelegenheit! Seitdem sie aus der Klinik zurück war, ist sie sofort ins Gästezimmer gezogen und hat kaum noch ein Wort mit mir gesprochen. So ein Theater um nichts...“
„Hey“, unterbrach Matt seinen Geschäftspartner missbilligend. „Eine Fehlgeburt kann man ja nun nicht gerade als Nichts bezeichnen! Lass ihr einfach etwas Zeit, in ein paar Tagen ist sie sicher zurück.“
„Ach was“, wehrte Edward mürrisch ab. „So einen Zirkus dulde ich nicht in meinem Haus! Was sollen denn die Leute denken... Und unsere Kinder erst!“
„Die Meinung der Leute hat dich doch noch nie interessiert! Und was deine Kinder betrifft, die sind beide erwachsen“, schmunzelte Matt.
Edward stürzte seinen Drink mit einem Schluck hinunter und atmete dann tief durch.
„Vielleicht hast du ja Recht. Ich lasse mich nur nicht allzu gern zum Narren machen.“ Er blickte den Jüngeren fragend an. „Was ist eigentlich mit dir los? Was machst du um diese Zeit noch hier? Ich dachte, du schwebst mit deiner Kleinen schon lange im siebten Himmel!“
Matt nippte an seinem Glas und stellte es dann auf den Tisch. „Ich bin hier, weil ich dringend deine Hilfe brauche.“
„Um was geht es denn?“, fragte Edward interessiert.
„Um Mord.“
„Was?“
„Du kennst Randy Walker? Er wird beschuldigt, vor ein paar Stunden einen Mann am Strand ermordet zu haben. Aber er war es nicht, da bin ich ganz sicher. Ich möchte, dass du Andrew in Long Beach anrufst, ihm die Sache erklärst und ihn bittest, umgehend zum Polizeirevier zu kommen und sich die Sache anzuhören. Andrew muss Randy helfen, der Junge hat sonst keine Chance.“
Edward sah Matt ernst an.
„Mord in Sunset City? Alle Achtung, das hatten wir lange nicht mehr.“ Er stand auf. „Warte einen Augenblick.“
Es dauerte keine fünf Minuten, als Edward aus seinem Arbeitszimmer zurückkam.
„Ich habe den armen Andrew mit meinem Anruf um diese Zeit glatt aus dem Bett geholt. Aber egal, er macht sich sofort auf den Weg. Wir treffen ihn in einer halben Stunde auf dem Revier.“
Matt atmete erleichtert auf.
Er wusste, Edward und sein Bruder waren einander charakterlich sehr ähnlich. Privat und geschäftlich mitunter rücksichtslos und ohne Skrupel, galten beide als absolut clevere und brillante Strategen. Vielleicht genoss Andrew Hamilton auch gerade deswegen als Strafverteidiger einen ausgezeichneten Ruf.
Wenn einer Randy aus dieser Misere herausholen konnte, dann er.
*
Kaum war Edward aus dem Haus, huschte Caroline ans Telefon und wählte eilig eine Nummer.
„Hallo Brendon? Hier ist Caroline. Wo warst du denn heute den ganzen Tag?... Ah, geschäftlich unterwegs... Nein, ich habe im Internetcafé auf dich gewartet, dort waren wir doch verabredet... Ach was, ist nicht so schlimm...“ Sie lauschte gespannt in den Hörer. Dann zog ein strahlendes Lächeln über ihr hübsches Gesicht. „Jetzt gleich?“, fragte sie scheinbar überrascht. „Also ich weiß nicht, Brendon... Na gut, eine halbe Stunde könnte ich weg, mein Dad ist gerade unterwegs... Okay, dann in ein paar Minuten unten am Strand vor unserem Haus. Bis gleich!“
„Ein heimliches Rendezvous, Schwesterchen?“, erklang plötzlich eine Stimme hinter ihr.
Erschrocken fuhr sie herum.
Ihr jüngerer Bruder lehnte breit grinsend am Türrahmen, die Hände tief in den Taschen seiner zerschlissenen Jeans vergraben. Anscheinend hatte er alles mit angehört.
„Corey“, rief sie ungehalten. „Musst du mich so erschrecken? Was tust du denn hier?“
Sichtlich amüsiert trat er näher. Er war schlank und nicht sehr groß, ein etwas verwegen aussehender, junger Mann von neunzehn Jahren mit strubbligem Haar und blauen Augen, die Caroline in diesem Moment neugierig musterten.
„Ich wohne hier, schon vergessen?“, zog er sie auf.
Caroline verdrehte die Augen und lachte.
„Es ist unhöflich, private Telefongespräche anderer Leute mit anzuhören“, belehrte sie ihn scherzhaft.
„Unhöflich, aber sehr interessant“, entgegnete er schelmisch. „Ein neuer Freund, Cary?“
Sie nickte, bedeutungsvoll lächelnd.
„Jemand, den ich kenne?“, bohrte er unbeirrt weiter.
„Nein, er ist nicht von hier. Er kommt aus Oklahoma, ein total süßer Typ“, schwärmte Caroline. „Ich werde ihn gleich am Strand treffen.“
Corey verzog nachdenklich das Gesicht.
„Was macht ein Kerl aus Oklahoma hier an der Westküste?“
„Was soll die blöde Frage?“, murrte Caroline leicht ungehalten. „Befinden wir uns neuerdings im Sperrgebiet?“
Corey zwinkerte ihr zu.
„Na komm, lass dich nicht aufhalten, Schwesterchen“, grinste er und fügte mit verschwörerischer Mine hinzu: „Schließ die Verandatür nicht ab, damit du nachher wieder herein kannst. Und falls Dad eher zurück sein sollte, dann sage ich, du schläfst schon.“
Caroline strahlte.
„Danke, kleiner Bruder.“
„Keine Ursache. Wozu hat man Verwandte“, meinte er cool und sah ihr nach, wie sie schnell über die Veranda nach draußen in die Dunkelheit verschwand.
*
Danielle saß allein in der Küche, nachdem Mitch sie nach Hause gebracht hatte.
„Was für ein Tag“, seufzte sie und stützte den Kopf auf ihre Hand, während sie in Gedanken die letzten Stunden Revue passieren ließ.
Welch eine schreckliche Geschichte! Ein Mensch hatte gewaltsam sein Leben verloren und ausgerechnet Randy sollte daran schuld sein? Auf gar keinen Fall, dachte sie entschieden, Stefano Cortez musste sich irren!
Stefano - Marinas älterer Bruder. Zufall oder nicht, ständig war sie heute irgendeinem Mitglied der Familie Cortez begegnet. Zuerst Marina im OCEANS, dann hatte sie Manuel im YACHT CLUB kennengelernt und vorhin am Strand Stefano...
Hoffentlich ging das nicht ständig so weiter!
Sie atmete tief durch. Das hatte eigentlich ein verheißungsvoller Abend mit Matt werden sollen. Sie war ganz sicher gewesen, ihn dieses Mal nicht zurückzuweisen. Sie wollte mit ihm zusammensein, ihr Bauchgefühl signalisierte ihr, dass es richtig war…
Ihr fiel ein, dass er ihr vorhin am Strand irgendetwas Wichtiges erzählen wollte. Aber was immer es auch gewesen sein mochte, die Lust auf Romantik war ihnen beiden auf Grund der jüngsten Vorkommnisse erst einmal gründlich vergangen.
Ein Klopfen an der Tür riss sie aus ihren Gedanken.
Sie sprang auf und öffnete.
„Matt?“, rief sie erstaunt. „Wolltest du nicht dringend bei Edward vorbeischauen?“
Er sah sie für einen Augenblick irritiert an.
„Edward?“
„Sagtest du vorhin nicht, sein Bruder soll Randys Verteidigung übernehmen, falls es zur Anklage kommt?“, hakte Danielle verwundert nach, worauf Matt sofort einlenkte.
„Aber ja natürlich... Entschuldige Liebling… Das ist inzwischen alles geklärt.“
Er trat ein und schloss die Tür. Danielle fiel auf, dass er sich bereits umgezogen hatte. Anscheinend musste er sich ziemlich beeilt haben.
Bevor sie weiter darüber nachdenken konnte, zog Matt sie besitzergreifend in seine Arme.
„Du siehst zum Anbeißen aus, Dani“, flüsterte er, ließ seine Lippen über ihre Wange wandern und begann spielerisch an ihrem Ohrläppchen zu knabbern. „Komm, lass uns in dein Zimmer gehen!“
Unwillig befreite sie sich aus seinen Armen und musterte ihn mit erstauntem Blick.
„Was?“
„Ich möchte endlich mit dir allein sein, was denkst du denn?“
„Matt, warte mal...“
„Worauf, Baby?“
´Baby?´, schoss es ihr durch den Kopf. So hatte Matt sie bisher noch nie genannt!
„Wir können doch nicht so tun, als wäre nichts passiert! Diese schreckliche Sache mit Randy und dem Mord... Matt, ich bin noch immer völlig durcheinander!“
Er trat einen Schritt zurück und betrachtete sie mit einem Lächeln, das seine Augen jedoch nicht zu erreichen schien.
„Ja, du hast natürlich Recht. Wie dumm von mir! Aber ich kann nichts dafür, du raubst mir eben völlig den Verstand." Er hob die Hand und begann scheinbar nachdenklich, eine ihrer lockigen Haarsträhnen spielerisch um seinen Finger zu wickeln.
„Weißt du was? Ich habe eine Idee... Lass uns ein paar Tage verreisen, nur du und ich. Vielleicht nach Catalina hinüber, oder nach Hawaii. Egal, wohin du möchtest. Am besten gleich morgen.“
„Morgen?“ Irritiert suchte sie seinen Blick. Was war nur in ihn gefahren?
„Matt, es wäre wundervoll, wenn wir beide ein paar Tage wegfahren würden, aber weshalb so überstürzt? Das geht jetzt auf gar keinen Fall!“
Ihre Reaktion schien ihm unverständlich.
„Und wieso nicht, wenn ich fragen darf?“
„Denk doch bitte an Randy, er braucht dich jetzt! Du bist sein Freund, er verlässt sich auf dich. Du kannst ihn nicht einfach allein lassen. Und außerdem haben wir noch unendlich viel im OCEANS zu tun. Übermorgen ist bereits die Eröffnungsparty...“ Erschrocken brach sie ab und schüttelte den Kopf. „Oh nein, ohne Randy werden wir ganz sicher nicht feiern! Wenn er bis dahin nicht wieder auf freiem Fuß ist, müssen wir es wohl verschieben.“
Matt ließ sichtlich verärgert die Hand sinken, die bislang mit ihrer Haarsträhne gespielt hatte.
„Na gut“, lenkte er widerwillig ein, und die Enttäuschung über ihre Reaktion war ihm deutlich anzusehen. „Dann eben ein anderes Mal. Nächste Woche vielleicht?“
Danielle nickte erleichtert.
„Ja, das klingt gut. Bis dahin hat sich bestimmt vieles geklärt.“
Er erwiderte nichts und wandte sich zur Tür.
Verunsichert folgte Danielle ihm nach.
„Was ist denn los, Matt? Habe ich etwas Falsches gesagt?“
„Natürlich nicht“, erwiderte er unwirsch. „Was glaubst du denn? Auch mich beschäftigt der Mord am Strand.“
Sie nickte und legte beschwichtigend ihre Hand auf seinen Arm.
„Ja, natürlich, entschuldige.“
Er zog sie erneut an sich, doch als er sie zum Abschied küsste, beschlich sie wieder dieses eigenartige Gefühl, als ob sie plötzlich ein Fremder in den Armen hielt.
Vorsichtig, aber bestimmt löste sie sich schließlich aus seiner Umarmung.
„Gute Nacht, Matt. Wir sehen uns morgen.“
Er zwang sich zu einem Lächeln.
„Ich rufe dich an. Gute Nacht.“
Danielle sah ihm nach, als er in der Dunkelheit verschwand. Sie spürte den angenehmen Abendwind und bekam urplötzlich eine Gänsehaut, obwohl ihr eigentlich überhaupt nicht kalt war.
Schnell drehte sie sich um und verschloss die Tür hinter sich.
Mason war hinter der nächsten Hausecke stehen geblieben. Er ärgerte sich, dass auch sein zweiter Versuch, Danielle zu verführen, fehlgeschlagen war.
Ob sie bereits etwas ahnte?
Auf jeden Fall würde er sehr vorsichtig sein müssen, denn die Kleine war nicht dumm...
Ein kaltes Lächeln umspielte seine Lippen. Er hatte Zeit, viel Zeit, und bisher hatte er jede Frau bekommen, die er haben wollte.
Warum sollte es bei dieser hier anders sein?
*
Caroline und Brendon saßen eng umschlungen im weichen Dünengras und küssten sich leidenschaftlich.
„Brendon...“ Nach einer kleinen Ewigkeit löste sich Caroline zögernd aus seinen Armen. „Ich muss zurück, ich möchte nicht, dass mein Dad...“
„Schsch...“ Brendon legte seine Finger sacht auf ihren Mund. „Er ist ganz bestimmt noch nicht zu Hause, wir haben Zeit.“
„Nein, ich...“, wollte sie widersprechen, doch er verschloss ihre Lippen mit einem weiteren Kuss. In der Hitze ihrer Leidenschaft sanken beide schließlich nach hinten ins Gras. Ihre zärtliche Umarmung hätte mit Sicherheit noch viel länger gedauert, wären sie nicht plötzlich durch fremde Stimmen ganz in ihrer Nähe aufgeschreckt.
„Glaub mir, am besten wäre es, wenn wir uns schnell absetzen“, drang die eine, etwas kehlig klingende Stimme vom Strand her deutlich an ihr Ohr. „Wir nehmen die Kohle und verschwinden.“
„Erbärmlicher Feigling“, zischte die andere Stimme mit leicht spanischem Akzent wütend. „Was soll der Blödsinn! Wir gehen nirgendwo hin!“
Brendon und Caroline sahen sich erschrocken an. Sie hoben beide ganz langsam und vorsichtig die Köpfe und versuchten durch das hohe Gras zwischen den Dünen einen Blick auf die Personen zu werfen, die sich nur wenige Meter von ihnen entfernt unterhielten. Im fahlen Licht der Strandlaternen erkannte Brendon, dass die Männer ziemlich kräftig gebaut waren. Der etwas Größere von ihnen trug einen Bart und hatte eine Stirnglatze, während der andere mit seinen schwarzen Haaren, dem Oberlippenbart und den buschigen Augenbrauen wie ein Mexikaner aussah. Sie wirkten beide sehr angespannt und es war offensichtlich, dass sie unerwünschten Zuhörern sicherlich nicht freundlich gesinnt sein würden.
„Hör zu, Ramon“, ließ sich der Größere vernehmen. „Der Job bei Parker ist zu gut bezahlt, als dass ich den einfach sausen lasse, nur weil du die Hosen voll hast. Keiner kann uns etwas nachweisen, und Hughes wird uns notfalls das passende Alibi liefern.“
„Bist du sicher, dass uns diese Ratte nicht verpfeift, um seine Haut zu retten?“, fragte der Mexikaner unsicher.
„Klar bin ich sicher, denn wenn er das tut, ist er tot“, bellte sein Komplize mit rauer Stimme.
Brendon bedeutete Caroline vorsichtig, sich wieder zu ducken, denn er befürchtete massiven Ärger, wenn die beiden sie hier entdecken würden.
Angespannt lauschten sie weiter.
„Ich kann mir nicht helfen, Scotti, aber die Sache gefällt mir nicht, ganz und gar nicht...“, unkte der Mexikaner wieder, worauf der mit „Scotti“ Angesprochene ihn ziemlich unsanft am Kragen seines Holzfällerhemdes packte und dicht zu sich heranzog.
„Halt endlich die Luft an, du verdammter Spinner“, fauchte er. „Parker darf nie erfahren, dass wir ab und zu zweigleisig arbeiten, sonst sind wir den Job los! Ich sage es dir zum letzten Mal: Das war kein vorsätzlicher Mord, sondern ein bedauerlicher Unfall, und keiner kann uns etwas nachweisen, weil wir zu der Zeit, als es geschah, offiziell gar nicht am Strand waren!“ Er ließ seinen derart Kumpel abrupt los, dass dieser ein paar Schritte nach hinten taumelte. „Und nun krieg dich gefälligst wieder ein! Wir sind hier absolut sicher, basta.“
„Ist ja gut“, maulte der Mexikaner unwillig und zog sein Hemd wieder glatt. „Ich könnte noch einen Drink vertragen. Kommst du mit?“
„Klar“, knurrte der Größere. „Das ist das erste vernünftige Wort, das ich heute aus deinem Mund höre, du Penner! Lass uns gehen. Du bezahlst!“
„Wieso ich? Du bist dran“, hörten Caroline und Brendon den Mexikaner noch sagen, während die Männer sich bereits entfernten.
„Was war das denn?“, flüsterte Caroline, nachdem die beiden außer Sichtweite waren. Zögernd und sich vorsichtig umblickend richtete sie sich auf.
Auch Brendon setzte sich und atmete tief durch.
„Ich weiß zwar nicht, wer diese Kerle waren“, meinte er leise. „Aber es ging hier eindeutig um einen Mord, den sie als Unfall tarnen wollen.“
„Ja, und ich habe deutlich gehört, dass Hughes der Auftraggeber dafür war“, erwiderte Caroline aufgeregt.
Brendon erstarrte.
„Wer?“
„Bobby Hudghes“, wiederholte Caroline arglos. „Ein ganz übler Kerl. Der ist in Sunset City bekannt dafür, dass er seine Finger in jedem schmutzigen Geschäft mit drin hat.“
Die Dunkelheit, die in den Dünen herrschte, verhinderte, dass sie sehen konnte, wie Brendons Gesichtsausdruck sich urplötzlich veränderte.
Schlagartig wurde ihm klar, was er soeben gehört hatte, und während er schreckensbleich und wie erstarrt dasaß, hatte er das Gefühl, sein Herzschlag würde jeden Augenblick aussetzen...