Kurz nach Masons erfolglosem Besuch bei Danielle waren Chelsea, Dean und Luke aus dem OCEANS zurückgekehrt und hatten fassungslos angehört, was ihre Mitbewohnerin ihnen berichtete. Ein Mord in Sunset City – das allein war schon unglaublich! Aber dass der bisher einzige Mordverdächtige einer ihrer engsten Freunde sein sollte, lag eindeutig jenseits ihrer Vorstellungskraft. Sie saßen bis weit nach Mitternacht beisammen und zermarterten sich den Kopf darüber, was wohl an diesem Abend am Pier wirklich geschehen sein könnte, denn dass Randy unschuldig war, daran zweifelte keiner von ihnen auch nur eine Sekunde lang.
„Als ich ihn das letzte Mal sah, wollte er nach Kim sehen“, erinnerte sich Danielle. „Er sagte, irgendetwas sei im Café-Shop vorgefallen.“
„Vielleicht hatte ja dieser Vorfall bereits etwas mit ihrem Stiefvater zu tun“, mutmaßte Dean und schüttelte fassungslos den Kopf. „Und nun ist er tot.“
Gespannt warteten sie auf Mitchs Rückkehr von der Polizeistation, doch viel Neues hatte ihr Mitbewohner auch nicht zu berichten.
„Randy hockt völlig apathisch in seiner Zelle und beteuert nur immer wieder seine Unschuld“, erzählte er. „Irgendwie scheint er gar nicht recht zu begreifen, was da mit ihm geschieht.“
„Kein Wunder“, erwiderte Chelsea sichtlich berührt. „Wenn ich mir vorstelle, ich würde plötzlich unter Mordverdacht stehen...“
„Edward Hamilton kam vorhin gemeinsam mit seinem Bruder, dem Anwalt, aufs Revier. Andrew Hamilton hat sich mit Randy unterhalten. Matt und Edward waren die ganze Zeit dabei und konnten Andrew dazu überreden, den Fall zu übernehmen, falls es zur offiziellen Anklage kommt“, teilte Mitch weiter mit. „Die beiden sind auch eben erst nach Hause gegangen.“
Danielle horchte erstaunt auf.
Matt war angeblich die ganze Zeit über mit Edward zusammen bei Randy gewesen? Oder war er nach seinem Besuch hier bei ihr vielleicht erst zur Polizeistation gegangen?
„Was heißt das, falls es zur offiziellen Anklage kommt?“, holte Chelsea sie mit ihrer nächsten Frage aus ihren Gedanken.
„Nun, es werden immer noch Zeugen gesucht. Leute, die vielleicht etwas beobachtet haben, Spaziergänger, Touristen, oder jemand, der zufällig gerade zur Tatzeit noch eine Abendrunde mit dem Hund gemacht hat“, erklärte Mitch.
Chelsea knetete nervös die Hände.
„Hoffentlich findet sich ein Zeuge, der Randy entlastet.“
Während sich Mitch noch einmal auf den Weg zur Klinik machte, um Suki abzuholen, waren die übrigen Bewohner schließlich schlafen gegangen.
Danielle lag in dieser Nacht lange wach und grübelte nach. Die Ereignisse des vergangenen Tages, Matts merkwürdiges Verhalten während seines Besuches bei ihr und nicht zuletzt die Tatsache, dass er sich zuweilen an zwei verschiedenen Orten gleichzeitig aufzuhalten schien, ließen sie nicht zur Ruhe kommen.
Als sie bei Tagesanbruch erwachte, hatte sie das Gefühl, überhaupt nicht geschlafen zu haben. Sie stand auf, duschte eiskalt und beschloss ihren Kreislauf mit ein wenig Jogging in Schwung zu bringen. Rasch zog sie sich um und verließ das Haus.
*
Auch Brendon hatte kaum geschlafen. Immer wieder wanderten seine Gedanken zu den zwei Männern am Strand, deren Gespräch er gemeinsam mit Caroline belauscht hatte. Wenn er nur daran dachte, krampfte sich sein Magen schmerzhaft zusammen.
Auf was für einen Wahnsinn hatte er sich da nur eingelassen? Er kannte Bobby Hughes doch überhaupt nicht! Und nun hatten diese Männer, die Bobby mit Brendons Geld bezahlt hatte, höchstwahrscheinlich Mitch Capwell umgebracht...
„Ich muss mit Hughes reden“, entschloss er sich, als es draußen langsam hell wurde. „Ich muss wissen, was geschehen ist!“
Leider fiel ihm kurz darauf ein, dass er weder eine Telefonnummer noch die Adresse von Bobby besaß.
Verdammt!
Es blieb ihm also nichts weiter übrig, als tatenlos zu warten, bis Hughes sich irgendwann mit ihm in Verbindung setzte.
Oder - er würde einfach nachher zu Beckys Café-Shop gehen und die Besitzerin ganz nebenbei, während er seinen Morgenkaffee trank, nach Bobbys Adresse fragen.
Er sah auf die Uhr.
Der Shop öffnete erst in zwei Stunden. Na gut, so lange musste er sich wohl oder übel gedulden.
Um sich inzwischen irgendwie abzulenken, beschloss er, zum Strand hinunterzugehen.
Langsam schlenderte er am Pier entlang und hing seinen düsteren Gedanken nach, ohne auf das Rauschen der Wellen und die Schreie der Möwen zu achten. Erst als ihn ein Jogger überholte, stutzte er.
Spielte ihm sein überreiztes Gehirn einen Streich, oder war das eben nicht...
„Mitch… Mitch Capwell?“, rief er unsicher.
Tatsächlich blieb der Läufer stehen und drehte sich fragend nach ihm um.
Mitch!!!
Brendon starrte ihn an und hätte vor Erleichterung fast laut gelacht.
„Was willst du?“, fragte Mitch abweisend.
„Ich... na ja...“
Gute Frage, was wollte er von Mitch Capwell?
„Eigentlich wollte ich... dir sagen, dass ich es dir nicht nachtrage, dass du mir gestern eine verpasst hast“, sagte er eilig. „Ich hatte es wohl nicht anders verdient.“
Mitch straffte die Schultern und atmete tief durch.
„Ja, da hast du allerdings recht. Danielle gehört zu den besten Menschen, die ich kenne, und wer sie so mies behandelt, wie du das getan hast…“
„Es tut mir leid“, fiel ihm Brendon hastig ins Wort und versuchte dabei so reumütig wie möglich zu klingen. „Glaub mir, ich habe mein Verhalten schon tausendmal bereut. Es war gemein und rücksichtslos von mir, mit ihrer besten Freundin rumzumachen.“
„Das solltest du vielleicht ihr erzählen, nicht mir“, erwiderte Mitch ungeduldig.
Brendon nickte.
„Deshalb bin ich hier. Ich möchte es wieder gutmachen.“
„Wie schon gesagt, das musst du mit ihr selber klären.“ Mitch überlegte kurz und fixierte Brendon dann mit einem prüfenden Blick. „Du bist doch nicht etwa hierher nach Sunset City gekommen, um ihr wieder Schwierigkeiten zu machen, oder?“
„Nein, bestimmt nicht“, beeilte sich Brendon zu sagen.
„Okay.“ Mitchs Stimme nahm einen bedrohlichen Unterton an. „Ich behalte dich im Auge, mein Freund.“ Er nickte Danielles Ex-Verlobtem noch einmal kurz zu und setzte dann unbeirrt seinen Morgenlauf fort.
„Puh!“ Brendon atmete tief durch und ließ sich in den Sand fallen. „Er lebt, dem Himmel sei Dank!“
Dann aber verfinsterte sich sein Gesicht, und das unangenehme Gefühl im Magen kehrte schlagartig zurück.
Wen, wenn nicht Mitch, hatten Bobbys Schläger dann stattdessen auf dem Gewissen?
*
Blass, übernächtigt und mit tiefen, dunklen Schatten unter den Augen betrat Kim an diesem Morgen die Räume des Police Departements, gefolgt von Becky, die sich nun verantwortlicher denn je für das junge Mädchen fühlte und in großer Sorge um deren Verfassung war.
„Ich möchte zu Randy Walker“, sagte Kim sichtlich eingeschüchtert und blickte Officer Nolan, der soeben seinen Dienst hinter dem Schalter angetreten hatte, verunsichert an. Er musterte sie zunächst prüfend und wies auf ihr blaues Auge.
„War er das, dieser Walker?“
„Nein!“, rief Kim erschrocken. „Das würde Randy niemals tun!“
Nolan nickte mit einem irgendwie skeptischen Blick und gab seinem Kollegen ein Zeichen.
„Doug, übernimmst du mal für mich? Ich begleite die beiden Damen in den Arrest- Raum.“ Er griff nach dem Schlüssel. „Bitte, folgen Sie mir, Ladys.“
Kim schluckte schwer, als sich die vergitterte Tür öffnete und den Blick freigab auf den Raum, der wie ein übergroßer Käfig aussah. Überall Gitterstäbe, dahinter ein Waschbecken, eine Toilette, ein schäbiger alter Tisch mit einem Klappstuhl und...
„Randy!“ Es klang wie ein Aufschrei aus ihrem Mund. Mit drei Schritten war sie bei ihm und fasste durch das Eisengitter nach seinen Händen. „Randy...“ Ihre Stimme erstarb zu einem erstickten Flüstern. „Meine Güte, warum hast du... Ich meine, du... du musstest das nicht für mich tun!“
Randy erstarrte und sah sie mit großen Augen ungläubig an, als würde er gar nicht begreifen, was sie soeben gesagt hatte. Entsetzt zog er seine Hände weg und trat fassungslos einen Schritt zurück.
„Nein...“ Vergeblich versuchte er, den Kloß, der plötzlich in seiner Kehle steckte und ihm die Luft zu nehmen schien, hinunterzuschlucken, und seine Stimme klang heißer, als er schließlich mühsam hervorbrachte: „Ich habe deinen Vater nicht umgebracht, Kim!“
Becky wandte sich an Nolan.
„Officer, könnten Sie uns einen Moment allein lassen? Nur eine Minute, bitte!“
Der Officer sah abschätzend von einem zum anderen. Von diesen beiden Besuchern schien nun wirklich keine Gefahr zu drohen, da konnte er wohl mal eine Ausnahme machen.
„Okay, aber nur kurz. Ich bin vor der Tür, falls irgendetwas sein sollte“, nickte er und ging hinaus
Becky trat neben Kim ans Gitter und maß den Gefangenen mit einem durchdringenden Blick.
„Randy, niemand kann uns hören, also bitte, sag die Wahrheit: Hast du etwas mit dem Tod von Roger Thorne zu tun?“
Randy sah Becky lange an und sah danach Kim fest in die Augen.
„Nein“, sagte er. „Ich habe deinen Stiefvater nicht umgebracht, Kim. Ich wusste ja nicht einmal, wer er war, als er dort lag. Und selbst wenn ich es gewusst hätte, so hätte ich ihm selbst kein Haar gekrümmt. Als ich gestern Abend von dir wegging, wollte ich doch nur mit ihm reden.“ Er senkte den Kopf. „Es stimmt, dass ich große Wut auf ihn hatte, nach allem, was du mir erzählt hast. Aber ihn deshalb umbringen... Nein, daran habe ich niemals gedacht. Bitte glaub mir, Kim!“
Kim schaute ihn an, hob langsam die Hand und berührte mit den Fingerspitzen sanft seine Wange.
„Ich glaube dir“, sagte sie, mühsam die Tränen zurückhaltend.
„Ist dir irgendetwas aufgefallen, als du ihn gefunden hast?“, fragte Becky eindringlich. „Bitte versuche dich zu erinnern! Selbst das kleinste Detail kann wichtig sein.“
„Ich weiß“, nickte Randy resigniert. „Der Anwalt, dieser Andrew Hamilton, der hat mich das auch immer wieder gefragt. Stefano und Matt meinten, ich soll in Ruhe überlegen. Aber da war nichts. Ich bin am Strand entlanggelaufen, und mir fiel auf, dass etwas unter dem Pier lag, also bin ich hin, um nachzusehen, was es war. Da lag er und rührte sich nicht. Ich weiß nicht einmal genau, woran er gestorben ist.“
„Einer der Polizisten meinte, er hätte sich bei einer Prügelei wahrscheinlich das Genick gebrochen. Etwas Genaueres konnten sie jedoch ohne gerichtsmedizinische Untersuchung noch nicht sagen“, erklärte Kim. „Aber mit wem sollte er sich denn prügeln? Er kannte doch niemanden hier!“
„Vielleicht war er betrunken und ist mit irgendwem in Streit geraten“, mutmaßte Becky nachdenklich. „Möglich wäre es ja immerhin.“
„Ist dir am Strand jemand begegnet, oder hast du jemanden weglaufen sehen?“, forschte Kim.
Randy schüttelte mutlos den Kopf.
„Nein, niemanden.“
Verzweifelt sah sich Kim in dem Raum um.
„Irgendwie müssen wir dich aus diesem furchtbaren Loch herausholen, Randy! Es ist nicht auszuhalten hier drin! Dieses Licht, die Schatten von den Gitterstäben überall an den Wänden...“
Randy hob den Kopf und sah sie irritiert an.
„Was hast du eben gesagt?“
„Ich sagte, dass ich das Licht furchtbar finde, und die Schatten an den ...“
„Schatten“, wiederholte Randy und nickte. „Jetzt erinnere ich mich, da waren zwei dunkle Gestalten, ich sah ihre Schatten, wie sie zwischen den Brückenpfeilern verschwanden, als ich näherkam. Ich dachte noch, das wären vielleicht zwei Landstreicher, die eine Bleibe für die Nacht suchen...“ Sein Gesicht hellte sich merklich auf. „Glaubt Ihr, das könnte mir helfen? Ich habe in der ganzen Aufregung einfach nicht mehr daran gedacht, aber eben fiel es mir wieder ein, als Kim die Schatten erwähnte!“
„Das ist enorm wichtig“, rief Kim aufgeregt. „Du musst das unbedingt Andrew Hamilton erzählen!“
„Ja, das werde ich. Er kommt nachher sowieso vorbei.“
Kim lächelte und fasste wieder nach Randys Hand.
„Du kommst schon bald hier raus, du wirst sehen“, sagte sie voller Hoffnung.
*
Madame Dolores saß in ihrem Atelier und legte sich selbst die Karten. Dieses Ritual gönnte sie sich an jedem Morgen, einfach um zu sehen, wie sich der Tag für sie entwickeln würde. Die Karten bestimmten ihre jeweilige Laune, und diese wiederum bestimmte ihren Tag.
Aber heute war irgendetwas anders als sonst. Sie konnte es nicht erklären, es war einfach ein unbestimmtes Gefühl, dass sie zu beherrschen schien, seit sie aufgewacht war.
Sie bemerkte, dass ihre Finger leicht zitterten, als sie die ersten Karten aufdeckte. Und da war es auch schon geschehen. Vor ihr lag eine Karte, die sie bis ins Innerste erzittern ließ.
„Dios mio!“, rief sie erschrocken und starrte auf die Karte in ihrer Hand. „Dem anfänglich Guten folgt das Böse...“ Sie schloss für einen Moment die Augen und gab sich ihren unheilvollen Gefühlen hin. „Ich werde große Freude empfinden, aber nur kurze Zeit, denn dann wird etwas oder jemand diese Freude überschatten, für lange Zeit“, murmelte sie und strich mit den Fingerspitzen über ihre Stirn.
Mit versteinertem Gesicht erhob sie sich schließlich und verließ langsam ihr Atelier, um sich den unvermeidlichen Geschehnissen zu stellen, die sie heimsuchen würden.
*
Ihr Morgenlauf führte Danielle natürlich an Matts Strandhaus vorbei, und ihr Herz schlug sofort schneller, als sie ihn neben seinem Auto vor der Tür stehen sah, wo er sich mit einem Mann im blauen Arbeitsoverall unterhielt. Sie blieb stehen und atmete tief durch.
Er schien sie noch nicht bemerkt zu haben. Sie zögerte kurz, strich sich mit beiden Händen ihr Haar zurück und trat interessiert näher, als sie hörte, wie der Mann im blauen Overall soeben sagte:
„Sie haben wirklich Glück gehabt, Mister Shelton! Den Reifen mussten wir nicht wechseln, der ist okay, denn da hatte Ihnen schlicht und einfach jemand die Luft abgelassen.“
„Was?“, fragte Matt erstaunt und verärgert zugleich. „Wer zum Teufel sollte denn so etwas tun?“
Der Mann hob ratlos Schultern.
„Keine Ahnung, Sir. Tatsache ist, dass sich irgendwer an Ihrem Wagen zu schaffen gemacht hat, als Sie ihn am Ocean Drive abgestellt hatten. Scheint so, als wollte Sie jemand damit ärgern. Ein übler Streich, wenn Sie mich fragen.“ Er rückte sein Basecap zurecht und lachte. „Allerdings muss sich derjenige bei dieser Aktion ziemlich schmutzige Finger geholt haben, denn Ihre Reifen sahen aus, als hätten Sie mit dem Wagen eine Gelände- Rallye veranstaltet!“
Matt nickte nachdenklich.
„Ja, ich gebe zu, ich war in letzter Zeit etwas nachlässig.“
In diesem Augenblick entdeckte er Danielle, die noch immer unschlüssig ein paar Schritte abseits stand, und sein Gesicht hellte sich auf.
„Danielle! Was für eine nette Überraschung! Du bist der erste Lichtblick heute Morgen.“ Er trat auf sie zu, nahm ihre Hand und zog sie leicht zu sich heran, während er sie zur Begrüßung auf die Wange küsste. „Bitte warte eine Sekunde, ich bin gleich für dich da.“
Er wandte er sich wieder an den Mann von der Autowerkstatt.
„Was bin ich Ihnen schuldig, Gary?“
Der Mechaniker zog eine Rechnung aus seiner Tasche und reichte sie ihm.
„Für den Reifen und die Autowäsche gar nichts, Sir. Allerdings haben wir bei der Gelegenheit gleich den überfälligen Check-up durchgeführt und einen dringend notwendigen Ölwechsel vorgenommen.“ Er klopfte symbolisch auf die Motorhaube des Mercedes. „Jetzt ist das Baby wieder fit.“
„Danke Gary“, erwiderte Matt lächelnd. „Ich werde Ihnen das Geld heute noch überweisen.“
Er griff in seine Hosentasche und reichte dem Mann einen Schein als Trinkgeld. Der bedankte sich, nickte Danielle freundlich zu und eilte davon.
„Na, du Spitzensportlerin“, grinste Matt mit einem Blick auf Danielles Outfit. „Darf ich dich zu einem gemeinsamen Frühstück einladen?“
„Normalerweise quäle ich mich hier nicht ohne Grund ab und laufe gegen überschüssige Pfunde an“, entgegnete sie scherzhaft seufzend. „Aber andererseits klingt dieses Angebot einfach zu gut, um es abzulehnen.“
„Na dann… bitte, komm herein.“ Matt vollführte eine einladende Handbewegung in Richtung Eingang. „Der Kaffee wird sofort serviert.“
Während er frischen Kaffee und Toast aus der Küche holte, nahm Danielle auf der Terrasse Platz.
„Darf ich dich etwas fragen?“, begann sie zögernd, als er sich schließlich zu ihr setzte.
„Du darfst mich alles fragen!“
„Wieso hast du mir neulich erzählt, dein Wagen hätte einen Motorschaden gehabt, obwohl eigentlich nur ein Reifen platt war?“
Matt stellte seine Tasse ab und sah Danielle an, als hätte sie gerade chinesisch gesprochen.
„Ich habe... was? Wann soll denn das gewesen sein?“
„Als wir uns gestern Mittag zufällig am Strand trafen, sagtest du, dein Wagen stände mit einem Motorschaden seit dem Abend zuvor am Ocean Drive.“
Matt kniff ungläubig die Augen zusammen.
„Wir haben uns gestern Mittag am Strand getroffen? Bist du sicher?“
Sie musste lachen.
„Ich glaube, du solltest dringend mal ausspannen, Matt. Gestern Abend hast du dich auch so merkwürdig verhalten, als du nach deinem Besuch bei Edward nochmal bei mir warst.“
Matt musterte Danielle, als würde er an ihrem Verstand zweifeln.
Unter seinem durchdringenden Blick wurde sie zusehends unsicher.
„Was ist denn los mit dir? Ist alles in Ordnung?“
„Nichts ist in Ordnung...“, murmelte er geistesabwesend, fuhr sich über die Stirn und griff dann nach ihrer Hand, während er sie mit einem undefinierbaren Blick fixierte. „Was habe ich von dir gewollt, so spät abends?“
Allmählich wurde ihr sein Verhalten unheimlich. Sie versuchte ihre Hand zurückzuziehen, aber er hielt sie fest.
„Matt, bitte, du machst mir Angst! Was hast du denn?“
Sein Griff lockerte sich etwas, aber sein Gesicht behielt diesen seltsam gespannten Ausdruck.
„Entschuldige, Danielle, ich werde dir alles erklären, aber bitte sag mir, was gestern Abend vorgefallen ist, als ich bei dir war!“
„Nun, das war schon ein wenig eigenartig“, begann sie zögernd und suchte vorsichtig nach den richtigen Worten. „Du hast mich Dani genannt, was du vorher nie getan hast. Du hast mir gesagt, wie unwiderstehlich du mich findest und wolltest unbedingt mit mir hinauf in mein Zimmer gehen, aber...“
Sein versteinerter Gesichtsausdruck verhieß nichts Gutes.
„Aber?“
„Ich musste ständig an Randy denken und konnte nach allem, was an diesem Abend geschehen war, keinen klaren Gedanken fassen. Ehrlich gesagt...“ Sie stockte, als sie Matts unheilvollen Blick sah. Es schien, als würden seine dunklen Augen sie geradezu durchbohren.
„Erzähl weiter“, befahl er eisig.
„Na ja, ich fand dein Verhalten irgendwie... unpassend, und du schienst ziemlich verärgert, als ich dich abgewiesen habe. Dann hast du noch den Vorschlag gemacht, dass wir zusammen wegfahren sollten, nur du und ich, am liebsten sofort. Ich bat dich, damit zu warten, bis die Sache mit Randy geklärt sei. Aber...“ Sie musterte ihn irritiert. „Warum fragst du das alles, Matt? Weißt du zuweilen nicht, was du tust?“
„Ich bin mir nicht sicher...“, antwortete er zerknirscht. „Und was war dann?“
„Gar nichts weiter. Wir haben uns verabschiedet. Du sagtest, du willst nach Hause. Ich war nur etwas irritiert, als Mitch kurz darauf heimkam und meinte, du wärst die ganze Zeit über mit Edward und dessen Bruder bei Randy gewesen.“
„Also doch...“
Matt ließ ihre Hand los, starrte ein paar Sekunden gedankenverloren vor sich hin und ballte dann die Fäuste. „Er ist wieder hier… Dieser Bastard!“
Danielle sah ihn mit ständig wachsender Unruhe an.
„Willst du mir nicht endlich erklären, was das alles zu bedeuten hat? Wer ist wieder hier?“
„Mason!“ Er spie den Namen förmlich aus. Dann beugte er sich vor, fasste erneut nach ihren Händen und sah ihr eindringlich in die Augen.
„Du darfst ihm nicht vertrauen, Danielle! Er ist hinterhältig, bösartig und absolut gefährlich!“
„Von wem sprichst du, Matt?“, fragte Danielle, von unbestimmten, dunklen Vorahnungen beschlichen. „Wer ist Mason?“
Matt verzog den Mund zu einem bitteren, fast schmerzlichen Lächeln, bevor er leise erwiderte:
„Mason ist mein Zwillingsbruder.“
*
„Na komm schon, Claudia!“
Manuel nahm die Hand seiner Frau, als sie an dem kleinen Häuschen, das versteckt hinter den Dünen am Strand lag, angekommen waren.
Claudia Cortez sah sich zurückhaltend um.
„Ich weiß nicht, vielleicht solltest du erst einmal allein hineingehen“, meinte sie zögernd, doch ihr Ehemann schüttelte lachend den Kopf.
„Du gehörst zu mir und ich werde nirgendwo ohne dich hingehen“, widersprach er selbstbewusst und legte seinen Arm um ihre Schultern. „Es wird allerhöchste Zeit, dass alle erfahren, was für eine wundervolle Frau ich habe. Vor allem meine werte Familie!“
„Na gut, wie du meinst“, gab sie nach, aber ganz wohl schien ihr dabei immer noch nicht zu sein.
Manuel war stets sehr verschlossen gewesen, was seine Vergangenheit und seine Familie betraf, aber nach und nach hatte sie sich schließlich mit viel Geduld Stück für Stück seiner Vergangenheit zusammengepuzzelt und sich auf diese Art langsam ein Bild von seinen Verwandten gemacht.
Der ersten Begegnung mit seinen Geschwistern sah sie eigentlich recht optimistisch entgegen, aber seine Mutter mit ihrer Wahrsagerei und ihren sogenannten Visionen war für Claudia wie ein Buch mit sieben Siegeln, und jedes Mal, wenn sie an diese Frau dachte, beschlich sie ein ungutes Gefühl, obwohl sie ihr bisher noch nie persönlich begegnet war.
Nun, gleich würde sie wissen, ob ihre Vorahnungen, was Madame Dolores betraf, berechtigt waren oder nicht.
Sie atmete tief durch und folgte Manuel durch den wild blühenden Kräutergarten, bei dem sich ihr sofort Begriffe wie Hexerei und Hokuspokus aufdrängten, weshalb sie unwillkürlich lächeln musste.
Claudia war eine sehr hübsche Frau, klein und zierlich, und heute, an dem Tag, da Manuel sie seiner Familie vorstellen wollte, hatte sie sich mit besonderer Sorgfalt zurechtgemacht. Das helle, modisch geschnittene Kostüm passte hervorragend zu ihrem langen, rabenschwarzen Haar, das ihr offen über die Schultern fiel. Zudem brachte der schmale, knielange Rock ihre schlanken, wohlgeformten Beine vorteilhaft zur Geltung. Mit Makeup war sie noch sparsamer als gewöhnlich umgegangen, um bei Manuels Mutter keinen falschen Eindruck zu erwecken. Sie sie hatte lediglich etwas dezenten Lippenstift aufgetragen, der einen guten Kontrast zu ihrem leicht sonnengebräunten Teint bildete.
Manuel drehte sich um und warf seiner Frau einen amüsierten Blick zu. Dass sie so aufgeregt war, machte sie für ihn nur noch liebenswerter, als sie ohnehin schon war.
Sie beide waren nunmehr seit drei Jahren zusammen, nachdem sie sich oben an der kanadischen Grenze bei Ausgrabungs- und Forschungsarbeiten verschiedener Universitäten für Archäologie kennengelernt hatten. Er liebte ihre unkomplizierte Art, ihr offenes, fröhliches Wesen und ihren Mut, den sie bei ihren beruflichen Einsätzen immer wieder aufs Neue unter Beweis stellte. Sie war seine Freundin, seine Weggefährtin, seine erste große Liebe, mit deren Hilfe er sich etwas Entscheidendes hatte beweisen müssen, tief in seinem Herzen. Deshalb war er auch unsagbar froh gewesen, als Claudia ohne große Umschweife seinen Antrag angenommen hatte, den er ihr damals nach nur sechs Monaten machte. Und nun war der Moment gekommen, da er nach unendlich langer Zeit eisigen Schweigens zum ersten Mal wieder sein Elternhaus betrat, zusammen mit ihr, seiner Ehefrau.
„Bist du bereit?“, fragte er schmunzelnd, um seine eigene innere Anspannung zu überspielen, während er entschlossen an die Eingangstür klopfte.
Claudia nickte und schluckte ihre Bedenken tapfer hinunter, als ihnen auch schon geöffnet wurde.
Ein dunkelhaariger, sehr schlanker junger Mann trat heraus und musterte die Ankömmlinge einen Augenblick lang sichtlich erstaunt, bevor sein Blick an Manuel haften blieb und ein breites Lächeln über sein Gesicht zog.
„Manuel?“
„Ja, Stefano, ich bin es wirklich.“
Die Brüder standen sich sekundenlang wortlos gegenüber und sahen einander an, bevor Stefano schließlich die Arme ausbreitete und den Jüngeren stürmisch umarmte.
Manuel zögerte nur einen Moment, dann erwiderte er die Umarmung.
Schließlich schob Stefano ihn eine Armlänge von sich weg und sah ihm lachend ins Gesicht.
„Lass dich anschauen, kleiner Bruder! Meine Güte, du bist ja richtig erwachsen geworden!“
Manuel nickte etwas wehmütig.
„Vier Jahre sind eine lange Zeit.“
Nach dieser Bemerkung machte sich sekundenlang eine gewisse Verlegenheit zwischen ihnen breit, doch Manuel hatte sich schnell wieder gefasst.
„Stefano, ich möchte dir jemanden vorstellen“, sagte er feierlich und legte den Arm liebevoll um seine Begleiterin. „Das ist Claudia, meine Frau.“
Erst in diesem Moment schien Stefano bewusst zu werden, dass sein Bruder nicht allein gekommen war.
Als seine Augen denen Claudias begegneten, ging eine Veränderung in ihm vor. Einen Augenblick lang starrte er sie an, als sei sie ein Wesen aus einer anderen Welt. Ihm wurde urplötzlich heiß und gleich darauf wieder kalt, und als er wie im Trance ihre Hand berührte, die sie ihm zur Begrüßung entgegenstreckte, schien es ihm, als würde ein elektrischer Stromschlag von oben bis unten durch seinen Körper jagen.
Das war sie – die personifizierte Frau seiner Träume. Ihre Augen, ihr Haar, die ganze Erscheinung... Er stand da wie traumatisiert und sein Verstand drohte sekundenlang auszusetzen, während um ihn herum die Zeit stillzustehen schien.
Auch Claudia rührte sich nicht von der Stelle. Es kam ihr vor, als sei sie von seinem Blick regelrecht gefangen. Plötzlich war die Luft um sie herum spannungsgeladen, voller fesselnder Emotionen, während ihre Hand in seiner lag, und beide eine unbeschreiblich starke Anziehungskraft spürten, die sie nicht nur durch diese Berührung miteinander verband.
Es war wie Magie…
Erst Manuels Stimme holte Claudia und Stefano zurück in die Wirklichkeit.
„Hey, was ist denn los mit euch“, rief er fröhlich. „Nun steht nicht da wie zwei Salzsäulen! Na Bruderherz, sag schon, wie findest du deine neue Schwägerin? Ist sie nicht wunderschön?“
Verlegen schlug Claudia die Augen nieder, während Stefano nur stumm dastand, schluckte und nickte.
„Ja... das ist... wirklich eine Überraschung...“, stammelte er mühsam und kam sich vor wie ein kompletter Idiot. Hastig straffte er die Schultern, brachte schließlich mit einiger Mühe ein schiefes Lächeln zustande und rief nach hinten zur Tür hinein:
„Mama, komm schnell her! Du glaubst nicht, wer hier ist!“
„Sicher hat sie uns schon längst in ihrer Kristallkugel entdeckt“, scherzte Manuel und zwinkerte seinem Bruder zu, während sie ins Haus traten.
„Keine Ahnung“, erwiderte Stefano, der sich inzwischen wieder einigermaßen unter Kontrolle hatte. „Aber wenn sie wirklich bereits von eurem Besuch wusste, hat sie es bisher gut für sich behalten.“
Er geleitete die Besucher durch den Flur in ein geräumiges, helles Wohnzimmer, das einen äußerst freundlichen Eindruck machte und zu Claudias Erleichterung in keiner Weise an Mystik und Zauberei erinnerte.
„Na, enttäuscht?“, grinste Manuel, der ihre Gedanken zu spüren schien. „Sie hat gedacht, sie kommt in eine Zauberhöhle“, wandte er sich lachend an seinen Bruder.
Der nickte und schmunzelte verständnisvoll, während sie alle Platz nahmen.
„Für ihre spirituellen Sitzungen und Wahrnehmungen hat unsere Mutter ein eigenes Atelier“, erklärte er Claudia. „Ansonsten leben wir hier wie eine ganz normale Leute.“
„Kein Reisigbesen hinter der Tür?“, fragte sie mit etwas aufgesetztem Lächeln. „Nicht einmal eine schwarze Katze im Haus?“
„Nein, da muss ich dich enttäuschen. Es gibt auch keinen Zaubertrank zum Frühstück“, ging Stefano auf ihren Scherz ein und war insgeheim froh, dass keiner der beiden ihm anmerkte, wie heftig sein Herz klopfte, wenn er Claudia auch nur ansah. „Ich... werde mal nachsehen, wo Mama steckt...“, meinte er schließlich und wollte gerade aufstehen, als sie eine rauchig klingende Frauenstimme vernahmen:
„Du brauchst mich nicht zu suchen, Stefano, ich bin hier!“
In der Tür stand Madame Dolores in einem dunkelgrünen, fließenden Kaftan und sah mit durchdringendem Blick neugierig von einem zum anderen…
*
„Meine Frau hat ein Taxi nach L.A. genommen? Machen Sie Witze, Dexter?“, bellte Edward so laut ins Telefon, dass Rosita, die gerade Kaffee eingoss, fast die Kanne fallen ließ.
Caroline und Corey warfen sich einen vielsagenden Blick zu.
„Ich verzieh mich dann mal“, raunte Corey seiner Schwester zu und winkte spielerisch mit dem Autoschlüssel. „Wenn du schlau bist, tust du das selbe, bevor er noch ganz ausrastet!“
„Feigling“, flüsterte Caroline zurück und grinste.
„Himmelhergottnochmal!“, schrie Edward und schlug mit der Faust auf den Tisch, dass das Geschirr gefährlich klirrte. „Ich weiß selbst, dass L.A. eine Millionenstadt ist! Dann lassen Sie sich gefälligst etwas einfallen!“ Er warf das Handy auf den Tisch und griff sich an die Stirn, während sein Blick auf seine Tochter fiel, die ihn abwartend musterte.
„Zum Verrücktwerden ist das! Deine Mutter verschwindet einfach ohne ein Lebenszeichen, im Büro türmt sich die Arbeit, und jetzt haben wir auch noch diesen Mordprozess am Hals! Verdammt!“
„Was für einen Mordprozess, Daddy?“, fragte Caroline interessiert. Unwillkürlich musste sie an ihr heimliches nächtliches Rendezvous mit Brendon denken, und damit verbunden an das merkwürdige Gespräch der beiden unbekannten Männer, das sie dabei zufällig belauscht hatten.
„Am Pier unten ist letzte Nacht ein Mann ermordet worden, und Randy Walker steht unter dem Verdacht, etwas damit zu tun zu haben“, berichtete Edward kurz und griff nach der Morgenzeitung.
Caroline stockte der Atem.
„Randy Walker?“, wiederholte sie fassungslos. „Das kann unmöglich dein Ernst sein!“
„Ich glaube ja auch nicht, dass dieser Junge jemanden umgebracht hat“, meinte Edward achselzuckend. „Allerdings spricht momentan alles gegen ihn. Matt hat Andrew gebeten, seine Verteidigung zu übernehmen.“
„Und wird Onkel Andrew es tun?“, fragte Caroline gespannt.
„Sicher. Aber bisher wurde noch nicht einmal offiziell Anklage erhoben. Vielleicht melden sich irgendwelche Zeugen, die etwas beobachtet haben und ihn entlasten können.“
Caroline hatte es plötzlich sehr eilig.
„Ich muss los. Bis später, Daddy!“
Edward ließ die Zeitung sinken.
„Wo willst du denn hin?“
„Ich... ich treffe mich mit einigen Studienfreunden, und dann wollen wir noch zur Uni fahren“, erwiderte sie hastig und eilte zur Tür. „Bye Dad!“
*
Fassungslos starrte Danielle Matt an.
„Du hast einen Zwillingsbruder?“
Er nickte nur stumm, die Lippen wütend zusammengepresst. Es dauerte ein paar Sekunden, bis er schließlich leise sagte:
„Ich dachte, dass wusstest du.“
Sie schüttelte den Kopf.
„Nein.. Ich meine, ja, ich wusste zwar, dass du einen Bruder hast, aber ein Zwillingsbruder?“
„Der Alptraum meines Lebens“, meinte er sarkastisch.
Danielle überlegte kurz.
„Warte mal... sehe ich das richtig... dann war er es, der damals mit deiner Frau durchgebrannt ist?“
„Ja genau.“ Matt sah sie an und zog die Stirn in Falten. „Und ich befürchte, dass er eben dabei ist, das selbe mit dir zu versuchen.“
„Mit mir?“ Danielle schüttelte den Kopf. „Aber ich hatte doch keine Ahnung, dass er...“ Sie stutzte und sah ihn ungläubig an. „Willst du etwa damit sagen, Marina wusste gar nicht, dass er… na ja, dass nicht du es warst, mit dem sie...“
„Nein“, unterbrach Matt ihre Vermutung. „Sie wusste es. Anfangs vielleicht noch nicht, dafür liebt Mason seine kleinen, gemeinen Spielchen viel zu sehr. Aber als sie Sunset City mit ihm verlassen hat, da wusste sie genau, wer er war.“
„Warum tut er das?“, fragte Danielle verständnislos.
Matt stand auf und begann rastlos auf der Veranda auf und ab zu wandern, die Hände tief in den Hosentaschen vergraben.
„Er empfindet anscheinend ein geradezu perverses Vergnügen daran, alles zu zerstören, was mir etwas bedeutet. Das war schon immer so. Einer seiner zahllosen Therapeuten, die mein Vater damals auf ihn hetzte, hat einmal gesagt, Mason gäbe mir die Schuld daran, dass Mutter nach unserer Geburt gestorben ist. Er wolle sich auf diese ganz spezielle Art an mir rächen.“
„Was?“ Danielle konnte es nicht fassen. „Wie kommt er denn darauf?“
Er lachte bitter.
„Ich bin nach ihm geboren und er scheint überzeugt davon, dass sie noch am Leben wäre, wenn es mich nicht gegeben hätte.“
„So ein absoluter Blödsinn“, meinte Danielle kopfschüttelnd. „Konnte ihm das denn niemand ausreden?“
„Anscheinend nicht. Mein Vater schleppte ihn zu unzähligen Psychiatern, die ihn auf jede nur denkbare Art und Weise zu therapieren versuchten, aber danach wurde es eher noch schlimmer. Ich kenne ihn nur als bösartig und grausam.“
„Aber ihr beide seht euch so unglaublich ähnlich“, sagte Danielle nachdenklich. „Es ist nicht zu fassen.“
„Genau das ist mein Problem. Er stellt etwas an und lässt jeden glauben, ich sei es gewesen. Es ist wie ein Alptraum, der niemals endet.“ Matts Augen wanderten in die Ferne, hinaus aufs Meer. „Die letzten zwei Jahre hat er mich in Ruhe gelassen, aber während dieser Zeit gab es auch niemanden in meinem Leben, der mir etwas bedeutet hätte.“
Danielle war aufgestanden und legte ihm beschwichtigend ihre Hand auf die Schulter.
„Jetzt, wo ich weiß, dass er hier ist, wird er mich ganz sicher nicht mehr täuschen.“
Matt drehte sich zu ihr um, erhob sich ebenfalls und nahm sie in seine Arme. Eindringlich sah er sie an.
„Danielle, ich möchte nicht, dass du meinetwegen verletzt wirst.“
„Keine Sorge, ich kann sehr gut auf mich aufpassen“, beruhigte sie ihn lächelnd. „Dein Zwilling hat keine Chance.“
*
Brendon sah verdrossen auf die Uhr. Nun saß er schon über eine halbe Stunde in diesem Café-Shop, doch die Besitzerin war bisher noch nicht aufgetaucht. Er hatte die Kellnerin nach ihr gefragt, aber das Mädchen meinte nur, Becky hätte etwas Dringendes zu erledigen und würde so bald nicht zurückkommen. Was konnte an einem Morgen wie diesem dringender sein, als ein starker Kaffee und die Informationen, die er unbedingt brauchte!
„Hey... So früh schon auf den Beinen?“, schreckte ihn plötzlich eine bekannte Stimme aus seinen Gedanken auf.
Bobby Hughes rückte sich einen Stuhl zurecht und ließ sich gegenüber Brendon nieder, während er die Bedienung heranwinkte.
„Einen Kaffee, aber einen, der nicht einschläfert, sondern sein Geld wert ist“, orderte er ziemlich unfreundlich. Den empörten Blick, den ihm die Kellnerin zuwarf, während sie bereits zum nächsten Tisch weitereilte, schien er gar nicht zu bemerken, denn er wandte sich sogleich mit einem anzüglichen Grinsen an den jungen Mann aus Oklahoma.
„Kumpel, du siehst aus, als hättest du eine wilde Nacht hinter dir!“
„Das kann man wohl sagen“, schnaufte Brendon wütend und beugte sich dann vertraulich zu Bobby hinüber. „Na los, erzähl schon, was ist schiefgegangen bei unserem Plan?“
„Äh... schiefgegangen?“, spielte Bobby den Unschuldigen. „Wieso schiefgegangen? Wovon redest du, Mann?“
Brendon hätte ihn am liebsten am Kragen gepackt und geschüttelt, aber ein Blick auf die Leute an den unmittelbar benachbarten Tischen veranlasste ihn, sich zu beherrschen.
„Du weißt ganz genau, was ich meine“, zischte er wütend. „Wen haben deine bescheuerten Schläger letzte Nacht umgebracht?“
Bobbys Augen wanderten blitzschnell in alle Richtungen, bevor er mit zusammengekniffenen Augen antwortete:
„Unsere Schläger, mein Freund! Du hängst genauso mit in der Sache drin, wie ich. Vergiss das nicht!“
„Wie könnte ich“, meinte Brendon sarkastisch. „Also rede endlich... Wen?“
„Diesen Piloten, der seit kurzem wieder in der Stadt ist. Mitch Capwell“, flüsterte Bobby. „Aber ich schwöre, das war nicht so geplant, ein bedauerlicher Unfall.“
Brendon lachte spöttisch auf und beugte sich dann weiter über den Tisch.
„Du mieser Halunke... Lüg mich gefälligst nicht an! Mitch Capwell ist nicht tot!“
„Schön wär’s“, erwiderte Bobby und verstummte schnell, als die Bedienung ihm den Kaffee brachte. „Scott und Ramon haben mir selbst erzählt, was passiert ist“, fuhr er anschließend im Flüsterton fort. „Sie hatten ihm ein oder zwei Faustschläge verpasst, da ist er mit dem Kopf an irgend so einen Holzpfosten geknallt und hat sich höchstwahrscheinlich das Genick gebrochen.“
„Das mag ja sein“, knurrte Brendon hinter vorgehaltener Hand. „Aber es war nicht dieser Mitch, den sie erwischt haben. Der ist mir vorhin am Strand begegnet, und er schien mir verdammt lebendig zu sein.“ Er blitzte Bobby durchdringend an. „Hast du mich verstanden, Spatzenhirn? Mitch Capwell ist am Leben!“
„Das gibt es doch nicht...“ Fassungslos starrte Bobby zurück. „Und wen haben die beiden dann...?“
Brendon zuckte ratlos mit den Schultern.
„Keine Ahnung, sag du es mir!“
„Brendon?“
Die Stimme ließ die beiden Männer erschrocken verstummen.
Unmittelbar hinter ihnen stand Caroline und sah misstrauisch von einem zum anderen. „Ich muss unbedingt mit dir reden, Brendon“, verlangte sie, und man merkte ihr deutlich an, wie ärgerlich sie war. Mit einem geringschätzigen Seitenblick auf Bobby fügte sie hinzu: „Allein!“
„Tut euch keinen Zwang an, ich bin schon weg!“ Bobby schnappte seinen Kaffeebecher und nickte Caroline mit einem zynischen Grinsen zu, was diese jedoch ignorierte. Ohne sich noch einmal umzudrehen setzte er sich an einen anderen freien Tisch.
„Was hast du mit diesem Kerl zu schaffen?“, fragte Caroline entsetzt, als sie allein waren.
„Gar nichts“, log Brendon. „Er kam vorhin an meinen Tisch und wir haben uns ein wenig unterhalten, weiter nichts.“
„Und worüber?“
„Ach... so allgemein eben.“
„Das war Bobby Hughes... sagt dir der Name etwas?“, forschte Caroline mit zusammengekniffenen Augen.
Als Brendon zögerte, fügte sie mit gesenkter Stimme hinzu: „Erinnerst du dich an das Gespräch, das wir letzte Nacht am Strand belauscht haben? Da war unter anderem die Rede von Hughes.“
Brendon nickte so beifällig wie möglich.
„Ja natürlich, klar... jetzt fällt es mir wieder ein.“
„Sie sagten, Hughes würde sie nicht verpfeifen, weil er angeblich selbst in der Sache mit drinsteckt“, flüsterte Caroline und machte eine bedeutungsvolle Pause, bevor sie leise weitersprach. „Brendon, ich weiß jetzt, was gestern am Strand geschehen ist!“