Robyn war nicht einfach nur so durch die Stadt gebummelt, wie ihre Mutter vermutete, nein, sie hatte ein ganz bestimmtes Ziel: das Haus in der Ocean Avenue. Sie wollte endlich den Mann wiedersehen, der einen ziemlich großen Eindruck bei ihr hinterlassen hatte, seitdem er vor drei Tagen so unverhofft auf der Ranch ihrer Eltern in Oklahoma aufgetaucht war. Mitch Capwell ging ihr nicht mehr aus dem Sinn, und je mehr sie über ihn nachdachte, desto sicherer war sie, auch in seinen Augen ein gewisses Leuchten entdeckt zu haben, wenn er in ihrer Nähe war und sich mit ihr unterhalten hatte. Sicher war er nur zu schüchtern oder einfach zu beschäftigt, sie im PACIFIC INN oder in der Klinik bei Danielle zu besuchen. Also beschloss Robyn, den Spieß umzudrehen und Mitch in seinem eigenen Zuhause einen Überraschungsbesuch abzustatten.
Sie bog in die Ocean Avenue ein, die sich parallel zur Strandpromenade bis weit hinter den Pier erstreckte. Staunend betrachtete sie die kleinen und größeren Strandhäuser. Jedes sah anders aus, aber alle hatten ein wichtiges Detail gemeinsam: jedes besaß eine großzügige Veranda mit Meerblick.
„Fantastisch“, dachte Robyn und stellte sich vor, mit Mitch von einem dieser Balkons aus den Sonnenuntergang zu beobachten, verliebt in seine starken Arme gekuschelt...
„Suchen Sie jemanden, Miss?“, unterbrach ein alter Mann, der auf seinen Krückstock gestützt stehengeblieben war, ihren Tagtraum.
Robyn nickte etwas zerstreut.
„Ocean Avenue 1499“, antwortete sie schnell.
Der Mann besann sich kurz und wies dann mit seinem Krückstock geradeaus.
„Noch ein kleines Stück die Straße hinunter bis zum nächsten Abzweig, Miss. Das sonnengelbe Eckhaus.“
„Oh, vielen Dank“, erwiderte sie strahlend und lief weiter, als sie ein ziemlich klappriger Chevy überholte und genau dort mit quietschenden Bremsen hielt, wo der Alte ihr Ziel beschrieben hatte. Ein Mann stieg aus und eilte mit einem großen Blumenstrauß ins Haus.
Robyns Herz machte einen unkontrollierten Sprung.
Mitch!
Sie hatte ihn sofort erkannt.
Er war zu Hause! Und er hatte Blumen dabei!
Sie konnte ihr Glück kaum fassen. Bestimmt hatte er vor, sie zu besuchen und hatte sich extra dafür die Blumen besorgt...
Beschwingt lächelnd beschleunigte sie ihre Schritte und steuerte mit wippendem Pferdeschwanz zielstrebig auf den Eingang mit dem leuchtend gelben Anstrich zu.
*
Gut gelaunt schloss Mitch die Eingangstür auf und stieß sie etwas nachlässig mit dem Fuß hinter sich wieder zu. Leider bemerkte er in seiner Eile nicht, dass sie dabei nicht ganz ins Schloss fiel.
Als er die Küche betrat, saß Suki noch immer auf ihrem Platz am Fenster. Nachdenklich starrte sie hinaus, ohne wirklich etwas zu sehen. Die Ereignisse der letzten Tage hatten sie traumatisiert. Nach außen hin war sie über ihre Entführung und den Tod von Jin bemerkenswert tapfer hinweggekommen und hatte sogar das erste Mal, seitdem sie aus San Francisco weggegangen war, mit ihren Eltern telefoniert.
Aber wie es tief in ihrem Inneren aussah, das konnte Mitch nur ahnen. Gesagt hatte sie nichts, doch er spürte es an der Art, wie sie ihn ansah und immer wieder vorsichtig seine Nähe suchte. Sie war aufgewühlt, verunsichert, und sie trauerte leise und für andere unsichtbar um den Mann, den sie seit ihrer Kindheit gekannt und dem sie bis vor nicht allzu langer Zeit sehr nah gestanden hatte. Jin Kiyoshi würde immer einen Platz in ihrem Herzen haben, als guter, zuverlässiger Freund, der sie ein Stück ihres Weges begleitet und trotz ihrer Trennung versucht hatte, sie bis zur letzten Sekunde seines Lebens zu beschützen.
Mitch glaubte ihre Gefühle gut zu verstehen. Er hoffte, sie würde mit ihm darüber reden, irgendwann, wenn sie dazu bereit war. Doch bis dahin wollte er nicht unnötig in offenen Wunden rühren. Es musste ihm genügen, ihr die Sicherheit zu geben, dass er für sie da war, wenn sie ihn brauchte.
Fürs erste würde er sich damit begnügen, von Zeit zu Zeit dieses wunderbare Lächeln, das er so an ihr liebte, auf ihr Gesicht zurück zu zaubern.
Und er wusste auch schon, wie.
*
Robyn wollte eben anklopfen, als sie merkte, dass die Haustür nur angelehnt war. Zögernd spähte sie durch den Türspalt.
„Hallo? Jemand zu Hause?“
Sie bekam keine Antwort. Den Finger schon fast am Klingelknopf zögerte sie abermals.
Wäre es nicht viel besser, wenn sie Mitch hier in seinem Zuhause mit ihrem Besuch überraschte? Immerhin war er in Crawford ebenfalls um ihr Elternhaus geschlichen, ohne sich vorher lautstark anzukündigen!
Langsam und vorsichtig trat sie ins Innere des Hauses und sah sich neugierig um, doch es war im Inneren zunächst zu dunkel, um allzu viel erkennen zu können.
Richtig, aus dem Raum dort hinten drangen Stimmen.
Erwartungsvoll ging Robyn darauf zu und sah, dass die Tür ebenfalls nur angelehnt war. Nun waren die Stimmen deutlich zu verstehen.
Sie erkannte Mitch, die andere Stimme gehörte einer Frau.
Vielleicht eine der Mitbewohnerinnen?
Neugierig trat Robyn näher...
*
„Ich glaube es nicht!“
Alex schirmte mit der Hand die Augen gegen die Sonne ab, die ihn blendete. „Täusche ich mich oder ist das Manuel, der dort seelenruhig daher spaziert?“
Claudia folgte seinem Blick. Tatsächlich, ihr Ehemann kam am Strand entlang auf sie zugeschlendert, als hätte er alle Zeit der Welt für sich gepachtet.
„Manuel, was soll denn das?“, fuhr Alex ihn ungehalten an, kaum dass sich sein jüngerer Kollege in Hörweite befand. „Wir waren bereits vor einer halben Stunde hier verabredet! Alle warten auf dich! Wo zum Teufel treibst du dich die ganze Zeit herum? Und warum ist dein Handy ausgeschaltet?“
Manuel sah ihn erstaunt an.
„Wir waren verabredet? Sorry, aber das muss mir entfallen sein. Was gibt es denn Wichtiges?“
Alex schnaufte wütend und verdrehte fassungslos die Augen.
„Es ist ihm entfallen! Ich glaube es nicht!“ Er trat auf Manuel zu und funkelte ihn böse an. „Wir haben hier einen Auftrag zu erfüllen, falls du dich daran noch erinnerst! Die erste Höhle soll heute gesprengt werden, und bei der Abnahme vor wenigen Minuten muss ich plötzlich feststellen, dass mein Kollege anscheinend schlampig gearbeitet hat.“
„Alex!“, ging Claudia energisch dazwischen und maß ihren Kollegen mit einem vorwurfsvollen Blick. „Wie kannst du nur so etwas behaupten!“
„Entschuldige bitte, Claudia, aber wie würdest du es nennen, wenn dein Mann anscheinend nicht einmal in der Lage ist, ein einfaches Messgerät ordnungsgemäß abzulesen?“
„Was willst du damit sagen?“, fragte Manuel verunsichert.
Alex atmete tief durch und zwang sich zur Ruhe. Er spürte, dass irgendetwas mit Manuel nicht stimmte. Sein Freund und Mitarbeiter benahm sich bereits seit einiger Zeit nicht mehr wie sonst, und bevor nicht klar war, was ihn bedrückte, wollte er ihn nicht noch zusätzlich mit Vorwürfen belasten, mochten sie auch noch so berechtigt sein.
„Also gut, ich werde es dir erklären“, meinte er etwas versöhnlicher und begann, von seiner Abschlussbegehung und dem anschlagenden Messgerät am Ende des Höhlenganges zu berichten.
Sie waren alle drei so ins Gespräch vertieft, dass keiner von ihnen bemerkte, wie der Sprengmeister sich heimlich zurückzog. Er schloss die Absperrung, nachdem er sich vergewissert hatte, dass sich keiner der Anwesenden mehr im unmittelbaren Gefahrenbereich befand.
Auf die ansehnliche Geldsumme, die sein Auftraggeber ihm im Falle einer termingerechten Sprengung auf sein Privatkonto überweisen würde, wollte er unter keinen Umständen verzichten, nur weil einer dieser Archäologen übervorsichtig war und plötzlich Panik verbreitete. Der Kerl konnte ihm erzählen, was er wollte, er würde jetzt handeln!
Entschlossen hob er die Hand und gab seinen Leuten das vereinbarte Zeichen, während er ihnen durch sein Sprechfunkgerät einen eindeutigen Befehl erteilte.
*
Huntington
Stefano konnte sich nicht erinnern, jemals mit seinem Dienstwagen so schnell gefahren zu sein und hoffte inständig, seine strengen Kollegen von der Highway-Parole mögen gerade ihre wohlverdiente Pause machen. Er trat das Gaspedal bis zum Anschlag durch und konnte den Wagen in dieser Geschwindigkeit kaum in den Kurven halten. Sie durchfuhren Huntington auf der Interstate und bogen dann auf eine der Landstraßen ab, um von da aus eine Abkürzung über einen unbefestigten Weg zu nehmen.
Eine riesige Staubwolke hinter sich aufwirbelnd, hielten sie schließlich vor dem Obdachlosenheim am nördlichen Stadtrand.
„Glaubst du, der Brief ist noch da?“, fragte Stefano atemlos, während sie schnellen Schrittes auf den Eingang zustrebten. „Wenn Danielle ihn nur unter die Matratze geschoben hat, dann könnte er vielleicht herausgefallen sein, als sie die Betten transportiert haben!“
„Du bist wirklich der geborene Optimist“, erwiderte Matt sarkastisch und sah sich in der kleinen Vorhalle suchend um. „Hallo, ist jemand da?“
„Was wollen Sie?“
Eine mürrisch aussehende, ältere Mexikanerin in einer viel zu großen Kittelschürze und unordentlich aufgestecktem schwarzen Haar, kam ihnen aus einem der Räume entgegengeschlurft. „Wirr öffnen erst geggen abend, jetzt Heim ist geschlossen!“
„Wir wollen ja auch nicht hier übernachten, Senjora“, erwiderte Stefano und zückte seinen Dienstausweis. „Sunset City Police Dep...“ Weiter kam er nicht, denn die Mexikanerin, aller Wahrscheinlichkeit nach hier als Putzfrau beschäftigt, hob sofort abwehrend beide Hände und trat schnell ein paar Schritte zurück.
„Oh no no no no Senior, nix Policia, ich errliche Arbeit in California, nix illegal, bitte Senjor, musse sorgen für kleine Kinderr und Mann sein krank, nix können zallen Medizin für Doktorre, wenn ich nix habben Arbeit...“
„Hey, ganz ruhig, Senjora“, unterbrach Stefano rasch ihren Redeschwall. „Wir sind nicht wegen Ihnen hier, wir suchen die Möbel, die gestern hierher geliefert wurden.“
Die Mexikanerin unterbrach augenblicklich ihr Gezeter und starrte die beiden Männer verständnislos an.
„Möbbel, hier? Nix neue Möbbel, alles alt, schlechte Zimmerr...“
„Herrjeh!“, entfuhr es Stefano, während er genervt die Augen verdrehte. „Senjora, por favor, denken Sie nach, gestern Mittag, ein großes Auto mit alten Möbeln…“ Er machte eine weit ausholende Armbewegung. „Alte Schränke, Tische, Betten...“
„Wir suchen die Betten“, ergänzte Matt schnell, und die Frau guckte noch eine Spur einfältiger drein.
„Betten...“ wiederholte sie sichtlich überfordert, als die beiden Männer eifrig nickten.
„Nu, komen mit...“ Sie setzte sich zögernd in Bewegung und bedeutete den beiden, ihr zu folgen. „Betten...“, murmelte sie kopfschüttelnd. „Policia suchen Betten! Lo que es un mundo loco! “
Matt und Stefano warfen einander einen vielsagenden Blick zu und trotteten hinter ihr her. Die Frau führte die beiden Männer in den Flur, auf dem sich die Zimmer für die Obdachlosen befanden, die zum Glück um diese Tageszeit allesamt noch leer standen.
„Bitte, Mister Policia, gucken an, ob finden richtige Möbbel... und Betten!“
Matt seufzte.
„Sieht ganz danach aus, als müssten wir die berühmte Nadel im Heuhaufen suchen. Wühlen wir uns also durch das gesamte Bettenparadies des Obdachlosenheimes!“
Die beiden krempelten die Ärmel hoch und machten sich unter den argwöhnischen Blicken der mexikanischen Putzfrau an die Arbeit.
*
„Ich bin begeistert“, holte Mitch Suki aus ihren Gedanken.
Erstaunt drehte sie sich nach ihm um.
„Begeistert? Wovon?“
„Von dir natürlich! Du fängst tatsächlich an, auf mich zu hören.“
„Wie kommst du denn auf diesen Blödsinn?“
Er lachte schelmisch.
„Nun, ich habe gesagt, du sollst dich nicht wegbewegen, bis ich zurück bin, und voila – da sitzt sie noch.“
„Okay, Träumer“, erwiderte Suki und stimmte wider Willens in sein Lachen ein, während sie sich von ihrem Platz erhob. „Schluss mit der Faulenzerei, jetzt wird gekocht, sonst gibt es heute Abend lange Gesichter in der WG! Reichst du mir mal eben eine Gemüseschüssel aus dem Schrank?“
„Geht nicht“, erwiderte Mitch, der beide Hände dazu benötigte, die Blumen hinter seinem Rücken zu verbergen. „Setz dich bitte wieder.“
Suki hielt in ihrer Bewegung inne und betrachtete ihn erstaunt.
„Was ist denn los mit dir? Zuerst läufst du mitten in der Arbeit weg und lässt mich hier warten, dann kommst du zurück und machst dich darüber lustig, dass ich… Was versteckst du da eigentlich die ganze Zeit vor mir?“
Er stöhnte nur scherzhaft über ihre Neugier und grinste etwas unbeholfen.
„Es ist eine Überraschung für dich, Shugar, aber wenn du so weiter bohrst, dann kannst du sie vergessen. Also los, wieder hinsetzen und die Augen schließen!“
Suki musterte ihn skeptisch.
„Ich warne dich, Mitch Capwell, ich hasse Frösche, Klapperschlangen und Insekten mit langen Beinen! Also was es auch ist, das du da versteckst, komm mir nicht mit irgendwelchem Getier, sonst schrei ich die Nachbarschaft zusammen.“
Er zwinkerte ihr fröhlich zu.
„Das Risiko gehe ich ein. Also los, hinsetzen und die Augen zu!“
Die Neugier siegte.
Suki nahm wieder Platz und schloss die Augen. Kurz darauf vernahm sie das Rascheln von Papier.
„Wow, sind das Prachtkerle!“
„Mitch“, warnte sie eindringlich und hörte ihn lachen.
„Keine Sorge! Ich will dich ganz bestimmt nicht vergraulen.“
Suki saß still da und wartete mit geschlossenen Augen. Nein, schummeln würde sie nicht, dann verdarb sie sich ja die ganze Vorfreude. Angestrengt überlegte sie, was Mitch sich wohl für sie ausgedacht hatte. Seine Fröhlichkeit wirkte ansteckend, und seit den schrecklichen Ereignissen der letzten Tage war seine liebevolle Fürsorge wie Balsam für ihre verwundete Seele. Sie fühlte sich geborgen in seiner Nähe und musste sich eingestehen, dass es ihr am liebsten gewesen wäre, wenn er sich zu ihr gesetzt und sie einfach wieder in den Arm genommen hätte.
Sie wartete, lauschte, atmete tief durch und dachte daran, dass es an der Zeit war, sich selbst einzugestehen, was sie immer und immer wieder hartnäckig zu verdrängen versucht hatte: Sie hatte sich in Mitch verliebt, in seine unkomplizierte Art, seine entwaffnende Ehrlichkeit, seinen jungenhaften Charme und nicht zuletzt in sein fantastisches Aussehen.
Ihr Herz machte unkontrollierte Sprünge, als sie seine leise Stimme vernahm:
„Du darfst die Augen jetzt aufmachen.“
Sie blinzelte vorsichtig, während ihr gleichzeitig ein betörend zarter Duft in die Nase stieg.
„Mitch!“ Die Augen vor Überraschung weit aufgerissen starrte sie Sekunden später genau auf einen riesigen Strauß herrlicher, dunkelroter Rosen. „Was… wie… warum… Oh Mitch, die sind wunderschön!“
„Nicht halb so schön wie du“, erwiderte er, und erst jetzt bemerkte sie, dass er vor ihr niederkniete.
„Was... was tust du denn da?“
Mitch legte die Rosen auf Sukis Knie ab und ergriff ihre Hände.
„Ich möchte dich etwas fragen.“
Sie hatte das Gefühl, als säßen sie beide auf einem Karussell, und alles um sie herum würde sich in diesem Augenblick zu drehen beginnen. Im Grunde ihres Herzens ahnte sie bereits, was er vorhatte, aber sie wollte es hören, aus seinem Munde, und sie wollte jedes einzelne Wort davon genießen.
„Ja?“, hauchte sie leise und erwartungsvoll.
Mitch schluckte, und der Blick aus seinen blauen Augen war ernst und doch voller Wärme und Zärtlichkeit.
„Wir beide kennen uns zwar erst kurze Zeit, aber die paar Wochen mit dir waren unvergleichlich schön und haben mir bewiesen, dass es die berühmte Liebe auf den ersten Blick gibt. Ich liebe dich, Shugar, ich habe mich in dem Moment in dich verliebt, als du mir damals die Tür meines eigenen Hauses vor der Nase zugeschlagen hast, weil du mich für einen Landstreicher oder was auch immer gehalten hast und mich nicht hereinlassen wolltest. Du bist wunderschön, du bist mutig und klug, du kannst mit mir streiten, dass die Fetzen fliegen...“ Er atmete tief durch und sah sie bedeutungsvoll an. „Kurz gesagt, du bist genau die Frau, mit der ich mein Leben teilen möchte. Und deshalb frage ich dich jetzt und hier: Suki Yamada, möchtest du mich heiraten?“
Sie sah ihn aus ihren schönen, dunklen Mandelaugen an, unfähig sich zu rühren.
Dann plötzlich rollte eine Träne über ihr Gesicht.
„Hey... nicht doch...“, flüsterte Mitch und strich mit seinen Fingerspitzen vorsichtig über ihre Wange, etwas verunsichert darüber, dass sie weinte. „Du musst ja nicht sofort antworten. Ich meine, wenn du noch Zeit brauchst...“, stotterte er etwas unbeholfen, doch Suki begann unter Tränen zu lachen und fiel ihm schluchzend um den Hals.
Er hielt sie im Arm und wartete geduldig, bis sie sich einigermaßen beruhigt hatte.
Was hatte er nur angerichtet? Hätte er nicht einfach noch ein paar Tage oder Wochen warten können, bis sie sich von den schrecklichen Erlebnissen ihrer Entführung erholt hatte?
Schuldbewusst streichelte er ihr schwarzglänzendes Haar.
„Es tut mir so leid, Suki, bitte sei mir nicht böse, es war sicher kein besonders guter Zeitpunkt für einen Antrag. Du bist noch verwirrt von dem, was in den letzten Tagen geschehen ist, und dann komme ich Idiot daher und frage dich…“
Sie befreite sich aus seinen Armen und schniefte.
„Typisch Mann! Du verstehst mal wieder gar nichts.“
„Was?“ Erwartungsvoll sah er sie an.
Hastig wischte sie sich die Tränen von den Wangen und nickte dann strahlend.
„Mitch… ich kann mir nichts Schöneres vorstellen, als deine Frau zu werden!“
Er traute seinen Ohren kaum.
„Suki! Ist das wahr?“
„Aber ja!“
„Und es ist nicht zu überstürzt?“, fragte er vorsichtig. „Ich meine, ich habe ja noch nicht mal einen Ring für dich... Aber gleich morgen gehen wir und suchen den Schönsten für dich aus!“
„Ich brauche keinen Ring, um zu wissen, dass du mich liebst, Mitch. Ich empfinde ja genau dasselbe für dich, auch wenn ich bisher noch nicht bereit war, das zuzugeben“, sagte sie ernst.
Er sah sie an und konnte sein Glück kaum fassen.
„Shugar! Für einen winzigen Augenblick dachte ich, du lässt mich abblitzen wie damals an der Tür.“
„Hättest du dann aufgegeben?“
„Niemals!“
„Das liebe ich an dir.“
Mitch lächelte bedeutungsvoll.
„Erinnerst du dich, als ich dir sagte, wenn Danielle wieder gesund ist, dann mieten wir eine Yacht und segeln hinaus. Wir werden noch ein wenig warten und dann vielleicht mit ihnen unsere Verlobung feiern, draußen auf dem Meer, bei Sonnenuntergang, Kerzenschein und einem tollen Festmahl! Ich glaube, die beiden können am allerbesten verstehen, wie das ist, wenn sich zwei Menschen auf den ersten Blick ineinander verlieben. Sie haben es ja selbst erlebt.“
„Ja, das ist wahr. Ich gebe zu, ich habe sie immer heimlich darum beneidet“, erwiderte Suki und lächelte.
Voller Zärtlichkeit sahen sie einander an. Ihre Blicke tauchten ineinander und hielten sich fest.
Als ihre Lippen sich berührten, schien es ihnen, als ob die Zeit für einen Moment lang stillstehen würde. Sie hielten sich in den Armen und küssten sich voller Leidenschaft, als wollten sie einander nie mehr loslassen.
Keiner von ihnen bemerkte Robyn, die an der halb geöffneten Küchentür stand und das glückliche Paar fassungslos anstarrte, bevor sie sich abrupt abwandte und wie gehetzt davonlief.
*
Manuel blickte einen Moment lang betreten zu Boden.
„Es tut mir wirklich leid, Alex. Als ich den hinteren Teil der Höhle untersucht habe, stellte ich fest, dass die Batterie des Suchgerätes nachließ. Daraufhin habe ich es ausgeschalten und den Rest des Ganges erst einmal ohne technische Hilfsmittel abgesucht. Als ich dann herauskam, bin ich sofort zur anderen Höhle hinüber, um Claudia bei den Gesteinsproben zu helfen und habe die Batterie darüber völlig vergessen.“
„Die habe ich gestern gewechselt, als ich merkte, dass sie leer war“, erklärte Claudia. „Das Gerät ist wieder voll funktionstüchtig.“
Verständnislos schüttelte Alex den Kopf.
„Meine Güte, Manuel, wie kann man nur so etwas vergessen? Was zum Teufel ist in den letzten Tagen nur mit dir los? Du bist doch sonst absolut zuverlässig!“
„Lass ihn in Ruhe, Alex“, verteidigte Claudia ihren Ehemann erneut. „Wir werden den Rest des Tages nutzen, um die besagte Stelle genau zu untersuchen. Dann können die Männer eben erst morgen früh sprengen.“
„Lass gut sein, Claudia“, meinte Manuel und nahm Alex das Messgerät aus der Hand. „Ich werde hineingehen und meine Arbeit ordnungsgemäß zu Ende bringen. Allein!“
Er zögerte kurz und sah die beiden einen Moment nachdenklich an. „Aber vorher muss ich euch noch etwas Wichtiges sagen.“
In diesem Moment ertönte ein lautes Signalhorn.
Erschrocken fuhren Alex, Claudia und Manuel herum.
Alex begriff als Erster.
„Das darf doch nicht wahr sein! Nein!“ Bevor seine beiden Kollegen ihn zurückhalten konnten, eilte er hinüber zur Absperrung. „Sofort abbrechen! Sie dürfen nicht sprengen!“
„Bleiben Sie zurück, Mann!“, rief ihm einer der Arbeiter aufgeregt zu, doch Alex war nicht zu halten. Er durchbrach die Absperrung und rannte am Höhleneingang vorbei in Richtung des Bauwagens, vor dem der Sprengmeister mit seinen Leuten stand.
„Aufhören!“, schrie er, so laut er konnte. „Das ist lebensgefährlich!“
Sein Schrei ging teilweise unter in dem ohrenbetäubenden Knall der Explosion, der den mächtigen Felsen erschütterte.
Mit unheilvollem Donnergrollen und dabei ganze Gesteinsbrocken aus dem Fels reißend, sackte die unterirdische Höhle in sich zusammen und hüllte kurz darauf alles ringsum in eine riesige, graue Staubwolke aus Sand, Geröll und herumfliegendem Gestein.
Für Bruchteile von Sekunden bebte die Erde unter Alex` Füßen. Dann spürte er plötzlich einen harten Schlag gegen seinen Kopf.
Er hörte nicht mehr die entsetzten Schreie der jungen rothaarigen Frau, die mit einer blonden Dame einen Strandspaziergang gemacht hatte und neugierig unweit der Absperrung stehengeblieben war.
Um ihn herum wurde alles schwarz und er fiel in eine bodenlose Tiefe...
*
„Ach komm schon, Dean, ich möchte wissen, was sich hinter dieser Wand verbirgt“, beharrte Chelsea neugierig. „Irgendetwas muss doch da sein!“
„Ja natürlich... Felsen“, erwiderte Dean und seufzte resigniert. „Aber gut, du gibst ja doch nicht eher Ruhe, bist du es genau weißt.“
Er nahm das Brecheisen, das er von oben mitgebracht hatte und begann mit kräftigen Schlägen gegen die recht brüchig aussehende Ziegelwand vorzugehen. Tatsächlich gaben die Steine sehr schnell nach, zerbröckelten und fielen hintenüber ins Dunkel.
„Na also, ich wusste doch, dass dahinter ein Hohlraum ist“, frohlockte Chelsea. „Warte, ich hole eine Lampe.“
Sie war schon halb auf der Treppe, als ein eigenartiges Geräusch sie innehalten ließ.
Es gab eine kurze Erschütterung, dann ein dumpfes, unterirdisches Grollen, das rasend schnell näher kam. Sekunden später erreichte eine Druckwelle aus Sand und losem Gestein die Wand des Kellers, die Dean soeben einreißen wollte.
Er hatte keine Chance.
Die Steine wurden mit ungeheurer Kraft nach innen in den Raum gedrückt und begruben ihn gnadenlos unter sich.
*
Danielle richtete sich erschrocken in ihrem Bett auf. Die Detonation unten am Strand war bis in die Klinik zu spüren gewesen. Der Monitor über ihrem Bett schlug sofort Alarm, obwohl die Werte der Patientin völlig normal waren.
„Was war das?“, fragte Jill die herbeieilende Schwester, die wenig später das piepsende Gerät abstellte.
„Ich glaube, sie haben eine der Felsenhöhlen gesprengt“, erwiderte diese und schüttelte lachend den Kopf. „Ein kleiner Knall und schon spielen unsere teuren, hochsensiblen Geräte total verrückt.“
„Schade um die Höhlen“, wandte sich Danielle wehmütig an ihre Mutter, als die Schwester das Zimmer wieder verlassen hatte. „Ich bin zwar noch nicht lange hier, aber ich liebe dieses herrliche Panorama unten am Strand. Der Ozean und die Felsen, diese einzigartige, bezaubernde Natur, so gigantisch und stark. Zumindest so lange, bis der Mensch sie mit seiner Technik bezwingt und nach seinen Vorstellungen zu formen versucht.“
„Aber wenn ich das vorhin richtig verstanden habe, dann hat dein neuer Freund mit dieser Firma einen entscheidenden Anteil daran, was dort gerade geschieht“, meinte Jill missbilligend.
„Ja, das stimmt, und er hat es sich auch nicht leicht gemacht“, lenkte Danielle ein. „Die Sprengungen sind dringend erforderlich, damit dieses Ferienprojekt gebaut werden kann. Und von dem verspricht sich die Stadt einen entscheidenden finanziellen Aufschwung, vielleicht lebt sie sogar eines Tages sogar davon.“
„Wie meinst du das?
„Nun, die Ferienanlage zieht eine Menge zahlungskräftige Touristen an, auch außerhalb der Saison. Touristen bringen Geld. Und Geld braucht eine Kleinstadt wie Sunset City dringend. Die Zeiten, wo die Saison so viel Einnahmen bringt, dass es für den Rest des Jahres reicht, sind hier lange vorbei.“
Jill maß ihre Tochter mit einem anerkennenden Blick.
„Du hast dich gut informiert.“
„Ich lebe jetzt hier, Mum“, erinnerte Danielle lächelnd.
Jill nickte etwas wehmütig.
„Ja, ich weiß. Das klingt nicht unbedingt so, als wolltest du irgendwann wieder nach Crawford zurückkommen.“
Danielle blieb ihr die Antwort schuldig. Sie kannte nur zu gut den heimlichen Wunsch ihrer Eltern, sie möge irgendwann auf die Ranch zurückkehren. Doch inzwischen wusste sie, dass sie ihnen diesen Wunsch nicht erfüllen konnte. Leise seufzend legte sie den Kopf zurück in die weichen Kissen und hing für einen Augenblick ihren Gedanken nach.
Sie dachte an die unvergesslichen zärtlichen Augenblicke mit Matt, an ihre erste Begegnung im Flugzeug, an das unverhoffte Wiedersehen vor Mitchs Haus, an ihren ersten Kuss draußen am Ende des Piers, an den Ausflug mit der weißen Yacht, mit der sie beide in den Sonnenuntergang gesegelt waren, an die gemeinsamen Stunden und die wunderbare erste gemeinsame Nacht in seinem Haus, an Matts streichelnde Hände, sein Lächeln und seine heißen Küsse, und ein wohliger Schauer durchfuhr sie.
Bald, sehr bald würde alles wieder so sein.
Und dann hoffentlich für immer.
Draußen fuhr einer der Rettungswagen mit aufheulenden Sirenen vom Hof.
Danielle hob den Kopf, und zum hundertsten Mal an diesem Tag wanderte ihr Blick zur Uhr.
„Hoffentlich findet Matt den Brief rechtzeitig, um Randy vor einer Verurteilung zu bewahren.“
Jill sah ihre Tochter mit einem nachdenklichen Lächeln an.
„Es hat sich nichts geändert“, stellte sie fest.
„Was meinst du?“, fragte Danielle erstaunt.
„Nun, du hast schon früher alles für deine Freunde getan. Wenn jemand von ihnen in Not war, dann kannte deine Hilfsbereitschaft keine Grenzen. Das habe ich immer an dir geschätzt.“
„Wozu hat man Freunde, Mum“, erwiderte Danielle. „Wenn ich nicht noch so schwach in den Knien wäre, dann hätte ich Matt begleitet.“
„Du liebst ihn sehr, nicht wahr?“, fragte ihre Mutter leise.
Danielle nickte.
„Ja, das tue ich.“
*
„Bitte erheben Sie sich von Ihren Plätzen!“
Während alle Anwesenden der Aufforderung des Gerichtsdieners folgten, nahmen die Geschworenen und die Herren in ihren schwarzen Roben um Richter Callaghan Platz.
Nachdem sich alle wieder gesetzt hatten und endlich Ruhe im Gerichtssaal eingekehrt war, sah der Richter zur Geschworenenbank hinüber.
„Nun, meine Damen und Herren Geschworenen, darf ich fragen, ob Sie in der Strafsache „Der Staat Kalifornien gegen Randy Walker“ zu einem einhelligen Urteil gekommen sind?“
Einer der Geschworenen erhob sich.
„Ja, das sind wir, Euer Ehren.“ sagte er mit fester Stimme und reichte dem Gerichtsdiener einen zusammengefalteten Zettel, den dieser an Callaghan übergab. Der Richter setzte seine Brille auf, entfaltete umständlich das Blatt Papier und las, was dort stand.
Randy saß da und verfolgte die Szene mit angehaltenem Atem. Die Sekunden, bis Richter Callaghan aufsah und die Brille wieder abnahm, erschienen ihm wie eine Ewigkeit.
„Ich werde jetzt das Urteil verkünden. Angeklagter, erheben Sie sich bitte.“
Mit zitternden Knien stand Randy auf. Andrew Hamilton erhob sich ebenfalls von seinem Platz und nickte seinem Mandanten zu.
„Wir stehen das gemeinsam durch“, raunte er in perfekt gespielter Zuversicht. Randy hätte trotz seiner Angst fast laut gelacht.
„Gemeinsam? Sie und ich in einer Zelle?“
Die Lippen zu einer dünnen Linie zusammengepresst starrte Andrew geradeaus und blieb seinem Mandanten die Antwort schuldig.
Der Richter räusperte sich.
„Randy Walker, hiermit erkläre ich Sie des Mordes an...“
An der Tür zum Gerichtssaal entstand plötzlich ein Tumult, so dass Callaghan abbrach und ungehalten mit seinem Holzhammer auf den Tisch schlug.
„Ruhe im Gerichtssaal!“
Einer der Sicherheitsbeamten, die vor der Tür postiert waren, kam eilig durch den Gang nach vorn und flüsterte ihm aufgeregt etwas zu.
„... neues Beweismaterial... Detektiv Cortez... Justizirrtum...“ Randy konnte nur Bruchteile dessen verstehen, was dort zwischen den Männern getuschelt wurde.
„Was ist los?“, raunte er Andrew aufgeregt zu. Der hob nur unwissend die Schultern und trat dann entschieden hinter seinem Tisch hervor.
„Euer Ehren, falls dieses Vorkommnis in irgend einer Weise mit meinem Mandanten zu tun hat, so verlange ich, umgehend...“, begann er, doch Richter Callaghan hob mit sichtlich verärgertem Gesicht die Hand und bedeutete ihm wie auch dem Staatsanwalt, nach vorn an den Richtertisch zu kommen.
Atemlos verfolgten alle Anwesenden die Szene.
Die drei Männer diskutierten im Flüsterton miteinander, und jeder, der Andrew kannte, bemerkte, wie er binnen Sekunden seine altbewährte Sicherheit zurückgewann und mit überlegenem Grinsen seine Forderungen stellte, während James T. Baker verzweifelt zu versuchen schien, eine eventuelle Wende im Prozessgeschehen zu verhindern.
Schließlich erhob sich der Richter und bat energisch um Ruhe im Saal.
Augenblicklich trat gespannte Stille ein.
„Ich habe soeben erfahren, dass neues, brisantes Beweismaterial aufgetaucht ist, das diesen Urteilsspruch unter den gegebenen Umständen erst einmal außer Kraft setzen dürfte“, verkündete Richter Callaghan. „Ich unterbreche daher die Verhandlung, um einen wichtigen zusätzlichen Sachverhalt zu klären und bitte die Geschworenen, sowie die Herren Staatsanwalt und Verteidiger, mir unverzüglich in mein Büro zu folgen.“
Eine halbe Stunde später wurde Randy Walker von dem Mord an Roger Thorne in allen Anklagepunkten freigesprochen.