CASTILLO CORPORATIONS in Caracas (Venezuela)
Die Vorstandsmitglieder von CASTILLO CORPORATIONS in der Metropole Caracas in Venezuela drängten mit angespannten Gesichtern in den riesigen Konferenzraum und nahmen an der langen Tafel Platz.
Cynthia, die persönliche Assistentin der kürzlich auf tragische Weise verstorbenen Firmenchefin Joanna Castillo betrat den Raum als Letzte. Die knapp dreißigjährige, dunkelhaarige Schönheit im lindgrünen, maßgeschneiderten Kostüm sah sich kurz um und begrüßte einige Mitglieder der Firmenleitung mit einem kurzen Kopfnicken, bevor sie sich ebenfalls setzte. Während ihre dunklen Augen, deren genauen Farbton man auf Anhieb nicht zu definieren vermochte, in den Gesichtern der Anwesenden zu lesen versuchten, vermied sie es gleichzeitig, ans Ende der Tafel zu sehen, von wo aus sie der leere Chefsessel Joannas wie ein für immer verlorenes Status-Symbol anzustarren schien.
Cynthia war eine Frau, die wusste, was sie wollte.
Solange sie denken konnte, war sie in dieser Firma tätig. Sie hatte sich durch Fleiß, aber auch durch Hartnäckigkeit und eine große Portion gesunden Egoismus hochgearbeitet, bis sie endlich ihr Ziel erreicht hatte. Als persönliche Assistentin und sogenannte rechte Hand der Chefin war sie für Joanna Castillo unentbehrlich geworden. Sie hatte Zugang zu allen Transaktionen der Firma und fungierte zugleich als enge Beraterin für ihre Arbeitgeberin. Sie erwies sich als äußerst clever und hatte trotz ihres noch recht jugendlichen Alters von Anfang Dreißig sehr schnell ein sicheres Gespür für gute, lohnenswerte Geschäfte entwickelt.
Joanna, die ihre Firma mit eiserner Hand führte und sich durch ihre berühmt- berüchtigte Kompromisslosigkeit in der Geschäftswelt nicht nur einen Namen, sondern auch etliche Feinde gemacht hatte, konnte und wollte auf ihre Chefassistentin nicht mehr verzichten.
Cynthia glaubte ihre Zukunft gesichert.
Bis zu... Sie schluckte bitter. Nun ja, bis zu jenem Tag vor knapp einer Woche, als ihre kompromisslose Arbeitgeberin ganz entgegen ihren festen Gewohnheiten betrunken in ihr Auto gestiegen und frontal gegen den nächsten Baum geknallt war.
Nicht einmal mit dem Tod hatte sich Joanna auf einen Kompromiss eingelassen, sie starb noch an der Unfallstelle.
Für Cynthia die schlimmste Nachricht seit dem Flugzeugabsturz ihrer Eltern vor fünfzehn Jahren. Alle ihre ehrgeizigen Pläne zerplatzten wie Seifenblasen.
Ihr Verstand weigerte sich zu akzeptieren, dass Joanna tot war, und dass diese Top- Firma, in die sie ihr ganzes Engagement, ihr Können und all ihre Fähigkeiten investiert hatte und die sie inzwischen als ihr berufliches Zuhause betrachtete, von heute auf morgen in die Hände eines Mannes fallen sollte, von dem bislang keiner wusste, wer er war und woher er kam - Joannas mysteriösem Ehemann.
Joanna war seit zwanzig Jahren Witwe gewesen. An neuen Beziehungen zeigte sie kein Interesse, sie schien ausschließlich für ihre Firma zu leben.
Dann plötzlich, vor knapp drei Monaten, begann sie sich auffallend zu verändern. Irgendwann gestand sie ihrer Assistentin in einem bei ihr äußerst selten vorkommenden Moment emotionaler Schwäche, dass sie zufällig einen Mann kennengelernt habe, auf den sie bereits ihr ganzes Leben gewartet hätte. Doch sie nannte weder seinen Namen, noch verriet sie, woher er kam. Verliebt wie ein Teenager begann sie ihre Firmengeschäfte zu vernachlässigen und verließ sich stattdessen blind auf den Scharfsinn und das Wissen ihrer vertrauten Assistentin. Binnen kürzester Zeit hatte Cynthia alle Vollmachten in den Händen, um wichtige Entscheidungen für ihre Chefin zu treffen. Joanna erschien nur noch im Büro, um Dokumente zu unterzeichnen, Verträge abzusegnen und verbrachte ansonsten die meiste Zeit mit Shopping, Wellness und dem geheimnisvollen Mann ihrer Träume. Fünf Wochen später heiratete sie ihren „Mr. Unbekannt“, wie er in der Firma hinter vorgehaltener Hand genannt wurde.
Es gab keine Feier, keine Hochzeitsreise. Joanna brauchte das alles nicht. Sie blühte auch ohne all diese Dinge förmlich auf und schien mit ihrem geheimnisvollen Lover auf einer rosaroten Wolke dahinzuschweben.
An dem Tag, als Cynthia beschloss, sie endlich zu fragen, wie sie sich die Zukunft der Firma vorstellte, starb Joanna mit vierundfünfzig Jahren bei einem bislang ziemlich mysteriösen Verkehrsunfall.
Als wäre das allein nicht Sensation genug gewesen, so sorgte sie nach ihrem Tod noch für eine weitere Riesenschlagzeile:
Sie hinterließ ihrem frisch angetrauten Ehemann alles, ihr millionenschweres Vermögen ebenso wie ihre Firma, während ihre beiden, inzwischen erwachsenen Töchter lediglich den Pflichtteil der Erbschaft erhielten. Eine Klage ihrer Kinder gegen dieses für alle schockierende Testament, durch die Familienanwälte eingereicht, wurde von den Anwälten des frischgebackenen Witwers in einem Handstreich abgeschmettert, ohne dass er selbst auch nur einmal in Erscheinung getreten war.
Heute nun war der große Tag.
Heute würde „Mr. Unbekannt“ seine Erbschaft antreten.
Cynthia atmete tief durch, während das aufgeregte Gemurmel der anwesenden Vorstandsmitglieder an ihren Ohren vorbeiplätscherte.
Joannas unbekannter Ehemann und frischgebackener Witwer hatte diese Zusammenkunft kurzfristig einberufen, um sich als neuer Besitzer von CASTILLO CORPORATIONS vorzustellen und sich von nun an als ihr Nachfolger mit der Firma vertraut zu machen.
Voller banger Erwartung sahen alle immer wieder ungeduldig auf die Uhr.
Wer... und vor allem, was würde sie erwarten?
Als er den Raum betrat, war es augenblicklich still.
Alle Augen richteten sich auf den hochgewachsenen, schlanken Mann im nachtblauen Anzug.
Ihn schien das nicht zu stören, im Gegenteil. Der Blick aus seinen dunklen Augen verlangte geradezu danach, dass jeder hier im Raum ihm uneingeschränkte Aufmerksamkeit schenkte. Mit einer beispiellosen Selbstsicherheit durchquerte er den Raum und blieb hinter Joannas Chefsessel stehen, während er langsam und genüsslich in die Runde blickte.
Cynthia hielt für einen Augenblick die Luft an, als sich ihre Blicke für Bruchteile von Sekunden kreuzten.
Oh ja... Jetzt konnte sie Joanna Castillo verstehen!
„Guten Tag, Herrschaften.“
Mr. Castillos wohltönende Stimme klang ruhig und sicher durch den Raum, während er wie selbstverständlich in Joannas Sessel Platz nahm. „Ich denke, ich brauche mich Ihnen nicht extra vorzustellen. Sie haben mich ja ohnehin alle bereits mit Ungeduld erwartet.“ Er machte eine kleine Pause und ließ seine Augen von einem zum anderen wandern.
„Meine... leider so plötzlich verstorbene Frau hat mir, wie Ihnen inzwischen bekannt sein dürfte, diese Firma mit allem, was dazugehört, hinterlassen. Ich werde also CASTILLO CORPORATIONS ab sofort leiten. Dabei hoffe ich auf tatkräftige Unterstützung von Ihrer Seite, meine Damen und Herren.“
Er räusperte sich und strich sich übers Kinn, eine Geste, die auf die Zuhörer wirkte, als denke er angestrengt nach. „Joanna hat die Firma ausgezeichnet geführt, das muss ich zugeben. Trotzdem...“
Wieder folgte eine bedeutungsvolle Pause, und Cynthia schien es, als wurden seine Augen noch einen Schein dunkler, als er die folgenden Worte aussprach:
„… trotzdem wird es in der nächsten Zeit einige tiefgreifende Veränderungen geben. Es liegt bei Ihnen, ob Sie mich dabei unterstützen oder stattdessen lieber ab sofort eigene Wege gehen wollen. Allerdings erwarte ich, dass Sie sich sofort entscheiden. Sagen wir, bis heute Abend. Jeder Einzelne hat die Möglichkeit zu gehen oder zu bleiben, es liegt ganz bei Ihnen. Irgendwelche Fragen dazu?“
Die Stille, die darauf folgte, wirkte fast bedrohlich.
Cynthia war sicher, dass jeder hier im Raum eine Menge Fragen hatte, doch niemand getraute sich zu diesem Zeitpunkt, sie auszusprechen.
Nach Sekunden eisigen Schweigens, das ihr wie eine Ewigkeit erschien,
meldete sich Mister Benson aus der Finanzabteilung etwas zögernd zu Wort. Der beleibte Mittvierziger hatte vor Aufregung hektische rote Flecke auf den Wangen.
„Was genau verstehen Sie unter tiefgreifenden Veränderungen, Mr. Castillo?“, fragte er vorsichtig. „Welcher Art werden diese Veränderungen sein?“
Der neue Boss räusperte sich diskret und lächelte, als hätte er nur auf diese Frage gewartet.
„Nun, CASTILLO CORPORATIONS hat bisher Immobilien landesweit angeboten, aufgekauft und verkauft. Ab sofort werden wir expandieren und größere Geschäfte im Ausland tätigen.“
„An welches Land dachten Sie vorrangig?“
„An die Vereinigten Staaten“, erwiderte Castillo ohne auch nur eine Sekunde zu zögern, was ein allgemeines erstauntes Gemurmel hervorrief.
„Haben Sie damit ein Problem?“ Fragend, die dunklen Augenbrauen leicht hochgezogen, blickte er abwartend in die Runde. Seine Stimme klang ruhig, vielleicht sogar ein wenig amüsiert angesichts der angespannten Gesichter seiner Zuhörer, doch Cynthias feines Gehör vermeinte deutlich einen drohenden Unterton herausgehört zu haben.
Nervös kaute Benson auf seiner Unterlippe, bevor er sich zu seiner nächsten Bemerkung durchrang.
„Mrs. Castillo lehnte Geschäfte mit den Staaten ab. Sie waren ihr zu... groß.“
„Zu groß?“ Der neue Boss lachte abfällig. „Nun, ich kann Ihnen versichern, mein Lieber, mir sind sie nicht zu groß, ganz im Gegenteil. Diese Firma hat das Potenzial, eine der Mächtigsten auf diesem Kontinent zu werden. Ich beabsichtige beispielsweise in absehbarer Zeit eine der größten Immobilienfirmen an der kalifornischen Südwestküste aufzukaufen.“
Benson starrte den neuen Firmenboss sprachlos an, als suche er in dessen Gesichtszügen eine Bestätigung für das eben Gehörte. Den übrigen Anwesenden schien es ähnlich zu ergehen. Die meisten von ihnen tauschten erstaunte Blicke miteinander, doch niemand sagte etwas. Castillo ließ seinen Blick durch die Reihen der Mitarbeiter wandern und nickte dann beifällig, als hätte er nichts anderes erwartet.
„Was Sie betrifft, meine Damen und Herren...“, fuhr er kurz darauf unbeirrt fort „So möchte ich Ihnen noch einmal nahe legen, dass ich für meine künftigen Vorhaben Mitarbeiter benötige, die dynamisch, flexibel, einsatzfreudig und vor allen Dingen uneingeschränkt loyal sind. Wer sicher ist, diese Voraussetzungen zu erfüllen, den erwartet in unserer Firma eine glanzvolle Zukunft, über die ich dann zu gegebener Zeit mit jedem Angestellten persönlich noch sprechen werde. Diejenigen, die mit uneingeschränkter Loyalität ein Problem haben und uns deswegen lieber verlassen wollen, können sich ihre Papiere anschließend ohne große Umstände aus der Personalabteilung holen. Das gilt übrigens für alle Mitarbeiter, egal, welches Amt sie derzeit innehaben.“ Er holte tief Luft. „Noch weitere Fragen?“
Wieder breitete sich Stille aus. Diesmal meldete sich niemand mehr zu Wort, und es schien fast so, als wage kaum jemand zu atmen.
Während die Luft vor Anspannung zu knistern schien, ließ Mr. Castillo seine Augen noch einmal durch den Konferenzraum wandern. Ein zufriedenes Lächeln umspielte seine Lippen, als er sich kurz darauf von seinem Platz erhob.
„Dann danke ich Ihnen für die Aufmerksamkeit, die Sie mir gewidmet haben, meine Herrschaften. Bitte denken Sie daran, ich erwarte Ihre Pro- oder Contra-Entscheidung bis heute Abend. Für diejenigen, die sich dazu entschließen, weiterhin für CASTILLO CORPORATIONS tätig zu sein: Auf gute Zusammenarbeit!“
Cynthia hatte ihn die ganze Zeit über mit unverhohlener Neugier beobachtet.
Das war er also, Joannas geheimnisvoller Ehemann! Sie musste ihn geradezu angebetet haben, obwohl er garantiert gute zwanzig Jahre jünger war als sie. Sie hatte ihn Hals über Kopf geheiratet, ohne Ehevertrag, ohne irgendeine Absicherung. Dieser Leichtsinn passte überhaupt nicht zu der kühlen und berechnenden Geschäftsfrau...
Und er?
Cynthia schluckte.
Er war so wahnsinnig attraktiv, er bewegte sich auf eine dynamische und selbstsichere Art, die sie beeindruckte, und sie ahnte, dass ein Blick aus seinen dunklen Augen eine Frau sehr wohl um den Verstand bringen konnte.
Aber was hatte einen Mann wie ihn an Joanna fasziniert?
Gut, sie war sicher nicht unattraktiv gewesen, aber ihr Äußeres war eher von herber Schönheit, und mit ihrer spitzen Zunge, ihrer Kompromisslosigkeit und ihrer direkten, mitunter sogar beleidigenden Art hatte sie die Männer normalerweise in die Flucht geschlagen, anstatt sie anzuziehen. Außerdem hätte sie vom Alter her gut und gerne seine Mutter sein können.
Dann war er vielleicht auf ihr Vermögen scharf gewesen?
Nein, Joanna legte in der Regel allergrößten Wert auf ihre Privatsphäre und war privat für gewöhnlich inkognito unterwegs gewesen. Er hatte also normalerweise nicht wissen können, dass…
Oder vielleicht doch?
Cynthia erschrak bei dem Gedanken. Sie hatte in den letzten Monaten als Joannas engste Vertraute alle Fäden in der Firma zusammengehalten. Die Verantwortung hatte sie stark gemacht. Nun wurde ihr schmerzhaft bewusst: Der heutige Tag würde alles verändern.
Würde sie bleiben? Und wenn ja, zu welchen Bedingungen?
Voller innerer Anspannung starrte sie dem Mann hinterher, der eben im Begriff war, den Raum zu verlassen. Der Mann, der ihr mit einem Schlag alles nehmen konnte, was derzeit ihren Lebensinhalt ausmachte…
In diesem Moment drehte er sich um und sah sie an, als hätte er ihren Blick gespürt. Ihr stockte der Atem. Diese Augen! Gefährlich, wie die einer Raubkatze, und genauso faszinierend. Sie verursachten ihr ein seltsames Kribbeln auf der Haut, doch sie hielt seinem Blick tapfer stand.
Für den Bruchteil einer Sekunde umspielte ein undefinierbares Lächeln seine Lippen. Doch seine Augen lächelten nicht.
`Sieh dich vor`, schienen sie zu sagen `Ich weiß genau, was du denkst!`
Hastig wandte sie sich ab, um den Raum hinter den anderen durch den Seiteneingang zu verlassen.
„Cynthia?“
Seine Stimme ließ sie innerlich zusammenfahren. Langsam drehte sie sich um.
„Mr. Castillo?“
Er kam langsam näher, trat dicht an sie heran und sah sie prüfend an.
„Sie sind doch Cynthia, nicht wahr? Joanna hat oft von Ihnen gesprochen. Sie mochte Sie sehr.“
„Danke.“ Cynthia rang sich ein Lächeln ab. „Ich habe wirklich gern für Ihre verstorbene Frau gearbeitet, Sir.“
Er nickte, ohne sie aus den Augen zu lassen. Unter seinem unergründlichen Blick begannen ihre Knie zu zittern, und sie hoffte inständig, er möge nicht bemerken, dass ihr das Herz plötzlich wie wild bis hinauf zum Hals schlug.
Als hätte er ihre Gedanken erraten, neigte er leicht den Kopf und lächelte wieder auf jene undefinierbar kühle Art, die sie faszinierte und zugleich verunsicherte.
„Das wusste sie sehr zu schätzen, ebenso wie Ihre Klugheit und Loyalität ihr gegenüber. Allerdings hat sie nie erwähnt, wie schön Sie sind.“
Cynthia schluckte und spürte, wie ihr unter seinem Blick das Blut in die Wangen schoss.
„Danke Sir“, hauchte sie verlegen.
„Keine Ursache.“ Zu ihrer Erleichterung wandte er den Blick von ihr ab und sah auf seine Armbanduhr. „Ich erwarte Sie in einer halben Stunde in Joannas ehemaligem Büro“, befahl er in einem Ton, der keinen Widerspruch duldete. Ohne eine Antwort abzuwarten, drehte er sich um und ging hinaus.
Cynthia holte tief Luft, um ihre Beklemmungen loszuwerden, bevor sie die Klinke zu Joannas Büro herunterdrückte. Falsch, jetzt war es sein Büro, und somit war es nicht mehr das vertraute Terrain, das sie betrat.
Im Gegenteil...
`Er wird mich nicht feuern`, dachte sie und straffte die Schultern. `Dafür kenne ich mich in der Firma viel zu gut aus. Er braucht mich!`
Mit diesem Gedanken trat sie ein und lächelte mit einer Selbstsicherheit, die sie all ihre Kraft kostete.
Er erhob sich aus einem der Clubsessel und sah ihr entgegen.
„Cynthia! Sie sind auf die Minute pünktlich, das gefällt mir.“ Er wies auf den anderen Sessel. „Bitte, nehmen Sie Platz.“
Sie setzte sich ihm gegenüber und schlug die langen, schlanken Beine gekonnt übereinander, so dass ihr ohnehin schon kurzer Kostümrock noch etwas höher rutschte.
Er bemerkte es und lächelte wohlwollend.
„Sie waren also seit fast einem Jahrzehnt die persönliche Assistentin meiner verstorbenen Frau?“
„Ja, Sir.“
„Was für eine Verschwendung!“
Für einen Augenblick war sie verunsichert.
„Wie... meinen Sie das?“
„Also ehrlich, es kann kein solches Vergnügen sein, jahrelang für die alte Schachtel zu arbeiten und ihre Launen ertragen zu müssen. Wie haben Sie das nur ausgehalten?“
Alte Schachtel?
Cynthia schluckte. Wie konnte er es wagen! Also hatte er sich doch wegen ihres Vermögens an sie herangemacht...
Ihre Loyalität zwang sie, Joanna zu verteidigen.
„Zugegeben, sie konnte mitunter etwas... anstrengend sein, aber sie war durchaus gerecht zu ihren Mitarbeitern. Sie hat mich gut behandelt.“
„Nun“ Sein Blick ruhte noch immer auf ihren wohlgeformten Beinen. „Ich werde Sie auch gut behandeln. Vorausgesetzt Sie bleiben?“
„Ja, natürlich, Mr. Castillo“, sagte sie so ruhig wie möglich und lächelte plötzlich.
„Was ist?“, fragte er sofort.
„Ich habe eben daran gedacht, dass ich mich erst an die neue Anrede gewöhnen muss.“ Sie fasste sich ein Herz. „Darf ich Sie etwas fragen, Sir?“
„Nur zu.“
„Weshalb haben Sie den Namen Ihrer Frau angenommen? Ich meine... Ich will nicht indiskret erscheinen, aber hierzulande ist es eher ungewöhnlich, dass der Mann den Namen seiner Frau annimmt. Ist es wegen der Firma?“
Hatte sie sich getäuscht, oder war während ihrer Frage so etwas wie ein leichter Schatten des Unmutes über sein Gesicht gehuscht? Aber nein... Sie musste sich getäuscht haben, er lächelte schon wieder.
„Tja, was soll ich sagen...“ Er stand auf und ging zur Bar hinüber, wo er mit sicheren Bewegungen zwei Gläser mit Champagner füllte. „Mein Name, oder besser gesagt, der meines Vaters war mir seit meiner frühesten Jugend verhasst, und die Heirat mit Joanna bot eine gute Gelegenheit, das zu ändern. Außerdem haben Sie nicht unrecht mit Ihrer Vermutung. Der Name Castillo genießt bereits einen guten Ruf in der Geschäftswelt, und es wäre doch eine Schande, wenn ich dieses Privileg nicht für mich nutzen würde.“
Er kam auf sie zu und reichte ihr mit bedeutungsvollem Lächeln ein Glas. „Auf eine gute Zusammenarbeit, Cynthia.“
Er trank einen Schluck, ohne sie jedoch aus den Augen zu lassen.
Diese Augen... dunkel, geheimnisvoll und... gefährlich.
Cynthia fühlte einen leichten Schauer über ihren Rücken laufen. Aber sie musste sich gleichzeitig eingestehen, dass ihr das nicht unbedingt unangenehm war. Im Gegenteil.
„Auf gute Zusammenarbeit, Mr. Castillo!“
Verunsichert durch seinen intensiven Blick nippte sie nervös an ihrem Champagner. Die Stille im Raum wirkte spannungsgeladen.
„Ach, und... Cynthia?“
Seine Stimme, leise und freundlich, aber sehr bestimmt, holte sie aus ihren Gedanken. „Wir beide werden vermutlich in Zukunft sehr eng zusammenarbeiten. Also nennen Sie mich in Zukunft bitte nicht mehr „Mr. Castillo“. Das klingt so schrecklich förmlich. Mein Vorname ist Mason.“
* Ende des 1. Teils *