Suki hatte soeben ihren Dienst in der Klinik begonnen, als der Krankenwagen mit aufheulenden Sirenen am Eingang der Notaufnahme hielt. Dr. Arthur Mendes und ein Sanitäter öffneten die hinteren Türen des Wagens auf und sprangen heraus.
Eilig rollte der Sanitäter die Trage, auf der eine junge Patientin lag, in Richtung Eingang, während Arthur nebenher lief und einen provisorischen Tropf hochhielt.
„Was ist passiert?“, rief Suki und beeilte sich, ihrem Kollegen zu folgen.
„Überdosis. Patientin Mitte Zwanzig, seit einer halben Stunde ohne Bewusstsein, Puls unregelmäßig, Atmung schwach. Auf der Fahrt hierher mussten wir sie bereits reanimieren und kurzzeitig künstlich beatmen“, teilte Dr. Mendes kurz mit. „Wir brauchen schnellstmöglich ein großes Blutbild um herauszufinden, was genau ihr gespritzt wurde. Außerdem ein EKG, falls uns nicht vorher ihr Kreislauf ganz zusammenbricht!“
Suki nickte und nahm Arthur den Tropf ab, während sie den Flur entlang hasteten.
Ihr Blick fiel auf das Gesicht der Patientin und sie erstarrte.
„Meine Güte… Danielle!“
„Sie kennen sich?“, fragte Arthur erstaunt.
Suki nickte heftig und schluckte.
„Wir wohnen zusammen. Sie ist Matt Sheltons Freundin.“
„Wissen Sie, ob sie irgendwelche Drogen nimmt?“
„Danielle? Nein, das tut sie nicht. Nie im Leben!“ Suki schüttelte fassungslos den Kopf, während sie die Patientin in eines der Intensivbetten der Notaufnahme verlegten und begannen, sie an die erforderlichen Überwachungsmonitore anzuschließen. „Ich verstehe das gar nicht! Matt und Danielle waren doch verreist… Wo ist Matt?“
„Er kommt nach. Wir konnten ihn im Krankenwagen nicht mitnehmen“, erklärte Arthur und überprüfte sorgfältig Danielles Vitalfunktionen, während eine Schwester ihr bereits Blut abnahm.
„Das Labor soll sich mit der Analyse beeilen! Ich muss wissen, was man der jungen Dame verabreicht hat“, befahl Arthur. „Die Sache hat äußerste Priorität!“
Die Schwester nickte und eilte mit der Blutprobe hinaus.
Suki besah sich Danielles Arme von oben bis unten.
„Da sind ganz deutlich zwei Einstiche zu sehen“, stellte sie fest. „Einer davon ist ganz frisch.“
Erstaunt sah Arthur hin.
„Zwei? Das heißt, sie hatte vermutlich vorher schon eine Dosis. Verdammt, das macht die Sache natürlich noch komplizierter“, fluchte er und verzog bedenklich das Gesicht. „Wir wissen nicht, wann und wie viel sie schon von dem Zeug im Blut hatte. Wir brauchen erst das Blutbild.“
Suki beobachtete die Monitore.
„Sie wird schwächer“, stellte sie besorgt fest und tastete zusätzlich nach dem Puls der Patientin. „Kaum spürbar…“ Sie warf ihrem Kollegen einen warnenden Blick zu. „Wenn die Frequenz noch weiter abfällt, müssen wir intubieren!“
Draußen war für einen Moment die Sirene eines heranfahrenden Polizeifahrzeuges zu hören, Sekunden später stürzte Matt, gefolgt von Officer Davis, ins Behandlungszimmer.
„Doc, ich habe das hier im Garten von Masons Haus gefunden“, rief Davis atemlos und hielt Arthur eine leere Spritze hin. „Wir vermuten, dass er sie auf der Flucht verloren oder absichtlich weggeworfen hat!“
Suki starrte ungläubig auf die Spritze. War es möglich, dass…
„Wen meinen Sie mit er?“, hinterfragte sie die Aussage des Officers.
Arthur ließ diesem jedoch keine Zeit für eine Antwort.
„Suki, bringen Sie das Ding sofort ins Labor, sie sollen umgehend feststellen, was für eine Substanz da drin war“, rief er und reichte ihr die Spritze. „Vergleichen Sie das Ergebnis mit dem der Blutuntersuchung, damit wir sicher sein können!“
Suki hastete den Flur entlang zum Labor.
„Bitte, lieber Gott, lass es nicht dieses Mittel sein, das gestern aus dem Schwesternzimmer verschwunden ist“ betete sie insgeheim. „Wenn Danielle eine Überdosis davon erhalten hat, dann hat sie schlechte Karten…“
Matt war unbemerkt an Danielles Bett herangetreten. Er sah ihr blasses Gesicht unter der Atemmaske, hörte das mittlerweile wieder gleichmäßige Piepsen der Monitore, und die Angst um sie schnürte ihm schmerzhaft die Kehle zu.
Was hatte Mason ihr nur angetan!
´Ich hätte wissen müssen, dass er nicht einfach so aufgibt! Ich hätte spüren müssen, dass du in Gefahr bist´, dachte er voller Selbstvorwürfe und seine Augen brannten, während er vorsichtig nach Danielles Hand griff und erschrocken feststellen musste, dass sie sich eiskalt anfühlte.
„Gib nicht auf, Liebling“, flüsterte er leise und küsste ihre Stirn, als sich das bislang gleichmäßige Piepsen des Überwachungsmonitors plötzlich in einen durchdringenden lang anhaltenden Ton verwandelte.
„Dr. Mendes!“, schrie Matt panisch. „Schnell, kommen Sie!“
Arthur war sofort zur Stelle.
„Herzstillstand“, diagnostizierte er und gab der herbeieilenden Schwester ein Zeichen. „Den Defibrillator! Laden auf 300…“
Er wandte sich kurz an Matt und schob ihn konsequent in Richtung Ausgang. „Warten Sie bitte draußen. Wir tun alles, was wir können!“
Inzwischen waren auch Chelsea und Dean in der Klinik angekommen.
„Wie geht es Danielle?“, rief Chelsea, doch als sie Matts Gesicht sah, verstummte sie erschrocken. Er stand wie erstarrt auf dem Flur und ließ die Tür zum Intensivzimmer, wo Dr. Mendes in diesen Sekunden um Danielles Leben kämpfte, nicht aus den Augen.
„Hey, sie wird es schaffen, da bin ich ganz sicher“, sagte Dean leise und legte seine Hand beruhigend auf Matts Schulter, doch der schien ihn gar nicht zu hören.
„Ich schwöre euch, wenn sie stirbt, bring ich ihn um“, knurrte er, und seine Augen waren schwarz vor blinder Wut auf seinen verhassten Zwillingsbruder.
„Das wird vielleicht nicht mehr nötig sein“, erwiderte Davis, der eben mit dem Funkgerät in der Hand wieder von draußen hereinkam und Matts letzte Bemerkung gehört hatte. „Stefano hat mir eben über Funk mitgeteilt, dass Mason von einer Polizeistreife auf dem Highway 24 in Richtung Mexiko gestellt worden ist. Auf der Flucht vor den Einsatzkräften kam sein Wagen in einer Kurve ins Schleudern und raste zunächst eine Böschung hinab, von wo er anschließend über die Klippen stürzte.“
„Ist er tot?“, fragte Matt mit einem versteinerter Miene.
Davis zuckte mit den Schultern.
„Aller Wahrscheinlichkeit nach ja“, erwiderte er. „Stefano meint, dass er das nicht überlebt haben kann. Sein Wagen ist unten zerschellt. Sie suchen momentan noch nach Masons Leiche.“
Matt nickte.
„Hoffentlich finden sie ihn. Ich glaube erst an seinen Tod, wenn ich eigenhändig den Deckel zu seinem Sarg verschließe.“
*
Das Abendessen im Hause Cortez zog sich mühsam in die Länge.
Claudia ertappte Madame Dolores immer wieder dabei, wie diese sie heimlich musterte. Die Blicke aus den dunklen, unergründlichen Augen der Wahrsagerin wirkten irgendwie bedrohlich und von einer so argwöhnischen Neugier, dass die junge Frau fast eine Gänsehaut davon bekam. Insgeheim hoffte sie, dass ihr Mann diesen „familiären“ Abend nicht allzu lange ausdehnen würde. Bereits seit einer Dreiviertelstunde hockten sie nun mit seiner Mutter und Marina in dem kleinen Wohnzimmer um den Tisch herum, aber ein richtiges Gespräch war bisher nicht zustande gekommen. Das lag vielleicht daran, dass Madame Dolores Claudia nie direkt ansprach, sondern sich vornehmlich mit Manuel unterhielt, wobei sie ihm mehr oder weniger geschickt und wie zufällig die verschiedensten Fragen stellte, die eigentlich ihre neue Schwiegertochter betrafen. Claudia spürte, dass ihm das missfiel. Dem entsprechend knapp fielen auch seine Antworten aus.
Irgendwann war ihm schließlich der Kragen geplatzt.
„Mama, meine Frau sitzt hier neben mir, also frag sie doch selbst, wenn du etwas wissen möchtest.“
Peinlich berührt hatte sich Claudia nach dieser Bemerkung über ihren Teller gebeugt, während Dolores sich beleidigt räusperte und von da an die Unterhaltung vornehmlich mit Marina suchte.
Allerdings schien die heute auch nicht sonderlich gesprächig zu sein.
Als in den darauf folgenden Minuten ein Wagen vor dem Haus hielt, horchte Dolores auf.
„Oh, ich glaube, das ist Stefano“, rief sie erfreut. „Marina, bitte hole deinem Bruder noch ein Gedeck, er ist sicher hungrig.“
Marina erhob sich wortlos und ging in die Küche.
Claudia hörte, wie sich kurz darauf ein Schlüssel im Schloss drehte, dann stand Stefano in der Tür. Er sah erschöpft aus.
„Hallo alle zusammen“, grüßte er in die Runde.
„Komm herein, mein Junge, setz dich zu uns und iss erst einmal etwas“, meinte seine Mutter und lächelte gönnerhaft, während Marina einen Teller und Besteck brachte.
„Hi Bruderherz!“ Sie maß ihn mit einem erstaunten Blick. „Du siehst aus wie ein geprügelter Hund.“
„Marina“, mahnte Madame Dolores, und Claudia hätte um ein Haar laut gelacht.
„Tja, an meinem schlechten Aussehen hat dein Exmann einen entscheidenden Anteil, meine Liebe“, erwiderte Stefano und rieb sich das Kinn.
„Was?“, rief Marina ungläubig. „Willst du damit sagen, Matt und du, ihr habt euch geprügelt?“
„Nein, ganz so war es nicht.“ Stefano warf Claudia einen flüchtigen Blick zu, bevor er sich Manuel und Marina zuwandte. „Matt hat heute einen ziemlich schweren Tag gehabt. Mason hatte Danielle entführt...“
„Habt ihr sie gefunden?“, fragte Marina schnell.
Ihr Bruder nickte.
„Ja. Aber leider etwas zu spät.“
„Was… soll das heißen?“ Marina starrte ihn mit aufgerissenen Augen gespannt an.
„Mason hat ihr eine Überdosis eines starken Beruhigungsmittels gespritzt.“
„Dios mio…“, flüsterte Madame Dolores und griff nach der magischen Perlenkette, die sie um den Hals trug. „Ich hatte heute schon den ganzen Tag so ein seltsames Gefühl.“
„Meine Güte, das ist hart“, sagte Manuel leise und schüttelte den Kopf. „Matt muss völlig fertig sein.“
Stefano nickte.
„Und ich bin schuld daran, dass es so weit gekommen ist“, erwiderte er und rieb sich seine schmerzenden Schläfen.
„Du?“, fragte Dolores entsetzt. „Wieso du?“
„Hätte ich gleich reagiert, so wie Matt es wollte, und nicht so lange gezögert, dann hätten wir Mason vielleicht noch daran hindern können, Danielle das Mittel zu spritzen. Aber nein… “ Er schüttelte von Selbstvorwürfen gequält den Kopf, „Ich hatte nur meine dämlichen Vorschriften im Kopf, und dadurch ist wertvolle Zeit verstrichen.“
„Mach dich nicht verrückt“, versuchte ihn Manuel zu beruhigen. „Das konntest du schließlich nicht ahnen.“
„Und wo ist Mason jetzt?“, fragte Marina, was ihr sofort einen giftigen Blick ihrer Mutter einbrachte. „Habt ihr ihn verhaftet?“
„Wir haben ihn verfolgt, aber auf dem Highway 24 ist er mit dem Wagen von der Straße abgekommen und über die Klippen gestürzt. Wir haben ihn zwar noch nicht gefunden, gehen aber davon aus, dass er tot ist.“
„Dios mio!“, wiederholte Madame Dolores, während die Cortez-Brüder betroffen schwiegen.
Marina starrte mit abwesendem Blick auf ihre Hände, die zitternd in ihrem Schoß lagen. Dann erhob sie sich und verließ wortlos das Zimmer.
Stefano langte nach der Karaffe auf dem Tisch und schenkte sich ein Glas Wein ein. Hastig trank er einen großen Schluck.
„Du solltest erst einmal etwas essen“, maßregelte ihn seine Mutter.
„Ich habe keinen Hunger.“
„Trotzdem solltest du…“
„Mama!“, fuhr er sie an. „Es reicht jetzt!“
Beleidigt zog sie die Augenbrauen hoch und schwieg.
Claudia legte sacht ihre Hand auf Manuels Arm.
„Entschuldige mich bitte einen Moment, ich gehe mich etwas frischmachen.“
Schnell stand sie auf und verschwand im Bad. Dort verschloss sie die Tür und lehnte sich aufatmend an die kühle Wand.
Im Grunde tat es ihr natürlich leid, was sie gerade über Matt und Danielle gehört hatte, aber die beiden waren eigentlich noch Fremde für sie, und ihre eigenen Gefühle und Gedanken beschäftigten sie momentan um einiges mehr.
Sie fragte sich, warum Madame Dolores darauf bestanden hatte, dass sie mit Manuel zusammen hier wohnen sollte. Nun gut, er war ihr Sohn, aber sie behandelte Claudia als dessen Ehefrau die ganze Zeit über mit einer Kälte und Ignoranz, dass die junge Frau sich wie ein unerwünschter Eindringling fühlte. Zu Anfang hatte sie sich zwar einzureden versucht, dass seine Mutter sich erst mit dem Gedanken anfreunden musste, dass ihr jüngster Sohn in der Zwischenzeit glücklich verheiratet war, aber allmählich kamen berechtigte Zweifel in ihr auf.
Und dann war da noch Stefano…
Immer wenn er auftauchte, beschlich sie ein seltsames Gefühl der Unruhe. Sie fand ihn klug, charmant und überaus attraktiv, aber diese Eigenschaften besaß Manuel schließlich auch, und dafür liebte sie ihn. Nein, da war noch etwas Anderes, auf irgendeine seltsame Art und Weise berührte sie Stefanos ganzes Wesen, wie er sprach, sich bewegte, selbst, wenn er sie nur kurz ansah, begann ihr Herz jedes Mal schneller zu schlagen. Das machte ihr Angst.
Sie musste unbedingt mit Manuel reden, denn sie fühlte sich hier nicht wohl, und die Arbeit in den Höhlen würde immerhin noch einige Zeit in Anspruch nehmen. Vielleicht stimmte er zu, wieder ins Hotel zu ziehen.
Während sie noch darüber nachdachte, wie sie ihren Mann von ihrem Vorhaben überzeugen konnte, hörte sie plötzlich leise Stimmen, die deutlich von draußen durch das spaltbreit geöffnete Fenster drangen.
*
Niemand außer Madame Dolores schien bemerkt zu haben, wie Marina leise das Zimmer verließ. Dem wachsamen Auge der Wahrsagerin jedoch war der gespannte Gesichtsausdruck ihrer Tochter nicht entgangen. Sie glaubte zu wissen, wie Marina sich fühlte. Während Manuel und Stefano noch über die Geschehnisse des Tages diskutierten, stand sie auf und folgte ihr nach draußen. Sie fand die junge Frau auf der Bank vor dem Haus.
„Ich weiß, woran du denkst“, sagte sie mit bedeutungsvollem Blick.
„Ach ja?“ Offensichtlich war Marina nicht allzu erfreut über die Störung.
Dolores legte ihr begütigend die Hand auf den Arm.
„Du glaubst, wenn diese junge Frau jetzt stirbt, dann gehört er wieder dir.“
„Mutter!“, rief Marina entsetzt. „Wie kannst du so etwas sagen! Das würde ich mir niemals wünschen!“ Kopfschüttelnd lehnte sie sich zurück. „Es ist nicht so, wie du denkst.“
„Dann erkläre es mir.“
Marina atmete tief durch.
„Du wirst das sicher nicht verstehen, aber es fällt mir immer noch schwer, in Danielle eine Rivalin zu sehen. Sie ist so nett…“
„Nett“, wiederholte Dolores abfällig. „Sie stielt dir deinen Ehemann. Was ist daran nett?“
Marina schüttelte erneut den Kopf.
„Ganz so einfach ist das nicht. Sie hat mir Matt nicht gestohlen, ich habe ihn verlassen, erinnerst du dich? Und außerdem sind wir geschieden. Danielle hat im Grunde überhaupt keine Schuld an meiner ganzen Misere.“ Sie senkte den Kopf und strich sich über ihre Stirn. „Trotzdem tut es weh, die beiden zusammen zu sehen.“
„Dann behalte deine Gefühle gefälligst für dich und kämpfe um ihn“, erwiderte Dolores gereizt. „Jetzt ist eine gute Gelegenheit, ihn zu trösten. Glaub mir, kein Mann ist so verletzlich wie in dem Augenblick, wo er um etwas Geliebtes Angst haben muss.“
„Glaubst du das wirklich?“, fragte Marina zweifelnd.
Dolores nickte weise.
„Ich bin fest davon überzeugt. Matt wird sich schneller, als du denkst, wieder an die schönen Zeiten mit dir erinnern, und wenn dieses Mädchen wirklich stirbt, sorgst du dafür, dass er den Schmerz um sie leichter überwindet.“
„Und wenn nicht?“
„Stefano sagte doch vorhin, sie hat eine Überdosis bekommen und ist bewusstlos. Wer weiß, ob sie sich später überhaupt noch an irgendetwas erinnern kann. Es soll ja nach starkem Drogenkonsum vorkommen, dass das Gehirn nicht mehr richtig funktioniert.“
Marina stöhnte schmerzlich auf.
„Ach Mama…“
Dolores tätschelte beruhigend die Schulter ihrer Tochter und erhob sich dann. „Übrigens, du siehst etwas blass aus, mein Kind. Dieser Mason hat dir wirklich mehr geschadet, als wir alle vermutet haben.“
Kaum dass sie im Haus verschwunden war, legte Marina schützend die Hände auf ihren Bauch und seufzte kaum hörbar.
´Oh ja, mehr als du jemals erfahren wirst´, dachte sie und verspürte eine eigenartige, bittere Trauer tief in ihrem Inneren. Gerade erst vor ein paar Minuten hatte sie von ihrem Bruder erfahren, dass der Vater des Kindes, das sie in sich trug, wahrscheinlich tot war.
*
Claudia hatte dem Gespräch der beiden Frauen angespannt gelauscht. Als sie merkte, dass Madame Dolores sich anschickte, zurück ins Haus zu gehen, verließ sie schnell das Badezimmer und setzte sich wieder zu Manuel und Stefano an den Tisch, doch ihre Gedanken kreisten unaufhörlich um das eben Gehörte.
Marina wollte Matt zurück, um jeden Preis. Und ihre Mutter unterstützte sie dabei, ja, sie ging noch viel weiter, sie wünschte Danielle den Tod, damit der Platz an Matts Seite für ihre Tochter wieder frei war. Diese Frau war doch wirklich nicht zu überbieten!
Spontan griff Claudia unter dem Tisch nach Manuels Hand. Er unterbrach sein Gespräch mit seinem Bruder und sah sie erstaunt an.
„Du siehst blass aus“, stellte er besorgt fest.
Claudia nickte.
„Etwas frische Luft würde mir bestimmt nicht schaden“, erwiderte sie mit einem kurzen Blick auf Madame Dolores, die eben wieder das Zimmer betrat. „Ich würde gerne noch einen kleinen Strandspaziergang machen.“
Manuel erhob sich und legte den Arm um sie.
„Eine gute Idee. Wellen, Strand, Sonnenuntergang und die Frau meiner Träume“, lachte er. „Lass uns gehen.“
„Sie ist nicht gut für ihn“, sagte Dolores, als die beiden das Haus verlassen hatten.
Stefano verdrehte genervt die Augen.
„Jetzt lass ihn doch in Ruhe, Mama! Wenn es nach dir geht, ist keine Frau gut genug für ihn. Hast du denn immer noch nichts aus der Vergangenheit gelernt? Sei froh, dass alles so ist, wie es ist...“ Er sah ihren abwesenden, starren Blick, den er nur zu gut kannte, und es klang fast wie eine Drohung, als er mit ernster Stimme hinzufügte: „Misch dich nicht noch einmal in sein Leben ein, sonst verlierst du ihn wieder. Und dieses Mal für immer!“
*
Suki sah sich in ihren schlimmsten Vorahnungen bestätigt. Bei dem Mittel, das in Danielles Blut festgestellt wurde, handelte es sich definitiv um das selbe Serum, welches auf so mysteriöse Art aus ihrem Ärztezimmer verschwunden war.
Sie eilte zurück zu Doktor Mendes, um ihm das Ergebnis mitzuteilen und für Danielle ein möglichst wirksames Gegenmittel festzulegen, dessen Dosierung allerdings noch ein erhebliches Problem darstellen würde.
Sie sah Matt mit Chelsea, Dean und einem der Polizisten auf dem Flur stehen.
„Kopf hoch, Matt“, ermutigte sie ihn im Vorübergehen, „Wir wissen jetzt, was Danielle gespritzt worden ist und können entsprechend reagieren.“
„Sie hatte eben einen Herzstillstand“, erwiderte Matt und sah Suki eindringlich an. „Hilf ihr, bitte!“
Suki erschrak zutiefst, war jedoch routiniert und beherrscht genug, um sich vor den anderen nichts anmerken zu lassen.
„Natürlich, Matt! Wir werden alles tun, was in unserer Macht steht. Du kannst uns vertrauen“, erwiderte sie, bevor sie die Tür zum Intensivzimmer hinter sich schloss.
Die nächsten Minuten erschienen den Wartenden wie eine Ewigkeit.
Matt lehnte kreidebleich an der Wand, während Dean seinen Arm um die vor Angst zitternde Chelsea gelegt hatte.
Alle starrten auf die Tür und hielten den Atem an, als Suki endlich wieder herauskam.
Mit zwei Schritten war Matt bei ihr.
„Wie geht es Danielle?“
Suki gelang ein schwaches Lächeln.
„Wir haben sie fürs Erste stabilisieren können. Arthur gibt ihr gerade ein Gegenmittel, das ihren Kreislauf hoffentlich weiter festigt“, erklärte sie ruhig. „Jetzt können wir nur abwarten.“
Matt stöhnte schmerzlich auf.
„Du siehst total fertig aus“, stellte die junge Ärztin mitfühlend fest. „Geh nach Hause und ruh dich etwas aus. Hier kannst du im Moment ja doch nichts tun.“
Er schüttelte entschlossen den Kopf.
„Ich werde mich nicht wegbewegen, bis ich nicht zu hundert Prozent sicher sein kann, dass es Danielle wieder gut geht.“
Suki nickte, maß ihn jedoch mit einem besorgten Blick.
„Also gut, aber hol dir einen Kaffee, damit du uns nicht auch noch zusammenklappst.“
„Ich erledige das“, bot sich Chelsea an und machte sich auf den Weg zum Automaten, während Suki wieder im Behandlungsraum verschwand.
*
´Ich habe ihr mit meinem dummen Geständnis jene Nacht mit Marina unnötig wehgetan´, dachte Matt voller bitterer Selbstvorwürfe, und der Gedanke an den Streit während ihres gemeinsamen Spazierganges ging ihm nicht aus dem Kopf. ´Warum konnte ich nicht einfach meinen Mund halten… Und dann habe ich sie auch noch allein in der Hütte gelassen!´
Während er dasaß und grübelte, war Dr. Mendes unbemerkt aus dem Behandlungszimmer getreten.
„Matt?“
Er fuhr hoch und starrte den Arzt erwartungsvoll an. Dieser räusperte sich etwas umständlich und vergrub zunächst die Hände tief in den Taschen seines weißen Kittels.
„Ich habe Danielle ein Gegenmittel gespritzt, das ihren Kreislauf zunächst stabilisieren wird.“
Matt atmete sichtlich auf, doch als er sah, wie der Arzt zögernd die Lippen schürzte, verwandelte sich seine anfängliche Erleichterung schlagartig wieder in ernste Besorgnis. „Dann ist doch alles in Ordnung, oder?“
„Sie ist jetzt stabil, aber…“
„Aber was?“
„Nun, ihr Körper war enormem Stress ausgesetzt, sowohl psychisch wie auch physisch. Er versucht nun, diesen Stress auf seine Art abzubauen und damit fertigzuwerden.“
„Was genau bedeutet das, Doktor?“
Arthur holte tief Luft.
„Das bedeutet, dass sie schläft.“
Matt atmete erneut erleichtert auf.
„Das ist doch gut…“ Er bemerkte den besorgten Blick des Arztes und zog beunruhigt die Stirn in Falten. „Oder etwa nicht?“
„Dass sie schläft, ist gut, aber…“ Arthur suchte mühsam nach den richtigen Worten, um Matt nicht allzu sehr zu entmutigen. „Wir können zum gegenwärtigen Zeitpunkt leider noch nicht sagen, wie lange Danielle schlafen wird.“
Matt verlor erneut jegliche Farbe, als er den tieferen Sinn dessen erfasste, was Arthur Mendes ihm gerade gesagt hatte.
Chelsea, die soeben vom Automaten zurückkam, stellte die Kaffeebecher unsanft auf dem Fenstersims ab und packte den Arzt am Ärmel seines Kittels.
„Was soll das heißen, Dr. Mendes?“, rief sie fassungslos. „Versuchen Sie uns gerade auf etwas umständliche Art zu sagen, dass Danielle ins Koma gefallen ist?“