Draußen dämmerte bereits ein neuer Morgen.
Matt saß neben Danielles Krankenbett und hielt unablässig ihre Hand. Immer wieder wanderte sein Blick über ihr blasses Gesicht. Sie sah aus, als würde sie wirklich nur friedlich schlafen und jeden Moment ihre Augen öffnen.
Seine Kehle war wie zugeschnürt. Er hatte seit Stunden nichts gegessen und getrunken, aber er verspürte weder Hunger noch Durst. Dr. Mendes` gut gemeinte Ratschläge, er solle doch, nachdem er die ganze Nacht lang hier gesessen hatte, erst einmal nach Hause gehen und sich ein wenig ausruhen, schien er gar nicht wahrzunehmen.
Der Arzt bemühte sich sehr um Danielle, schaute aller halben Stunden herein und kontrollierte ihre Vitalwerte. Jedes Mal sah Matt ihn erwartungsvoll an, in der Hoffnung, er könne ihm etwas Neues sagen, doch Arthur schüttelte nur bedauernd den Kopf.
„Wir müssen abwarten, Matt, viel mehr können wir nicht tun. Aber wenn Sie schon hier sind, dann sollten Sie ab und zu mit ihr reden. Vielleicht kann Danielle Sie in ihrem Unterbewusstsein hören.“
„Sind Sie sicher?“, fragte Matt skeptisch.
„Sicher bin ich nicht, aber es ist sehr gut möglich“, erklärte der Arzt und lächelte nachsichtig, als er Matts ungläubigen Blick sah. „Einige Komapatienten konnten sich, nachdem sie aufwachten, daran erinnern, dass sie die Stimmen ihrer Lieben gehört hätten. Eine englische Patientin, die jahrelang in tiefem Koma lag, hat sogar später ein Buch über dieses Thema geschrieben. Sie konnte die Menschen um sich herum wahrnehmen, vermochte sich aber sehr lange Zeit nicht bemerkbar zu machen. Sie beschrieb ihren Zustand ungefähr so, als würde sie sich mühsam vom dunklen Grund des Ozeans wieder hinauf ans Tageslicht kämpfen.“ Er nickte seinem Zuhörer aufmunternd zu. „Wenn Sie mit Danielle reden, helfen Sie ihr vielleicht dabei, sich aus dem Dunkel zu befreien.“
Wieder allein im Zimmer strich Matt nachdenklich über Danielles Haar.
„Ich weiß nicht, ob du mich wirklich hören kannst, Liebling“, begann er vorsichtig und leise. „Ich liebe dich so sehr, und es tut mir so unendlich leid, was ich dir sagte, als wir oben in der Hütte waren. Ich weiß, dass ich dich damit verletzt habe. Ich hätte wissen müssen, dass Mason nicht aufgeben würde, uns zu verfolgen, und ich hätte dich vor ihm schützen müssen.“ Er verstummte einen Moment lang gequält. „Aber er wird uns nicht mehr wehtun, Danielle, nie mehr! Du wirst wieder gesund, davon bin ich fest überzeugt. Du hast mein Leben erst wieder lebenswert gemacht, mit deinem Lachen, deiner Unbeschwertheit. Du und ich, wir gehören zusammen. Ich habe dir ja gesagt, dass ich das irgendwie damals schon gespürt, als ich dich das erste Mal in diesem Flugzeug gesehen habe. Wach auf, komm zu mir zurück, bitte!“
„Matt?“
Erschrocken fuhr er herum, als er die Stimme hinter sich hörte.
Mitch stand zögernd an der Tür.
„Darf ich hereinkommen?“
Matt nickte zerstreut und fuhr sich mit der Hand durchs Haar.
„Entschuldige, ich war ganz in Gedanken.“
Mitch trat näher und schaute mit ernstem Gesicht auf die junge Patientin. Dann legte er seinem Freund mit freundschaftlicher Geste die Hand auf die Schulter.
„Sie schläft sich gesund. Glaub mir, Danielle wirkt zwar zart und zerbrechlich, aber ich kenne sie schon ein bisschen länger als du. Sie ist eine Kämpfernatur, sie kann stur sein wie ein Maulesel. Wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hat, dann schafft sie das meistens auch. Stimmt doch, Danielle, oder?“ Er beugte sich herunter und küsste sie auf die Wange. „Komm schon Mädchen, lass den alten Matthew nicht so lange warten!“
„Dr. Mendes meinte, ich soll mit ihr reden“, erklärte Matt, noch immer etwas skeptisch.
Mitch nickte zustimmend.
„Ja klar, das hat mir Suki auch eben gesagt. Deshalb bin ich hier. Ich halte jetzt mit Danielle einen kleinen Plausch, während du nach Hause gehst, dich duschst und umziehst und erst einmal frühstückst. Es wäre auch nicht verkehrt, wenn du versuchen würdest, zwischendurch mal eine Stunde zu schlafen. Danach kannst du ja von mir aus wieder herkommen, aber jetzt will ich mit der süßen Lady allein reden... vertraulich. Also raus mit dir!“
*
Nach einer schlaflosen Nacht stand Brendon schon sehr zeitig auf, duschte und zog sich an.
´Ich muss hier raus´, überlegte er panisch. ´Raus aus diesem billigen Hotelzimmer, vielleicht sogar raus aus Sunset City, mit oder ohne Danielle! So kann es nicht weitergehen, wenn ich nicht endlich mein Leben wieder in den Griff bekomme, werde ich noch verrückt.´
Er zerrte seine Reisetasche aus dem Schrank und begann, seine Sachen wahllos hineinzuwerfen, als plötzlich jemand anklopfte. Er hielt erschrocken inne und starrte auf die Tür. Wer konnte das sein, so früh am Morgen? Das bedeutete bestimmt nichts Gutes. Vielleicht stand Hughes bereits mit seinen beiden Schlägern draußen?
Er spürte, wie sich seine Nackenhaare bei dieser Vorstellung aufstellten.
Ein wiederholtes, lauteres Klopfen ließ ihn erneut zusammenzucken. Er schielte panisch zum Fenster hinüber. Ja, das wäre ein Fluchtweg...
„Brendon, bist du da? Mach doch bitte auf. Ich bin es, Caroline!“
Er schloss für Sekunden die Augen und atmete auf.
Cary...
„Einen Moment, ich bin gleich da“, rief er unendlich erleichtert und stopfte schnell die Tasche samt Sachen in den Schrank zurück, bevor er zur Tür eilte.
„Ich bin froh, dich zu sehen“, rief sie und küsste ihn zur Begrüßung auf die Wange, bevor sie ins Zimmer trat und sich kurz umsah. „Habe ich dich geweckt?“
„Nein, obwohl...“ Brendon lächelte etwas verkrampft. „So früh am Morgen hatte ich eigentlich noch nicht mit Besuch gerechnet.“ Er wies auf den Sessel. „Setz dich doch, Cary.“
Sie ignorierte seine Handbewegung und nahm auf dem Bett Platz.
„Tut mir leid, dass ich gestern nicht bei dir vorbeigeschaut habe“, sagte sie entschuldigend, während sich Brendon etwas zögernd neben ihr niederließ. „Aber ich hatte so viel zu erledigen, nachdem fast alle meine Sachen in unserem Haus verbrannt sind. Zum Glück konnten noch einige persönliche Dinge gerettet werden, und ich habe versucht, mich in dem winzigen Zimmer in der Penthouse-Suite, die mein Vater für uns gemietet hat, einzurichten.“ Sie seufzte. „Es wird einige Zeit dauern, bis wir wieder ein richtiges Zuhause haben.“
Brendon legte mitfühlend seinen Arm auf ihre Schulter.
„Es tut mir so leid für dich“, sagte er aufrichtig. „Kann ich dir irgendwie helfen?“
„Ja...“ Caroline nickte heftig, und Brendon bemerkte erschrocken, dass plötzlich Tränen in ihren Augen standen. „Halt mich einfach fest!“
Er nahm sie wortlos in die Arme und streichelte beruhigend über ihren Rücken.
´Es ist alles meine Schuld! Du würdest mich verfluchen, wenn du wüsstest, auf was ich mich eingelassen hatte...´, dachte er und schluckte.
Nach ein paar Sekunden löste sich Caroline aus seiner Umarmung und sah ihn mit großen Augen an.
„Mein Dad hat mir erzählt, dass du bei der Polizei ausgesagt hast.“
Er nickte.
„Das war das Mindeste, was ich tun konnte.“
„Danke Brendon, das ist wirklich lieb von dir. Und total mutig.“
Verlegen wandte er sich ab.
„Ach was... Wir wissen ja nicht einmal, ob es etwas bringt.“
„Natürlich tut es das“, rief Caroline überzeugt. „Aufgrund unserer Aussagen wird es mein Onkel sicher schaffen, Randys Unschuld zu beweisen.“ Sie sah Brendon an und lächelte. „Du bist mein Held!“
„Nein, das bin ich ganz bestimmt nicht.“
„Doch, das bist du“, flüsterte sie, und ihr Gesicht war ihm plötzlich ganz nah.
Brendon wollte widersprechen, doch als er ihre warmen, verführerischen Lippen auf seinem Mund spürte, konnte er gar nicht anders, er musste ihren Kuss erwidern. Sie hielten einander fest umschlungen und ihre Zärtlichkeiten wurden schnell leidenschaftlicher. Für einen Moment vergaß er alles, was ihn quälte, er spürte Carolines Wärme, roch den zarten Duft ihres weichen Haares und schloss seine Augen, als ihre Lippen langsam über seinen Hals wanderten. Er stöhnte leise auf, nahm ihr Gesicht zwischen seine Hände und suchte hungrig nach ihrem Mund, den sie ihm bereitwillig bot.
Sie begann eilig die Knöpfe seines Hemdes zu öffnen, und während sich seine Hand unter ihr Shirt verirrte, sanken beide rückwärts auf das weiche Bett.
„Brendon... ich muss dir etwas sagen...“, flüsterte Caroline irgendwann zwischen seinen Küssen, „Du musst wissen, ich habe noch nie... du weißt schon, das ist das erste Mal, das ich... „
Das brachte ihn schlagartig zur Besinnung.
Abrupt richtete er sich auf. Nein, das durfte nicht sein!
Er hatte, seitdem er in dieser Stadt war, schon zu viel falsch gemacht, und nun sollte er hier, in diesem schäbigen Hotelzimmer mit diesem wundervollen Mädchen... Nein, auf keinen Fall, sie hatte etwas Besseres verdient als das!
Er sah ihren fragenden, fast erschrockenen Blick.
„Es tut mir leid, Caroline, aber... das kann ich nicht... nicht hier!“
„Warum?“, fragte sie erstaunt. „Liegt es an mir?“
„Nein... nein, du bist so süß“, stammelte er und begann hastig sein Hemd wieder zuzuknöpfen. „Aber das erste Mal sollte etwas ganz Besonderes sein, verstehst du...“
„Ja aber“, begann Caroline verständnislos, doch Brendon war schon aufgesprungen und fuhr sich nervös mit den Fingern durchs Haar. „Ich werde ein Stück laufen... allein... ich muss erst einmal meinen Kopf freibekommen. Bitte sei mir nicht böse. Wir sehen uns später, ja?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, riss er die Tür auf und stürzte hinaus.
Caroline starrte ihm in einem Wirrwarr von Gefühlen fassungslos hinterher.
*
Atemlos ließ sich Brendon in den Sand fallen.
Er wusste nicht, wie weit er gelaufen war, doch als er sich schließlich schweratmend umschaute, sah er hinter sich die Felsen und die ersten Absperrungen der HSE- Baustelle.
Er strich sich über seine schweißnasse Stirn und starrte aufs Meer hinaus.
´Ich nehme den nächsten Flieger...´, dachte er resigniert. ´Es hat keinen Sinn mehr hier zu bleiben, es ist alles total verfahren!´
„Noch ein Frühaufsteher am Strand?“, hörte er plötzlich eine Stimme neben sich und fuhr erschrocken hoch. Da stand ein äußerst sympathisch aussehender, junger Mann in Shorts und ärmellosem Shirt und streckte ihm freundlich lächelnd die Hand entgegen. „Nach Carolines Beschreibung musst du Brendon sein! Ich bin Randy... Randy Walker.“
Brendon erhob sich hastig und ergriff die dargebotene Hand.
„Brendon Finley“, stellte er sich seinerseits vor. „Freut mich, dich kennenzulernen, Randy.“
„Ja, mich auch, vor allem, weil ich dir und Caroline ziemlich viel zu verdanken habe.“
„Ach was, ich habe doch nur gesagt, was ich zufällig gehört bzw. gesehen habe. Nicht der Rede wert“, erwiderte Brendon peinlich berührt. „Ich hoffe nur, es ist später im Prozess von Nutzen.“
Randy nickte voller Überzeugung.
„Ganz sicher. Außerdem habe ich ja Carolines Onkel als Strafverteidiger an meiner Seite. Er ist der Beste, und wenn er es nicht schafft, mich freizubekommen, dann schafft es auch kein anderer.“
„Hey, denk positiv“, meinte Brendon, obwohl er diese Ermutigung selbst gut gebraucht hätte.
„Das tue ich“, erwiderte Randy und sah ihn forschend an. „Mitch hat mir erzählt, du warst mit Danielle verlobt?“
Brendon nickte.
„Ja. Ihretwegen bin ich eigentlich nach Sunset City gekommen.“
Randy presste mitfühlend die Lippen aufeinander.
„Tut mir echt leid, was mit ihr passiert ist. Aber ich bin sicher, sie wird wieder gesund.“
Brendon starrte ihn an.
„Was? Wovon redest du?“
Randy erschrak sichtlich.
„Sag bloß, du weißt es noch gar nicht?“
Brendon schüttelte den Kopf, und sein Herz krampfte sich erneut angstvoll in seinem Brustkorb zusammen. Hörte denn dieser Alptraum niemals auf?
„Was ist passiert? Sag schon, was ist mit Danielle?“
*
Caroline saß minutenlang reglos auf dem zerwühlten Bett und starrte vor sich hin. Sie war enttäuscht und frustriert, dass Brendon sie hier einfach so verlassen hatte, und die enorme Anspannung der letzten Tage gewann die Oberhand, so dass sie die Tränen nicht länger zurückzuhalten vermochte und hemmungslos zu weinen begann.
Irgendwann stand sie auf, trocknete ihr Gesicht und ordnete notdürftig Kleidung und Frisur vor dem Spiegel, als plötzlich das Telefon auf dem Nachttisch zu läuten begann. Caroline zögerte einen Moment, dann nahm sie den Hörer ab, in der irrwitzig vagen Hoffnung, es sei vielleicht Brendon. Bevor sie sich jedoch melden konnte, ertönte eine wütende Männerstimme am anderen Ende der Leitung:
„Hey Finley, du miese kleine Ratte! Ich hoffe, es ist dir klar, dass du mit deiner Aussage den größten Fehler deines Lebens gemacht hast! Dafür wirst du bitter bezahlen, Partner... Momentan habe ich andere Pläne, aber ich verspreche dir, wir beide rechnen noch miteinander ab, und dann wirst du dir wünschen, niemals einen Fuß in diese Stadt gesetzt zu haben!“
Ein leises Klicken und die Leitung war tot...
*
Matt trat gerade unter der Dusche hervor, als es an der Tür läutete.
Er schlang sich ein Handtuch um die Hüften und ging hinunter um zu öffnen.
Anni stand draußen, einen eleganten Morgenmantel nachlässig über ihr Negligé geworfen und starrte ihn aus großen Augen an.
„Matt, wieso bist du zu Hause?“, fragte sie verwundert. „Ich dachte, du wärst verreist?“
„Wenn du das dachtest, weshalb bist du dann hier?“, entgegnete Matt müde.
„Na ja, ich bemerkte deine offene Verandatür und wollte eben mal nachsehen, ob alles in Ordnung ist.“ Sie schob ihn einfach beiseite und humpelte an ihm vorbei ins Zimmer. „Es hätte schließlich auch ein Einbrecher sein können.“
„Und den hättest du dann mit deinem Gipsfuß in die Flucht getreten?“
Anni grinste.
„Na komm, erzähl schon, wieso bist du zu Hause? Ist dein Paradiesvögelchen davongeflogen?“ Als sie sah, wie sich sein Gesichtsausdruck veränderte, verstummte sie erschrocken. „Matt? Ist alles okay mit dir?“
„Mason hatte Danielle entführt“, erwiderte er resigniert. „Und als er merkte, dass wir ihm auf den Fersen waren, hat er ihr einfach eine Überdosis eines starken Beruhigungsmittels gespritzt und sie in seinem Haus zurückgelassen. Jetzt liegt sie in der Klinik.“
Anni starrte ihn mit offenem Mund an.
„Und wie geht es ihr?“, fragte sie, nachdem sie sich etwas gefasst hatte. „Sie wird doch wieder gesund, oder?“
Er hob müde die Schultern.
„Sie haben ihr ein Gegenmittel gegeben, und danach ist sie ins Koma gefallen.“
„Oh nein!“ Anni stöhnte schmerzlich auf. „Was sagen die Ärzte?“
„Es ist noch zu früh, um Prognosen zu stellen.“
„Matt, es tut mir so leid!“
Er nickte und atmete tief durch. Er kannte Anni und zweifelte in diesem Augenblick keine Sekunde an ihrer Aufrichtigkeit. Sie mochte zuweilen laut, beleidigend und schwierig sein, aber hier und jetzt zeigte sie sich ehrlich besorgt um Danielle.
„Entschuldige, Anni, ich muss mich anziehen. Ich will so schnell wie möglich in die Klinik zurück.“
Sie nickte.
„Okay, ich bin schon weg.“
Sie traten beide hinaus auf die Veranda. Anni zögerte kurz und drehte sich dann noch einmal zu Matt um. Sie umarmte ihn spontan und ließ ihre Hände für einen Augenblick auf seiner Brust verweilen, während sie ihn mit einem besorgten Blick musterte.
„Bitte lass mich wissen, falls ich dir irgendwie helfen kann“, bat sie eindringlich. „Ich bin deine Freundin, in guten wie in schlechten Zeiten, vergiss das nicht.“
„Das weiß ich, Anni. Danke.“
Er sah ihr nach, wie sie über die Veranda hinüber zu ihrer Wohnung lief.
Während er wieder zurück ins Zimmer ging und die Tür hinter sich schloss, begann sein Handy zu klingeln.
„Matt, na endlich“, hörte er Edwards aufgeregte Stimme. „Ich versuche seit gestern verzweifelt, dich zu erreichen. Hörst du gelegentlich auch mal deine Mailbox ab?“
„Was gibt es denn so Dringendes?“, fragte Matt ohne großes Interesse.
Edward schnaufte hörbar am anderen Ende der Leitung.
„Es tut mir leid für dich, mein Freund, aber du musst deinen Urlaub sofort abbrechen! Ich brauche dich umgehend hier in der Firma, in den letzten achtundvierzig Stunden ist eine Menge passiert, und ich weiß nicht, wo mir der Kopf steht! Also beweg deinen Hintern gefälligst sofort hierher!“
*
Alex hatte, wie immer in den letzten Tagen, bei Becky das Frühstück geholt und war auf dem Weg zu Anni, um sie mit Kaffee und frischen Croissants zu verwöhnen. Überrascht blieb er stehen, als er sie plötzlich zusammen mit Matt Shelton auf dessen Veranda stehen sah.
Ihr kupferrotes Haar leuchtete in der Morgensonne. Sie trug einen dünnen Morgenmantel, und soweit er das sehen konnte, hatte Matt nur ein Handtuch um die Hüften geschlungen, während sie ihm zärtlich ihre Hände auf seine nackte Brust legte.
Das Ganze sah in seinen Augen aus wie der Abschied nach einer Liebesnacht!
Alex trat etwas in den Schatten des Hauses, um nicht gesehen zu werden. Ein beißendes Gefühl der Enttäuschung machte sich in seinem Inneren breit. So war das also! Während alle glaubten, sie hätte stets nur erfolglos für ihren attraktiven Nachbarn und Firmenteilhaber geschwärmt, hatten die beiden vielleicht schon lange ein heimliches Verhältnis!
Er wartete, bis Anni in ihrer Wohnung verschwunden war, und klingelte dann an ihrer Tür.
Sie öffnete ihm Sekunden später und lächelte sichtlich gut gelaunt.
„Guten Morgen, Alex!“
Wortlos reichte er ihr die Tüte mit dem Frühstück.
Erstaunt sah sie ihn an.
„Kommst du nicht herein und machst uns Kaffee?“
„Tut mir leid, Anni, ich muss zur Arbeit“, erwiderte er knapp. „Aber ich bin überzeugt, du wirst dir inzwischen ganz gut allein zu helfen wissen.“
*
Erstaunt blickte Mitch auf, als sich die Tür zu Danielles Krankenzimmer leise öffnete.
„Was willst du denn hier?“, fragte er ungehalten, nachdem er Brendon erkannt hatte.
Der trat zögernd näher.
„Ich habe von Randy erfahren, was passiert ist“, sagte er leise. „Ich konnte nicht anders, ich musste sie sehen.“ Er warf Mitch einen kurzen Blick zu, bevor er an Danielles Bett trat. „Wie geht es ihr?“
Seinem ersten Impuls folgend wollte Mitch Brendon hinauswerfen, doch er hörte die ehrliche Besorgnis in dessen Stimme und besann sich.
„Unverändert“, erwiderte er knapp. „Der Arzt sagt, wir müssen abwarten.“
Brendon schluckte und betrachtete das blasse, unbewegliche Gesicht seiner Ex-Freundin.
„Sie sieht aus, als würde sie nur schlafen und jeden Moment wieder aufwachen“, flüsterte er betroffen.
Mitch nickte.
„In gewisser Weise ist es ja auch so.“
Brendon zögerte kurz, dann strich er mit den Fingerspitzen vorsichtig über Danielles Haar.
„Es tut mir so leid, dass mit uns alles schiefgelaufen ist“, sagte er leise. „Ich wünsche mir von ganzem Herzen, ich könnte die Zeit zurückdrehen und irgendwie wiedergutmachen, was ich damals getan habe. Ich war so dumm...“
Mitch räusperte sich und stand auf.
„Ich werde euch einen Moment allein lassen und mir einen Kaffee holen“, sagte er diplomatisch und verließ das Zimmer. Brendon lächelte dankbar und setzte sich an Danielles Krankenbett, während er ihre Hand nahm.
„Wir beide waren so glücklich, damals in Oklahoma, weißt du noch?“, sagte er sanft und lächelte gedankenverloren. „Wir waren so unbeschwert und voller Pläne, als wir mit dem College fertig waren, und wir haben geglaubt, uns gehört die ganze Welt. Ich dachte, ich hätte dich für immer, Danielle. Ich war mir so verdammt sicher, dass ich irgendwann unsere Beziehung nicht mehr richtig zu schätzen wusste. Das werde ich mir nie verzeihen!“ Er wischte sich mit dem Handrücken über seine brennenden Augen. „Heute hätte ich beinahe aufgegeben und Sunset City verlassen. Aber jetzt nicht mehr. Ich bleibe hier und ich werde warten, bis du wieder richtig gesund bist. Dann gehen wir zusammen dahin zurück, wo wir beide hingehören, nach Crawford, und alles wird so werden, wie es begann, nur noch besser und schöner, ich verspreche es dir...“
„Wer zum Teufel sind Sie?“, erklang eine Stimme hinter ihm.
Er fuhr erschrocken herum.
Hinter ihm stand Matt Shelton und sah ihn misstrauisch an.
*
Dean saß allein in der Küche, als Chelsea die Treppe herunterkam.
„Hast du gut geschlafen?“, fragte er und bemerkte, dass sie sich immer noch ihren Ellenbogen hielt.
„Nicht wirklich.“ Sie wich seinem Blick aus, ging hinüber zum Bord und holte sich eine Tasse aus dem Schrank. „Ich will gleich zu Danielle in die Klinik und hoffe, der Kaffee wird mir helfen, wieder einigermaßen klar zu denken.“
„Hast du noch Schmerzen?“, fragte er besorgt, während er ihre Tasse füllte. „Du hättest Dr. Mendes erzählen sollen, dass du auf den Ellenbogen gestürzt bist.“
„Ach was, das ist nichts“, wehrte Chelsea ab. „Viel schlimmer schmerzt es, dass ich mich so unglaublich dämlich benommen habe.“ Sie warf Dean einen entschuldigenden Blick zu, während sie neben ihm Platz nahm. „Ich schäme mich so! Laufe diesem blöden Kerl hinterher wie ein verliebter Teenager.“
„Chelsea“, mahnte Dean und griff nach ihrer Hand. „Das konntest du doch nicht ahnen. Und immerhin hast du uns dadurch zu Danielle geführt. Sonst hätten wir sie vielleicht nie gefunden.“
„Ich hoffe nur, sie wird wieder gesund.“ Chelseas Augen füllten sich mit Tränen. „Sie hat mich vor Mason gewarnt, aber ich wollte nicht auf sie hören.“
Dean nickte lächelnd.
„Auf mich hättest du auch nicht gehört. Du hattest schon immer deinen eigenen Kopf.“
Chelsea nahm einen Schluck Kaffee und blickte dann erstaunt auf.
„Auf dich gehört? Ich dachte immer, es interessiert dich gar nicht, was ich tue!“
„Oh doch, Chelsea, das tut es. Sehr sogar.“
„Ja klar, als deine Geschäftspartnerin.“
„Nein, da irrst du dich. Vielleicht konnte ich es ja nicht so zeigen, aber du hast mich schon immer interessiert.“
„Wie? Was soll das heißen?“
Dean hob die Schultern.
„Ich habe mich eigentlich schon in deine frechen, froschgrünen Augen verguckt, seit ich dich zum ersten Mal gesehen habe. Aber du warst so verbissen auf der Suche nach der großen Liebe, dass ich immer dachte, du nimmst mich gar nicht wahr. Schließlich haben wir uns ja ständig gezofft...“ Er sah sie an und strich zart mit seinen Fingern über ihre Wange. „Aber gestern, da hatte ich wahnsinnige Angst um dich! Ich weiß nicht, was ich getan hätte, wenn dir ernsthaft etwas passiert wäre.“
„Dean...“ Chelsea starrte ihn sprachlos an. „Und ich habe immer angenommen, du machst dir nichts aus mir!“
„So kann man sich irren.“ Er lachte. „Ich hab Mason vom ersten Moment an gehasst, und ich hätte alles getan, um ihn von dir fernzuhalten.“
„Alles? Was zum Beispiel?“
Er lächelte verschmitzt.
„Denk mal an unsere Eröffnungsfeier im OCEANS! Das war allerdings nur eine Ausnahme. Immerhin kann ich dich nicht jedes Mal im Keller einsperren, wenn dir ein Mann zu nahe kommt.“
„Dean“, rief Chelsea, mehr überrascht als empört. „Du warst das?“
Er nickte vorsichtig.
„Ich müsste lügen, wenn ich sagen würde, dass es mir leid tut.“
„Das darf doch nicht wahr sein“, rief Chelsea ungläubig.
Er grinste und die Grübchen auf seinen Wangen zogen sie magisch in ihren Bann.
„Du kannst so verdammt eigensinnig sein“, stellte er fest.
„Verzeihst du mir?“, fragte sie hoffnungsvoll.
„Mh“, überlegte Dean und zog die Stirn in Falten. „Kommt ganz darauf an.“
„Worauf denn?“
„Überzeug mich, dass es sich lohnt, dir zu verzeihen. Fang am besten mit einem Kuss an!“
*
Matt schloss die Tür und trat näher, den ihm unbekannten Besucher nicht aus den Augen lassend.
Brendon stand auf und hob abwehrend beide Hände.
„Ich habe jedes Recht hier bei Danielle zu sein. Ich bin...“
„Moment mal“, unterbrach ihn Matt, „Nach dem, was ich eben gehört habe, als ich hier hereinkam, glaube ich zu wissen, wer Sie sind. Und wenn das stimmt, dann haben Sie schon vor langer Zeit jedes Recht darauf verloren, bei Danielle zu sein. Also Brendon aus Oklahoma“, Er holte tief Luft. „Verschwinden Sie aus diesem Zimmer, und zwar ein bisschen plötzlich, bevor ich Sie eigenhändig hinauswerfe!“
„Ich denke nicht daran.“ Brendon straffte die Schultern und beäugte Matt argwöhnisch. „Wer sind Sie überhaupt, dass Sie mir Vorschriften machen wollen?“
„Matthew Shelton“, erwiderte Matt ungerührt. „Nicht, dass Sie das noch irgendetwas anginge, aber Danielle und ich sind ein Paar. Und soweit ich weiß, hat Ihre Ex-Verlobte Sie aus gutem Grund aus ihrem Leben gestrichen. Sie hätten sich den langen Weg von Oklahoma hierher sparen können. Also...“ Er wies mit eindeutiger Geste auf die Tür. „Raus!“
„Na hören Sie mal“, erboste sich Brendon. „So geht das nicht, Mister!“
„Du hast gehört, was er gesagt hat“, ertönte Mitchs Stimme hinter ihm. „Geh nach Hause, Brendon. Du kannst hier ohnehin nichts für Danielle tun, und ich schätze, sie würde das auch nicht wollen, nach allem, was zwischen euch beiden vorgefallen ist. Also tu ihr und dir selbst einen Gefallen und verschwinde aus ihrem Leben.“
Wütend sah Brendon von einem zum anderen, aber er erkannte, dass er gegen diese beiden Männer keine Chance hatte.
„Ich komme wieder, darauf könnt ihr wetten“, knurrte er und verließ schnellen Schrittes das Zimmer.
Matt sah Mitch an.
„Woher weiß der Kerl, wo Danielle sich aufhält? Sie wollte nicht, dass er sie findet.“
Mitch hob die Schultern.
„Keine Ahnung, aber er ist schon eine ganze Weile in der Stadt. Einmal hat er Danielle im OCEANS aufgesucht, als wir dort renovierten. Sie hat sich ziemlich darüber aufgeregt und wollte, dass er verschwindet. Ich hab ihm damals eine verpasst.“
„Du?“, fragte Matt erstaunt, da er Mitch eigentlich nur als gutmütigen, äußerst diplomatischen Typen kannte.
Der strich sich verlegen grinsend übers Kinn.
„Ich denke, das war ich ihm einfach schuldig, so, wie er sie behandelt hat.“
Sie sahen beide zu Danielle hinüber.
„Noch keine Reaktion?“, erkundigte sich Matt.
Mitch schüttelte den Kopf.
„Dr. Mendes will gleich noch einmal nach ihr sehen.“ Er blickte auf seine Uhr. „Sukis Schicht ist zu Ende. Sie war die ganze Nacht hier. Ich bringe sie nach Hause und schaue später wieder vorbei.“
Matt legte ihm kurz seine Hand auf die Schulter und nickte.
„Danke.“
An der Tür wäre Mitch fast mit Chelsea zusammengeprallt.
„Wie geht’s ihr inzwischen?“
Mitch hob die Schultern.
„Leider noch nichts Neues.“
Sie nickte ihm traurig zu und trat ins Zimmer.
„Wir haben ein kleines Problem, Matt“, sagte sie leise. „Danielles Eltern haben schon zweimal auf dem Festanschluss angerufen. Bisher konnte ich sie vertrösten, ich habe ihnen einfach gesagt, sie sei mit dir weggefahren und habe vergessen ihr Handy mitzunehmen, aber irgendwann werden sie sicher misstrauisch werden. Danielle hat öfter mit ihrer Mum telefoniert.“
Matt strich sich nachdenklich über die Stirn.
„Ich werde ihre Eltern anrufen, sobald ich kann“, entschied er.
Dr. Mendes betrat, gefolgt von zwei Krankenschwestern, das Zimmer und nickte den Besuchern freundlich zu.
„Leider muss ich Sie jetzt bitten, zu gehen. Ich möchte noch ein paar Untersuchungen bei der Patientin durchführen. Vielleicht wissen wir danach mehr.“
Die beiden erhoben sich bereitwillig.
„Wie lange wird das dauern?“, fragte Matt.
„Schwer zu sagen, aber ein bis zwei Stunden bestimmt. Sie können am Nachmittag wieder herkommen.“
Matt beugte sich zu Danielle hinunter.
„Bis nachher, Liebling“, flüsterte er leise und küsste sie auf die Wange, bevor er mit Chelsea das Zimmer verließ.
„Was wirst du jetzt tun?“, fragte sie. „Gehen wir etwas essen?“
„Nein, tut mir leid, ich werde also in der Firma vorbeischauen. Edward wollte mich dringend sprechen“, erklärte Matt.
„Der arbeitet schon wieder?“, erkundigte sich Chelsea erstaunt. „Wow, wenn meine Villa abgebrannt wäre, dann könnte ich erst einmal keinen klaren Gedanken fassen.“
Matt fuhr herum und starrte sie ungläubig an.
„Was hast du eben gesagt? Edwards Villa ist abgebrannt?“
Sie nickte heftig.
„Entschuldige, das konntest du ja nicht wissen. Die prächtige Hamilton-Villa, oder vielmehr, das, was davon übrig ist, muss nach einem Großbrand abgerissen werden.“
„Was ist passiert?“
„Man spricht von Brandstiftung, aber Genaueres weiß ich auch nicht. Angeblich soll das Ganze mit dem Mord am Strand zusammenhängen. Man vermutet einen Racheakt wegen der Zeugenaussage, die Edwards Tochter gemacht hat.“
Matt hatte es plötzlich sehr eilig.
„Danke Chelsea“, sagte er und ging schnellen Schrittes in Richtung Ausgang.
*
Als Matt eintrat, kramte Edward gerade in irgendwelchen Unterlagen und schien schwer beschäftigt. Unwillig blickte er auf, doch als er seinen Geschäftspartner erkannte, erhellte sich seine finstere Miene etwas.
„Das ging ja wirklich schnell. Bist du aus deinem Kurzurlaub hergeflogen oder was?“
Matt ließ sich in den Sessel fallen und streckte die Beine aus.
„Ich bin schon seit gestern zurück.“
„Was?“ Edward warf ungehalten den Stift auf den Schreibtisch. „Und wieso hast du dich nicht gemeldet, verdammt?“
„Halt mal die Luft an“, wehrte Matt ab. „Ich habe eben erst erfahren, was dir passiert ist, und glaub mir, es tut mir sehr leid, dass dein Haus abgebrannt ist. Aber selbst, wenn ich eher dagewesen wäre, hätte das auch nichts geändert.“
„Ach ja?“ erwiderte Edward abfällig. „Ich hätte deinen Beistand gebraucht! Was zum Teufel nochmal könnte schlimmer sein, als wenn eine Millionen-Dollar-Villa in Schutt und Asche gelegt wird?“
„Die kann man wieder aufbauen“, meinte Matt ungerührt. „Mit deinen finanziellen Mitteln dürfte das doch kein Problem sein. Außerdem bist du garantiert ausreichend versichert.“ Er strich sich über die Stirn. „Mein Problem dagegen lässt sich mit Geld nicht lösen.“ Während er berichtete, was mit Danielle geschehen war, starrte Edward ihn entsetzt an.
„Du hast nie viel von deinem Bruder erzählt“, meinte er schließlich nachdenklich. „Und als er damals mit Marina durchbrannte, dachte ich, okay, Mason ist ein Mistkerl, aber so schlimm kann er auch wieder nicht sein, denn zu einer Sache wie dieser gehören immer zwei. Aber das hier...“ Er schüttelte fassungslos den Kopf. „Meine Güte, Matt, er muss dich wirklich hassen! Er hat tatsächlich versucht, Danielle zu töten, nur damit du sie nicht haben kannst! Das ist echt krank!“ Er kniff die Augen zusammen. „Was genau hat Cortez gesagt? Ist er sicher, dass Mason tot ist?“
Matt hob die Schultern.
„Vermutlich. Aber bisher haben sie seine Leiche nicht gefunden.“
„Die Strömung unterhalb der Klippen südlich von hier ist ungewöhnlich stark“, gab Edward zu bedenken. „Vielleicht werden sie ihn niemals finden.“
„Dann werde ich auch niemals vor ihm sicher sein“, murmelte Matt gedankenverloren.
Sein Geschäftspartner musterte ihn irritiert.
„Glaubst du wirklich, er könnte diesen Absturz überlebt haben?“
Matt sah ihn bedeutungsvoll an.
„Solange ich nicht mit eigenen Augen gesehen habe, dass Mason tot ist, solange muss ich damit rechnen, dass er irgendwann wieder in meinem Leben auftaucht.“
*
An der Grenze zu Mexiko
Pietro Santiago war mit seinem alten klapprigen Pick up auf dem Weg zurück nach Mexiko.
Zufrieden pfiff er ein Liedchen vor sich hin. Er hatte Mühe, um das überlaute Scheppern des Motors zu übertönen, doch das konnte ihm die Laune nicht verderben. Der Tag war gut gelaufen für den alten Händler, er hatte alle seine Hühner auf dem Markt in Huntington zu einem guten Preis verkauft. Jetzt freute er sich auf ein einfaches Abendessen und einen doppelten Tequila hinter der Grenze in Juanitas DRIVE IN. Noch ein halbes Stündchen, dann war er fast zu Hause..
Plötzlich sah er im Gegenlicht der untergehenden Sonne etwas auf der Straße liegen. Er kniff die Augen zusammen, um besser sehen zu können. Das war doch... Da lag jemand!
Pietro trat fluchend auf die Bremse, und sein Pick Up kam unmittelbar vor der reglos auf dem Asphalt liegenden Gestalt schnaufend und tuckernd zum Stehen. Der alte Mann starrte kurz durch die Windschutzscheibe und kletterte dann aus dem Wagen.
„Da brat mir doch einer`nen Wüstenfuchs“, murmelte er und schlurfte um den Bug des Pick Up herum.
Tatsächlich, dort lag ein Mann, mit dem Gesicht nach unten und rührte sich nicht.
„Señor? He, vamos… arriva... Señor! Mister!”, versuchte er ihn anzusprechen, doch als der Daliegende sich nicht rührte, schob er seinen alten, zerbeulten Hut zurück und kratzte sich ratlos am Kopf. „Der wird doch hoffentlich nicht hinüber sein“, brummte er und bückte sich, um nachzusehen, ob der Mann tot oder noch am Leben war.
In diesem Moment fuhr der Fremde herum und packte ihn mit eiserner Faust.
Pietro blieb augenblicklich die Luft weg und bevor er auch nur den leisesten Ton von sich geben konnte, traf ihn etwas knallhart am Kopf. Sofort schwanden ihm die Sinne, er verdrehte die Augen und es wurde Nacht um ihn herum...
Er spürte nicht mehr, wie seine Taschen durchsucht und er danach eine Böschung neben der Straße hinuntergerollt wurde, und er konnte auch nicht sehen, wie sein Pick Up mit aufheulendem Motor in Richtung der mexikanischen Grenze davon rollte, eine dichte Staubwolke hinter sich zurücklassend.