Als Marina ihr Elternhaus betrat, war alles still. Ihre Mutter pflegte sich um diese Zeit meistens in ihrem Atelier aufzuhalten, und ihr älterer Bruder Stefano, der als Ermittler beim örtlichen Police Departement arbeitete, hatte noch bis zum späten Nachmittag Dienst.
Marina warf ihre Tasche achtlos auf die Garderobenablage und trat zum Fenster. Während sie hinausstarrte, wanderten ihre Gedanken zurück.
Einmal, dachte sie verbittert, ein einziges Mal nur hatte sie in der letzten Zeit mit Mason geschlafen, und dieses eine Mal war auch nicht ganz freiwillig gewesen. Sie hatten sich beide zu diesem Zeitpunkt kaum mehr etwas zu sagen gehabt. Er war spät in der Nacht nach Hause gekommen, und als sie ihn deswegen zur Rede stellte, hatte es einen bitterbösen Streit gegeben. Mason war angetrunken und hatte sich anscheinend über irgendetwas geärgert, er war wütend und sagte gemeine Sachen. Schließlich hatten sie sich beide angeschrien, und Marina hatte damit begonnen, überstürzt ihre Sachen zu packen. Als er sie daran hindern wollte, war es sogar zu Handgreiflichkeiten gekommen, die schließlich damit endeten, dass sie beide zusammen im Bett landeten. Sie war danach so wütend und frustriert gewesen, dass sie beschloss, ihn zu verlassen. Doch dann erschien er mit einem Rosenstrauß im Hotelzimmer und bat sie um Verzeihung, was dazu führte, dass sie ihr Vorhaben zwar zunächst aufgab, aber von diesem Tag an im Nebenzimmer übernachtete.
Mason schien das nicht zu stören, im Gegenteil. Als er nach gewisser Zeit sogar ganze Nächte wegblieb, hatte sie beschlossen, diese fragwürdige Beziehung endgültig zu beenden.
Gedankenverloren strich sie über ihren Bauch, während ein bitteres Lächeln ihre Lippen umspielte.
Nun, so endgültig schien dieser Schlussstrich dann doch nicht gewesen zu sein…
„Hier kann ich nicht bleiben“, sagte sie zu sich selbst. „Eine ledige Mutter mit Kind... Das kann ich Mama nicht antun.“
Mechanisch begann sie damit, ihre Sachen wieder in die beiden Koffer zu packen. Wenn ihre Mutter zurückkam, würde sie bereits weg sein, ohne lästige Fragen beantworten zu müssen.
Wohin? Keine Ahnung, Hauptsache erst einmal fort. Zum Flughafen und mit dem ersten besten Flieger nach nirgendwo...
Sie setzte sich an den Tisch und schrieb ihrer Mutter einen Brief. Was genau sie schrieb, hätte sie hinterher nicht einmal mehr sagen können.
Sie ließ den Brief gut sichtbar auf dem Küchentisch liegen. Dann nahm sie das Handy und suchte die Nummer eines örtlichen Taxiunternehmens.
„Ich werde dich irgendwo allein großziehen“, sagte sie leise und legte ihre Hand wieder auf ihren Bauch. „Irgendwo, wo uns keiner kennt. Und wenn du ein Junge wirst, dann weiß ich auch schon einen Namen für dich. Selbst, wenn du später einmal deinem Vater ähnlich sehen solltest, so wirst du mich doch nicht an ihn erinnern, sondern an Matt...“
Plötzlich stutzte sie.
Langsam ließ sie das Handy wieder sinken, und ihre eigene Stimme klang in ihr nach: „...so wirst du mich doch nicht an ihn erinnern, sondern an Matt...“
Ihre Hand griff wie im Trance nach dem Abschiedsbrief. Ein sonderbares Lächeln zog über ihr Gesicht, während sie das Papier wie im Trance langsam zusammenknüllte und wegwarf.
Als Madame Dolores aus ihrem Atelier nach Hause kam, hatte Marina frische Lebensmittel eingekauft und wirtschaftete in der Küche herum. Sie schien bester Laune zu sein und trug ein luftiges Sommerkleid. Im Gegensatz zu heute Morgen wirkte sie erstaunlich erholt und sah richtig strahlend aus.
„Hallo Mama!“, rief sie freudig. „Du kommst gerade richtig. Ich habe dein Lieblingsessen zubereitet. Wie in alten Zeiten.“
*
Im OCEANS-Club war an diesem Abend nicht allzu viel los. Mitch und seine Mitbewohner saßen an einem der Tische direkt an der Tanzfläche und sahen etwas gelangweilt den beiden Pärchen zu, die sich zurzeit als Einzige auf der Tanzfläche abmühten.
„Möchtest du tanzen?“, fragte Mitch Suki, die lustlos in ihrem „Tequila Sunrise“ herumrührte.
Sie verzog äußerst skeptisch das Gesicht.
„Nach dieser Musik? Also ich weiß nicht...“
„Da hast du allerdings recht“, stimmte Chelsea zu. „Der Laden hier ist ja ganz niedlich, aber irgendwie fehlt dem Ganzen der spezielle Schwung.“
„Sag ich doch“, pflichtete Randy bei, der neben ihr saß. „Kein Wunder, wenn hier ein Besitzer nach dem anderen pleitegeht. Sie haben alle keine Ahnung, wie man so ein Geschäft aufzieht. Mit dem richtigen Engagement wäre das OCEANS jeden Abend brechend voll.“
Dean stand auf und sah sich prüfend um. Dann ging hinüber zur Bar und wechselte ein paar Worte mit dem Kellner. Der wies achselzuckend auf das ziemlich verwaist aussehende Mischpult des D.J.s und wandte sich dann wieder seiner Arbeit zu.
Dean nahm zielstrebig Kurs auf das gut gefüllte CD-Regal und nickte dabei bedeutungsvoll hinüber zu seinen Leuten am Tisch.
„Was hat er denn vor?“, fragte Suki erstaunt.
„Keine Ahnung. Vielleicht will er etwas Anderes auflegen“, vermutete Mitch.
Gespannt beobachteten sie, wie Dean eine Weile in den CDs herumstöberte. Dann nahm er das Mikrofon in die Hand, prüfte die Kabel und blendete den Song, der soeben träge vor sich hin jammerte, aus.
„Hallo Freunde! Ich merke schon die ganze Zeit, dass Ihr kaum erwarten könnt, hier mal so richtig abzutanzen. Also habe ich euch ein paar Titel herausgesucht, nach denen man sich einigermaßen bewegen kann.“ Er grinste, als er bemerkte, dass die anwesenden Gäste interessiert aufhorchten. „Na dann, sucht euch schnell jemanden, den ihr gern auf der Tanzfläche fest im Arm halten möchtet, und ab geht’s!“
Mit beifälligem Gemurmel vernahmen alle die einladenden Klänge des Songs, den Dean ausgewählt hatte. Es dauerte nur wenige Sekunden, und schon erschienen die ersten Paare auf der Tanzfläche.
„Darf ich bitten?“, fragte Mitch lächelnd und reichte Suki seine Hand.
„Ich kann aber gar nicht tanzen“, versuchte sie einzuwenden, doch er zog sie ungeachtet ihres Protestes mit sich fort.
„Schließ die Augen und überlass den Rest mir“, sagte er leise und nahm sie in den Arm. „Hör einfach nur auf den Klang der Musik.“
Weitere Pärchen folgten ihrem Beispiel, und bald darauf war die Tanzfläche so voll wie schon lange nicht mehr.
Dean lächelte zufrieden.
„Na also, geht doch“, murmelte er und suchte bereits die nächsten Songs heraus.
Chelsea trat zu ihm hinter das Mischpult und klatschte beifällig in die Hände.
„Gar nicht schlecht für einen Anfänger“, meinte sie anerkennend. „Du solltest dich hier als DJ bewerben.“
Er sah sie nachdenklich an.
„Das liegt nicht nur am DJ, denke ich. Der ganze Laden müsste neu aufgezogen werden, Bedarf ist ja da, wie man sehen kann.“
„Dann tu es doch!“, nickte sie herausfordernd. „Ich glaube, du könntest das.“
„Allein?“ Dean schüttelte den Kopf. „Nein, ohne Hilfe ist mir das zu heiß. Ich habe schließlich in dieser Branche kaum Erfahrung. Und wie ist es mit dir?“
„Mit mir?“ Chelsea verzog das Gesicht. „Ich habe auch noch keine Bar geleitet, wenn du das meinst. Aber andererseits...“ Sie musterte ihn nachdenklich. „Jeder fängt mal an, womit auch immer! Also ich würde es mir zutrauen.“
Sie sahen sich beide verträumt an, und plötzlich lächelte Dean.
„Also eine Überlegung wäre es immerhin wert.“ Er griff spontan nach ihrer Hand und zog sie mit verschwörerischem Grinsen hinter sich her. „Komm schon Chelsea, wir können ja bei einem Tanz noch mal über die ganze Sache nachdenken!“ Bevor sie irgendetwas erwidern konnte, fügte er mit einem bedeutungsvollen Augenzwinkern hinzu:
„Aber nur, wenn du nicht gleich wieder mit mir zu streiten beginnst!“
*
Als sie Matts Haus betraten, sah sich Danielle staunend um. Derart modern, hell und freundlich hatte sie sich die Wohnung eines allein lebenden Mannes nicht vorgestellt. Alles wirkte ordentlich und aufgeräumt und zeugte von exquisitem Geschmack. Auf dem Sims vor dem Spiegel standen frische, duftende Blumen, und durch die geöffnete Balkontür wehte ein leichter Wind und bauschte die schneeweißen Gardinen duftig auf.
„Ich bin beeindruckt, Matthew Shelton“, meinte sie und schmunzelte.
Belustigt sah er sie an.
„Hast du gedacht, ich wohne in einer einsamen dunklen Höhle, abseits jeder Zivilisation?“
Danielle lachte.
„Bestimmt nicht. Aber ich muss gestehen, du schaffst es immer wieder, mich zu überraschen. Du hast wirklich einen guten Geschmack.“
Matt ging in die Küche und kam kurz darauf mit einer Flasche eisgekühltem Champagner zurück. Er nahm zwei Kristallgläser aus der Vitrine und schenkte ein.
Lächelnd reichte er ihr ein Glas.
„Auf uns, Danielle! Was immer die Zukunft bringen mag.“
Bevor sie jedoch miteinander anstoßen konnten, klopfte jemand laut und energisch an die Tür.
Nicht gerade erfreut über die unverhoffte Störung übergab Matt Danielle sein Glas und öffnete. Vor ihm stand Anni.
„Hallo Matt! Da bin ich!“
Mit einem eigens für ihn aufgesetzten strahlenden Lächeln und in einem Kleid, wie es knapper nicht hätte sein können, rauschte sie ins Zimmer. „Du wolltest mir von der Stadtversammlung erzählen, zu der du gestern...“
In diesem Augenblick gewahrte sie Danielle, die mit den Gläsern in der Hand neben dem Kamin stand und die Szene interessiert beobachtete. Anni hatte die fremde Dame an Matts Seite zwar von ihrer Veranda aus gesehen und eigens aus diesem Grund die kleine Störung inszeniert, aber erst jetzt erkannte sie, mit wem sie es zu tun hatte
„Na, das darf ja wohl nicht wahr sein!“, platzte sie heraus und das Lächeln auf ihren grell geschminkten Lippen gefror zu Eis. „Was will denn die hier? Ist sie dir etwa von L.A. bis Sunset City hinterhergeflattert?“
Matt ließ die Tür geräuschvoll ins Schloss fallen und verschränkte demonstrativ die Arme.
„Anni, das ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt für deine unverschämten Bemerkungen“, sagte er ruhig, aber bestimmt.
Sie fuhr wütend und sichtlich frustriert herum.
„Und ob das der richtige Zeitpunkt ist“, fauchte sie und maß Danielle mit einem giftigen Blick. „Gerade noch rechtzeitig, wie mir scheint“ Sie trat einen Schritt auf ihn zu und blickte ihn vorwurfsvoll an. „Den ganzen Tag lang warte ich auf dich, und dann sehe ich dich mit dieser... dieser... Flugzeugkellnerin den Strand entlang bummeln, als hättest du nichts Wichtigeres zu tun!“
„Ganz recht, Anni“, erwiderte Matt und zog unmutig die Stirn in Falten. „Momentan gibt es wirklich nichts Wichtigeres für mich, als diesen Abend mit Danielle gemeinsam zu verbringen. Also wenn du uns jetzt bitte entschuldigen würdest.“ Er wies nachdrücklich auf die Tür.
Doch Anni dachte gar nicht daran, freiwillig das Feld zu räumen. Seine Aufforderung ignorierend kniff sie bösartig die Augen zusammen und wirbelte erneut zu Danielle herum.
„Heraus mit der Sprache: Was wollen Sie hier? Matt hat schon eine Putzfrau. Und seine Drinks serviere ich ihm ganz sicher viel besser als Sie. Also, machen Sie den Abflug, Verehrteste, Sie sind hier gänzlich überflüssig!“
„Anni, es reicht!“
Wütend über ihre unverschämten Bemerkungen griff Matt nach ihrem Arm, bereit, den ungebetenen Gast unsanft vor die Tür zu setzen.
„Lass gut sein, Matt“, unterbrach ihn Danielle mit dem sanften und nachsichtigen Lächeln eines Engels. „Ich glaube, wir sollten gastfreundlich sein und Miss Parker ebenfalls einen Drink anbieten.“ Sie trat auf Anni zu und nur das gefährliche Funkeln in ihren Augen ließ darauf schließen, dass ihr deren verletzenden Worte nicht gleichgültig waren. „Eiskalt und nicht abgestanden, so war es doch recht, oder?“
Mit diesen Worten goss sie den Champagner aus ihrem Glas ohne Vorwarnung in den Ausschnitt ihrer Rivalin.
Mit dieser Attacke hatte Anni nicht gerechnet.
Sie stand kerzengerade da, unfähig etwas von sich zu geben, den Mund fassungslos geöffnet, während das gut gekühlte Getränk bis hinunter zu ihrem Bauchnabel und noch ein entscheidendes Stück weiterlief.
Danielle lächelte honigsüß.
„Angenehm so, Miss Parker?“
„Ich befürchte, jetzt habe ich deine Freundin vergrault“, stellte Danielle wenig später fest und versuchte vergeblich, sich das Lachen zu verkneifen, als die Tür krachend zugeworfen wurde.
Dafür lachte Matt umso lauter.
„Du kannst ja ein richtiges Früchtchen sein“, meinte er sichtlich amüsiert und nahm ihr das leere Glas ab. „Das gefällt mir!“
„Du liebst also meine dunkle Seite? Muss ich mir jetzt Sorgen machen?“, lächelte sie mit unschuldigem Augenaufschlag, während er sich anschickte, das Glas neu zu füllen.
„Annis heißes Temperament konnte eine Abkühlung gut vertragen. Ich hoffe, die Wirkung der kalten Dusche hält lange an.“
Mit dem Champagnerglas in der Hand trat er erneut auf sie zu und bedachte sie mit einem liebevollen Blick.
„Im Ernst, ich möchte mich für Annis Verhalten entschuldigen.“
„Das musst du nicht. Du bist nicht für sie verantwortlich.“
Als er ihr die Antwort schuldig blieb, sah sie ihn prüfend an und ihr bis dahin amüsiertes Lächeln erstarb.
„Oder doch?“
„Manchmal bin ich mir da gar nicht sicher“, murmelte er kopfschüttelnd. „Anni kann ein richtig guter Freund sein, aber auch eine totale Zicke. So wie eben. “
„Sie liebt dich“, fasste Danielle ihre aus seiner Aussage gezogene Erkenntnis zusammen. Er nickte bekümmert.
„Leider beruht das nicht auf Gegenseitigkeit.“
Danielle starrte einen Augenblick lang gedankenverloren in das Glas, in dem das kostbare Getränk vor sich hin perlte.
„Dass du ihre Gefühle nicht erwiderst, schmerzt sie. Deshalb fährt sie die Krallen aus, sobald ein weibliches Wesen in deiner Nähe auftaucht. Eine unerwiderte Liebe tut weh.“
Matt zog erstaunt die Augenbrauen hoch.
„Verteidigst du sie gerade?“
Danielle nippte an dem prickelnden Champagner und lächelte.
„Ich verstehe ihre Gründe, aber ich bin nicht bereit, sie zu tolerieren.“
„Das hat sie mit Sicherheit begriffen und ich hoffe, sie hält sich in Zukunft von dir fern.“
„Oh glaub mir, Frauen wie Annie geben so schnell nicht auf.“
„Und Frauen wie du wissen anscheinend gut damit umzugehen.“
„Warten wir ab.“
Er sah sie mit diesem Blick an, der ihr bereits im Flugzeug weiche Knie beschert hatte.
„Was ist?“, fragte sie irritiert, worauf er wortlos die Hand hob und ihr zärtlich eine der goldbraun schimmernden Locken aus der Stirn strich.
„Lass uns nicht mehr von Anni reden. Der heutige Abend gehört nur uns beiden.“
Er öffnete weit die Verandatür und vollführte eine einladende Handbewegung.
„Bitteschön! Wir wollen mal sehen, ob ich mit der Aussichtsplattform von Mitchs Appartement konkurrieren kann.“
Danielle trat hinaus und sah sich staunend um.
„Nicht schlecht, Mr. Shelton! Bisher hatte ich geglaubt, der Ausblick von meiner Veranda sei nicht zu übertreffen“, schwärmte sie kopfschüttelnd. „Tja, das war wohl ein Irrtum.“
Matt nahm ihr das Glas ab und stellte es zusammen mit seinem auf den kleinen Verandatisch, der zusammen mit zwei Korbsesseln hier draußen für Gemütlichkeit sorgte.
„Schön, dass du hier bist“, sagte er leise und legte sanft den Arm um ihre Schultern.
„Schön, dass du mich eingeladen hast“, flüsterte sie zurück und lehnte sich wie selbstverständlich an ihn.
So standen sie beide eine Weile, genossen einfach nur schweigend die Nähe des anderen und schauten hinaus auf den weiten Ozean, dessen nimmermüde Wellen im Mondlicht funkelten.
Der Strand lag menschenleer vor ihnen, ein sachter Wind bewegte die Blätter der saftig grünen Palmen, die durch die Beleuchtung der Strandpromenade lange Schatten warfen. Danielle dachte an Anni und fühlte sich plötzlich irgendwie beobachtet. Aus dem Augenwinkel heraus nahm sie eine Bewegung unten am Strand wahr. Ihr schien, als würde ein Schatten zwischen den Palmen entlanghuschen, doch bei genauerem Hinsehen konnte sie nichts entdecken und schlussfolgerte, dass sie sich das nur eingebildet hatte Zum Teufel mit Anni! Die saß sicher nebenan im Nachbarhaus und schmollte grimmig vor sich hin.
Trotzdem blieb ein schaler Nachgeschmack der sie frösteln ließ.
Matt spürte es und drehte sich zu ihr um.
„Ist dir kalt?“
Sie schüttelte lächelnd den Kopf, und als sein Blick sie gefangennahm, waren alle düsteren Gedanken verschwunden.
Er trat ganz dicht an sie heran und schloss sie zärtlich in die Arme. Der zarte Duft ihres Parfüms berauschte seine Sinne.
„Es ist schön, hier zu stehen und mit dir aufs Meer zu schauen“, raunte er verheißungsvoll. „Aber noch viel schöner ist es, dich anzusehen…“
Sekundenlang blickten sie sich beide in die Augen, bevor sich ihre Lippen zu einem langen, innigen Kuss fanden.
Langsam und genüsslich, als hätte er alle Zeit der Welt, nahm er mit seinem Mund Besitz von ihren Lippen, die sich, einer durstigen Blüte gleich, bereitwillig öffneten, um seiner forschenden Zunge Einlass zu gewähren.
Zuerst ganz zart, wurde der Kuss schnell intensiver und leidenschaftlicher.
Ein wohliges Stöhnen drang aus ihrem Mund, während er sie wild und sinnlich zugleich liebkoste. Sie hatte ihre Arme um seinen Hals geschlungen hatte, um ihm so nahe wie möglich zu sein.
Seine zärtlichen Berührungen jagten ihr unzählige wohlige Schauer über den Rücken, und sie spürte, wie ihre Knie nachzugeben drohten.
Währenddessen begaben sich seine Fingerspitzen auf eine sinnliche Wanderschaft, glitten an ihrem Hals entlang über ihre Schultern, streichelten ihren Rücken, bevor sie begannen, sich am Verschluss ihres Kleides zu schaffen zu machen.
In diesem Augenblick löste sie sich aus seinen Armen.
„Matt, warte. Vielleicht sollten wir…“
Erstaunt hielt er inne.
„Hineingehen?“, ergänzte er hoffnungsvoll.
Sie wich seinem Blick aus und trat einen kleinen Schritt zurück. Plötzlich war da wieder dieses vage Gefühl von irgendwo her beobachtet zu werden.
„Ich meinte eher… vielleicht sollten wir nichts überstürzen“, flüsterte sie leise, fast entschuldigend.
Falls er enttäuscht war, so zeigte er es nicht. Er lächelte und nickte.
„Aber natürlich. Ich bringe dich nach Hause.“
Sie traten zurück ins Zimmer und Danielle fragte sich erneut insgeheim, ob es richtig war, was sie tat. Wo zum Teufel lag ihr Problem? Sie war hier, bei ihm. Bei diesem Mann, der schlichtweg die Erfüllung ihrer Träume versprach, und sie beendete diesen schönen Abend? War sie noch bei Trost?
Als er ihr in die Jacke helfen wollte, drehte sie sich abrupt um.
„Matt …“
An den Ärmeln der um ihre Schultern liegenden Jacke zog er sie ganz dicht an sich heran.
„Du bist das Beste, was mir seit der Trennung von Marina passiert ist, Danielle. Ich will mit dir zusammen sein, mehr als alles andere. Aber ich verstehe dich und ich möchte dich nicht drängen. Wir haben alle Zeit der Welt.“
Sie schlang die Arme um seinen Hals und küsste ihn. Er erwiderte ihren Kuss zärtlich, aber nicht mehr fordernd. Irritiert sah sie ihn an.
„Ist wirklich alles okay?“
„Klar“, erwiderte er mit belegter Stimme. „Aber ich bin auch nur ein Mann, und wenn ich dich jetzt so küsse, wie ich das gern möchte, dann wirst du mit Sicherheit nicht nach Hause gehen. Und das wäre nicht fair.“
Sie nickte seufzend.
„Danke, Matt.“
*
Außer sich vor Wut war Anni nach Hause geeilt, hatte sich des nassen Kleides entledigt und stand nun vor Empörung zitternd und zutiefst frustriert unter der Dusche.
„Das wirst du mir büßen, du widerliches, kleines Miststück!“, fauchte sie, während sie ihre Haut schrubbte, als habe Danielle sie mit Gift, anstatt mit teurem Champagner überschüttet. „Mit Annabell Parker legt man sich nicht an, das wirst du noch merken, du... du... Landpomeranze! Wenn du denkst, du kommst hierher und schnappst mir Matt einfach weg… Oh nein, das kannst du getrost vergessen! Ich werde dich mitsamt deiner lächerlichen Pinguin- Uniform in den nächsten Flieger verfrachten, aber vorher bekommst du von mir noch einen kräftigen Tritt in dein Hintert...“
„Anni?“
Wes steckte irritiert den Kopf durch den Türspalt. „Mit wem erzählst du denn da? Schleppst du deine Lover neuerdings auch noch mit unter die Dusche?“
„Daddy...“ Erschrocken drehte Anni das Wasser ab und schielte hinter dem Vorhang vor. „Du bist schon zurück? Ich dachte, du hast heute ein Geschäftsessen in L.A.?“
„Ja, ja“, brummte er, „Ich hatte nur noch etwas vergessen.“ Er wollte schon die Tür schließen, als ihm noch etwas einfiel. „Es kann etwas länger dauern, warte nicht auf mich.“
„Grüß sie schön von mir“, rief sie ihm trotz ihrer Wut hinterher und schnaufte geringschätzig. „Geschäftsessen... Wer bin ich denn, dass er mir so etwas weismachen will.“
Wes räusperte sich vielsagend und zog geräuschvoll die Tür hinter sich zu.
Sich vor seiner Tochter rechtfertigen zu müssen, war so ziemlich das Letzte, wonach ihm der Sinn stand. Trotzdem ärgerte er sich insgeheim, dass sie ihn und seine gelegentlichen Lügen jedes Mal sofort durchschaute. Es wäre wirklich besser für alle Beteiligten, wenn sie sich endlich eine eigene Wohnung suchen würde.
Anni wickelte sich in ein flauschiges Handtuch und frottierte ihr Haar.
„Alle haben heute Abend ihren Spaß“, maulte sie frustriert. „Nur ich sitze hier sinnlos herum. Und warum? Weil so ein kleines Luder einfach daherkommt und mir meinen...“
Ein lautes Klopfen an der Eingangstür unterbrach sie mitten in einer neuen Schimpfattacke gegen ihre vermeintliche Rivalin.
Barfüßig, halb nass und nur notdürftig in das Handtuch gehüllt, das ihre Blößen kaum verdeckte, stampfte sie missmutig die Treppe hinunter.
„Na Daddy, was hast du denn diesmal vergessen? Etwa die Schachtel mit den Kondomen?“, rief sie genervt und riss schwungvoll die Tür auf.
„Keine Sorge, Süße, die habe ich für den Notfall immer dabei“, grinste der junge Mann, der draußen stand und sie mit unverhohlener Neugier von oben bis unten betrachtete.
Was er sah, gefiel ihm außerordentlich gut. Anni war schon immer eine Frau ganz nach seinem Geschmack gewesen. Bereits als junges Mädchen hatte er sie heimlich mit seinen lüsternen Blicken verfolgt, und nur die Tatsache, dass sie Wess` heißgeliebtes Töchterlein war, hatte ihn von intensiveren Maßnahmen abgehalten.
Doch nun, als sie, nur mit diesem knappen Handtuch bekleidet, so appetitlich direkt vor ihm stand, schob er auch die letzten Skrupel beiseite. Diese einzigartige Mischung aus Sex und purer Sinnlichkeit, die sie ausstrahlte, wirkte wie eine Offenbarung auf ihn. Schon allein der Gedanke daran, sich mit ihr hemmungslos und engumschlungen zwischen zerwühlten Laken zu wälzen, führte sofort dazu, dass er beängstigende Herzrhythmusstörungen und einen gewaltigen Druck in seiner Hose verspürte.
„Hallo Anni“, begrüßte er sie mit rauer Stimme, während seine dunklen Augen vor Verlangen funkelten. „Scheint fast so, als hättest du bereits auf mich gewartet!“
„Bobby“, schnaufte Anni wenig erfreut und zog ihr Handtuch höher. „Was willst du denn hier? Wes ist nicht da! Du hast ihn gerade verpasst.“
„So?“ Er schob einfach die Tür auf und trat unaufgefordert an ihr vorbei ins Haus. „Das ist wirklich schade, dabei ist es äußerst wichtig, was ich ihm zu sagen habe.“ Betont lässig grinsend ließ er sich auf die Couch fallen, ohne Anni dabei aus den Augen zu lassen. „Ich denke, ich werde hier auf ihn warten.“
„Vergiss es!“, zischte sie und wies auf die Tür. „Raus hier, Bobby, oder es gibt Ärger!“
Er lachte hämisch.
„Was willst du tun, Teufelchen? Willst du mich mit deinem Handtuch erwürgen? Okay, aber dafür musst du es erst einmal abnehmen!“
„Verschwinde, oder ich rufe um Hilfe!“
Demonstrativ hielt sie die Tür auf, doch Bobby Hudghes schien das nur noch mehr zu belustigen. Langsam stand er wieder auf und kam auf Anni zu, einem gefährlichen Raubtier gleich, dass sich seiner Beute bereits sicher war.
„Nun hab dich nicht so, Schätzchen, wir werden eine Menge Spaß miteinander haben, wir zwei! Du weißt, ich stehe schon lange auf dich, und wenn du ehrlich bist, willst du es doch genauso.“
Anni wich einen Schritt zurück. Sie war gewiss kein ängstlicher Typ, doch das hier war kein Spaß. Sie konnte die Gefahr, die von diesem schmierigen, kleinen Handlanger ihres Vaters ausging, förmlich spüren, und obwohl sie versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, glitzerte doch die Angst in ihren Augen. Dieser Kerl würde vor nichts zurückschrecken, außer vor...
„Wenn du nicht sofort verschwindest, erzähle ich es Wes!“
Er stutzte einen Moment, doch dann grinste er breit.
„Na klar, nur zu, ich habe noch etwas gut bei ihm. Er wird sich freuen, wenn er hört, dass die Rechnung beglichen ist.“ Besitzergreifend streckte er die Hand nach ihr aus. „Nun komm schon, Anni, hab dich nicht so! Du bist doch sonst nicht so wählerisch. Wir haben den ganzen Abend für uns... Mach endlich die verdammte Tür zu!“
„Ich denke nicht daran! Du bist ja völlig übergeschnappt!“
Auch wenn sie sich vorhin ziemlich einsam gefühlt hatte, nach Bobby Hughes` zweifelhafter Gesellschaft verspürte sie keinerlei Verlangen. Panisch wich sie vor ihm zurück, drehte sie sich um und wollte hinauslaufen, als zwei starke Arme sie auffingen.
„Gibt es hier vielleicht ein Problem?“
*
„Na Frau Doktor, wie wäre es, wenn wir den missglückten Strandbummel von gestern nachholen würden?“, schlug Mitch nach dem Besuch im OCEANS vor und deutete auf den nachtblauen Himmel über ihnen. „Die Sterne stehen günstig!“
Zu seiner Überraschung lächelte Suki und nickte.
„Okay, gehen wir. Ich kann ein bisschen frische Luft gebrauchen.“
Schweigend schlenderten sie beide nebeneinander her.
„Erzähl mir von dir, Suki“, sagte Mitch schließlich leise. „Ich weiß viel zu wenig über dich.“
Suki hob die schmalen Schultern.
„Was willst du denn wissen? So wahnsinnig interessant war mein Leben bisher leider nicht.“
Er blieb stehen und sah sie an.
„Da habe ich aber einen etwas anderen Eindruck. Was du kürzlich Danielle in der Küche erzählt hast, von deiner Familie, deinem Verlobten, und wie du dich entschlossen hast, einfach drauflos zu fahren und irgendwo neu anzufangen, das klang schon ziemlich interessant. Und mutig!“
Suki blinzelte belustigt.
„Sieh mal einer an, also hast du uns doch belauscht!“
„Nein, ich war nur zufällig in der Nähe“, beteuerte er schnell, und sie warf lachend den Kopf zurück.
„Ja klar, Mitch Capwell, nie um eine Ausrede verlegen, wie? Also wenn ich ehrlich bin, das mit dem drauflosfahren, das war wohl mehr eine Kurzschlussreaktion. Ich bin sicher, mein Psychologie-Professor in Stanford hätte es mit „Panikattacke“ umschrieben. Normalerweise verhalte ich mich etwas besonnener.“
„Wie meinst du das?“
„Nun, ich überlege mir meistens genau, ob ich etwas tue oder nicht. Das schützt mich vor unliebsamen Überraschungen.“
„Aber ist das nicht auf die Dauer langweilig? Für die wirklich wichtigen Dinge im Leben gibt es selten einen Garantieschein.“
„Mag sein, aber ich habe gewisse Probleme mit Bauchentscheidungen. Das liegt sicher an meiner Erziehung. Mein Vater achtete stets darauf, dass ich genau abwäge, was mir wichtig ist.“
„Also bereust du deinen spontanen Neubeginn inzwischen?“
Suki schien einen Augenblick lang zu zögern und schüttelte dann den Kopf.
„Nein“, sagte sie, etwas hastig, wie ihm schien, und ging weiter.
Mitch folgte ihr schnell.
„Heißt das, du hast vor, erst einmal in Sunset City zu bleiben? Bei uns?“
„Ja, ich glaube schon.“
Er strahlte und ging eine Weile schweigend neben ihr her. Irgendwann griff er nach ihrer Hand, darauf gefasst, dass sie diese sofort wieder wegziehen würde, doch zu seiner Überraschung tat sie das nicht. Er warf ihr rasch einen Blick zu und sah, wie sie lächelte.
Ihr schwarzes Haar glänzte im Mondlicht.
Vor einem der Strandhäuser blieb er plötzlich stehen, zog sie sanft zu sich heran und umfasste ihre schmale Taille. Sie ließ es geschehen und sah ihn mit ihren geheimnisvollen, dunklen Samtaugen erwartungsvoll an.
„Du bist wunderschön, Shugar“, flüsterte er leise.
„Mein Name ist nicht Shugar“, protestierte sie halbherzig.
„Ist mir egal…“, flüsterte er und beugte sich vor, um sie zu küssen, als genau in diesem Augenblick eine ihm wohlbekannte aufgeregte Stimme an sein Ohr drang:
„Wenn du nicht sofort verschwindest, erzähl ich es Wes!“
Dann war da noch eine Männerstimme, drohend und unheimlich.
Schlagartig wurde Mitch klar, wo er sich mit Suki gerade befand. Das hier war doch Annabells Haus! Und es hörte sich momentan sehr danach an, als ob Anni in arger Bedrängnis war...
Abrupt ließ er Suki los.
„Warte einen Augenblick, ich bin gleich zurück“, rief er und lief zu der sperrangelweit offen stehenden Tür, von der aus die Stimmen zu vernehmen waren.
Suki hatte den heftigen Wortwechsel ebenfalls gehört.
„Sei vorsichtig, Mitch“, rief sie beunruhigt.
„Keine Sorge.“
Er war bereits am Eingang, als Anni, nur mit einem knappen Badetuch bekleidet, gerade fluchtartig das Haus verlassen wollte, und nun geradewegs in seinen Armen landete.
„Gibt es hier vielleicht ein Problem?“
„Hilfe…!“, stöhnte sie und wies zitternd hinter sich. „Dieser Irre da...“
„Na na na! Kein Grund zur Panik!”, unterbrach sie Bobby Hughes und hob abwehrend beide Hände, während er scheinheilig grinsend hinter Anni auftauchte. „Wir haben uns nur nett unterhalten. Sie scheint da etwas völlig falsch verstanden zu haben.“
Mitch erfasste die Situation mit einem Blick. Ruhig, aber bestimmt schob er Anni von sich und trat auf Bobby zu, der lässig im Türrahmen lehnte.
„Hughes...“, brachte er zwischen den Zähnen hervor, „Bist du mal wieder auf Beutezug, du widerliches Stinktier?“
„Ach komm schon...“ Bobby wich einen Schritt zurück. „Was soll die ganze Aufregung? Anni übertreibt mal wieder maßlos! Du kennst sicher diese Sorte Weiber, erst heizen sie einem ein... Aber wem erzähle ich das, die hier kennst du schließlich viel besser als ich!“
Das hätte er nicht sagen sollen. Mitch packte ihn mit eisernem Griff am Hemd.
„Du verschwindest jetzt besser, Hughes, oder ich werde dafür sorgen, dass du ab morgen für dein Schandmaul ein Gebiss brauchst“, zischte er.
„Ist ja gut, verdammt! Ich bin schon weg.“ Bobby zog hastig sein Hemd glatt. „Wir sprechen uns noch, Capwell“, knurrte er, als er einige Schritte Sicherheitsabstand zwischen sich und Mitch gebracht hatte und verschwand mit einem giftigen Seitenblick auf Anni in der Dunkelheit.
„Alles in Ordnung mit dir?“, fragte Mitch besorgt.
„Klar“, knurrte Anni unwillig. „Ich wäre bestimmt auch allein mit ihm fertig geworden.“
Mitch grinste. Das war doch wieder typisch für sie, nur keine Schwäche eingestehen, wenn die Gefahr vorbei war!
„Na komm, ich bring dich rein, du zitterst ja“, meinte er und nahm ihren Arm, doch sie machte sich ungeduldig los.
„Lass das, ich brauche deine Hilfe nicht!“ Unwirsch wies sie in Richtung Strandpromenade. „Schau lieber nach, wo deine kleine Freundin geblieben ist!“
Erstaunt drehte Mitch sich um.
Suki war verschwunden.
*
Der junge Mann stieg an der Ecke Ocean Avenue / Main Street aus dem Taxi und blickte sich suchend um. Um diese Zeit befanden sich kaum noch Leute auf der Straße, und so beschloss er, in den kleinen Coffeeshop gegenüber zu gehen und sich nach einem Motel in der Nähe zu erkundigen, wo er die Nacht verbringen konnte.
Er nahm seine Reisetasche und überquerte die Fahrbahn.
Das Lokal war fast leer, und es schien, als wolle die Besitzerin gerade schließen. Sie und ein junges, blondes Mädchen waren beim Aufräumen, als er hereinkam.
Ein kleiner zotteliger Mischlingshund kam neugierig näher und schnüffelte an den Schuhen des Neuankömmlings.
Die Wirtin lächelte den jungen Mann freundlich an.
„Es tut mir leid“, sagte sie. „Aber wir haben bereits geschlossen.“
„Oh, ich wollte eigentlich nur fragen, ob sich hier in der Nähe ein Motel befindet.“ erwiderte er und wies auf seine Reisetasche. „Ich bin eben erst angekommen und weiß noch nicht, wo ich die Nacht verbringen soll.“
Das blonde Mädchen blickte auf.
„Unten am Strand, etwa zweihundert Meter von hier rechterhand befindet sich das BEACHWOOD - Motel, die haben immer Zimmer frei.“
Die Besitzerin schüttelte den Kopf.
„Ich weiß nicht, Kim, ob das BEACHWOOD das Richtige für den jungen Mann ist“, meinte sie mit einem Blick auf seine teuer aussehende Lederjacke. „Es ist alles sehr einfach dort, Sie dürften keine großen Ansprüche stellen.“
„Kein Problem“, wehrte er ab und graulte dem kleinen Hund das Fell. „Ein Bett für die Nacht würde mir schon reichen.“
„Dann sind Sie dort genau richtig“, nickte die Blonde und fuhr fort, den Tresen zu polieren. „Wie gesagt, von hier aus gerade hinunter zum Strand und dann ein Stück nach rechts, Sie können es nicht verfehlen.“
Er nahm seine Tasche.
„Vielen Dank“, sagte er höflich. „Wir sehen uns sicher in den nächsten Tagen noch.“
„Haben Sie vor, länger in Sunset City zu bleiben?“, fragte die nette Wirtin interessiert.
Er hob unschlüssig die Schultern.
„Ich weiß noch nicht, kommt ganz darauf an... wie sich alles entwickelt. Vielleicht mache ich nur ein paar Tage Urlaub, aber vielleicht bleibe ich auch länger hier. Mal sehen.“
Er nickte den beiden Frauen mit einem verbindlichen Lächeln zu.
„Gute Nacht, Ladys!“
Draußen atmete er tief durch.
Also erst einmal hinunter zum Strand, um im BEACHWOOD eine Bleibe zu finden...
Auf dem Weg dorthin entdeckte er einen Getränkeautomaten, und da er höllischen Durst verspürte, warf er eine Münze ein und zog sich eine Dose Cola, die er hastig zu öffnen versuchte. Dabei brach der Verschluss ab und bohrte sich schmerzhaft tief in seinen rechten Daumen.
„Verdammt!“
Schnell suchte er nach einem Taschentuch, um das Blut zu stoppen, das sofort aus der Wunde schoss. „So ein Mist aber auch!“
„Haben Sie sich verletzt?“, hörte er in diesem Augenblick eine helle Stimme hinter sich.
Er drehte sich um und sah in das Gesicht eines Engels.
Der „Engel“ hatte schulterlanges blondes Haar, sinnliche volle Lippen und Augen, deren Farbe er zwar in der Dunkelheit nicht erkennen konnte, die ihn jedoch sofort gefangen nahmen.
„Sie müssen blaugrau sein“, sagte er gedankenversunken, während er den Blick nicht von ihrem ebenmäßigen Gesicht abzuwenden vermochte.
„Wie bitte?“, fragte sie leicht irritiert.
„Ihre Augen“, antwortete er lächelnd. „Ich habe überlegt, welche Farbe sie haben.“
Die junge Frau hob erstaunt die Augenbrauen.
„Geht es Ihnen gut?“
„Entschuldigung, ich bin nur total überrascht“, erwiderte er und räusperte sich etwas verlegen. „Es ist nämlich so... Ich bin gerade erst angekommen und schon begegnet mir das schönste Mädchen von der Westküste Kaliforniens. Geben Sie es zu, Sie sind ein berühmtes Model, oder zumindest eine bekannte Schauspielerin.“
Sie lachte, und ihr Lachen gefiel ihm, wie alles an ihr, was er bisher gesehen hatte.
„Ich weiß nicht, wo Sie herkommen, und was man Ihnen über Kalifornien erzählt hat, aber längst nicht jeder im Sonnenstaat ist eine Berühmtheit. Ich bin weder ein Model, noch eine Schauspielerin, sondern nur eine einfache Studentin, und das da...“ Sie wies mit einem besorgten Blick auf seinen Daumen, dessen notdürftiger Zellstoffverband bereits blutdurchtränkt war, „…sollten Sie möglichst schnell medizinisch versorgen lassen. Das scheint ein ziemlich tiefer Schnitt zu sein.“
„Oh.“ Er betrachtete flüchtig seine Hand. „Das ist nichts weiter.“
Doch die junge Frau war anderer Meinung.
„So, wie das blutet, könnte eine Ader verletzt oder sogar eine Sehne zertrennt worden sein. Wenn das der Fall ist und Sie es nicht behandeln lassen, könnte es passieren, dass Sie den Daumen nie wieder richtig bewegen können.“ Sie wies in Richtung Strand. „Kommen Sie mit, ich bringe Sie zum Medical Center, das ist nur ein paar Schritte von hier entfernt.“
„Ich will Ihnen aber keine Umstände machen, Miss...“
„Ach was, das tun Sie nicht.“ Sie streckte ihm ihre Hand entgegen. „Ich bin Caroline Hamilton. Und wer sind Sie?“
„Brendon Finley“, antwortete er und ergriff mit der gesunden Linken ihre Hand. „Ich komme aus Oklahoma und will meine...“ Mit einem Blick auf ihr erwartungsvoll lächelndes Gesicht verbesserte er sich schnell „ähm, ich wollte sagen, ich will einen alten Freund von mir besuchen, der seit kurzem hier lebt.“
*
Als Bobby Hughes seine Wohnung betrat, die mehr einer heruntergekommenen Absteige als einem gemütlichen Zuhause glich, blinkte das Faxgerät, das in der Dunkelkammer gleich neben seiner umfangreichen Fotoausrüstung stand.
Mit einer ungeduldigen Bewegung riss er das Blatt heraus und betrachtete es mit finsterem Blick. Der Tag heute war so miserabel für ihn gelaufen, dass er eigentlich keine Lust auf weitere Hiobsbotschaften verspürte. Er las, und plötzlich hellte sich sein mürrisches Gesicht auf und verzog sich zu einem teuflischen Grinsen.
„Sieh mal einer an, welch ein Zufall!“ Er betrachtete das Foto, das zusammen mit dem Text von seinem Kontaktmann in Tokio durchgegeben worden war. „Dieses Gesicht habe ich doch heute schon einmal gesehen, wenn mich nicht alles täuscht!“ Er lachte hämisch. „Die Nachricht wird Wes Parker freuen, da kann ihm sein missratenes Töchterlein erzählen, was sie will. Das hier...“ Er wischte mit der Hand über das Fax und nickte, „... wird unser Freifahrtschein ins Paradies!“
Er warf das Blatt Papier achtlos auf die Anrichte und holte sich ein Bier aus dem Kühlschrank. Dann setzte er sich in den schäbigen Sessel, legte die Beine hoch und drückte auf die Fernbedienung des Fernsehers. Er trank das Bier mit einem Zug, rülpste und war Minuten später eingenickt.
Von dem Fax auf der Anrichte lächelte deutlich erkennbar das hübsche Gesicht von Dr. Suki Yamada.