Am späten Nachmittag erreichten Matt und Danielle die einsam gelegene Blockhütte in den San Bernadino Mountains. Sie gehörte zu einem Ferienresort mit mehreren privaten Blockhütten in einem riesigen Waldgebiet. Ein Territorium, das so viel Ruhe und Frieden ausstrahlte, dass man sich hier ganz sicher prächtig vom Alltagsstress erholen konnte.
Nahe der Blockhütte gab es einen kleinen idyllischen See, der von einer Quelle aus den Bergen mit glasklarem Wasser gespeist wurde.
„Willkommen, schöne Fremde“, sagte Matt feierlich, als Danielle staunend aus dem Wagen stieg. Danielle war begeistert. Auf einer Farm in ländlicher Gegend aufgewachsen fühlte sie sich hier sofort wohl. Mit Matt an ihrer Seite würden das sicher unvergessliche Tage zu zweit werden.
Ehe sie sich versah, nahm er sie auf seine Arme und trug sie über die Schwelle hinein ins Haus.
„Ich hoffe, es wird dir nicht allzu langweilig, so ganz allein mit mir. Ohne das Meer, den Strand, das OCEANS und deine Mitbewohner!“
Danielle lachte übermütig.
„Ich werde versuchen, es zu überstehen.“
Die rustikale Blockhütte sah phantastisch aus. Zufrieden stellte Matt fest, dass seine Leute entsprechend ihrem Auftrag ganze Arbeit geleistet hatten.
Die Zimmer waren frisch tapeziert und das Schlafzimmer war auf seine Anweisung hin sogar neu möbliert worden. Alles wirkte hell und freundlich. An den blitzblanken Fenstern hingen zarte Vorhänge und auf dem Tisch in der kleinen Küche stand ein herrlicher Strauß roter Rosen, die er extra bestellt hatte.
Aber was das Wichtigste war – nichts erinnerte hier mehr an Marina. Es war wie ein ganz neuer Anfang, und so sollte es auch sein.
Lächelnd beobachtete er Danielle, die staunend die Einrichtung der Blockhütte inspizierte. Das kleine Häuschen auf der Lichtung im Wald schien wohl ganz nach ihrem Geschmack zu sein, denn ihre Augen leuchteten wie die Sonne, deren Strahlen sich durch die Fensterscheiben brachen und die vorderen Räume in goldenes Licht tauchten.
Bereits auf der Fahrt hierher, entlang der von Zypressen und Pinien eingesäumten Interstate, die sich nordöstlich durch die bewaldeten Hügel hinauf in die San Bernadino Mountains schlängelte, war sie begeistert gewesen von der Schönheit der Natur und so voller Spannung und Vorfreude, wo Matt wohl mit ihr hinfahren würde, dass es ihm schwerfiel, ihr nicht vorher schon das Ziel des Ausfluges zu verraten.
„Matt, es ist so wundervoll hier“, rief Danielle schließlich und drehte sich zu ihm um. „Du bist wundervoll“, fügte sie mit diesem Lächeln hinzu, dass ihn schon von Anfang an so an ihr fasziniert hatte. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und gab ihm einen Kuss.
„Mh… davon darf es gerne etwas mehr sein“, flüsterte er genießerisch.
Seine unbedachten Worte ernüchterten sie schlagartig.
Hatte Mason nicht gestern am Strand fast dieselben Worte gebraucht?
´Reiner Zufall´, schalt sie sich insgeheim und nahm sich fest vor, Mason und seine Gemeinheiten für den Rest des Ausfluges konsequent aus ihrem Kopf zu verbannen.
„Komm schon“, rief sie betont fröhlich und befreite sich schnell aus Matts Umarmung. „Jetzt holen wir erst einmal unser Gepäck herein.“
„Warte…“ Er nahm eine Rose aus der Vase und reichte sie ihr. „Ich bin froh, dass wir ein paar Tage für uns allein haben. Hauptsache, du findest es nicht zu primitiv hier, fernab der Zivilisation, ohne jeglichen Luxus und Komfort.“
Danielle schnupperte an der herrlichen, dunkelroten Rosenblüte und lächelte.
„Primitiv? Machst du Scherze? Wir haben Licht und fließendes Wasser.“
„Kaltes und heißes Wasser, und ein Kamin ist auch da. Er funktioniert sogar“, fügte Matt nicht ohne Stolz hinzu.
Danielle legte die Arme um seinen Hals.
„… und du bist da“, ergänzte sie bedeutungsvoll. „Ich glaube, ich bin mit der Situation hier vollkommen zufrieden.“
Ihre Blicke tauchten ineinander und ließen sich nicht los.
Vorsichtig, als sei es zerbrechlich, nahm Matt Danielles Gesicht zwischen seine Hände und begann zärtlich ihre verführerischen Lippen zu küssen. Als er spürte, dass sie seinen Kuss erwiderte, zog er sie näher zu sich heran.
„Du bringst meinen perfekten Plan völlig durcheinander“, raunte er ihr ins Ohr.
„Wovon redest du?“
„Eigentlich wollte ich jetzt für uns kochen, aber dafür müsste ich dich loslassen…“
„Oh, ich bin überhaupt nicht hungrig“, flüsterte Danielle zurück.
„Na, wenn das so ist“, grinste er, während er sie erneut schwungvoll auf seine Arme nahm und nach nebenan ins Schlafzimmer trug. „Dann bleibt die Küche vorerst kalt.“
Danielle genoss ihr Zusammensein mit Matt in vollen Zügen.
Während seine Hände ihren Körper streichelten und seine Lippen jeden Zentimeter ihrer Haut liebkosten, schienen ihr Sunset City und Masons hinterhältiger Erpressungsversuch mit einem Mal unendlich weit weg zu sein, fern jeder Realität und ohne Gefahr für sie und ihre tiefen Gefühle für den Mann mit den ausdrucksstarken tiefblauen Augen, der sie so unendlich glücklich sein ließ. Sie gab sich ganz in seine Hand, ließ sich fallen und bedenkenlos von ihrer Leidenschaft überwältigen…
„Ist dir kalt?“ fragte Matt viel später, als sie beide atemlos nebeneinander lagen.
Anstatt einer Antwort kuschelte sich Danielle wohlig in seine Arme.
Zärtlich streichelte er ihr Haar.
„Ich war noch niemals in meinem Leben so glücklich, Matt“, sagte sie ernst.
„Daran wird sich auch nichts ändern, Liebling“, versprach er, zog sie ganz dicht zu sich heran und küsste sie. „Dafür werde ich sorgen.“
*
Zögernd betrat Brendon das SC Polizeirevier und sah sich einen Moment lang prüfend um. Dieses mulmige Gefühl in der Magengegend, dass ihn in den letzten Tagen ständig begleitete, verstärkte sich beim Anblick der Männer in Uniform, und am liebsten wäre er sofort wieder gegangen, doch der diensthabende Officer hinter dem Empfangstresen hatte ihn bereits entdeckt.
„Kann ich Ihnen helfen?“, fragte er und sah Brendon abwartend an.
„Na ja… ich… ich wollte zu Detektiv Cortez“, erwiderte dieser und trat vorsichtig näher.
„In welcher Angelegenheit?“, erkundigte sich der Beamte pflichtgemäß und nahm einen Notizblock zur Hand.
Brendon biss sich nervös auf die Lippen.
„Tja also… es geht um diesen… Unfall am Strand…“
Der Officer blickte erstaunt hoch.
„Unfall? Welcher Unfall?“
„Dieser Mann, der am Pier gefunden wurde…“
„Ach so, Sie meinen die Mordsache“, verbesserte der Beamte und zog die Augenbrauen hoch. „Sind Sie ein Zeuge?“
Brendon nickte. Sein Mund fühlte sich plötzlich an, als sei er ausgetrocknet.
„Einen Moment.“
Der Officer nahm den Telefonhörer und wählte eine Nummer.
„Stefano? Hier ist jemand für dich, der im Mordfall Thorne aussagen möchte… Okay, geht klar.“ Er wandte sich wieder an Brendon. „Bitte setzen Sie sich einen Augenblick, Detektiv Cortez ist gleich für Sie da.“
Während Brendon auf einem der Stühle im Wartebereich vor dem Tresen Platz nahm, wanderten seine Gedanken zum wiederholten Mal zurück zu den Ereignissen der letzten Nacht…
Zusammen mit ihrem Vater hatte er noch während des Brandes die obere Etage verzweifelt nach Caroline abgesucht, allerdings ohne Erfolg. Erst als die Feuerwehrleute die beiden Männer mit Nachdruck aufforderten, sich nach draußen zu begeben, hatten sie schließlich das Haus verlassen und die Löscharbeiten notgedrungen von der Absperrung aus beobachtet.
„Es ist ihr nichts passiert, Mr. Hamilton“, versuchte Brendon Carolines Dad zu beruhigen, als die Polizisten schließlich fort waren und nur eine Wache an der Brandstelle zurückgelassen hatten.
„Woher wollen Sie das wissen?“, fragte Edward überrascht und sah ihn zum ersten Mal in dieser Nacht direkt an.
„Na ja… Ich habe zwei Männer weglaufen sehen… Aber sie waren allein, sie haben Cary nicht entführt… Glauben Sie mir, sie muss irgendwo anders sein“, stammelte er, wohl wissend, dass er soeben eindeutig zu viel preisgegeben hatte.
Aber es war bereits zu spät.
Carolines Vater schien plötzlich zu neuem Leben zu erwachen. Er drehte sich ruckartig um und packte Brendon am Revers seiner Jacke.
„Raus mit der Sprache, Freundchen, was ist hier los? Was genau haben Sie gesehen?“
Brendon hatte große Mühe, um nicht in Panik zu geraten.
„Ich habe… Na ja, ich war…“
Edward nickte grimmig.
„Jetzt verstehe ich“, knurrte er feindselig und ließ ihn abrupt los. „Sie waren das, Sie sind in besagter Nacht mit Caroline am Strand gewesen und haben diese Männer gesehen, die für den Mord verantwortlich sind!“ Er schnaufte verächtlich. „Aber anscheinend waren Sie zu feige, die Aussage meiner Tochter zu stützen. Stattdessen haben Sie sie lieber ins offene Messer laufen lassen!“
„Nein“, versuchte Brendon sich zu verteidigen, „Nein, Mr. Hamilton, so war es nicht, ganz ehrlich…Bitte glauben Sie mir, ich… ich wusste doch gar nicht, dass Caroline eine solche Aussage gemacht hat!“
„Erzählen Sie keine Märchen, junger Mann! Die erste Sensation in Sunset City war der Mord am Strand, und die zweite war die überraschende Zeugenaussage meiner Tochter, mit der sie diesen Randy Walker schützen wollte“, giftete Edward ungehalten. „Ich gebe zu, das war reichlich unüberlegt von ihr, aber anstatt ihr beizustehen, haben Sie es vorgezogen, sicherheitshalber erst einmal von der Bildfläche zu verschwinden. Habe ich recht?“
Brendons Gehirn arbeitete auf Hochtouren.
Verdammt, er hatte sich wirklich mächtig in Schwierigkeiten gebracht und musste nun sehen, wie er wenigstens halbwegs unbeschadet aus diesem ganzen Schlamassel wieder herauskam. Carolines Vater war ein Fuchs, er würde es sofort durchschauen, wenn er jetzt einen Fehler machte.
„Hören Sie, Mr. Hamilton“, versuchte er Edward zu beschwichtigen. „Wir haben uns an diesem Abend heimlich am Strand getroffen, niemand sollte vorerst etwas von unserer Freundschaft erfahren, das wollte Ihre Tochter so. Und ich habe das respektiert, obwohl wir beide volljährig sind. Aber als ich gestern erfuhr, dass Cary auf dem Revier war und ausgesagt hat, um diesem Randy zu helfen, da bin ich sofort hergekommen.“
Edward zog ungläubig die Augenbrauen zusammen.
„Und warum sind Sie nicht direkt zur Polizei gegangen?“
„Eben darüber wollte ich mit ihr reden“, log Brendon in seiner Not. „Ich wusste doch nicht, ob es ihr recht ist, wenn alle erfahren, dass wir… ich meine…“
„Caroline hat ihr Leben unüberlegt in höchste Gefahr gebracht, das sollte Ihnen klar sein“, unterbrach ihn Edward unwirsch und schien ihn mit seinen Blicken zu durchbohren. „Da dürfte wohl das kleinere Übel darin bestehen, zugeben zu müssen, dass ihr beide ein heimliches Rendezvous hattet!“
„Ja… ähm, nein, natürlich nicht, Sir“, nickte Brendon eifrig und dachte dabei mit Unbehagen an Danielle und ihre Reaktion, wenn sie erfuhr, dass er sich so kurz nach seiner Ankunft in Sunset City schon heimlich mit anderen Frauen traf. Aber es half nichts, er konnte in seiner jetzigen Situation keine Rücksicht auf die Gefühle seiner Ex- Verlobten nehmen. Zuerst einmal galt es, seine eigene Haut zu retten.
„Ich werde meine Aussage machen“, versprach er, und fügte in Gedanken hinzu: ´Allerdings nur soweit ich es für mich selbst verantworten kann.´
Edward nickte scheinbar zufrieden und fuhr sich mit der Hand über die von dem immer noch in der Luft hängenden beißenden Rauch brennenden Augen.
„Und Sie haben vorhin, als Sie hierher kamen, diese Männer gesehen? Dieselben, die Sie am Strand belauscht haben?“
„Na ja, so genau auch wieder nicht, eigentlich habe ich nur zwei Gestalten weglaufen sehen, nachdem sie eine Fensterscheibe zerbrochen und einen brennenden Gegenstand ins Haus geworfen hatten. Ich vermutete, dass es diese beiden Männer gewesen sein könnten. Vielleicht ein Racheakt…“ Er holte tief Luft. „Aber wie schon gesagt, wenn sie Caroline entführt hätten, dann wäre mir das aufgefallen. Die zwei waren allein.“
„Okay.“ Edward warf einen resignierten Blick auf sein ausgebranntes Haus. „Dann geben Sie das mit zu Protokoll, wenn Sie später Ihre Aussage machen. Die Fahndung nach den beiden Kerlen läuft ja ohnehin schon auf Hochtouren. Hoffentlich werden sie bald geschnappt, dann erfahren wir vielleicht, wer die Drahtzieher der ganzen Aktion gewesen sind.“
Brendon zuckte unmerklich zusammen.
Zum Teufel noch mal, wenn das geschah, war er geliefert. Dann konnte er sich gleich mit Hughes und seinen Leuten zusammen in eine Zelle sperren lassen, und was die mit ihm anstellten, wenn sie heraus bekamen, wer sie verpfiffen hatte, daran wagte er nicht einmal zu denken!
Er hatte plötzlich das Gefühl, die Luft werde knapp. Alles, aber auch alles war schiefgelaufen!
Dabei war er doch nur von Oklahoma nach Sunset City gekommen, um Danielle zurückzuholen…
Kurz nach dem Gespräch mit Edward war Corey Hamilton aufgetaucht und hatte ihnen erzählt, dass Caroline zur Zeit des Brandes gar nicht mehr im Haus gewesen, sondern zu irgendeiner Freundin ihrer Mutter nach L.A. gefahren sei.
Brendon fiel ein Stein vom Herzen. Sie lebte, und ihr war nichts passiert!
Bevor sich Edward gemeinsam mit seinem Sohn auf den Weg ins PACIFIC INN machte, um dort die Nacht zu verbringen, hatte er sich noch kurz für Brendons Hilfe bedankt.
„Ich weiß zu schätzen, was Sie heute Abend für mich und meine Familie getan haben. Aber… jetzt gehen Sie zur Polizei und machen Ihre Aussage! Gute Nacht!“
Brendon sah ihm nach, wie er mit Corey in seinen Wagen stieg und davonfuhr, und plötzlich fühlte er sich noch elender als zuvor.
In diesem Augenblick öffnete sich am Ende des Ganges eine Tür, und Detektiv Cortez trat heraus. Er trug verwaschene Jeans und ein helles Hemd, dessen Ärmel er bis zu den Ellenbogen aufgerollt hatte, darüber das Halfter, in dem die Dienstwaffe steckte. Sein schwarzes Haar fiel ihm locker in die Stirn. Er war nicht sehr groß, wirkte jedoch sehr sportlich und gut durchtrainiert. ´Einer von denen, die „böse Jungs“ viel lieber jagten, als im Büro ellenlange Berichte über sie zu schreiben...´, schoss es Brendon durch den Kopf. ´Einer, der für einen „Bullen“ eigentlich viel zu gut aussah und mit dem im Ernstfall sicher nicht zu spaßen war.´
Stefanos dunkle Augen fixierten den Besucher aufmerksam. Er trat auf ihn zu und reichte ihm mit einem fragenden Blick die Hand.
„Stefano Cortez. Was kann ich für Sie tun, Mister…“
Brendon schreckte aus seinen Gedanken hoch und sprang eilig auf.
„Finley“, beeilte er sich zu sagen. „Brendon Finley. Ich möchte eine Aussage machen.“
Stefano wies mit einer kurzen einladenden Bewegung in Richtung seines Büros.
„Bitte, kommen Sie mit.“
Sich unbehaglich umblickend folgte ihm Brendon.
„Also“, meinte Stefano, nachdem er die Tür geschlossen und Brendon einen Platz vor seinem Schreibtisch angeboten hatte. „Mein Kollege sagte, Sie hätten in der Mordnacht etwas beobachtet, ist das richtig?“
„Na ja… also… nicht direkt“, stotterte Brendon.
Stefano zog fragend die Stirn in Falten und lehnte sich zurück.
„Entspannen Sie sich, Mr. Finley“, sagte er mit einer Lässigkeit, um die ihn Brendon heimlich beneidete. „Erzählen Sie mir einfach der Reihe nach, was Sie beobachtet beziehungsweise gehört haben.“
„Eigentlich nicht sehr viel“, erwiderte Brendon. „Im Grunde kann ich auch nur das wiederholen, was Ihnen Caroline Hamilton bereits zu Protokoll gegeben hat.“
Der Detektiv beugte sich neugierig vor.
„Sie waren mit Caroline Hamilton zusammen, als sie diese Männer am Strand gesehen hat?“
„Ja, Sir.“
Stefano stand auf, kam hinter seinem Schreibtisch hervor und setzte sich vor Brendon auf die Tischkante.
„Nun mal der Reihe nach“, sagte er interessiert. „Caroline hat ausgesagt, sie sei an diesem Abend allein am Strand gewesen. Aber wenn ich Sie soeben richtig verstanden habe, war sie allein mit Ihnen!“
„Ja, wir waren zusammen“, gab Brendon zu. „Das sollte nur keiner wissen, besonders ihr Vater nicht. Aber als ich erfuhr, dass sie diese Aussage gemacht und sich damit ziemlich in Gefahr gebracht hat, da dachte ich, es sei vielleicht besser, gleich herzukommen.“
„Ah ja.“ Stefano nickte. „Eine gute Entscheidung. Und Sie haben die Männer auch gesehen. Können Sie sie beschreiben?“
„Na ja, nicht so richtig“, antwortete Brendon vage. „Es war ja dunkel.“
„Mh...“ Nachdenklich verschränkte Stefano seine Arme vor der Brust. „Caroline hat uns allerdings eine ziemlich detaillierte Beschreibung abgeben können.“
„Ich… sehe im Dunkeln nicht besonders gut“, log Brendon notgedrungen und kam sich absolut idiotisch vor.
Stefano lächelte wissend.
„Und weiter?“
„Es waren zwei Männer, und sie haben sich über den Mord am Strand unterhalten. Irgendetwas schien dabei wohl schiefgelaufen zu sein, denn der eine meinte, es sei vielleicht besser, erst einmal zu verschwinden, bis Gras über die Sache gewachsen wäre. Aber der andere hat darüber nur gelacht und gemeint, es würde sowieso keiner rauskriegen, was passiert sei“, erzählte Brendon in einem Atemzug und sah Officer Cortez dann abwartend an.
Der blickte inzwischen etwas skeptisch drein.
„Ist das alles, was Sie gehört haben, Mr. Finley?“
Brendon nickte unsicher.
„Keine Namen? Haben sich die beiden nicht vielleicht während des Gespräches gegenseitig mit ihren Namen angesprochen?“
Brendon hob die Schultern.
„Ich kann mich nicht erinnern.“
Stefano atmete tief durch.
„Wir fahnden in dieser Sache inzwischen nach einem gewissen Ramon Rodriguez und nach Scotti Crimes“, versuchte er Brendon auf die Sprünge zu helfen. „Klingelt es da irgendwie bei Ihnen, wenn Sie diese Namen hören?“
Brendon fühlte sich in die Enge getrieben.
„Kann schon möglich sein. Ja, ich glaube, sie haben sich so genannt.“
„Na, das ist doch immerhin ein Anfang.“ Stefano erhob sich und setzte sich wieder an seinen Schreibtisch, wo er begann, sich einige Notizen zu machen.
Nach einer Weile blickte er hoch und sah Brendon, der unruhig auf seinem Stuhl herum rutschte, mit seinen dunklen Augen prüfend an.
„Hatten Sie im Laufe des Gespräches, das Sie heimlich mitgehört haben, den Eindruck, dass die beiden Männer über einen oder mehrere Auftraggeber sprachen? Sind dabei irgendwelche Namen gefallen?“
Brendon schluckte und schüttelte erneut den Kopf.
„Sie sprachen davon, dass das Ganze ein bedauerlicher Unfall gewesen sei, und dass es ja nur ein gut bezahlter Job war, den sie ausgeführt hätten. Aber Namen haben sie keine genannt.“
Stefano nickte nachdenklich.
„Ein gut bezahlter Job…“, wiederholte er, mehr zu sich selbst. Dann blickte er Brendon erneut an. „Wissen Sie, wenn wir die Namen der Auftraggeber hätten, wären wir ein entscheidendes Stück weiter.“
„Tut mir Leid, Sir, da kann ich Ihnen nicht helfen.“
„Schade“, meinte Stefano und konzentrierte sich wieder auf seine Notizen.
Nach ein paar Minuten, die Brendon wie eine Ewigkeit erschienen, legte er schließlich den Stift weg und reichte dem Zeugen das Blatt.
„Hier ist Ihr Aussageprotokoll, Mr. Finley. Bitte lesen Sie sich alles in Ruhe durch und unterschreiben Sie.“
Als Stefano ihn anschließend zur Tür begleitete, atmete Brendon sichtbar auf.
Plötzlich schien ihm noch etwas einzufallen.
„Detektiv, ich weiß nicht, ob es wichtig ist, aber gestern der Brand in Mister Hamiltons Haus…“
„Ja?“, fragte Stefano gespannt.
„Also wenn Sie mich fragen, das war kein Zufall, das war Brandstiftung. Ich habe zwei Leute wegrennen sehen, nachdem sie einen brennenden Gegenstand in eines der Zimmer geschleudert hatten.“
Erstaunt sah Stefano ihn an.
„Interessant… Das bestätigt meine Vermutung“, sagte er schließlich und klopfte Brendon dann freundschaftlich auf die Schulter. „Danke, Mr. Finley. Sie haben uns sehr geholfen. Übrigens… Wo kann ich Sie erreichen?“ Er bemerkte, wie Brendon kurz zusammenzuckte und fügte schnell hinzu: „Nur für den Fall, dass sich noch Fragen ergeben.“
„Ich wohne zur Zeit im BEACHWOOD - Motel, Zimmer 14“, erwiderte Brendon, verabschiedete sich hastig und verließ eiligen Schrittes das Revier.
Nachdenklich trat Stefano wenig später zu seinem Kollegen an den Tresen.
„Und?“, fragte Nolan gespannt. „Was hattest du für einen Eindruck? Irgendwelche Neuigkeiten in dem Fall?“
Stefano verzog das Gesicht.
„Ich bin mir nicht sicher. Ehrlich gesagt weiß ich nicht so recht, was ich von dem Kerl halten soll. Er verschweigt uns etwas. Und er hat vor irgendwas Angst, oder vor irgendwem, wie auch immer. Angeblich kann er sich nicht erinnern, auch nur einen einzigen Namen gehört zu haben, der uns weiterbringt.“
„Caroline Hamilton hat uns sogar mehrere Namen genannt“, bestätigte Nolan.
Stefano nickte.
„Entweder er versucht jemanden zu schützen… Oder er war gar nicht dabei und will nur Carolines Aussage stützen, um Randy Walker zu helfen“, mutmaßte er.
Nolan klopfte bedächtig mit seinem Stift auf die Tischplatte und warf seinem Vorgesetzten einen bedeutungsvollen Blick zu.
„Oder er hängt selbst mit in der Sache drin.“
*
Tokio
Wes Parker hielt sich bereits geraume Zeit in der japanischen Hauptstadt auf, aber seine Geschäfte waren bisher nicht so gelaufen, wie er es ursprünglich geplant hatte. Er war schon seit langem hinter FREEMAN ELECTRONICS her und vor einem knappen Jahr nahe daran gewesen, den in Japan gelegenen Hauptsitz der Firma für Computer und Software durch einige überaus unlautere, teils sogar kriminelle Machenschaften zu übernehmen. Einer der Gründe, weshalb er sich aus der H&S ENTERPRISES zurückgezogen und seiner Tochter seine Anteile überschrieben hatte. Er brauchte in jeder Hinsicht völlige Handlungsfreiheit, und vor allem konnte er sich keine neugierigen Geschäftspartner leisten, die ihm bei seinen mysteriösen dunklen Geschäften über die Schulter sehen konnten. Wes wollte endlich den Coup seines Lebens landen.
Doch er hatte „den Alten“, wie er George Freeman, den Inhaber der Elektronikfirma geringschätzig zu nennen pflegte, unterschätzt.
Der Großunternehmer zog sich weder, wie gehofft, nach dem tragischen Tod seiner Frau trauernd zurück, noch überließ er den von Wes eigens in die Firma eingeschleusten Geschäftsführern die uneingeschränkte Kontrolle.
Nein, er überwand entgegen allen Erwartungen sogar seine Flugangst und tauchte unerwartet und mit einigen Leuten seiner Rechtsabteilung im Schlepptau in Tokio auf. Dort entdeckte er bei diversen Kontrollen der Geschäftsbücher größere, durch Wes` Leute mutwillig verursachte Unregelmäßigkeiten, die zwangsläufig in absehbarer Zeit zum Bankrott der Firma geführt hätten. Daraufhin feuerte Freeman gnadenlos den gesamten Vorstand und ersetzte diese Positionen mit neuen Leuten, die er eigens dafür gründlich überprüfen ließ. An die Spitze der Geschäftsleitung beorderte er umgehend einen jungen, dynamischen Wirtschaftsexperten aus Tokio, Jin Kiyoshi, der in San Francisco studiert hatte, Freeman seit einiger Zeit in geschäftlichen Angelegenheiten beriet und dessen uneingeschränktes Vertrauen besaß.
Unglücklicherweise für Wes war dieser Mann zu hundert Prozent das Vertrauen wert, dass Freeman in ihn setzte. Er führte das Unternehmen im Sinne seines Arbeitgebers seit nunmehr drei Monaten mit eiserner Hand und erwies sich trotz seines noch recht jugendlichen Alters als weitaus kompetenter und cleverer, als seine Widersacher erwartet hatten.
Bisher war es Wes nicht gelungen, sich in irgendeiner Weise in das Vertrauen des neuen Geschäftsführers einzuschleichen, und auch Drohungen jeglicher Art zeigten keinerlei Wirkung. Der gesamte neue Vorstand schützte Freemans japanische Firma für Computer und Software wie eine unüberwindliche Mauer vor äußeren Zugriffen, während die Geschäfte sowohl in Japan als auch weltweit so gut liefen wie selten zuvor.
Wes aber hatte zu viel in seine Pläne, FREEMAN ELECTRONICS zu übernehmen, investiert, als das er jetzt aufgeben wollte.
Und er hatte schließlich mit Hilfe seines Informanten Bobby Hughes endlich einen verletzlichen Punkt im Leben Kiyoshis gefunden…
Diesen Trumpf würde er gnadenlos ausspielen, wenn es sein musste, bis zum bitteren Ende.
Er griff zum Telefon und wählte die Handynummer von Bobby in Sunset City.
„Hughes? Na endlich erreiche ich Sie! ... Ist mir doch egal, ob Sie in Schwierigkeiten stecken, das ist doch bei Ihnen nichts Neues ... Ich habe morgen einen Termin mit diesem Japaner in der Firma. Ich hoffe, dass er clever genug ist, auf meinen Vorschlag einzugehen. Doch falls nicht, möchte ich, dass Sie genau das tun, was wir besprochen haben. Haben Sie verstanden? ... Gut, dann warten Sie auf meinen Anruf! … Und Bobby… Wenn Sie sich auch nur den kleinsten Fehler leisten, dann wird das dieses Mal mit Sicherheit Ihr letzter sein!“
Er legte auf und goss sich zufrieden einen Drink ein.
Mit einem teuflischen Grinsen hob er sein Glas.
„Auf meinen genialen Plan! In Kürze gehört FREEMAN ELECTRONICS mir.“
*
Sukis Schicht in der Klinik war fast zu Ende.
Soeben hatte sie einem ihrer Patienten, der nach einem Unfall mit einem schweren Schock eingeliefert worden war, seine extra starke Beruhigungsspritze für die Nacht verabreicht. Sie ging zurück ins Ärztezimmer und entsorgte die benutzte Einwegspritze pflichtbewusst im Müll. Während sie die eben erfolgte Behandlung gewissenhaft in die von der Schwester bereitgelegte Krankenakte eintrug, fragte sie sich, was Mitch wohl für diesen Abend geplant hatte. Insgeheim hoffte sie, dass er sie, wie auch immer diese Planung aussehen würde, vielleicht mit einbezog. Seit dem überraschenden Kuss im Weinkeller hatten sie nichts mehr miteinander unternommen, außer diesem einen Tanz zur Eröffnungsfeier im OCEANS. Wahrscheinlich wollte er sie nicht bedrängen, aber Suki musste sich eingestehen, dass sie inzwischen gegenüber weiteren charmanten Annäherungsversuchen seinerseits durchaus nicht abgeneigt wäre.
Voller Vorfreude auf den unmittelbar bevorstehenden Feierabend griff sie nach der Flasche mit dem Serum, um das starke Beruhigungsmittel zurück in den streng unter Verschluss stehenden Medikamentenschrank zu stellen, als sich plötzlich ihr Beeper meldete.
Sie ließ die Flasche stehen und verließ den Raum in Richtung Anmeldung.
„Was ist denn los, Tilly?“, fragte sie die diensthabende Schwester.
„Telefon für Sie, Dr. Yamada“, erwiderte diese und hielt ihr das Diensthandy entgegen.
Suki nahm es entgegen und meldete sich, doch der unbekannte Teilnehmer am anderen Ende schwieg beharrlich und legte nach einer Weile wortlos wieder auf.
„Eigenartig“, meinte Suki und reichte das Telefon zurück.
Tilly hob die Schultern.
„Es war eine Männerstimme“, sagte sie geheimnisvoll. „Und er wollte ausdrücklich nur mit Ihnen sprechen.“
Suki zog die Augenbrauen hoch.
„War es vielleicht Mitch Capwell?“
„Nein, Mitchs Stimme hätte ich ganz sicher erkannt. Der würde auch garantiert nicht einfach wieder auflegen.“
„Na ja, wie auch immer, mein Dienst ist jedenfalls für heute zu Ende.“
Tilly nickte.
„Schönen Feierabend, Dr. Yamada.“
Schnellen Schrittes betrat Suki das Arztzimmer und blieb erstaunt stehen.
Die Flasche mit dem Serum war verschwunden.
*
Es war bereits reichlich spät, als Danielle endlich ausgepackt und alle Sachen verstaut hatte. Sie beschloss, ihre leere Reisetasche oben auf den großen, rustikalen Kleiderschrank zu stellen. Leider stieß sie, als sie die Tasche nach hinten schieben wollte, auf einen Widerstand, der ihr Vorhaben verhinderte.
Sie stieg auf einen Hocker, um nachzusehen, um was für ein Hindernis es sich handelte und entdeckte zu ihrer Überraschung ein gerahmtes Gemälde, das dort lag. Vorsichtig nahm sie es herunter und betrachtete es neugierig.
Das Gemälde zeigte eine märchenhaft anmutende Landschaft im zauberhaften Licht eines Sonnenunterganges, und inmitten der Blumen und der tiefroten, gleißenden Sonnenstrahlen den Umriss zweier Menschen, die sich verliebt in den Armen hielten.
Danielle stand da und starrte wie gebannt auf das Kunstwerk. Sie war gefangen von der Schönheit dieses Bildes. Wer auch immer das hier gemalt hatte, es war dem Künstler gelungen, einen gefühlvollen, romantischen Augenblick für die Ewigkeit einzufangen und ihn nahezu perfekt auf der Leinwand festzuhalten.
Sie vermeinte die wärmenden Strahlen der untergehenden Sonne förmlich auf ihrer Haut zu spüren und das Säuseln des Sommerwindes zu hören, der leicht über die Wiese strich und die Blumen sanft bewegte. In Gedanken sah sie sich mit Matt dort stehen, Arm in Arm, und er blickte sie an, voller Zärtlichkeit…
„Danielle?“
Erschrocken schaute sie auf.
Er stand in der Tür und beobachtete sie gespannt.
„Was tust du denn da?“
„Ich habe… das hier oben auf dem Schrank gefunden“, sagte sie begeistert und hielt ihm das Bild entgegen. „Es ist wunderschön. Aber es hat keine Signatur. Weißt du, von wem es stammt?“
Er starrte auf das Gemälde, als sei es ein Teil aus einer anderen Welt.
„Von Marina“, sagte er leise, fast abweisend und wie zu sich selbst. Dann aber fasste er sich schnell wieder und rang sich ein Lächeln ab. „Entschuldige bitte, Danielle. Ich weiß nicht, warum es immer noch hier ist. Eigentlich sollte alles weg sein, was…“
„Was dich an sie erinnert?“, vollendete Danielle den Satz und schüttelte dann den Kopf, während sie auf ihn zuging und ihm liebevoll ihre Hand auf den Arm legte.
„Matt, du brauchst dich dafür nicht zu entschuldigen. Marina hat einmal zu deinem Leben gehört und sie wird immer ein Teil deiner Vergangenheit bleiben. Was ist so schlimm daran?“
Er sah sie nachdenklich an. Dann nahm er das Bild, betrachtete es einen Augenblick und stellte es beiseite.
„Weißt du, dieser Teil meines Lebens hat nicht sehr schön geendet und deshalb möchte ich ihn vergessen. Ich werde Marina das Bild zuschicken lassen, es gehört ihr.“
„Ja, vielleicht hast du recht“, erwiderte Danielle. „Allerdings…“
„Was?“
„Als sie uns im OCEANS zusammen sah, hatte ich den Eindruck, als hätte sie, was dich betrifft, noch nicht so ganz mit der Vergangenheit abgeschlossen. Kann es sein, dass sie inzwischen bereut, was sie getan hat?“
Er runzelte die Stirn und schüttelte dann entschieden den Kopf.
„Mag sein, dass sie das tut, aber es interessiert mich nicht mehr.“
„Dich vielleicht nicht, aber sie anscheinend schon.“
Er sah Danielle prüfend an.
„Hat sie irgendetwas zu dir gesagt?“
„Na ja, es schien mir, als wäre sie ziemlich betroffen von der Tatsache, dich mit einer anderen Frau zusammen zu sehen. Bis dahin kannte ich sie nur als nett und freundlich, aber an diesem Abend… Ich weiß nicht, sie hat so eine eigenartige Bemerkung gemacht.“
„Hat sie dich beleidigt?“
„Nein“, lächelte Danielle. „So etwas ist wohl eher Annis Spezialität. Aber sie hat mir allem Anschein nach übelgenommen, dass ich ihr nichts von uns beiden erzählt hatte. Ich habe ihr daraufhin erklärt, dass das für sie keine Rolle mehr spielen dürfte, nachdem nun jeder von euch sein eigenes Leben führt. Allerdings war sie der Meinung, dass das nicht so einfach sei. Ich wollte wissen, wieso, und sie sagte, ich solle dich danach fragen… Hast du eine Ahnung, was sie damit gemeint hat?“
Sein Gesicht verdüsterte sich merklich.
´Jetzt wäre eine günstige Gelegenheit, um Danielle die Wahrheit über diesen eigenartigen Nacht in Marinas Wohnung zu sagen´, schoss es ihm durch den Kopf Aber er zögerte, denn er wollte den Zauber dieses Tages nicht zerstören.
„Nein, nicht wirklich. Aber wir sollten uns nicht unnötig über Marina den Kopf zerbrechen. Wie du schon sagtest, sie gehört zu meiner Vergangenheit. Du bist meine Gegenwart und das allein zählt.“
„Natürlich. Ich fand ihre Worte nur irgendwie eigenartig“, hakte Danielle nach, doch Matt schüttelte entschieden den Kopf.
„Lass uns ein anderes Mal darüber reden, okay?“, sagte er etwas hastig. „Ich werde mich draußen erst einmal um Holz für das Kaminfeuer kümmern. Abends wird es hier oben in den Bergen ziemlich kühl.“ Abrupt wandte er sich um und verließ die Hütte.
Danielle blieb zurück und sah ihm nachdenklich hinterher.
*
Marina verließ ihre Wohnung und schlenderte scheinbar ziellos die Straße hinunter.
Die Sonne stand schon ziemlich tief und färbte den Himmel um sich herum bereits in verschiedenen, bezaubernden Rottönen, als wolle sie das bevorstehende Naturschauspiel für alle deutlich sichtbar einleiten.
Doch Marina hatte keinen Blick für die Schönheit dieses Tages, der sich unwiderruflich dem Ende zuneigte. Sie lief bis zum Ende der Ocean Avenue, wo die gepflegte Promenade sich im endlos scheinenden Sandstrand verlor.
Nachdem sie sich vergewissert hatte, dass sie allein war, ließ sie sich aufseufzend auf eine Bank fallen und starrte gedankenverloren aufs Meer hinaus.
Ihre Gedanken wanderten wie so oft in die Vergangenheit, zurück zu einer Zeit voll von Liebe, Harmonie und Zärtlichkeit. Einer Zeit mit Matt…
Sie waren beide oben in den Bergen, auf dieser Lichtung am See, ein Stück hinter der Blockhütte, in der sie ab und zu, wenn Matt nicht arbeiten musste, ihre Wochenenden verbrachten. Tage, in denen sie ihre junge Liebe und ihre Zweisamkeit in vollen Zügen genießen konnten, bevor sie der triste Alltag nur allzu schnell wieder einholte. Es war Abend, so wie jetzt, die Sonne versank langsam hinter den Bäumen und sandte ihre letzten wärmenden Strahlen über die blühende Wiese, bevor sie sich auf ihre alltägliche Reise irgendwo hinter den fernen Horizont begab und in den, von den Bergen nicht sichtbaren, weiten Ozean eintauchen würde, um, einem riesigen, glühenden Feuerball gleich, in den nimmermüden, glitzernden Wellen zu verschwinden.
Hand in Hand liefen sie beide über die blühende Lichtung, ausgelassen lachend wie übermütige Kinder. Sie hatte ihre Schuhe ausgezogen und spürte das weiche Gras unter ihren nackten Füßen. Matt hatte befürchtet, sie könne sich erkälten, da die Nächte in den Mountains empfindlich kühl waren, doch sie hörte nicht auf ihn, sondern lief einfach weiter. Er hatte sie schnell eingeholt, hob sie auf seine Arme, schwenkte sie lachend herum und meinte, dann werde er sie eben bis zur Hütte tragen. Zappelnd versuchte sie sich zu befreien, was dazu führte, dass er schließlich stolperte, das Gleichgewicht verlor, und sie beide im Gras landeten, wo sie mit vom leidenschaftlichen Liebesspiel erhitzten Gesichtern erst viel später wieder aufstanden, als die Sonne bereits untergegangen und die Dämmerung hereingebrochen war…
An diesem Abend hatte sie sich in der Waldhütte an ihre Staffelei gesetzt, und während Matt ein wärmendes Feuer im Kamin entfachte, hatte sie damit begonnen, ihre Eindrücke der vergangenen Stunden zu malen. Unter ihren geschickten Händen entstand eine wundervolle Landschaft im Licht der untergehenden Sonne: der Wald, die Berge, eine Wiese voller Wildblumen, und inmitten dieser Naturschönheit sie und Matt, zwei Verliebte, in zärtlicher Umarmung. Das Zeugnis unvergesslich schöner Stunden…
Der laute Schrei einer vorüberfliegenden Seemöwe riss sie abrupt aus ihrer Träumerei.
Die Sonne war inzwischen schon fast am endlosen Horizont im Meer versunken.
„Ich muss aufhören, ständig darüber nachzudenken, wie alles einmal war“, schalt sie sich ärgerlich und straffte die Schultern. „Das ist selbstzerstörerisch und völlig unnütz. Die Vergangenheit ist vorbei und kommt nicht wieder.“
Aber so sehr sie auch versuchte, sich einzureden, dass man Vergangenes am besten ruhen ließ, sie kam doch nicht von diesen bittersüßen Erinnerungen los. Die Sehnsucht nach Matt schien sie zu beherrschen wie eine unsichtbare, übermächtige Kraft.
Seitdem sie wusste, dass es eine neue Liebe in seinem Leben gab, war alles nur noch schlimmer.
Er hatte so glücklich ausgesehen, gestern im OCEANS, so verliebt.
Oh ja, sie konnte sich an dieses zärtliche Lächeln noch genau erinnern, nur galt es jetzt nicht mehr ihr, sondern der anderen…
Marina schüttelte resigniert den Kopf.
Sie hätte Danielle gestern Abend am liebsten mit bloßen Händen erwürgt, so groß war ihre Wut auf die neue Frau an Matts Seite gewesen.
Ausgerechnet Danielle Belling!
Mit jeder anderen hätte sie sofort den Kampf aufgenommen. Aber musste es ausgerechnet diese bezaubernde, liebenswerte Person sein, die sie schon fast als ihre Freundin betrachtet hatte?
Es war zum Verzweifeln!
Was Matt mit Danielle verband, war kein Strohfeuer, das spürte Marina überdeutlich. Das war Liebe.
Danielle hatte eine besondere Art an sich, die sie unwahrscheinlich sympathisch machte, so dass die meisten Leute, die ihr begegneten, sie auf Anhieb mochten. Und gerade dieser Umstand machte die Sache kompliziert.
Ab sofort befand sich Marina wegen ihr in einem wahren Zwiespalt der Gefühle. Sie hatte Danielle wirklich gerne, aber seit gestern hasste sie die junge Frau zugleich aus tiefstem Herzen.
Doch war sie auch stark genug, um sie zu bekämpfen?
Unwillkürlich legte sie die Hand schützend auf ihren Bauch. Sie dachte daran, wie ihre Mutter ihr die Zukunft aus den Karten gelesen hatte, an dem Tag, als sie wieder nach Sunset City zurückgekommen war, und Matt sie weggeschickt hatte:
„Etwas Unerwartetes tritt in dein Leben. Ob diese Veränderung gut oder schlecht ist, liegt daran, wie du selbst damit umgehst. Wenn du diese Sache geschickt zu deinem Vorteil nutzen kannst, dürfte deinem Lebensglück nichts mehr im Wege stehen.“
„Mein Baby braucht einen Vater, und ich brauche Matt“, sagte sie plötzlich fest entschlossen. „Was zählen Sympathie und Freundschaft, wenn es um die Zukunft meines Kindes geht!“
Sie stand auf und atmete tief durch.
In diesem Augenblick hatte sie sich entschieden. Sie würde um ihn kämpfen, ohne Skrupel, und wenn es sein musste, mit allen Mitteln.