Prompt 21: Halloweenparty
Sie hätte wohl auch den Rest des Abends allein draußen im Garten gesessen, hätte Laurin nicht ihr leises Weinen gehört und sich deshalb zu dem Mädchen gesellt. Zwischen all den grimmigen Kürbisfratzen und mit künstlichen Spinnenweben verzierten Skeletten saß es da, das Make Up von den vielen Tränen verwischt und das Vampirkostüm voller dunkler Flecken und Risse. Wie dieses Mädchen da so in sich zusammengesunken weinte, hatte Laurin wirklich Mitleid mit ihm und konnte nicht anders als sich zu ihm zu setzen, die Arme sanft um sie zu legen und vorsichtig an sich zu ziehen.
Kurz war sich der Junge nicht sicher, ob es nicht zu seltsam und übergriffig war, ein komplett fremdes Mädchen auf einer Halloweenparty zu umarmen doch es schmiegte sich an ihn, als wären sie alte Freunde und diese Umarmung das normalste auf der Welt.
Laurin lauschte, bis das Schluchzen der Dunkelhaarigen versiegte und sie endlich aufhörte zu weinen, ehe er leise zu sprechen begann: »Alles ist gut, okay? An einem so tollen Abend wie diesem sollte niemand weinen und erst recht nicht allein hier draußen sitzen, während alle anderen da im Haus Spaß haben.«
Laurin kam sich dumm vor, das Offensichtliche auszusprechen und hatte damit das Gefühl, wieder mal alles andere als hilfreich zu sein.
Die Antwort des Mädchens ließ den Dunkelblonden erst recht die Hoffnung verlieren. »Dieser Abend ist beschissen. Den können ein paar Tränen oder so nicht noch schlimmer machen.«
Sanft strich Laurin der Dunkelhaarigen über den Rücken und wartete, bis sie sich von einem erneuten Heulkrampf erholt hatte.
»Was ist denn eigentlich passiert?«, fragte der Junge weiter und hielt das Mädchen noch immer fest, dessen mittlerweile vor Erschöpfung in sich zusammengesackter Körper sich beinahe schon tot anfühlte. Zumindest kam das Laurin so vor und er erschrak vor seinen eigenen Gedanken.
Er war überrascht, wie offen sich das Mädchen sich aus dem Nichts heraus ihm gegenüber verhielt. Es richtete sich auf, wand sich aus Laurins Umarmung heraus und sah diesem dann direkt in die Augen.
»Die Leute dort drin hassen mich einfach. So sehr, dass sie es richtig lustig fanden, das Vampirmädchen in Schweineblut zu baden. Dass sich diese Fotzen nicht hinterher geekelt haben, mir noch ein bisschen Vernunft einzuprügeln, grenzt für mich an ein Wunder. Und das alles nur, weil sie echt denken, dass schwarz gefärbte Haare und ein bisschen dunkle Kleidung einen gleich zum Satanisten machen, der lebenden Hühnern die Köpfe abbeißt und Voodoopuppen von seinen Klassenkameraden zum Spaß mit Nadeln durchbohrt. Aber vielleicht würde mir der Teufel wenigstens dabei helfen, Ashley und ihren hirnlosen Anhängerinnen alles heimzuzahlen, was sie mir über die letzten Jahre hinweg angetan haben.«
Die Dunkelhaarige ballte die Fäuste und schaute so grimmig drein, als wünschte sie sich wirklich, dass Satan höchstpersönlich allen Schmerz, der auf ihrer Seele lastete, mit noch mehr Schmerz bekämpfte. Laurin kritisierte ihren aus dem Nichts kommenden Hass jedoch nicht, nahm stattdessen nur ihre Hände in seine und versuchte ein halbwegs beruhigend wirkendes Lächeln hervorzubringen, um dieses Gespräch wieder in eine andere Richtung lenken zu können.
»Für mich siehst du vollkommen normal aus. Ashley und ihre dummen Hühner haben doch keine Ahnung. Die sind doch nur neidisch darauf, wie hübsch du bist.«
Der Junge spürte, wie ihm das Blut in die Wangen schoss und verlegen wandte er den Blick ab. Das Mädchen hingegen wirkte unbeeindruckt, gerade so, als hätte sie das Kompliment einfach überhört. Jedoch entspannte es sich nun langsam und schaute ebenfalls zur Seite.
»Sie haben ja nicht immer mein Leben so zur Hölle gemacht«, begann die Dunkelhaarige leise und mit minimal zittriger Stimme. »Wir waren sogar mal Freunde. Also Ashley und ich, ganz allein für uns und vor einen halben Ewigkeit. Ihre hirnlosen Anhängsel kamen erst später, als wir beide uns immer mehr voneinander entfernten.
Und das alles auch nur, weil Ashley ihrem damaligen Freund Bradley, diesem widerlichen, selbstverliebten Arsch, geglaubt hat, dass er und ich was gehabt hätten. Das hat der sich vielleicht erhofft, aber es ist nie wirklich passiert. Dieser Idiot soll seiner ach so tollen Freundin erzählt haben, dass ich über ihn fast schon hergefallen sein soll, als wir mal allein waren und dass ich das auch bei einigen seiner verblödeten Affenfreunde schon getan haben soll. Als wäre ich die Matratze des gesamten Footballteams. Na klar. Aber Hauptsache alle glauben dem beliebten Quarterback Gerüchte über ein Mädchen, dessen Namen vorher niemand außer Ashley gekannt hat.
Tja und da Bradley so viel glaubwürdiger war als ich, hat Ashley mir die Freundschaft gekündigt und sich mit den anderen wütenden Spielerfreundinnen zu einem regelrechten Mob zusammengeschlossen, um mich wissen zu lassen, was sie von angeblichen Schlampen halten.
Und seitdem bin ich allein, weil niemand mit einer ‚scheinheiligen Männerdiebin‘ befreundet sein will.«
»Und was ist, wenn ich mit dir befreundet sein will?«, fragte Laurin sehr leise, da er von seiner eigenen Verlegenheit eingeschüchtert war.
»Denn ich denke weder, dass du eine Schlampe noch eine Hexe bist. Außerdem bin ich gerade erst hergezogen, weil es hier eine bessere Versorgung für meine Schwester gibt und finde gerade dich ziemlich interessant. Allein vom Sehen auf dem Schulflur her. Nur ist es eben etwas seltsam, einen Fremden einfach so anzusprechen, vor allem wenn man ständig von Leuten umlagert wird, die einen kennenlernen wollen. Du bist mir aber irgendwie wichtiger als die, auch wenn das vielleicht komisch klingt. Echte Freunde kann man eben immer gebrauchen, Plastikmenschen gehören in Schaufenster.«
Zu seiner Überraschung schenkte die Dunkelhaarige dem Jungen sogar ein kleines Lächeln. »Klingt okay. Also das mit der Freundschaft. Aber zuerst muss ich überprüfen, ob du nicht nur so nette Dinge daherredest, weil du mir an die Wäsche willst.«
Laurin lachte leise und beinahe schon verlegen. »Ist nur fair.«
Für ein kleine Weile herrschte Stille zwischen den beiden, ehe das Mädchen sich schließlich von der eiskalten Bank erhob und zum Gehen wandte. Es gab dem Jungen nicht einmal ein Erklärung, warum es dies aus dem Nichts heraus tat. Doch es ging ihn auch nichts an, dachte er – so gut befreundet waren die beiden noch lange nicht, dass sie sich persönliche Dinge offenbaren würden.
»Sehe ich dich morgen in der Schule?«, fragte Laurin, ehe die Dunkelhaarige einfach in der Dunkelheit verschwinden konnte.
Keine Antwort. Also versuchte der Junge es mit einer anderen Frage nochmal: »Wie heißt du eigentlich?«
Das Mädchen drehte sich wieder zu Laurin um. »Emma. Hat mich gefreut dich kennenzulernen, Neuer.«
Mit diesen Worten ging das Mädchen, noch bevor Laurin ihm seinen Namen nennen konnte. So blieb er auf der Bank sitzen und genoss den Rest dieser Nacht, die so banal angefangen hatte und doch durch diese zufällige Begegnung zu etwas ganz Besonderem geworden war.