Prompt 23: Elixir
Er war der Letzte in der Reihe. Alle anderen, die in diesem finsteren, stickigen Raum mit dem Vampir eingepfercht gewesen waren, hatte dieses Monster bereits getötet. Nur er allein hatte überlebt, was bei einem unsterblichen Wesen eigentlich nichts Außergewöhnliches sein sollte. Und doch lagen Jeronimus' langjährige Gefährten nun am Boden, regungslos und leer, weil ein falscher Freund ihnen die Lebensenergie entzogen und sie einfach sterben lassen hatte. Dieses Ungeheuer war ein Vampir wie sie alle es gewesen waren und doch wagte es, seine eigene Art abzuschlachten wie gemeines Vieh.
Jeronimus wusste nicht einmal, warum Zacharias dies alles tat und sich so grausam gegen seine Gefährten wandte, wo er sie doch von sich aus in die Einöde in sein bescheidenes Heim zur Wiederveinigung gerufen hatte. Hatten diese ‚Experimente‘, wie das Monster in Freundesgestalt diese barbarischen Hinrichtungen oft nannte, etwa mit dem Jüngling zu tun, den es bei sich hatte, als er Jeronimus und seine Lebensgefährtin in ihrer Wohnung in Nice aufsuchte?
In diesem schwachen Moment war der Vampir einfach froh, dass Irina daheim in der Sonne geblieben war und weder dasselbe Leid erfuhr wie ihr Geliebter noch diesen so ausgehungert, gebrochen und angekettet wie einen tollwütigen Hund sehen musste. Es würde sie nur in Kummer stürzen, selbst wenn das ebenfalls geschehen würde, wenn sie erfahren würde, was mit Jeronimus geschehen war. Jedoch müsste sich der Vampir darum keine Sorgen mehr machen, wenn er erst tot wäre. Genau das war es, was es dem Dunkelhaarigen leichter machte, an sein eigenes Ende zu denken. Denn er würde hier sterben. Das wusste Jeronimus mit absoluter Sicherheit.
Ebenso wusste er, dass er sinnlos sterben würde. Denn das alles hier geschah nur durch Zacharias' Wahnsinn und doch war Jeronimus aus irgendeinem Grund fast schon einverstanden damit, was sein alter Freund hier tat. Denn insgeheim sehnte er sich nach dem Tod, so grausam er auch immer herbeigeführt werden sollte. Der Dunkelhaarige war zwar glücklich mit seinem derzeitigen Leben, doch er spürte einfach, dass dieses bald ein Ende finden musste. Weder Menschen noch Vampire waren für die Ewigkeit gemacht und hatten irgendwann zu sterben, das war ein Naturgesetz. Nur dass Jeronimus als Letzter seiner Gefährten übrig geblieben war, missfiel ihm noch immer.
Er hatte gar nicht bemerkt, wie sich das Ungeheuer wieder in den Raum geschlichen und vor ihn hingekniet hatte. »Du weißt, was dir blüht, nicht wahr?«, fragte dieser finstere Schatten von Zacharias mit beinahe hämischem Unterton. Wie konnte ihm diese Brutalität und Angst, nach denen dieser dunkle Raum noch immer stank, nur Freunde bereiten?
Jeronimus nickte nur stumm. Er hatte sich mit seinem Schicksal abgefunden.
»Warum tust du uns das an?«, brachte der Gepeinigte leise und mit krächzender Stimm hervor und stellte somit die einzige Frage, die ihm noch auf der Seele brannte und die beantwortet werden musste, bevor er in Frieden sterben konnte.
Jeronimus bildete sich ein, den Wahnsinn in Zacharias' Augen flackern und in feines, boshaftes Lächeln auf seinen Lippen aufblitzen zu sehen. »Die Liebe zwingt uns eben mitunter zu grausamen Dingen. Doch nun sei still. Ich habe das Gefühl, dass du mich meinem Ziel, endlich sterblich zu werden, sehr viel näher bringen wirst, alter Freund.«