Kapitel 14
Ahmed al Bashir hatte von seiner Rettung so gut wie nichts mitbekommen. Er war ins nächste Krankenhaus gefahren worden und dort zunächst gründlich untersucht und geröndgt worden. Er hatte mehrere Brüche davon getragen sowie etliche schwere Prellungen. Die Operation hatte mehrere Stunden gedauert und war nun erfolgreich abgeschlossen. Ahmed lag im Aufwachraum hinter dem OP-Saal. Man hatte ihm extra eine Op-Schwester zur Seite gestellt, welche den Aufwachprozess beobachten sollte. In der ersten Phase nach der OP hatte Ahmed plötzlich angefangen zu phantasieren und in einer fremden Sprache gesprochen. Man vermutete, dass er eventuell einen ernsthafteren Schaden bezogen auf seine Hirntätigkeit davon getragen haben könnte und hatte deshalb die Schwester abgestellt, um ihn zu beobachten.
Schwester Shandra war eine erfahrene OP-Schwester. Sie hatte in über fünfzehn Jahren eine Menge Erfahrungen sammeln können und war hier unter den Ärtzten sehr beliebt wegen ihrer Zuverlässigkeit und ihrer grossen Erfahrung. Eigentlich war sie ganz froh über diesen "Sondereinsatz". Versprach er ihr doch etwas Ruhe nach den überwiegend hektischen Tagen im OP-Bereich. Shandra warf nochmals einen prüfenden Blick auf ihren Patienten und griff zufrieden nach einer Zeitschrift, die sie sich schon zurecht gelegt hatte. Sie rückte ihren Stuhl recht nahe an das Bett von Ahmed, schlug ihre Beine übereinander, lehnte sich entspannt zurück und begann in der Zeitschrift zu blättern.
Der gute Ahmed al Bashir bekam von all dem nichts mit. Er wusste nicht, wo er gerade im realen Leben war, dass er eine grössere Operation hinter sich hatte und das er in einem Aufwachraum lag, beobachtet von einer Schwester namens Shandra.....
Nein, Ahmed hatte gerade ganz andere Sorgen. Er war als Vorarbeiter dafür verantwortlich, dass in der von Ultied errichteten unterirdischen Halle unter der Sphinx, die nun endlich fertiggestellt worden war, eine grosse Anzahl von wertvollen Gegenständen eingelagert werden sollte. Diese Gegenstände stammten zum grossen Teil noch aus atlantischer Zeit und waren von den letzten Atlantern, die bei der letzten grossen Katastrophe flüchten konnten, mit hierher nach Ägypten gebracht worden. Es waren magische Dinge dabei, denen grosse Kraft innewohnte. Eine grosse Anzahl von Tontafeln war dabei, auf denen niedergeschrieben war, wie die Menschheit sich in den verangenen über 50.000 Jahren entwickelt hatte. Es waren wertvolle Geschichten und Erkenntnisse über das Land Mu, über das Volk der Lemuren und andere alte Kulturen. Er trug grosse Verantwortung. Der Hohepriester Ultied hatte ihn persönlich instruiert und eingeweiht, wie alles von statten zu gehen hatte. Er stand kurz vor seiner letzten dreitägigen Reise in einem Steinsarkophag, nach dessen Abschluss er der grosse Hohepriester aller Ägypter und Atlanter sein würde. Nefreth würde sein Name sein. Doch Ahmed hatte in seiner Funktion als Vorarbeiter auch einen anderen Namen. Er wurde hier Ish-Thar genannt, was soviel wie "Dienender" bedeutete.
Ahmed, also Ish-Thar, beherrschte die alte atlantische Sprache noch. So war er also in der Lage, die Tontafeln ins Ägyptische zu übersetzen, was ausser den höher gestellten Atlantern und einigen eingeweihten Ägyptern nicht mehr viele konnten. Die Einlagerung der überaus wertvollen Gegenstände war in vollem Gange und Ish-Thar beobachtete hochkonzentriert die herein- und herausgehenden Arbeiter. Mit scharfem Auge kontrollierte er, dass alles an seinen richtigen Platz kam. Etwas störte Ish-Thar schon seit Tagen. Es war der nubische Hauptmann aus der Leibgarde des Pharao, der zur Überwachung der Aktion hierher abkommandiert worden war. Am-shera war sein Name und er gefiel Ish-Thar ganz und gar nicht. Etwas in seinen Augen sagte ihm, dass der Hauptmann nicht vertrauenswürdig war und etwas im Schilde führte. Seine ständigen Fragen nach gewissen Schmuckstücken und sein Drängen an Ish-Thar, ihm gewisse Dinge aus den Tontafeln zu übersetzen, riefen ein äusserst ungutes Gefühl in Ish-Thar hervor. Er hatte erst mit den Fragen aufgehört, als Ish-Thar ihm mehrfach versichert hatte, dass er dem Pharao persönlich schwören musste, nicht über diese Dinge mit anderen Menschen zu sprechen und das ihn eine Zuwiderhandlung sein Leben kosten würde. Auch das er den unbändigen Drang hatte, die hereingebrachten Gegenstände permanent anfassen zu müssen, obwohl es eigentlich untersagt war, missfiel Ish-Thar sehr.
Das Tagespensum für heute war erledigt und die letzten Arbeiter verliessen gerade die Halle, als Ish-Thar den Nubier dabei erwischte, wie er sich einen kleinen goldenen Gegenstand einsteckte, den er von einer steinernen Säule herunter genommen hatte. Er hatte ihn in einem Moment, in dem er sich unbeobachtet fühlte gegriffen und ihn gerade eingesteckt. Ihre Blicke trafen sich. Der Nubier hatte Ish-Thar nicht bemerkt, sah aber an seinem Blick, dass er genau wusste, was er gemacht hatte. "Wenn Du ihn sofort zurück legst, will ich vergessen, was ich gerade gesehen habe," sagte er zum Hauptmann. Der Hauptmann kam auf den wesentlich kleineren und körperlich unterlegenen Ish-Thar zu, zog seinen Dolch und setzte ihn an Ish-Thar's Kehle. "Du Wurm willst mir drohen?", fragte er mit einem höhnischen Grinsen.
Schwester Shandra's erfahrenem Blick war die aufkommende Unruhe Ahmed's nicht entgangen. Sie legte die Zeitschrift zur Seite, hielt ihre Hand auf seine Stirn und fühlte anschliessend den Puls des Patienten. Er war ein klein wenig erhöht, aber es war nichts, dass ihr einen Grund zur Beunruhigung gab. Beim Blick in sein Gesicht nahm sie leichte Bewegungen seines Mundes und der Lippen wahr. Sie beobachtete ihn weiter und hatte das Gefühl, als würde Ahmed sprechen wollen. Langsam beugte sie sich über ihn und legte ihr Ohr nahe an seinen Mund, um etwas hören zu können. Er sprach tatsächlich. Aber in einer Sprache, die ihr nicht bekannt war! Plötzlich griff er ihre Handgelenke, riss seine Augen auf und rief: "Elekh mar shanni! Ish-Thar enkh angkhor Phar!"
Schwester Shandra's Blick in die offenen Augen des Patienten versetzten sie für einen kurzen Moment in eine völlig andere Szene, ja in eine völlig andere Welt. Sie konnte sich aus dem klammernden festen Griff des Patienten nicht befreien und sah ihn direkt an. Ein afrikanischer Krieger mit glänzendem Oberkörper schien den Patienten zu bedrohen und hielt einen Dolch an seine Kehle. Kurz darauf riss der Schwarze seine Augen weit auf und stiess einen langgezogenen Schmerzensschrei aus. Blut spritzte umher und überzog das Krankenbett. Ein spitzer Schrei des Entsetzens entfuhr dem Mund der Krankenschwester. Plötzlich entliess Ahmed sie aus dem klammernden Griff, schloss die Augen und fiel ins Kissen zurück.
Ein Kollege hatte ihren Schrei gehört und kam hereingestürzt. Schwester Shandra wusste nicht, wie ihr geschehen war. Der Patient lag ruhig auf seinem Kissen. Er hatte seine Augen immer noch geschlossen. Kein Blut war mehr zu sehen. - Sie fühlte sich etwas in Erklärungsnot - "Entschuldige Achmed", sagte sie dem Pflegerkollegen, "ich bin wohl einen Moment eingenickt und habe mich dermassen erschrocken, als er sich gerade bewegt hat." "Alles wieder in Ordnung!" Der Pfleger nickte lächelnd und ging beruhigt wieder zurück insNebenzimmer.
"Ich drohe Dir nicht, ich will Dich lediglich zur Vernunft bringen Hauptmann. Wenn Du es nicht zurück legst, machst Du Dich eines schweren Vergehens schuldig, dass Dich Dein Leben kosten kann," rief Ish-Thar dem Hauptmann zu. Der Hauptmann erhöhte deutlich den Druck des Dolches an Ish-Thar's Hals, so dass ein leichter Schnitt entstand und Blut aus der Wunde austrat. "Dein Leben ist verwirkt", rief der Nubier, drehte Ish-Thar mit einer schnellen Bewegung um und wollte ihm den Dolch in die Brust stossen. Ish-Thar hörte einen dumpfen Schlag. Mitten in der Bewegung hielt der Nubier inne, riss seine grossen Augen weit auf und liess den Dolch fallen. Ish-Thar entkam seinem eisernen Griff und trat einen Schritt zurück. Nun sah Ish-Thar den Pfeil, der aus seinem Hals herausragte. Blut spritzte aus der Wunde. Der Nubier war tödlich getroffen und sackte auf den Boden.
Ish-Thar sah auf und blickte in das Gesicht seines Retters. Nein, es war seine Retterin, die ihren goldenen Bogen langsam in Richtung Boden absinken liess.
Vor ihm stand Nanchi-ankh-sun, die Tochter des Pharaos....