Kapitel 23
Nanchi-ankh-sun und Nefreth hatten den prächtigen Zuweg zum Eingang in die grosse Pyramide beschritten und standen kurz vor dem Eingang zur Pyramide. Etliche Menschen hatten sich hier versammelt. Die Soldaten und alle umstehenden Menschen verneigten sich vor der neuen Regentin. Der neue Hauptmann der Leibgarde berichtete Nefreth, dass Anchor-ankh-sun, die Hohepriesterin der Isis sich in die Einweihungskammer begeben hatte und befohlen hatte, dass die nächsten drei Tage niemand diesen Raum betreten dürfte. Nanchi-ankh-sun warf Nefreth einen vielsagenden Blick zu. Sie wollte die gleichen Einweihungsriten durchlaufen, welche Nefreth als oberster Priester aller Ägypter hinter sich gebracht hatte, um so noch mehr Macht zu erlangen. Sollte dem obersten Hohepriester etwas zustossen, wäre sie diejenige, die dieses Amt erfüllen und antreten konnte. Es war nicht allzu schwierig, ihre Pläne zu durchkreuzen.
Nefreth wies den Hauptmann an, niemanden mehr hinein zu lassen, bis er wieder da wäre. Gemeinsam mit Nanchi-ankh-sun, einigen seiner vertrauten Priester und zwei Soldaten betrat Nefreth den Eingang der Pyramide. An den ersten zwei Abbiegungen wies er die beiden Soldaten an stehen zu bleiben und niemanden vorbei zu lassen. Zielstrebig setzten sie dann den Weg fort in Richtung der Einweihungskammer. Shin-Baatu, ranghöchster der Priester nach Nefreth und sein engster Vertrauter, folgte ihm und Nanchi-ankh-sun als erster nach. Einige Minuten später standen sie alle vor den Eingang zur Einweihungshalle. Alle schauten auf Nefreth und waren gespannt, was er vor hatte. Nefreth legte seine Hand mit dem Ring an die Wand. Nanchi-ankh-sun und Shin-Baatu legten ihre Hand auf seine Schulter, dann sahen sie mit ihm in den Raum hinein. Der Sarkophag war geschlossen. Fackeln brannten. Räucherwerk war entzündet. Auf dem Boden vor dem Sarkophag sahen sie die Kleidung von Anchor-ankh-sun liegen. Sie war also im Sarkophag.
Nefreth besprach sich mit Shin-Baatu und Nanchi-ankh-sun. Sie wollten mit Hilfe von Nefreth's Ring einen Eingang schaffen, einige Priester hinein schicken und durch das Entfernen der Sarkophagplatte das Einweihungsritual unterbrechen. So etwas war nicht ungefährlich für die Person, die sich dort im Inneren des Sarkophages befand, aber darauf konnten sie jetzt keine Rücksicht mehr nehmen. Etwaige Konsequenzen hatte Anchor-ankh-sun nun selbst zu verantworten durch ihr eigenes Verhalten. Die nächste Frage die sich stellte war die, wie Anchor-ankh-sun reagieren würde, wenn sie nach Unterbrechung des Rituals aufwachte. Immerhin war sie im Besitz des mächtigen Ringes Aira-Mu und somit in der Lage, mächtigen Schaden anzurichten. All diese Dinge gingen Nefreth durch den Kopf, als sie von der Wand zurücktraten. Nanchi-ankh-sun wies einen der Priester an, ihr etwas zu holen. Nefreth hatte nicht verstanden was es war, aber der Priester machte sich sofort auf den Weg.
Nefreth's Sinne waren auf's Äusserste gespannt, als er begann mit Hilfe des Ringes einen Durchgang zu schaffen. Das bläuliche Licht formte eine kreisförmige Stelle an der Wand, an der die Konturen der Steinquader zu verschwimmen schienen. Ein leichter Brummton setzte ein. Kurz darauf war der Durchgang geschaffen. Vier vorher ausgewählte Priester gingen zielstrebig auf den Sarkophag zu, fassten an jeder Ecke an und schoben den schweren Deckel zur Seite. An ihren erstaunten Blicken erkannte Nefreth sofort, dass etwas nicht stimmte. "Er ist leer", sagte einer der Priester mit ungläubigem Gesichtsausdruck. Dann ging alles sehr schnell.....
Ein greller Blitz schlug mit lautem Knall am Sarkophagdeckel ein und pulverisierte die vier umstehenden Priester augenblicklich zu Staub. Der Deckel zersprang in tausende kleine Stücke. Erschrocken sprangen alle ein Stück zurück.
"Natürlich ist er leer!", hörten sie die Stimme von Anchor-ankh-sun aus dem Raum schallen. Höhnisches Gelächter folgte. Es war nicht ihre eigene Stimme, dachte Nefreth sofort. Ein merkwürdiger dunkler Hall schwang mit, der ihn an irgend jemanden erinnerte. Sie hatte sich auf einen kleinen Vorsprung in etwa zwei Metern Höhe gestellt, von dem sie nun nackt wie Gott sie schuf herunter sprang. Der Ring an ihrer Hand deutete auf die Menschen, die ihr gegenüber standen. Nefreth war ein Stück zurück gewichen, um den Abstand zwischen den beiden Ringen zu vergrössern. "Ich kenne euere Gedanken. Der Ring ist sehr mächtig. Glaubt nicht, dass ihr eine Chance gegen mich habt." "Anchor-ankh-sun sei vernünftig, sprach Nefreth sie in ruhigem Ton an, Du weisst genau was passiert, wenn die Kräfte der beiden Ringen zusammen kommen. Es wird unsere Welt zerstören. Willst Du das?" "Das will ich genauso wenig wie Du, grosser Hohepriester, sagte sie in höhnischen Tonfall. Aber ich weiss, dass Du derjenige von uns bist, der die grösseren Bedenken hat und deshalb sage ich Dir: Gib mir den zweiten Ring und ich verschone euch alle. Ansonsten ist jetzt hier alles zu Ende!"
"Du weisst genau, dass ich das niemals tun werde Anchor, also sei vernünftig und gebe den Ring zurück, denn er steht Dir nicht zu und ist nicht für die Hohepriesterin der Isis vorgesehen."
"Die neue Hohepriesterin der Isis hat andere, viel grössere Aufgaben als die letzte, rief sie. Und dann schrie sie, dass die Wände erzitterten:
Und jetzt gib' mir den Ring Nefreth!!"
Alle umstehenden Menschen erschraken zu Tode über die gewaltige Lautstärke.
"Du wirst Dein Ziel nicht erreichen, Baak-Sual!", rief Nefreth. Er hatte die Stimme erkannt. "Aaaaah", entfuhr es Anchor-ankh-suns Mund. Dann ballte sie die Hand mit dem Ring zur Faust. Nefreth spürte Nanchis Hand auf seiner Schulter und hob seine Hand in Richtung ihrer Schwester an. Dann schickten zornig funkelnde Augen den tödlichen Energiestrahl aus dem Ring in Nefreths Richtung. Nefreth hatte sich breitbeinig aufgestellt und die Hand zur Faust geballt. Auch er feuerte nun aus dem Ring. Zwei Energiestrahlen von ungeheuerer Kraft trafen in der Mitte zwischen ihnen aufeinander. Gleissendes Licht entstand an dem Punkt, an dem die Energien aufeinander trafen. Ein lautes Brummen war zu hören. Wo die Energie sich traf, floss tropfende Energie zu Boden, als wenn zwei riesige Schweisselektroden sich aneinander abarbeiteten. Nefreth hatte grosse Mühe, der Energie von Aira-Mu standzuhalten. Nanchi bemerkte mit Schrecken, wie er schwächer wurde. Nefreth bemerkte, wie sich ihre Hand von seiner Schulter löste. Gab sie ihn auf? Er wandte noch einmal alle Kraft auf, doch die Energie des anderen Ringes wurde noch stärker. Es war nur noch eine Frage der Zeit, wann er zusammenbrechen würde. Seine Hand wurde plötzlich unerträglich heiss. Seine Kraft verliess ihn endgültig. Ein Blitz! Nefreth sackte zusammen. Er verlor das Bewusstsein. Dunkelheit!
Nanchi-ankh-sun stand neben ihrem Gemahl. Der Pfeil hatte ihren goldenen Bogen verlassen. Schnell hatte er die kurze Entfernung zu ihrer Schwester überwunden und bohrte sich klatschend in deren nackte Brust. Mit weit aufgerissenem Mund und ungläubigen Blick sah sie ihre Schwester an. Ihre Hand mit dem Ring sank zu Boden. Nanchi-ankh-sun fing ihren Mann auf, der vor ihr zusammen sackte. Ihren Bogen liess sie auf den Boden fallen. Die Energie aus Nefreths Ring erstarb. Aus dem Ring an Anchor-ankh-suns Hand zuckten wild rote Blitze heraus, die unkontrolliert durch die Halle schossen. Shin-Baatu eilte heran. Er hielt ein Kurzschwert in der Hand, hob es an und schlug zu. Die Hand mit dem Ring wurde von Anchor-ankh-suns Arm abgetrennt. Die Energie des Ringes erstarb. Anchor-ankh-sun hatte nichts mehr davon mit bekommen. Mit leerem Blick starrte sie zur Decke. Shin-Baatu warf das Schwert zu Boden und warf sich vor Nanchi-ankh-sun zu Boden. "Verzeiht Herrin - ich musste es tun!", rief er flehend. "Du hast richtig gehandelt Oberpriester, es gibt nichts, was Du zu bereuen hättest." Der Mann erhob sich und verbeugte sich dankbar vor seiner weisen Herrscherin.
"Shin-Baatu, kümmere Dich um Aira-Mu und bewahre ihn gut." "Ja meine Herrin!" Der Priester nahm den Ring von Anchor-ankh-suns Hand ab und wickelte ihn in ein Tuch. Nanchi-ankh-sun wandte sich ihrem noch am Boden liegenden Gemahl zu. Sie wusste, dass ihm nichts passiert war. Langsam liess sie sich auf die Knie herunter und beugte sich zu ihm hinab. Zärtlich strich sie ihm über die Wange. Unter einem kurzen Zucken schlug Nefreth seine Augen auf. Hektisch blickte er sich um. "Alles ist gut," sagte Nanchi beruhigend zu ihm und legte ihm ihre Hand auf seine Brust. Sie berichtete ihm, was geschehen war. Nefreth sah, wie der leblose Körper von Anchor-ankh-sun abtransportiert wurde. "Die Schlacht ist geschlagen, mein Geliebter" sagte Nanchi-ankh-sun. Nefreth sah sie an.
Er war nicht überzeugt....