Die Pyramide
Das Innere der Pyramide schien unversehrt. Elmer wunderte sich darüber. Die Erdbebenwelle war so gewaltig gewesen, doch schien sie diesem Teil der Pyramide nicht geschadet zu haben. Lediglich ein paar kleinere Gesteinsbrocken lagen am Boden. Doch die Luft hier war noch erfüllt von Staub. Im Licht der Stablampen war es deutlich zu sehen und Milliarden von feinen Staubpartikeln erschufen im Strahl der Lampen eine bizzare Welt. Sie hielten sich ihre Hände oder Arme vor Mund und Nase, um nicht allzu viel davon einzuatmen. Ständig hustete jemand und in der Eile hatte niemand von ihnen daran gedacht, Wasser mitzunehmen. Ein leises Vordringen schien unmöglich zu sein.
Elmer führte die Gruppe an gefolgt von Nani, dann kamen seine Grosseltern und Ahmed bildete den Schluss. Die stauberfüllte Luft erschwerte den Weg zur Kammer der Kristalle und setzte sich in ihren Mündern, Nasen und Rachen fest. Sie brauchten für den Weg etwa doppelt so lange wie beim letzten Mal, aber dann war es endlich soweit. Elmer aktivierte den Ring und kurz darauf befanden sich alle in der Kammer. Hier sah es schon schlimmer aus. Das Beben hatte Schäden angerichtet. An den Wänden waren Risse zu sehen und im Deckenbereich waren einige Steine herausgebrochen und auf den Boden gefallen. Die Kristalle hatten auf den ersten Blick zum Glück keinen Schaden genommen. Elmers Grossmutter holte eine Tasche hervor und sie begannen damit, die Kristalle einzusammeln.
"Aira-Mu holen wir zuletzt, sagte Elmer, zuerst müssen wir an Kristallen einpacken, was wir tragen können, dann kommt der Ring." Er hatte es kaum ausgesprochen, als die gesamte Pyramide von einem mächtigen Zittern erfasst wurde.
"Ein Nachbeben, schrie Ahmed, bringt Euch in Sicherheit."
Elmers Grossmutter hatte durch das plötzliche Wackeln der Pyramide den Stand verloren und sass auf dem Boden. Sie machte keine Anstalten, sich zu erheben. Hier am Boden schien es ihr sicherer zu sein. Das Schieben der schweren Quader war zu hören und Staub rieselte von der Decke. Jeder suchte sich irgendwo verzweifelt Halt. Die Pyramide wurde hin und her bewegt. Angsterfüllt hatten alle die Augen weit aufgerissen und beobachteten Wände und Decken. Dann ebbte das Beben ab und erstarb innerhalb von Sekunden. Alle husteten und kämpften mit dem Staub, der aufgewirbelt worden war.
"Sind alle O.K.," fragte Elmer.
Von allen kam ein gequältes "Ja".
"Lasst uns schnell weitermachen, wer weiss, ob nicht noch ein Nachbeben kommt," sagte Elmer.
Alle rafften sich auf und quälten sich durch den Staub, um weitere Kristalle einzusammeln. Innerhalb der nächsten fünf Minuten war alles was ging eingepackt und Grossmutters Tasche war gut gefüllt.
"So das war's, sagte Elmer, jetzt nur noch der Ring. Ahmed, Du nimmst ihn wieder, ja? Wir anderen gehen voraus wie beim letzten Mal."
Ahmed nickte zustimmend. Elmer aktivierte den Ring und eröffnete den Durchgang. Alle bis auf Ahmed gingen hindurch und begaben sich auf den Gang. Elmer zog sich zur anderen Seite in eine Nische zurück. Kurz darauf erschien Ahmed im Durchgang, nickte ihm kurz zu und ging in Richtung der anderen. Elmer folgte ihnen in sicherem Abstand, damit die beiden Ringe sich nicht zu nahe kamen. Langsam und vorsichtig bewegten sie sich weiter. Die nächste Abbiegung stand an. Ihre Stablampen zitterten im Staub. Der Weg war beschwerlich. Ahmed bog als erster um die Ecke. Grelles Licht schoss ihm plötzlich entgegen! Was war das?
Schützend nahm er eine Hand vor seine Augen und blieb regungslos stehen. Gossmutter und Grossvater kamen nach. Auch sie rissen ihre Arme hoch. Sie leuchteten mit ihren Stablampen dem gleissenden Licht entgegen, konnten aber aufgrund der Stärke nichts erkennen.
"Kannst Du Dich noch an mich erinnern, alter Mann?", fragte eine laut hallende Männerstimme.
"Voltuid," kam es wie aus der Pistole geschossen aus Grossvaters Mund. Er hatte ihn sofort erkannt.
"Ja, ganz Recht alter Mann,"ertönte die höhnische Stimme. "Ich bin euch beim Einstieg gefolgt und hatte gehofft, dass ihr mir die Kristalle frei Haus liefert. Legt alles schön vor euch auf den Boden. Schön vorsichtig und langsam. Keine Mätzchen, sonst schicke ich euch alle mit dem Kristall in die nächste Dimension."
Grossmutter stellte die Tasche vor sich auf den Boden und Grossvater leerte langsam seine Taschen.
Elmer und Nani waren noch nicht auf den Gang getreten und Elmer zog Nani langsam und leise hinter sich. Es war zum Verrücktwerden! Er konnte nicht weiter vorgehen wegen des Ringes. Seine Grosseltern waren in grosser Gefahr. Was tun? Er überlegte fieberhaft.
"Wo sind die anderen zwei," fragte Voltuid.
"Die sind noch in der Kammer und holen den Rest der Kristalle," antwortete Grossvater.
"Duuuuu," schrie Voltuid plötzlich, dass Grossmutter zusammenzuckte. Seine Hand zitterte vor Wut. "Nun ist Deine Stunde gekommen und ich werde Deinem billigen Leben ein Ende bereiten. Lange genug habe ich auf diesen Tag gewartet. Empfange meine Rache und stiiiirb."
Er hob seine Hand mit dem Kristall etwas an. Der Farbton wechselte ins Rötliche.
Elmer spürte die Todesgefahr. Plötzlich war ihm alles egal und ruckartig stürmte er den Gang nach vorn. Etwa fünf Meter vor der Ecke begann es....
Ein heftiges Nachbeben erfasste die Pyramide! Böden und Wände wurden heftig hin und her geschoben. Staub rieselte herab und erfüllte die Luft. Steine knirschten. Gesteinsbrocken fielen herab. Jemand schrie. Elmer stoppte und Nani die ihm gefolgt war, lief auf ihn auf. Der Schubbser beförderte ihn ungewollt auf den Gang. Er sah in das gleissende Licht......und hatte eine Erscheinung.
Horus, der falkenköpfige ägyptische Gott stand vor ihm! Das konnte nicht sein! Er rieb sich die Augen. Das Bild blieb. Erneut erfasste eine Bebenwelle das Gebäude. Plötzlich brach vor ihm etwas aus der Decke heraus! Ein tonnenschwerer Quader hatte sich gelöst. Mit ungeheuerer Geschwindigkeit sauste er zu Boden.
Das gleissende Licht erlosch schlagartig. Voltuid war getroffen. Der Quader hatte ihn unter sich zermalmt. Zitternd richteten Elmer, Nani und seine Grosseltern die Strahlen ihrer Stablampen nach vorne. In einer grossen Blutlache lag der zerquetschte Körper Voltuids unter dem schweren Quader am Boden. Ein grässlicher Anblick! Das Beben beruhigte sich. Elmer leuchtete den Gang entlang. Keine Spur mehr vom Falkengott. Hatte er sich getäuscht?
Er half Grossmutter auf und sah nach den anderen. Kurz darauf lagen sich alle Fünf bestürzt in den Armen.
"Lasst uns zusehen, dass wir hier so schnell wie möglich rauskommen," sagte Ahmed und sie machten sich augenblicklich auf den Weg. Ein paar Minuten später sahen sie das Tageslicht. Sie nutzten das allgemeine Durcheinander, dass durch die Nachbeben draussen entstanden war, um ungesehen das Plateau zu verlassen. Auf einem freien Feld machten sie eine Pause, um etwas auszuruhen.
Sie hatten das Schlimmste überstanden!
So hatte es zumindest den Anschein.....