„Gibst du mir die Schlüssel vom Bungalow, Gem?“, wandte Zane sich an Gemma, welche sich auf sein Sofa gesetzt hatte und ihn nun überrascht ansah. „Ich möchte einige Sachen von dir holen.“
„Du willst…? Ich kann auch mitkommen, Zane. Oder ich leihe mir von dir einfach ein Shirt und Shorts zum Schlafen. Hat doch bei Ethan und Tiara auch funktioniert.“
Vor seinem inneren Auge blitze ein Bild von Gemma in seinem viel viel zu großem Shirt auf, jedoch gänzlich ohne die von ihr erwähnten Shorts, was ihn fast ein Stöhnen entlockte und er lenkte das Gespräch in ungefährlichere Bahnen, ehe er Gefahr lief und der Verlockung einfach nachgab und ihr seine Klamotten einfach zuwarf, damit sie daran durch seine Wohnung tigerte und ihn zum Sabbern brachte.
„Nein, du solltest dich schonen. Und in meinen Klamotten würdest du untergehen. Ich bin mittlerweile, ohne protzig klingen zu wollen, viel breiter gebaut als Ethan. Das Hemd von gestern hätte ich mit meiner Tanzeinlage in der Lounge fast gesprengt.“
Was ihren Blick wieder auf sein, nur noch minimal feuchtes, weißes Muskelshirt lenkte und sie innerlich aufseufzen ließ. Wäre sie vorhin nicht so verdammt durch den Wind gewesen, hätte sie sich an seinem mehr als heißen Anblick laben können. Aber ihr Kreislauf musste ihr einen Strich durch die Rechnung machen. Eigentlich war sie nur aus einem Grund hinter Zane in das Boot der Wildwasserbahn gestiegen. Und das war nicht die Angst herauszufallen.
„Aber...“, versuchte Gemma ihr Veto einzulegen, denn wenn er allein fuhr, würde er in ihre Unterwäscheschublade greifen müssen.
Als sie seinen entschlossenen Blick sah, seufzte sie resigniert auf, öffnete den Reißverschluss ihrer Seitentasche und reichte ihm die zwei Schlüssel, die am Bund hingen. Dann sollte es wohl einfach so sein und er würde ihre Unterwäsche sehen. Eigentlich störte Gemma diese Tatsache nicht, jedoch waren die Fronten noch immer nicht geklärt und nur sie wusste, dass er nicht ihr Cousin war und sie folglich auch nicht seine Cousine. Könnte er sie jemals als Frau sehen, die ihre Reize hatte und diese auch auf ihn ausüben, wenn sie ihm erzählte, dass sie nicht miteinander verwandt waren? Diese Frage stellte sie sich gerade zum ersten Mal und sie wich seinem Blick irritiert aus, damit er nicht sah, dass sie ganz plötzlich etwas beschäftigte.
„Ich werde auch nicht schauen, wenn ich dir Unterwäsche einpacke“, hörte Gemma ihn grinsen und verdrehte dann die Augen, ehe sie schmunzelte. „Reingreifen, ab in die Tasche, fertig.“
Als ob, Zane, ihre Unterwäsche interessiert dich – gib es ruhig zu.
Er spürte deutlich, dass sie ein wenig verlegen war und wunderte sich über den Grund, denn es war nicht das erste Mal, dass er Unterwäsche von ihr zu Gesicht bekommen würde, denn er hatte schon öfter ihre Wäsche gewaschen, wenn sie zu Besuch in Deutschland war. Warum also jetzt? Mit einem nachdenklichen Blick betrachtete er sie und schüttelte dann innerlich über sich selbst lachend den Kopf. Nein, nicht Gemma. Sie würde ihn nicht plötzlich mit anderen Augen sehen, nur weil er sich langsam aber sicher eingestand, mehr für sie zu empfinden, als er dürfte. Im Prinzip wusste er bereits seit Jahren, dass er sein Herz hoffnungslos an sie verloren hatte, wollte es sich allerdings nie eingestehen. Als sie mit Dexter bereits einige Zeit liiert gewesen war, wunderte er sich über die seltsamen Gefühle in seiner Brust, hatte diesen jedoch keine weitere Bedeutung beigemessen, denn er war schlicht und ergreifend noch viel zu jung um diese Empfindungen als zarte Liebe zu erkennen. Doch es kam der Tag, an dem es ihn traf wie der sprichwörtliche Amboss und er begriff, was ihn so marterte. Da Gemma jedoch glücklich gewesen war und ihren Traumprinzen augenscheinlich gefunden hatte, schüttete er die Gefühle damals tief in seinem Inneren zu, damit sie ihn nicht weiter quälten. Bis zur Trennung von Dexter und Gem hatte das auch perfekt funktioniert.
„Du kannst ruhig schauen. Es ist nur… seltsam, wenn man plötzlich auf das Sofa verbannt wird und nicht helfen darf. Ich bin in den vergangenen Monaten immer für alles selbst und allein verantwortlich gewesen; für mich und allem drumherum. Es ist einfach nur ungewohnt. Das ist alles“, gab Gemma schließlich zu und biss sich auf die Unterlippe.
Und da war es wieder – das Thema, was sein Blut zum Köcheln brachte. Dexter Havering, größter Idiot unter der Sonne. Der Mistkerl, der Gemma loswerden wollte wie ein lästiges Haustier. Der, der nicht erkannte, was er für einen – Achtung, Wortwitz – Edelstein gefunden hatte. Fast hätte Zane laut aufgelacht, beherrschte sich jedoch und ließ die Schlüssel von Gemma in seiner Hand an einem Finger klimpernd hin- und herbaumeln.
„Jetzt hast du den coolsten Typen auf Erden an deiner Seite. Für die kommenden Stunden wirst du dich schonen und ich werde dich von vorn bis hinten bedienen, ab morgen schauen wir dann weiter. Du bist nicht allein, Gem. Ich bin für dich da und das weißt du.“
Ihre Augen leuchteten auf und er grinste sie verschwörerisch an, ehe er sich zu ihr herunterbeugte und einen Kuss auf ihre Wange drückte.
„Und nun Füße hoch, Netflix an und entspannen. Ich fahre kurz rüber, mache dir eine Tasche fertig und bin in spätestens einer Dreiviertelstunde wieder hier. Wenn was sein sollte, ruf mich an, okay?“
„Danke, Zane“, sagte sie weich und ihm schmolz das Herz in der Brust. „Die Reisetaschen findest du im Kleiderschrank unten rechts.“
Er verließ das Wohnzimmer und dann seine Wohnung, was Gemma leise aufseufzen ließ. Sie würde die Nacht bei ihm verbringen und vermisste seine Gegenwart jetzt bereits, obwohl er nur kurz nach Wendhausen fuhr und für sie Kleidung organisierte und in allerspätestens einer Stunde wieder hier sein würde. Wie würde es erst werden, wenn sie wieder allein in dem riesigen und leeren Bungalow schlafen würde? Nach der Trennung von Dexter war sie traurig gewesen, hatte sich auch einsam gefühlt, doch diese Gefühle hatten sich bald schon verflüchtigt, weil sie sich immer wieder vor Augen geführt hatte, wie wenig er sie verdient hatte und er es nicht wert war ihm nachzutrauern und sich einsam zu fühlen. Immerhin hatte sie viele Menschen um sich herum, die für sie da waren.
Zögernd stand sie vom Sofa auf und ging barfuß in die Küche, um sich ein wenig umzuschauen und zu prüfen wo sie Gläser, Tassen, Teller und das Besteck fand und machte eine Bestandsaufnahme der Lebensmittel die Zane zu Hause hatte, um ein Abendessen zu zaubern. Da er nicht allzu viel da hatte, entschied sie sich für schnelle Nudeln mit Tomatensauce, die sie allerdings selbst machte. Tomatenmark, Zwiebeln und Gewürze waren vorhanden und sie grinste, ehe sie sich zwei Töpfe raussuchte und bereitstellte. Anscheinend kochte Zane nicht viel und aß eher auswärts, denn sein Kühlschrank gab nur das nötigste her. Eier, Wurst, Käse, Butter, Pudding, Joghurt, Ketchup, Mayonnaise, Senf, Milch und Getränke. Vielleicht sollte sie mit ihm irgendwann mal einkaufen gehen und ihm ein paar einfache Gerichte beibringen. Soweit sie wusste, hatte er das Kochen nie von seiner Mutter gelernt, weil er als Kind lieber draußen gespielte und sich später mit seinen Freunden verabredete, anstatt sich an den Herd oder Backofen zu stellen. Ethan hingegen kochte und backte schon immer für sein Leben gern und probierte selbst jetzt noch immer neue Rezepte, allein oder mit Tiara, aus.
Ehe sie mit der Sauce anfing, nahm sie ihr Handy aus der Hosentasche und legte es auf die Arbeitsplatte, wählte Tiaras Nummer und wartete darauf, dass sie abnahm.
„Gem, welch überraschender Anruf. Alles okay bei dir?“, meldete Tiara sich erfreut.
„Wie man es nimmt. Ich bin vorhin mit Zane auf dem Magnifest gewesen und...“
„Mit Zane?“, unterbrach ihre Freundin sie mit einem kleinen erfreuten Ausruf und Gemma lachte leise, war sie doch amüsiert über diese Euphorie. „Wie war es?“
„Lustig. Aber ich habe wohl etwas zu sehr in der Sonne gebrutzelt und beim Fahren mit der Wildwasserbahn durch das eiskalte Wasser auf meinem Rücken einen kleinen Kälteschock oder sowas erlitten… jedenfalls habe ich für einen ziemlich langen kurzen Moment vergessen wie man atmet.“
„Geht es dir gut, Gem? Ich meine… Zane muss doch tausend Tode gestorben sein!“
„Ich bin tausend Tode gestorben und dachte, ich müsse ersticken, aber Zane hat reagiert, als würde er jeden Tag nichts anderes machen, als Menschen vor dem Erstickungstod zu retten, Tia“, erwiderte Gemma und schälte nebenher die Zwiebel. „Er hat sich zu mir umgedreht, während wir noch in diesem Boot saßen, klatschnass waren und er hat blitzschnell die Situation erfasst und mich in eine Position gebracht, in der ich ganz plötzlich wieder normal atmen konnte. Du hättest das sehen müssen, Tiara, er war einfach nur...“
„Wow?“, hörte sie sie schmunzeln. „Er besucht regelmäßig Erste Hilfe Kurse, damit er im Notfall selbst helfen kann, wenn er die Kids ehrenamtlich im Tanzen unterrichtet. Bis heute kamen diese Fachkenntnisse jedoch Gott sei Dank bei einem echten Notfall nie zum Einsatz.“
„Mehr als nur wow, Tia, er war unglaublich. Ruhig, gefasst, sanft.“
„Sanft? Gem, was ist in den letzten Stunden passiert?“
„Nichts von Bedeutung. Wir hatten einen kleinen Tanzwettstreit, welchen er haushoch gewonnen hat, haben zusammen Eis und danach Pizza gegessen und jetzt holt er grade ein paar Klamotten von mir aus dem Bungalow, damit ich was zum Wechseln hier ha...“, führte Gem aus und schnitt die Zwiebel klein.
„Du schläfst bei ihm?“, quietschte Tiara ins Telefon und Gemma lachte leise.
„Ja. Er wollte nicht, dass ich alleine bin, nachdem ich ihm quasi fast unter den Händen weggestorben bin – übertrieben natürlich.“
„Weißt du eigentlich was das heißt?“
„Nein?“, fragte Gemma in Erwartung einer Erklärung und legte das Messer weg.
„Bisher hat nie eine weibliche Person – außer mir – die obere Etage zu Gesicht bekommen, weshalb ich dir bestimmt nicht sagen muss, dass auch bislang keine Frau bei ihm übernachtet hat.“
„Bist du dir da sicher?“
„Absolut, Gem. Und nun schläfst du dort.“
„Aber wir sind...“
„Seid ihr nicht“, unterbrach Tiara sie ernst und seufzte dann leise auf. „Hast du es ihm noch immer nicht gesagt? Er hat ein Recht darauf es zu erfahren.“
„Es betrifft ihn doch aber nicht direkt. Und außerdem würde es sowieso nichts ändern. Von klein auf hat er mich als ‚Neutrum‘ gesehen. Denkst du, die Tatsache, dass wir nicht blutsverwandt sind, würde daran etwas ändern? Es ist in seinem Kopf verankert.“
„Darüber zerbrichst du dir also dein hübsches Köpfchen, Gem? Wirklich jetzt?“
Gemma leerte das Tomatenmark in einer größeren Schüssel, welche sie sich aus dem Schrank nahm und mischte die restlichen Zutaten zusammen, um sie in den Topf zu geben. Kurz dachte sie darüber nach diesem Thema auszuweichen, entschied sich jedoch dagegen und seufzte tief auf.
„Ja, Tia, darüber zerbreche ich mir den Kopf.“
„Hast du…“, begann ihre Freundin und stockte dann. „… haben sich deine Gefühle ihm gegenüber verändert?“
„Bisher nicht, glaube ich. Offengestanden bin ich… verwirrt.“
„Verständlich. Auch bei dir ändert sich so ziemlich alles. Aber ich bin mir sicher, ihr werdet euren Weg finden, Gem.“
„Unseren Weg finden? Wie meinst du das?“, wollte Gemma wissen und füllte Wasser für die Nudeln in den größeren der beiden Töpfe, bevor sie Salz hinzugab und die Herdplatte einschaltete.
„Alles wird sich finden“, erwiderte Tiara kichernd und Gem verdrehte ihre Augen grinsend. „Ich muss auflegen, Ethan ist grade… hm… reingekommen.“
„Ich will keine Details, bitte. Viel Spaß euch beiden, bei was auch immer. Genießt euren freien Abend und tut nichts, was ich nicht auch tun würde. Bis die Tage.“
„Halt die Ohren steif, Gem.“
Das Gespräch wurde seitens Tiara beendet und Gemma schüttelte belustigt ihren Kopf, während sie die Küche wieder aufräumte und zwei Teller bereitstellte, sowie Besteck aus der Schublade nahm. Im Bungalow kochte sie ganz selten, denn allein essen war nicht ihr Ding, weswegen die Freude zu Kochen und in Gesellschaft essen zu können jetzt umso größer war.
Mit einer Dose Sprite ging sie ins Wohnzimmer und stellte sie auf dem Tisch ab, ehe sie sich umsah und grinste, als sie entdeckte, was sie gehofft hatte zu finden. Zane besaß also einen Echo und sie gab den Sprachbefehl, dass Alexa Hits aus den Neunzigern spielen sollte, ehe sie nach dem Wasser in der Küche schaute, da sie den Faible hatte, immer in der Nähe herumzuwuseln und nicht wie andere irgendwo in der Wohnung zu sitzen und in aller Seelenruhe abzuwarten, bis das Wasser kochte. Dafür fehlte ihr ganz eindeutig die entsprechende Ruhe.
Während sie darauf wartete, dass sie die Nudeln in das Wasser geben konnte, sang sie gedankenverloren Songs von Britney Spears und den Vengaboys mit, tanzte dazu ein wenig und seufzte erleichtert auf, als das Wasser endlich kochte und sie die Nudeln hinzugeben konnte. Da Zane nur Fussili anzubieten hatte, gab es eben keine Spaghetti mit Tomatensauce, sondern diese Nudelsorte. Nudeln waren Nudeln… und sie froh, dass sie keinen Italiener persönlich kannte, der sie für diese Aussage übers Knie legen würde.
* * *
Zane steckte die Schlüssel in die Hosentasche und ging ins Schlafzimmer, um die Tasche aus dem Kleiderschrank zu nehmen und den Blick über die Auswahl ein Kleidung schweifen zu lassen. Für eine Frau hatte sie erstaunlich wenig Sachen. Er stellte die Tasche auf das Bett und nahm einige Shirts, Tops, kurze Hosen und Leggins aus den Regalfächern und legte sie in die Tasche, während er überlegte, ob sie auch das ein oder andere Kleid anziehen wollte und rieb sich das Kinn. Vermutlich wäre es tatsächlich einfacher gewesen, wenn er sie mitgenommen hätte, doch dann würde sie sich nicht ausruhen, sondern hier rumwuseln und packen.
Sein Blick fiel auf einen Jumpsuit, der Ähnlichkeit mit dem aufwies, den sie heute trug und griff danach, damit er ihn zusammenlegen und in die Tasche wandern lassen konnte. Grinsend schloss er den Kleiderschrank und trat an die Kommode mit den Schubladen, in welchem er die Unterwäsche vermutete und schluckte schwer. Wenn er dort einen Blick hineinwarf, wäre es wohl vollends um ihn geschehen, aber er musste da jetzt durch, weil er den Mund gegenüber Gemma zu voll genommen hatte. Also zog er die oberste Schublade auf und hatte – natürlich – direkt die erwischt, die randvoll mit Seide, Spitze und sonstigem verführerischen Stoff war.
Jackpot – du hast die Dessous erwischt!
Stöhnend schob er die Schublade wieder zu und öffnete die darunter, um festzustellen, dass hier zwar keine Dessous gelagert wurden, doch die Auswahl an knappen Tangas und Slips nicht minder erregend auf ihn wirkten. Über die BHs wollte er gar nicht erst anfangen nachzudenken. Vermutlich sollte er sich jetzt schlecht fühlen, tat es aber nicht und griff nach einem leichten Zögern nach einigen der BHs, Tangas und Slips, um sie in die Tasche hinter sich zu befördern und dann die Schublade wieder zu schließen, die unterste zu öffnen, aus denen er einige Socken nahm und ebenfalls verstaute, bevor er die Kommode wieder komplett verschloss und sich mit einer Hand über die Augen fuhr.
„Geschafft“, murmelte er und zog den Reißverschluss der Reisetasche zu, um sie zu schultern. „Braucht sie noch irgendwas?“
Nachdenklich ließ er den Blick durch das Zimmer gleiten und schmunzelte dann, weil ihm Duschgel und Shampoo einfielen. Schnellen Schrittes ging er ins Bad und schnappte sich eines der Shampoos, dessen Anzahl echt erschreckend war und kürte das Duschgel mit Kirschduft zum Sieger. Nach kurzer Überlegung wanderte noch eine Spülung in die Tasche. Männer brauchten nur ein Duschgel, welches sie für alles nutzten, egal ob für Haut, Haare, zum Abwaschen oder für die Lackpflege des Autos. Amüsiert über seine eigenen Gedanken schüttelte er den Kopf.
Sollte sie sonst noch etwas brauchen, könnte er nochmal herfahren und es holen. Das Wichtigste waren zunächst die Klamotten und ihre Duschutensilien, damit sie sich wohlfühlen konnte. Mit einem zufriedenen Grinsen verließ er den Bungalow wieder und stieg in seinen Wagen, nachdem er die Tasche auf den Beifahrersitz gleiten lassen hatte.
Gerade als er den Motor starten wollte, klingelte sein Handy und er zog es überrascht aus der Hosentasche, um auf das Display zu schauen und das Gespräch erstaunt anzunehmen.
„Jack? Was ist los, du rufst mich sonst nie an.“
„Ich brauche deine Hilfe, Zane“, ertönte Jacks Stimme und Zane runzelte irritiert die Stirn, weil sein Freund mehr als frustriert klang. „Du wirst mich vermutlich töten, aber dieses Risiko nehme ich billigend in Kauf.“
„Was hast du angestellt und wie genau komme ich da nun ins Spiel?“, fragte Zane und lehnte sich auf seinem Sitz zurück.
„Ich brauche die Adresse oder Telefonnummer von Louisa.“
„Entschuldige bitte, aber: von wem brauchst du die Kontaktdaten?“, fiel ihm fast alles aus dem Gesicht, während er überlegte, ob er die Daten überhaupt besaß und an Jack rausgeben sollte.
„Von dem kleinen fauchenden Wirbelwind, den ich aus der Lounge tragen musste. Von dieser Louisa sprechen wir. Und ja, ich bin mir sicher. Ich habe… mir ein Eigentor geleistet und muss mich…“, brachte Jack nach einem kurzen Moment des Schweigens hervor und stockte für eine Sekunde. „… bei ihr entschuldigen.“
Zane stöhnte überrascht auf und fuhr sich mit der freien linken Hand durch die Haare, weil er nicht fassen konnte, was er soeben gehört hatte. Jack Greco hatte sich Louisa gegenüber daneben benommen und musste sich nun bei ihr entschuldigen – hatte aber keinerlei Kontaktdaten von ihr? Was zur Hölle war heute passiert…? Heiliger Bimbam! Die Frau, die Jack am Eiswagen so feurig geküsst hatte…
„Du hast Louisa fast am Eiswagen vernascht, Jack, … ich fasse es nicht“, brachte Zane vollkommen überrascht hervor und schüttelte leicht den Kopf. „Ich habe dich gesehen und an deinem Tattoo erkannt, aber… ausgerechnet sie? Bist du dir sicher, man?“
„Sieht wohl ganz danach aus“, erwiderte Jack nach einem leisen Seufzen. „Sie ist anders als wir sie bisher alle erlebt haben, Zane. Und ich Vollidiot habe es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit versaut, ehe es die Chance gab, es zu vertiefen.“
„Vertiefen, soso“, musste Zane nun doch grinsen und trommelte kurz mit den Fingerspitzen auf dem Lenkrad herum, während er nachdachte. „Ich glaube, ich habe tatsächlich irgendwo ihre Handynummer, weil sie ihren Bruder mal zu einem der Kurse gebracht und ihn auch wieder abgeholt hat. Als Kontaktperson habe ich dann immer eine Telefonnummer, um jemanden zu erreichen, falls ein Notfall eintritt. Und die Adresse, damit ich das Kind im Zweifelsfall selbst abliefern kann. Kontaktieren werde ich sie aber nicht für dich, sonst denkt sie nachher noch, ich hätte Interesse an ihr, was definitiv nicht der Fall ist.“
Ein erleichtertes Aufstöhnen war zu hören und Zane lachte leise, da dieser Laut der tiefsten Erleichterung vermutlich eher dem Teil mit dem Desinteresse an Louisa galt, als der Tatsache, dass er eine Telefonnummer nebst Adresse von ihr besaß.
„Aber die Nummer hast du nicht von mir, ist das klar? Ich komme sonst in des Teufels Küche“, wies er Jack ernst auf den Datenschutz hin, den sie ganz klar unterwandern würden. „Capito?“
„Capito. Danke, man. Du hast bei mir echt was gut. Schick mir die Nummer, sobald du sie gefunden hast, ja? Ich muss wirklich etwas klarstellen und schauen, ob ich was retten kann. Ob sie will, dass ich es rette.“
„Dich hat es entweder ernsthaft erwischt, oder du hast Fieber, Jack.“
„Vielleicht beides. Ich bin mir noch nicht ganz sicher… Aber sie rührt etwas in meinem Inneren.“
„So wie das vorhin aussah, nicht nur in deinem Inneren“, grinste Zane und Jack knurrte leise auf. „Schon gut, schon gut. Ich schicke sie dir, sobald ich wieder zu Hause bin und nachgeschaut habe. Ein klein wenig musst du dich noch gedulden.“
„Danke. Bis später.“
Noch immer völlig verblüfft, schüttelte er den Kopf, während er den Wagen startete und das Handy wegsteckte, um nach Hause zu fahren und endlich Gemma wieder um sich zu haben. Bei diesem Gedanken warf er einen erstaunten Blick über den Rückspiegel in seine Augen. Vermisste er Gemma wirklich nach so kurzer Zeit bereits?
* * *
Alle Männer waren gleich, auch dieser verflucht gutaussehende Jack, der küssen konnte wie kein anderer. Aber er dachte nicht anders, verdammt. Während sie in ihrer Wohnung auf und ab lief, stieß sie wütende italienische Flüche aus und ballte immer wieder zornig ihre Hände, weil sie sonst irgendwas genommen und aus dem Fenster geworfen hätte. Hier blitzten wieder die italienischen Gene durch und machten ihr das normale Denken schwer, weshalb sie hier und da immer wieder aneckte, obwohl sie es eigentlich überhaupt nicht wollte. Aber das war halt das Erbe ihrer Mutter, welches sie in sich trug und schlecht aus sich herausprügeln konnte, wobei ihr in vielen Situationen sehr danach war es zu tun.
„Erst die Zunge in den Hals stecken und dann meinen es täte ihm leid“, sprach sie mit sich selbst, goss sich mit einem wütendem Zischen ein Glas Campari ein, um es direkt anzusetzen, zu leeren und es sofort wieder zu befüllen. „Pah… Mit mir kann man es ja machen.“
Sie knallte die Flasche härter wieder in den Kühlschrank, als sie wollte und zuckte kurz zusammen, ehe sie mehrfach tief durchatmete und sich versuchte selbst zu beruhigen. Ihre Wangen brannten wie Feuer und sie trank einen kleinen Schluck des Alkohols, bevor sie es auf dem Beistelltisch im Wohnzimmer abstellte und in ihr Schlafzimmer eilte, um sich frische Kleidung aus dem Schrank zu nehmen, denn sie hatte vor eine Dusche zu nehmen, um ihr erhitztes Gemüt abzukühlen und den Geruch und auch den Geschmack von Jack loszuwerden, den sie bis zu seiner letzten Äußerung ihr gegenüber mehr als nur gut gefunden hatte. Doch jetzt wollte sie einfach nur wieder nach Louisa, Limetten und Minze duften und nicht nach ihm. Jack.
Frustriert schmiss sie ihre Kleidung in den Wäschekorb, nachdem sie sich dieser entledigt hatte und drehte das Wasser in der Dusche auf, um mit der Hand die Temperatur zu prüfen, damit sie sich nicht kreischend darunter hervorsprang, weil es entweder zu kalt oder zu heiß eingestellt war. Als es die richtige Temperatur hatte, trat sie unter dem angenehmen Wasserstrahl und schloss die Augen, während sie die Stirn an die kühlen Wandfliesen lehnte und die Hände in den Nacken legte.
Was hatte sie an sich, dass alle Männer das Weite suchten? Entweder wollten sie von vornherein nichts von ihr, oder knutschten und fummelten mit ihr, um sie danach wie eine heiße Ofenkartoffel fallen zu lassen. Oder fehlte irgendwas, damit sie attraktiv genug auf die Männerwelt wirkte? Vielleicht sollte sie sich einfach anders schminken und kleiden, damit sie richtig wahrgenommen wurde? In ihrem Kopf fuhren die Gedanken Karussell und sie stöhnte gequält auf. Gia hatte es einfacher. Sie brauchte einem Mann nur aus ihren azurblauen Augen zuzuzwinkern und ein bisschen verführerisch lächeln und zack – ein Date, ein One-Night-Stand oder eine Beziehung fielen ihr in den Schoß. Ohne Aufriss, ohne kraftraubenden Aufwand.
Bombastische Figur mit Kurven, kleiner als Louisa, blaue Augen und rabenschwarzes Haar. Lediglich die Haarfarbe hatten sie gemeinsam, denn sie war größer als Gia und hatte Kurven, ja, aber an den Stellen, die eindeutig weniger kurvig sein dürften, wenn es nach Louisa ging. Ihre Wut ebbte ab und Traurigkeit machte sich in ihr breit. Was besser war, wusste sie nicht, doch für Traurigkeit hatte sie ein Ventil, denn sie konnte weinen und ihren Gefühlen freien Lauf lassen. Einen guten Campari trinken, Trübsal blasen, weinen, etwas essen und irgendwann vollkommen erschöpft in einen unruhigen Schlaf fallen und wie gerädert aufwachen. Hatte sie Glück, ging es ihr am nächsten Tag besser, oder mit Pech, schlechter.
Mit Wut konnte sie eindeutig nicht so gut umgehen, außer fluchend und fauchend Dinge um sich zu werfen. Aber das wollte sie nicht; das war sie einfach nicht. Tränen rannen ihr über die Wangen und vermischten sich mit dem Wasser, ehe sie blind zum Shampoo griff, ihre Haare wusch und die Lippen fest zusammenpresste, damit sie nicht anfing zu schluchzen.
* * *
Zane schloss die Tür zu seiner Wohnung auf und schmunzelte belustigt, als ihm Musik entgegenschallte und er Gemma dazu singen hörte. Vermutlich tänzelte sie durch die Gegend, anstatt sich auszuruhen und er klickte die Tür leise hinter sich zu, damit er sich die Schuhe von den Füßen kicken konnte und stellte die Reisetasche einfach dort ab, wo er gerade stand, weil er nach der kleinen Sirene schauen wollte, die erstaunlich viele Töne traf. Barfuß ging er zur Küchentür und konnte Gemma sehen, die in einem Topf rührte, dabei sang und mit ihren Hüften wackelte, als gäbe es kein morgen. Da stand sie also und kochte für sie beide und ruhte sich nicht aus. Eigentlich müsste er böse auf sie ein, doch er verspürte lediglich tiefe Erleichterung, denn es zeigte ihm, dass es ihr schon wieder sehr viel besser ging.
Gerade lief „Shake it off“ von Taylor Swift und Zane grinste, als er zweimal in die Hände klatschte und in die Küche sprang, dabei die Hüften schwang und neben ihr mittanzte, was sie erst erschrocken aufquietschen und dann lachen ließ. Sie ließ den Kochlöffel los und stieß freudestrahlend ihre Hüften im Rhythmus seitlich gegen seine, sangen dazu gemeinsam das Lied zu Ende und klatschten sich dann grinsend ab.
„Dir geht es scheinbar besser, hm?“, lachte er leise und gab Alexa dann den Sprachbefehl die Musik leiser zu stellen, damit er diese mit seiner Stimme nicht übertönen musste. „Nach ausruhen sieht das jedoch nicht aus, Gem.“
„Mir geht es wirklich wieder gut, Zane“, beteuerte sie und rührte in der Tomatensauce, die köstlich duftete. „Aber mir knurrt ein wenig der Magen und da ich wusste, du kommst nicht mit Abendessen um die Ecke, sondern mit meiner Reisetasche… hab ich gedacht, ich schaue mal was ich uns kleines zaubern kann.“
„Was mach ich nur mit dir...“, sagte er nach einem Seufzer voll gespielter Verzweiflung und sah kurz zur Decke. „Na gut. Ich bringe eben die Tasche nach oben und bin direkt wieder zur Stelle.“
Was er mit dir machen kann? Oh, da würden mir persönlich so einige Sachen einfallen. Soll ich dir sagen, was, Gemma?
„Nein“, nuschelte sie genervt und Zane sah sie über die Schulter hinweg verwundert an, als er schon im Begriff war die Küche zu verlassen und blieb stehen.
„Nein?“
„Ich hab nur mit mir selbst gesprochen“, sagte sie und warf ihm einen verlegenen Blick zu, bevor sie den Topf mit der Sauce vom Herd nahm und noch einige Male darin rührte. „Sorry.“
Lachend schüttelte er beim Gehen den Kopf, griff nach der Tasche und brachte sie amüsiert nach oben, denn scheinbar teilten sie doch mehr Angewohnheiten und Eigenschaften, als er angenommen hatte. Immerhin redete er ab und an auch mit sich selbst; vermied es jedoch, wenn er nicht allein war. Die Reisetasche stellte er auf dem Bett ab und ging zum Schreibtisch in der Ecke, um nach dem Notizbuch zu greifen, welches dort in der Schublade lag, damit er nach dem Eintrag suchen konnte, in dem er Louisas Kontaktdaten vermutete.
„Bingo“, grinste er triumphierend und griff sich sein Handy, um die Seite abfotografieren zu können. „Da haben wir das Gesuchte ja.“
Zane
Hier hast du den vollen Namen, ihre Adresse und die Handynummer. Viel Erfolg und ein kleiner Tipp am Rande: fahr zu ihr und versuch es nicht über eine Nachricht oder einen Anruf. Sie wird eher weich, wenn du deinen italienischen Charme an der Tür spielen lässt. Wäre am Telefon, egal in welcher Form, weniger bis überhaupt nicht wirkungsvoll. ;)