Gemma starrte Zane von der Seite an und er zog eine Augenbraue hoch, wobei er langsam seinen Kopf in ihre Richtung drehte und seine Mundwinkel amüsiert zuckten, denn er wusste haargenau, dass sie sich gerade tierisch langweilte. Aber noch würde er ihr nicht verraten, dass sie gleich doch noch mal zum Magnifest gehen würden, denn er hatte sich mittlerweile davon überzeugen können, dass es Gemma wieder vollkommen hergestellt war. Es war vielleicht albern, doch er hatte in der Wildwasserbahn und auch danach das völlig bescheuerte Gefühl verspürt, sie vor allem zu schützen und sie wie ein rohes Ei behandeln zu müssen, obwohl es keinerlei Grund dafür gegeben hatte. Ja, sie hatte kurzzeitig unter Atemnot gelitten, doch er wusste auch, dass dies durchaus passieren konnte, wenn zu kaltes Wasser auf zu warme Haut traf.
Natürlich war sie am Zittern gewesen und natürlich kamen ihr fast die Tränen, als sie auf der Bank saß und sich in seiner Jacke fast schon verkrochen hatte… Doch das war der erste Schock. Trotzdem hatte es ihm fast das Herz zerrissen, als er sie dort sitzen sah und sie einfach nur noch wegbringen wollte. Zu sich nach Hause. In sein Revier, damit er wusste dass sie sicher war. Bei ihm. Ganz schön primitiv und viele würden es vielleicht als übergriffig betiteln, doch machte er sich lediglich Sorgen und wollte ihr nichts verbieten oder ihr etwas vorschreiben.
„Zaaane?“
„Ja, Gem?“, fragte er möglichst ernst und behielt sein Pokerface bei.
„Mir ist langweilig.“
„Was willst du denn machen?“
„Nochmal aufs Magnifest“, sagte sie und sah ihn dabei mit bittenden Augen an, was ihm fast ein Lächeln entlockte. „Ich esse auch nur einen Crêpe und verhalte mich ganz ruhig.“
„Wer bist du und wo ist Gemma?“
„Zaaane…“
„Gut möglich, dass ich so heiße, ja“, erwiderte er mit einem gemächlichen halben Grinsen und sie sah ihn aus schmalen Augen an. „Hm?“
Wenn er sie so angrinste sah er verflucht heiß aus und Gemma war sich dessen deutlich bewusst, weshalb sie schluckte und überlegte, wie sie ihn am besten aus der Reserve locken konnte, damit er mit ihr noch einmal zum Fest ging. Natürlich bestünde die Möglichkeit allein zu gehen, doch das war nicht dasselbe. Sie wollte mit ihm hingehen und sich wieder an seine Seite schmiegen, während er seinen Arm um ihrer Schulter liegen hatte.
„Kommst du mit mir mit?“, fragte sie ihn mit einem bittendem Dackelblick, der ihn um ein Haar zum Lachen gebracht hätte.
„Was zahlst du denn?“
„Was ich zahle?“, war sie nun verdattert und er gluckste amüsiert, was sie zum Schnaufen brachte. „Du hast mich auf den Arm genommen? Blödmann!“
Sie schlug ihm halbherzig gegen den Arm und er sah sie ernst an, bevor er aufstand und einige Schritte vom Sofa wegmachte.
„Hey, wo willst du hin? Das war doch nur Spaß, Zane“, beeilte sie sich zu sagen und stand ebenfalls auf, wollte ihm hinterher.
„Ich dachte wir wollen zum Fest? Dann sollten wir uns beeilen, hm? Schließlich habe ich dir versprochen, dass ich mit dir Geisterbahn fahre, wenn es dunkel ist“, erwiderte er ungerührt und grinste heimlich, was sie nicht sehen konnte, da er mit dem Rücken zu ihr stand.
Kaum hatte er zu Ende gesprochen, ertönte hinter ihm ein freudiges Jauchzen und wurde direkt angesprungen. Da er etwas in dieser Richtung geahnt hatte, war er vorbereitet und umfasste mit beiden Händen ihre Oberschenkel, damit sie nicht direkt wieder an seinem Rücken herunterglitt, während sie sich an seinen Schultern festklammerte.
„Du bist mein Held“, erwiderte sie schlicht und meinte es genauso, wie sie es sagte.
„King und Hero an einem Tag – ich muss wirklich etwas Besonderes sein.“
„Das bist du, ohne Zweifel.“
„Besonders stark auf den Kopf gefallen, besonders stark im Blödsinn erzählen…“, zählte er seine Besonderheiten belustigt auf und trug die lachende Gemma Huckepack in den Flur, damit er sie dort absetzen konnte, denn ohne Schuhe wollte er sie nicht zwingend mitnehmen.
Und besonders verliebt in dich, Gemma.
* * *
Tiara grinste erheitert, während sie die Nachricht verfasste, die sie gerade versenden wollte und war fast fertig, als sie ihren Namen rufen hörte und sich halb umdrehte, wobei sie, ohne hinzuschauen, auf senden tippte und das Handy gesperrt in ihre Hosentasche gleiten ließ.
„Bin schon da, Lilli“, rief sie grinsend zurück und nahm die beiden Cocktails, um sie zum Tisch zu bringen, an dem eine ihrer beiden besten Freundinnen saß und sie ungeduldig ansah. „Was also hast du für einen so dringenden Notfall, wegen dem ich Ethan sitzen lassen habe?“
„Es tut mir leid, Tia, aber ich habe wirklich eine halbe Lebenskrise“, seufzte sie und sah Tiara zerknirscht an. „Ich habe dir doch letztens von diesem Kerl erzählt, den ich in Wolfsburg in einer Kneipe getroffen habe…“
„Alexander, oder so ähnlich?“, erinnerte Tiara sich mit gerunzelter Stirn zurück und tippte sich mit dem Zeigefinger nachdenklich gegen die Unterlippe. „Mit dem du ganz spontan im Taxi mitgefahren bist, dort drei Tage in der Männer-WG verbracht hast und den Namen beider Männer nicht wusstest, dich bei mir nicht gemeldet hast und du dich unsterblich in diesen Alexander verliebt hast?“
„Genau“, kam es ziemlich kleinlaut zurück und Tiara lachte leise.
„Was kann es jetzt noch für Neuigkeiten geben, die mich vom Hocker hauen könnten?“
„Nun…“, meinte Lilli und hob ihren Cocktail an, um mit der anderen Hand bezeichnend auf das Glas zu deuten. „Was könnte das wohl sein?“
„Ein Safer Sex on the Beach?“
„Aha?“
„Alkoholfrei, …“, setzte Tiara aus reiner Gewohnheit an und brach dann mit großen Augen ab. „Nein, niemals!“
„Kommt drauf an, was genau du jetzt meinst?“, gab Lilli irritiert zurück und stellte das Glas vorsichtig wieder vor sich auf dem Tisch ab. „Denkst du das, von dem ich denke, dass du es denkst… dann lautet die Antwort: doch.“
Vollkommen baff ließ Tiara sich nach hinten in die Kissen fallen und rieb sich über die Stirn, sich uneins, ob sie sich jetzt für ihre Freundin freuen, oder ihr eine Standpauke halten sollte. Sie konnte sich nicht für eine der beiden Möglichkeiten entscheiden und seufzte tief, ehe sie Lilli wieder ansah.
„Und … weiß er es auch schon?“
Die Blonde biss sich ertappt auf die Unterlippe und wich dem Blick ihrer Freundin aus; beobachtete die Crew an der Bar und konnte Ethan entdecken, der in diesem Moment besorgt zu ihnen hinüber sah und blickte dann wieder über den Tisch hinweg Tiara an.
„Du bist die Erste die es erfährt.“
„Man, Lilli, wie kannst du nur so doof sein“, schüttelte sie ihren Kopf verständnislos und stöhnte dann leise auf. „Du wolltest nie Kinder… und jetzt lernst du jemanden kennen, von dem du gerade mal den Namen kennst, hast mit ihm drei Nächte verbracht, von denen ihr beide mindestens zwei Tage betrunken wart, seit ein paar Mal im Bett gelandet und nun bist du schwanger? Ernsthaft?“
„Es war nicht geplant…“, begann Lilli leise und Tiara warf die Hände in die Luft.
„Grandios!“
„Tia… bitte, sei nicht so. Du weißt, dass ich nicht der Typ für was ernsteres bin…“
„Lilli, ich hab dich unglaublich lieb und du bist eine meiner besten Freundinnen, aber so leid es mir tut, ich muss dir sagen, dass du dich unverantwortlich benommen hast und es vermutlich auch weiterhin tun wirst. Lang habe ich mir das Ganze angeschaut, aber du hast ein, zwei Probleme. Was an sich nicht schlimm wäre, wenn, ja wenn… du dir helfen lassen würdest. Wie willst du weiter vorgehen? Willst du Alexander stecken ‚hey, du wirst übrigens Vater, wäre cool, wenn wir uns vorher noch schnell richtig kennenlernen…?‘ Oder willst du nur, dass er für das Kind zahlt und ab und an mal aufpasst? Ich will dich unterstützen, aber du machst es dir grade verdammt leicht. Tia hat einen kühlen Kopf, die macht das schon. Wie immer. Hm? Was erwartest du nun genau von mir?“
Nun war es an Lilli entgeistert zu schauen und sie spielte mit ihren Fingern nervös an dem Cocktailglas vor sich, senkte den Blick auf den Tisch und zuckte dann ratlos mit den Schultern.
„Ich dachte, du könntest mir sagen, was ich nun tun soll… ob ich das Kind behalten soll, oder…“
Weiter kam Lilli nicht, denn Tiara sprang von der Eckcouch der Lounge auf und knallte ihre Handflächen, mit vor Wut und Enttäuschung aufblitzenden Augen, auf die Tischplatte, was erstere erschrocken zusammenfahren ließ. Langsam hob Lilli den Kopf und starrte Tiara mit überraschtem Blick an, bekam jedoch kein Wort raus.
„Du hast mich gerade nicht allen Ernstes gefragt, ob du dein Kind abtreiben sollst oder nicht.“
Die Kinnladen von Ethan und Jannis klappten nach unten und sie starrten wie gebannt auf Tiara und die Szene, welche sich vor ihnen in einigen Metern Entfernung ereignete und sahen sich dann sprachlos an. Seit wann war die sonst so ruhige und sanftmütige Tia zu so einer Löwin geworden?
„Was zum Henker hat Lilli ihr erzählt?“, traute Jannis sich an Ethan gewandt zu fragen und schluckte. „Deiner Kleinen will ich lieber nicht nachts im Dunkeln begegnen, wenn sie auf mich sauer ist.“
„Würdest du ihr denn einen Anlass geben auf dich sauer zu werden?“, wollte Ethan grinsend wissen und erwiderte den Blick des anderen amüsiert. „Ich denke nicht. Lilli ist… manchmal ein wenig schwierig. Und wenn Tiara jetzt so aus der Haut fährt, dann muss der Bock abgeschossen worden sein, vermute ich. Vielleicht sollte Lilli besser gehen.“
„Oder du gehst hin und verhinderst schlimmeres?“, schlug Jannis scherzhaft vor.
„Vermutlich nicht deine schlechteste Idee heute Abend“, erwiderte Ethan alarmiert und beeilte sich zu den Frauen an den Tisch zu gelangen. „Stopp!“
Lilli war nun ebenfalls aufgesprungen und fauchte Tiara aus schmalen Augen zornig an, hatte das Glas im Anschlag und war in diesem Moment drauf und dran, den Inhalt in Tiaras Gesicht zu schütten, als er am Tisch ankam und beschwichtigend die Hände hob.
„Ich habe Verantwortungsgefühl“, zischte Lilli und beachtete Ethan nicht.
„Wie du meinst. Ich schlage vor, wir lassen ein paar Tage ins Land ziehen und versuchen es dann noch einmal im Ruhigen. Ich möchte mich eigentlich nicht mit dir streiten, aber momentan bringst du mich mit deiner Art auf die Palme…“, presste Tiara unwillig hervor und ging an Ethan vorbei, der ihr stirnrunzelnd hinterhersah und sich dann an Lilli wandte.
„Was zur Hölle war das gerade?“, verlangte er zu wissen.
„Ich habe sie gefragt, ob ich mein Kind abtreiben oder behalten soll“, kam es ungerührt von ihr und er starrte sie entsetzt an. „Nach dieser Frage ist sie aufgesprungen und hat mir vorgeworfen, ich würde mein Leben nicht auf die Reihe bekommen und mir nicht helfen lassen wollen.“
Ungläubig schüttelte er den Kopf und sah, dass Lilli sich absolut im Recht sah und sich von Tiara vor den Kopf gestoßen fühlte. Doch seine Süße lag richtig damit, dass sie es unvernünftig von ihrer Freundin fand, so eine Frage gestellt zu bekommen… bei einem Cocktail, auch wenn er alkoholfrei war, in einer Lounge bei Partymusik und der ganzen guten Laune drumherum. Hätte Tiara gewusst, worum es ging, wären die Frauen hochgegangen und das Gespräch wäre eventuell ein wenig gesitteter abgelaufen.
„Sorry, da mische ich mich nicht ein. Ich werde nach Tiara schauen, entschuldige mich bitte…“
Innerlich knurrend entfernte er sich von ihr und hielt Ausschau nach seiner Traumfrau, die er allerdings nirgends entdecken konnte. Jannis deutete auf die Tür zum Treppenhaus und Ethan nickte ihm dankbar zu, ehe er ihr folgte.
* * *
Völlig aus der Bahn geworfen starrte Zane auf die Nachricht die er erhalten hatte und las sie vermutlich schon das zehnte Mal, konnte nicht glauben, was dort stand und steckte das Handy in seine Hosentasche zurück, ehe er sich zu Gemma umdrehte, die ihm lächelnd einen Becher Cola reichte und erwiderte ihr Lächeln dankbar. Zügig nahm er einen Schluck und wünschte sich, es würde sich dabei um eine gute Mischung handeln und nicht nur um ein lapidares Softgetränk.
„Wir müssen anscheinend nicht mehr allzu lang warten“, bemerkte Gemma neben ihm und stellte sich auf die Zehenspitzen, um zu schauen, wie viele noch vor ihnen anstanden. „Vielleicht noch acht Leute, schätze ich.“
„Vier“, erwiderte Zane und warf den Becher neben sich in den Mülleimer. „Bei der nächsten Abfahrt sind wir dabei, Gem.“
„Ist alles in Ordnung mit dir? Du bist so abwesend seit der Nachricht die du bekommen hast.“
„Ja, alles okay. Ich habe bloß nicht mir dieser Mitteilung gerechnet und bin verwundert darüber“, meinte er und sah sie an, als sie seine Hand ergriff und drückte.
Ehe sie etwas darauf antworten konnte, wurden sie aufgefordert in die Käfige zu steigen, in dem man jeweils zu zweit sitzen konnte. Zane stieg zuerst ein, da er wusste, dass die Angestellten dieser Attraktion meistens von rechts auftauchten und die Besucher erschreckten. Es war durchaus von Vorteil, wenn man jemanden an der Hand hatte, der gern mal ein wenig hinter die Kulissen blicken ließ, indem er aus dem Nähkästchen plauderte.
„Ich hoffe, es war wenigstens etwas Gutes“, nahm Gemma das Gespräch wieder auf, als der Wagen sich langsam in Bewegung setzte und sie in das Innere der Attraktion fuhren und er schaute sie leicht irritiert an, was sie zum Lachen brachte. „Der Inhalt der Nachricht. Eine gute Verwunderung, keine schlechte.“
„Das kommt ganz darauf an“, sagte er und zuckte locker eine Schulter.
„Worauf?“
„Wie eine gewisse Person sich der anderen gegenüber verhält.“
„Klingt verzwickt, wenn du mich fragst“, stellte Gemma mit einem Stirnrunzeln fest.
„Allerdings. Manchmal fällt es schwer, den ersten Schritt zu wagen und über seinen eigenen Schatten zu springen. Und dann ist liegt es an dem anderen Part etwas dagegen zu tun. Nur ist das schwierig, wenn beide Parteien einen meterlangen Schatten haben. Und manchmal ist es von Vorteil, wenn man jemanden kennt, der einem ein wenig… Schützenhilfe gibt.“
Gerade als Gemma etwas dazu sagen wollte, krachte ein Stück Metall auf den Käfig und sie zuckte zusammen, ehe sie auflachte und den Kopf schüttelte, da sie sich wirklich erschrocken hatte, vollkommen auf Zane konzentriert. Sie war ihm jedoch fast auf den Schoß gesprungen und hatte seinen linken Arm umklammert, was ihm ein Grinsen entlockte.
„Ich bin so verdammt schreckhaft“, kicherte sie und sah sich dann vorsichtig um. „An sich ist es gar nicht gruselig, aber die Menschen die hier rumlaufen, verkleidet und auf Schabernack aus, die gruseln mich richtig, wenn sie auf einmal neben dem Käfig stehen und es drauf anlegen, dass ich mir die Seele aus dem Leib kreische.“
„Du darfst dich auf meinen Schoß setzen, wenn du dich dann sicherer fühlst“, bot er scherzhaft an und lachte leise. „Mich schockt so schnell nämlich gar nichts.“
Das Lachen blieb ihm jedoch im Halse stecken, als Gemma ihr linkes Bein über ihn legte und sich dann geschickt auf seinen Schoß schob, während sie ihre Arme um seinen Oberkörper schlang und mit einem seligen, aber heimlichen, Lächeln auf den Lippen ihre Wange an seine Schulter legte. Verblüfft sah er auf ihren Scheitel und schloss dann seine Arme um ihre Taille, damit sie nicht doch vor Schreck rückwärts gegen die Streben knallte.
Tief inhalierte Gemma Zanes unglaublichen Duft und rief sich das Telefonat mit Tiara in ihr Gedächtnis. Was hatte sie zu verlieren, wenn sie sich auf ihn einließ? Es zumindest versuchte? Eine gewisse Anziehungskraft war unleugbar vorhanden und die Chemie stimmte. Bisher hatten sie sich nur ein einziges Mal gestritten und das war wegen Dexter. Eigentlich war der nicht direkt schuld, aber der Auslöser, weil es Zane fuchsteufelswild gemacht hatte, dass sie so von ihrem Ex angelogen und behandelt worden war. Hätte er sich nicht eingemischt und Dexter angerufen, um ihm die Meinung zu geigen, wäre kein Streit entfacht. Aber sie war damals einfach wütend darüber gewesen, dass Zane einfach die Zügel in die Hand nahm und das aussprach, was sie eigentlich dachte, sich jedoch nicht traute auszusprechen. Nichts anderes war der Grund dafür gewesen, weshalb sie sich Zane geschnappt und ihm ein paar Takte dazu erzählt hatte. Danach war das Verhältnis seltsam angespannt und irgendwie gestört gewesen. Bis gestern. Und dieses wundervolle Gefühl wollte Gemma nicht wieder missen. Ihn nicht missen.
Doch wie genau sollte sie Zane erklären, dass ihr Vater nicht ihr Vater war und sie und Zane somit nicht in einem verwandtschaftlichen Verhältnis zueinander standen?
Frei und geradeheraus? Warum willst du da einen Staatsakt draus machen, Gem?
„Du hast Recht, hier fühle ich mich direkt viel sicherer“, sagte sie leise und schmiegte sich vertrauensvoll an ihn, was ihn schlucken ließ. „Ich bin froh, dass wir uns wieder so gut verstehen.“
„Wir haben eine echt komische Angewohnheit, Gem“, lachte er leise. „Irgendwie konzentrieren wir uns nicht auf das was wir tun, sondern unterhalten uns. Das könnten wir auch zu Hause tun.“
Sie grinste amüsiert und zuckte dann ihre Schultern.
„Aber hier ist doch die perfekte Atmosphäre...“, setzte sie an und zuckte dann quietschend in seinen Armen zusammen, als eine Hand sie an der Schulter berührte, welche eindeutig nicht Zanes war.
„Hey, Finger weg“, warnte Zane mit einem gespielten Knurren, aus dem man den Schalk heraushörte und schlug die Hand des Mitarbeiters weg, die sich durch den dafür vorgesehenen Spalt geschoben hatte. „Such dir jemand anderen zum Kuscheln.“
„Man, Zane… du bist ein Spielverderber“, erwiderte der verkleidete und blutrünstig geschminkte Mitarbeiter und Gemma hob den Kopf, weil sie die Stimme irgendwie kannte.
„Guck hinter uns in den Käfig, ich glaub da saß ein ganz süßes Mädel allein drin, Neo.“
Ein kehliges Lachen ertönte und Gemma kicherte. Einer der Türsteher also. Sie wusste zwar, dass er im Sommer wechselnde Nebenjobs hatte, jedoch nicht wo.
„Ich habe gegen dich eh keine Chance bei deinem Mädchen. Halt sie gut fest, Zane.“
Wieder sagte Zane nichts dazu, dass man sie sein Mädchen nannte. Gemma biss sich nachdenklich auf die Unterlippe und drehte ihren Kopf wieder so, dass sie ihre Wange an seine Schulter lehnen konnte, um in sich hineinzufühlen. Wollte sie wirklich mehr von ihm? Wenn man sie für seine Freundin hielt, breitete sich ein warmes und angenehmes Gefühl in ihr aus, aber war das wirklich ein Zeichen für mehr?
* * *
Nachdenklich steckte Jack sein Handy zurück und betätigte erneut die Klingel an welcher Louisas Nachname stand. Doch ihm wurde die Tür nicht geöffnet. War sie nicht da? Verflucht. Er hatte Zane für die Kontaktdaten gedankt, nachdem er hier eingetroffen und das erste Mal die Türklingel betätigt hatte, doch scheinbar wollte sie ihm nicht öffnen oder sie war außer Haus. Mit einem prüfenden Blick bewegte er sich langsam rückwärts und sah zu den beiden Fenstern hinauf, die zu ihrer Wohnung gehören mussten, wenn er nach Lage der Klingel ging, doch er konnte durch die cremefarbenen Plissees nichts erkennen.
Leise fluchend fuhr er sich durch die Haare und sinnierte über seinen nächsten Schritt. Sollte er sie anrufen, ihr eine Nachricht senden? Oder es sich einfach auf dem Hausstein bequem machen und abwarten? Sah das nicht idiotisch aus? Was, wenn sie nicht unterwegs war, sondern die Tür nicht öffnete, weil sie zu den Frauen gehörte, die ohne eine vorherige Anmeldung keine Anstalten machten, zu prüften wer an der Tür war?
Jack knurrte leise und spürte wie die Ungeduld sich steigerte, denn er hasste es, wenn er sich etwas vorgenommen hatte und dieses Vorhaben nicht in die Tat umsetzen konnte. Und nun stand er hier und wusste nicht, wie er Louisa am besten erreichen und mir ihr sprechen konnte. Sein Blick wanderte zu ihrem Briefkasten und er presste die Lippen aufeinander. Bisher hatte er noch nie einer Frau eine handschriftliche Nachricht zukommen lassen – würde er jetzt damit anfangen?
Ehe er diesen Gedanken weiter verfolgen konnte, vibrierte das Handy in seiner Hosentasche und er holte es mit einem leicht genervten Stirnrunzeln heraus, um den Anruf entgegenzunehmen.
„Der Adler ist gelandet und reißt das Zebra.“
„Was?“, entgegnete Jack irritiert, nahm das Handy vom Ohr und warf einen Blick auf das Display. „Zane, was zur Hölle willst du mir gerade mitteilen?“
„Du befindest dich am Horst des Adlers, doch dieser ist nicht in seinem Nest, ich wiederhole, der Adler ist nicht in seinem Nest.“
„Egal was du nimmst – hör auf es zu nehmen oder teil den Kram mit mir“, schüttelte Jack seinen Kopf und ließ seinen Blick an der Hausfassade hochwanden. „Willst du mir unterschwellig mitteilen, dass ich meine Zeit bei Louisa vor der Tür gerade verschwende und sie nicht da ist?“
„Positiv“, erwiderte Zane und Jack verdrehte die Augen, konnte sich ein Grinsen jedoch nicht verkneifen.
„Bist du zufällig mit Gemma unterwegs und willst deswegen Louisas Namen nicht aussprechen?“
„Ja, auf dem Magnifest. Und nun nimmt endlich die Beine in die Hand, ich habe kein gesteigertes Interesse daran, mich auch noch an ihre Fersen zu heften.“
„Ich bin dir erneut etwas schuldig“, seufzte er und Zane lachte leise ins Telefon.
„Mal schauen, vielleicht komme ich demnächst schon darauf zurück.“
„Klingt danach, als wenn dir schon etwas vorschwebt. Lass uns die Tage darüber sprechen. Ich bin gleich da.“
* * *
„Hast du Lust auf ein Slush?“, fragte Zane Gemma, während er unauffällig Louisa im Auge behielt, damit Jack sich bei ihr entschuldigen konnte, sobald er eintraf.
„Klar. Ich nehme einmal Kirsche, bitte.“
Er trat hinter Louisa an den Verkaufswagen und hoffte, sie würde sich nicht zu ihm umdrehen und versuchen ihn in ein Gespräch zu verwickeln, denn darauf hatte er so überhaupt keine Lust. Auch, wenn sie sich vermutlich nur bei ihm und auch bei Gemma entschuldigen wollte, sollte sie das heute früh wirklich ernst gemeint haben. Natürlich war er bereit ihre Entschuldigung anzunehmen, doch vorerst wollte er mit ihr lieber nichts zu tun haben.
„Danke“, hörte er Louisa sagen und sie drehte sich in die entgegengesetzte Richtung von ihm, machte für ihn Platz und Zane seufzte erleichtert auf.
Mit einem Seitenblick auf die Dunkelhaarige gab er seine Bestellung auf und hoffte, Louisa würde einfach dort stehenbleiben und ihr Slush genießen, damit er sich zu Gemma gesellen und sie im Auge behalten konnte.
Irritiert beobachtete Gemma Zane und folgte seinem kurzen Blick, als er mit den beiden Bechern in den Händen wieder zu ihr kam. Nicht schon wieder dieses Biest. Louisa stand ein wenig abseits, vollkommen aufgetakelt. Blutrot geschminkte Lippen, Smokey Eyes, ein – zugegeben – atemberaubendes Outfit, bestehend aus einer mehr als knappen Jeans Hotpants, welche an den Seiten jeweils über Kreuz miteinander verschnürt waren und einen ziemlich gewagten Blick auf ihre gebräunte Haut zuließ, und einem schwarzen hautengen Top mit langen Ärmeln, welches allerdings auch ein Jäckchen sein konnte und nur durch silbernen Kettchen über Brust und Bauch zusammengehalten wurde, an denen, als Blickfang, glitzernden Schmetterlinge saßen, die selbst Gemmas Blick wie Magnete anzogen – ob sie wollte oder nicht. Wie Louisa auf den mehr als mörderischen High Heels, mit Schnürung bis fast zu den Knien, stehen und laufen konnte war Gemma ein Rätsel.
Ärgerlich verzog sie ihre Lippen und betrachtete aufmerksam Zane, der ebenfalls sein Slush-Eis löffelte und immer wieder möglichst unauffällig den ein oder anderen Blick auf die Frau warf, von der er, zumindest behauptete er dass, nichts wollte. Dafür warf er ihr verdächtig viele Blicke zu.
Zane angelte sein Handy aus der Tasche und las die Nachricht, die Jack ihm gesandt hatte. Kurz und bündig antwortete er ihm, wo er den Adler fand und stöhnte innerlich erleichtert auf, weil er seine Last gleich loswerden würde. Es war anstrengend sich zu zwingen Louisa anzuschauen, obwohl Gemma direkt neben ihm stand und er viel lieber sie anschauen würde. Weniger war normalerweise mehr, aber nicht in Bezug auf dieses Outfit welches Louisa da trug. Wenn Jack gleich eintraf, würde ihn vermutlich der Blitz treffen.
„Soll ich deinen direkt mit wegwerfen, Gem?“, erkundigte Zane sich bei ihr und sie sah ihn überrascht an, ehe sie auf ihren Becher blickte, der tatsächlich leer war und nickte kurz.
„Ja, danke“, erwiderte Gemma mit einem Lächeln und ließ sich ihren Becher von ihm abnehmen.
Er ging zum Mülleimer, warf beide Becher hinein und sah aus dem Augenwinkel eine Bewegung, die ihn dazu brachte aufzublicken. Bevor er realisieren konnte was passierte, hing Louisa ihm am Hals, versuchte ihn zu küssen und er drehte seinen Kopf zur Seite, weshalb ihre Lippen lediglich seinen Kieferknochen trafen.
„Zane“, schnurrte sie lächelnd und er umfasste ihre Handgelenke um sie von sich schieben zu können. „Wie schön dich hier zu treffen. Ich wollte mich bei dir entschuldigen, weißt du.“
Irritiert schüttelte er den Kopf, wischte sich dann demonstrativ mit dem Handrücken über seinen Kiefer, sah sie dabei aus wütend funkelnden Augen an und knurrte auf.
„Wie oft soll ich dir noch sagen, dass du mich nicht anfassen sollst?“
Gemma presste die Zähne aufeinander und schluckte den Schwall an Emotionen hinunter die in ihr aufwallten, ehe sie den Blick abwandte, weil sie nicht zuschauen wollte, wie Louisa nun mit allen Mitteln um Zane kämpfte, bis er höchstwahrscheinlich doch nachgab. Verübeln konnte Gemma es ihm nicht, denn sie konnte mit der Jüngeren nicht in Konkurrenz treten.
„Vortice“, ertönte eine dunkle schneidende Stimme und sie sah auf. „Lass deine Wut nicht an Zane aus, er kann nichts dafür, dass du verletzt bist.“
„Was willst du jetzt hier, Jack?“, fauchte Louisa ihn an und warf ihr Haar zornig über ihre Schulter nach hinten, ehe sie ihre Arme unter ihrer Brust verschränkte und ihre Brüste damit noch besser in Szene setzte, was ihr deutlich bewusst sein musste. „Ich wüsste nicht, was dich anginge, mit wem ich was habe und mit wem nicht.“
„Du hast mit ihm nichts“, entgegnete Jack ungerührt, doch Zane und Gemma konnten die unterschwellige Wut in seiner Stimme hören, welche Louisa nicht zu bemerken schien; oder nicht bemerken wollte.
„Meinst auch nur du“, konterte sie und maß ihn mit einem abschätzigen Blick.
Zane ging auf Gemma zu, schob seine Finger zwischen ihre und zog sie sanft hinter sich her, um dieser explosiven Atmosphäre zu entkommen, während er sich erneut über den Kiefer wischte und das Gefühl hatte, er müsse sich waschen. Was ging bloß im Kopf von Louisa vor sich? Warum konnte sie sich nicht einmal zivilisiert benehmen und vernünftig mit ihm sprechen? Und dann auch noch vor Gemma…
„Du hast noch Lippenstift im Gesicht“, wies diese ihn soeben auf die von ihm bereits vermutete Tatsache hin und er blieb stehen. „Warte kurz.“
Sie trat näher an ihn heran, hob ihre Hand und legte sie an seinen Unterkiefer, damit sie mit dem Daumen über den verschmierten Lippenstift reiben konnte, der auf gar keinen Fall kussecht sein konnte. Louisa so nahe bei Zane stehen zu sehen, hatte Gemma einen schmerzhaften Stich versetzt und sie fast dazu gebracht der Schwarzhaarigen die Augen auszukratzen. Dann war ihr jedoch bewusst geworden, dass sie dazu keinerlei Recht hatte. Zane war Single und konnte machen was und mit wem er wollte.
Als sie ihren Blick hob und auf seinen traf, schluckte sie trocken und befeuchtete sich ihre plötzlich trockenen Lippen mit der Zungenspitze. Sein Blick zog sie ohne die Aussicht auf Rettung in seinen Bann, denn seine Augen loderten in einem samtigen Grünton, den sie bei ihm bisher noch nie gesehen hatte. Doch die unterdrückte Wut kannte sie mehr als gut. Es war dieselbe, die auch in seinen Augen tanzte, als er damals am Flughafen in New York mit Dexter telefoniert und ihn fast durchs Telefon gezogen hatte. Warum aber war er in diesem Moment so wütend und darum bemüht, sich diese Wut nicht anmerken zu lassen?