Zane zog Gemma enger an sich, als er bemerkte, dass sie in die völlig falsche Richtung dachte und seine Sprachlosigkeit fehlinterpretierte. Mit festen Blick sah er ihr in die Augen und lächelte sie an, was dazu führte, dass auch ihre Mundwinkel sich zaghaft zu einem Lächeln hoben.
„Lass uns hier runter, ehe Jannis auf die wahnwitzige Idee kommt uns eine weitere Runde zu spendieren. Ich glaube nochmal schaffe ich das heute nicht“, zwinkerte er ihr mit einem kleinen Grinsen zu und sie nickte, ehe sie sich von seinem Schoß erhob und ihm ihre Hand reichte.
Ihre Finger verschränkten sich miteinander, als sie gemeinsam das Tagada verließen und endlich wieder festen Boden unter den Füßen hatten. Tief atmete Zane durch und rieb sich mit der freien Hand mit verzogenem Mund die linke Schulter, mit der er bei einem Hüpfer gegen die Stangen geknallt war. Es tat nicht allzu sehr weh, doch war es alles andere als angenehm. Er führte sie zu einer der Getränkeausgaben und reihte sich ein, ohne dabei ihre Hand loszulassen.
„Was möchtest du trinken?“, wollte er von ihr wissen und sie sah ihn aus dem Augenwinkel an.
„Bacardi-Cola, bitte.“
Überrascht sah er sie an und schmunzelte dann wissend. Gemma schien ihre Nerven beruhigen zu wollen, denn diesen Kuss hatte sie mit absoluter Sicherheit nicht vorab geplant, sondern spontan aus dem Bauch heraus gehandelt. Zane bestellte zwei Bacardi-Cola und reichte ihr einen der beiden Becher, um mit ihr anzustoßen und einen Schluck zu nehmen, während er sie betrachtete. Sie war auffällig still im Gegenteil zu sonst und er fragte sich, ob sie verlegen war.
Gemmas Herz klopfte so sehr, dass sie dachte es würde ihr jederzeit aus der Brust springen. Sie hatte ihn einfach geküsst und zuerst gedacht, ihm wäre es unangenehm gewesen, doch anscheinend war es der erste Moment der Überraschung und des Schocks über Jannis‘ Aktion mit dem Tagada. Da es sich bei Jannis um Zanes besten Freund handelte, wusste dieser natürlich was er Zane zutrauen konnte und was nicht, doch bestand die ganze Zeit über trotzdem die Gefahr dass irgendetwas schief hätte laufen können. Ob der wankelmütige Jannis das mit einkalkuliert hatte, als er diesen Plan gefasst und in die Tat umgesetzt hatte? Bei passender Gelegenheit würde sie ihn einfach selbst danach fragen.
Aus lauter Angst, und mit ziemlich viel Adrenalin im Körper, hatte sie das erst Beste gemacht, was ihr einfiel und Zane geküsst, weil sie überglücklich und auch stolz auf ihn war, da er es geschafft hatte sich und zusätzlich auch sie zu halten und Verletzungen zu verhindern. Das er im ersten Moment sauer auf Jannis war, fand sie nachvollziehbar. Gemma hingegen war ihm mehr als dankbar, denn so war ihr die passende Gelegenheit gegeben worden, ihn zu küssen.
„Gem?“
„Ja?“, blickte sie auf und stellte verlegen fest, dass sie die ganze Zeit in ihr Getränk gestarrt hatte.
„Bist du wirklich okay? Hast du dir wehgetan?“, fragte er sie besorgt und sie konnte ein Lächeln nicht unterdrücken, während sie ihn ansah.
„Mir geht es gut, Zane. Ich bin nur ein wenig… durcheinander. Das ging alles so verdammt schnell und deine Worte kamen mir in den Kopf, dass das Tagada in Deutschland aufgrund der hohen Verletzungsgefahr nicht offiziell betrieben wird. Nicht, dass ich dir nicht zutraue dich zu halten, selbst wenn es auf höchster Stufe läuft, aber ich wäre vermutlich nicht ganz so glimpflich davongekommen, wenn du nicht dabeigewesen wärst“, erwiderte sie und biss sich leicht auf die Unterlippe, sah dabei kurz zur Seite. „Und ich hatte Angst, du würdest dich verletzen, weil ich nicht die Kraft dazu hatte mich selbst zu halten. Immerhin ist das allein schon kraftaufwändig genug.“
Sanft hob er mit dem Zeigefinger seiner freien Hand ihr Kinn ein wenig an, hielt ihren Kopf in Position und senkte dann seine Lippen weich auf ihre, um ihr einen Kuss zu geben, in der Hoffnung sie mit diesem zu beruhigen. Ihre Augen fielen zu und er tat es ihr nach, genoss den Moment einfach und wünschte sich nichts sehnlicher, als dass sie die gleichen Gefühle für ihn entwickelte, die er bereits seit Jahren tief in seiner Brust für sie trug. Er machte sich nichts vor und glaubte nun nicht nach nur einem einzelnen Kuss, welcher von ihr ausgegangen war, dass sie sich unsterblich in ihn verliebt hatte. So naiv war er nicht. Gemmas Herz für sich zu gewinnen würde nicht ganz so einfach werden, dessen war er sich bewusst. Doch er spürte die aufkeimende zarte Hoffnung in ihm, da sie seinen Kuss nun erwiderte.
„Denk nicht, ich hätte deinen Kuss nicht gewollt oder würde bereuen ihn bekommen zu haben, hm?“, raunte er an ihrem Ohr und richtete sich dann wieder auf, um an seinem Getränk zu nippen.
Mit einem erstaunten Blick sah sie ihn an und er unterdrückte ein Grinsen.
„Woher weißt du was ich gedacht habe?“
„Ich kann es an dir an der Nasenspitze ansehen“, gab er, nun doch grinsend, zurück. „Und außerdem kenne ich dich nun schon lang genug.“
Gemmas Augen weiteten sich sie sah ihn überrascht an. Kannte er sie wirklich so gut, dass er in ihr lesen konnte? Bisher kannte sie nur wenige Personen, die sich auch ohne Worte verstanden und das waren zum Einen Zane und Ethans Eltern und zum Anderen Ethan und Tiara.
* * *
„Wie lang willst du mit noch erklären, dass ich exakt wie alle anderen Männer bin, Vortice?“, wollte Jack mit einem genervten Knurren von Louisa wissen und sah sie aus schmalen Augen an. „Kannst du das nach diesen kurzen Treffen etwa schon beurteilen?“
„Willst du andeuten, ich hätte kein gutes Urteilsvermögen?“, sprang sie direkt wieder in den Angriffsmodus und er seufzte innerlich auf. „Ich bin vielleicht erst vierundzwanzig, aber nicht dumm, Jack.“
„Mit dumm hat das nichts zu tun“, warf er ein und konnte nicht verhindern, dass er dabei genervt klang. „Du wirfst mir vor, ich wäre wie alle anderen Typen die du kennengelernt hast und man dich verurteilen würde, tust jedoch nichts anderes.“
Jack konnte sehen, dass sie wieder wütend fauchen wollte, sich dann aber zurückhielt und tatsächlich über seine Worte nachzudenken schien. Mit einem undeutbaren Blick betrachtete sie ihn und kaute sich unbewusst auf der Unterlippe herum, unschlüssig was sie nun tun oder sagen sollte. Er sah seine Chance gekommen und wechselte ins Italienische, versuchte so an sie zu appellieren.
„Louisa, gib mir ein einziges Date und ich beweise dir, dass ich es ernst mit dir meine. Überzeuge ich dich nicht, lass ich dich danach in Ruhe – versprochen“, ging er das volle Risiko ein und war sich deutlich bewusst, dass dieses Versprechen in die Hose gehen konnte, weil sie mit ihm keinen Schritt weitergehen wollte als bisher.
„Dieses Risiko willst du eingehen?“, staunte sie und antwortete ihm ebenfalls auf italienisch. „Und wenn ich diesem Date zustimme und danach behaupte, es hätte mich nicht überzeugt; du hättest mich nicht von dir und deinen Absichten mir gegenüber überzeugt?“
Mit ihrer Denkweise hatte sie natürlich nicht komplett Unrecht, aber abgeneigt war sie definitiv nicht, sonst hätte sie nicht so wütend auf das Missverständnis reagiert. Hatte sie sich deswegen so aufgedonnert? Um zu zeigen, dass auch andere Männer sie durchaus attraktiv fanden? Das stand für Jack außer Frage, denn Louisa war verdammt heiß. Ob geschminkt und in knappen Klamotten oder dezenter geschminkt und figurbetont. Ungeschminkt hatte er sie bisher noch nicht gesehen, war sich jedoch sicher, er würde auch das verdammt begehrenswert finden. Er wusste nicht was es war, doch sie zog ihn an wie keine andere Frau bisher in seinem Leben. Und er war Weißgott kein Kind von Traurigkeit gewesen.
„Ein klares ja“, erwiderte er in einem tiefen Italienisch und sah sie mit einem brennenden Blick an.
„Und was für ein Date wird das sein?“
„Oh, lass dich von mir überraschen, Vortice“, schenkte er ihr ein halbes und geheimnisvolles Grinsen, nachdem er wieder ins Deutsche gewechselt war. „Ich denke es wird dir gefallen.“
Schweigend sah sie ihn an und er konnte erkennen, dass sie ihm gern widersprechen würde, es jedoch nicht tat. Scheinbar hatte er doch irgendwie ihre Neugierde geweckt.
„Lou, Babe, du hier?“, platzte jemand in ihre Unterhaltung und sie hob ihren Blick, um den blonden und grinsenden Mann anzusehen, der auf sie zukam und sich neben sie auf die Bank setzte. „Du siehst wieder rattenscharf aus, hast du gehofft mich hier zu treffen?“
Jack konnte erkennen, dass sie sich nicht wohl fühlte und ihre komplette Haltung sich veränderte. Scheinbar kannte sie diesen Typen, war aber nicht sonderlich erbaut ihn hier zu treffen. Sie presste ihre Lippen aufeinander und lehnte sich leicht von ihm weg, wollte ihm nicht zu nahe kommen und doch rutschte dieser Schmierlappen noch näher an sie heran und legte einen Arm um sie, ignorierte Louisas Körperhaltung und lachte leise, während er sich näher zu ihr beugte. Wo war die schlagfertige Halbitalienerin plötzlich, fragte Jack sich und verengte seine Augen zu Schlitzen, bereit einzugreifen, sollte sie Hilfe benötigen.
„Sebastian…“, würgte sie schon fast hervor und schüttelte kaum merklich ihren Kopf. „Dich wollte ich ganz sicher nicht hier treffen.“
Sie machte Anstalten aufzustehen, doch Sebastian packte wenig sanft ihr linkes Handgelenk und zog sie wieder zurück auf die Bank, wo sie unsanft landete und den Mund verzog, jedoch keinen Ton von sich gab, um ihn nicht noch zu ermuntern weiterzumachen.
„Ich an deiner Stelle würde das sofort unterlassen“, mischte Jack sich nun mit leiser und bedrohlicher Stimme ein, trat näher und blickte diesem überheblichen Kerl direkt in die Augen, als er aufsah. „Sie hat das Recht zu gehen, wenn sie das will.“
„Wer bist du und was geht dich das an? Das ist eine Sache zwischen ihr und mir“, schnappte Sebastian zurück und umfasste Louisas Handgelenk fester, was ihr ein leises Aufkeuchen entlockte.
„Loslassen“, forderte Jack ihn warnend auf und Sebastian lachte höhnisch auf.
„Wir können uns das kleine billige Flittchen auch gern teilen.“
Peinlich berührt senkte Louisa ihren Kopf und kämpfte gegen die aufsteigenden Tränen an, die ihr bereits in den Augen brannten. Nun würde Jack erfahren, dass sie wertlos war, kein Mann sie freiwillig daten wollte. Er verrannte sich in die Vorstellung einer Frau die es nicht gab. Die sie zu sein vorgab. Jetzt, wo Sebastian hier war, würde alles auffliegen und sie ihr Gesicht verlieren. Bis auch Jack das Interesse an ihr verlor, wie jeder andere Mann vor ihm, wenn er hinter das Geheimnis kam. Dann würde er sich von ihr abwenden und sie nicht mal mehr kennen wollen.
„Ich warne dich nur noch ein einziges Mal“, informierte Jack Sebastian mit einem Blick aus kalten blauen Augen und gefährlich ruhiger Stimme. „Lass Louisa los.“
Sebastian stand auf und zerrte Louisa an ihrem Handgelenk mit einem Ruck mit sich, was Jack dazu brachte, zu handeln ohne darüber nachzudenken. Er machte zwei lange Schritte auf Sebastian zu, schlug diesem mit der flachen Hand von unten gegen das Handgelenk und schob dabei, als Sebastians Hand sich löste, Louisa schützend hinter seinen eigenen Körper, sodass Sebastian sich mit ihm vergnügen musste. Dieser hielt sich leise fluchend das rechte Handgelenk und warf Jack einen mörderischen Blick zu, welcher diesen jedoch kalt ließ.
„Bist du vollkommen übergeschnappt, man? Was genau findest du an dieser verfluchten kleinen bitch? Die macht für alle ihre Beine breit, guck sie dir doch an!“
Hinter Jack wimmerte Louisa unterdrückt auf und er knurrte innerlich auf. Dieser Typ hatte eindeutig sein Leben satt, wenn er sich traute ihn so zu reizen und dabei auch noch überheblich grinsend stehenblieb.
„Hast du noch nicht genug? Wenn du unbedingt scharf drauf bist, kann ich dir zeigen was ich mit Typen wie dir mache, die ihren Mund zu voll nehmen und sich an Frauen vergreifen, die ganz eindeutig nicht interessiert sind“, hielt er dagegen und ließ Sebastian dabei nicht aus den Augen.
„Frag sie doch mal, wie geil sie es findet, wenn man sie über Nacht an ein Heizungsrohr mit den Händen über dem Kopf festbindet und sie dabei auf Zehenspitzen stehen lässt. Das macht sie unheimlich rattig“, lachte Jacks Gegenüber mit einer ätzenden Stimme und rieb sich kurz das Handgelenk, welches vermutlich noch immer schmerzte. „Warum denkst du, dass sie sich überhaupt so auffällig schminkt? Damit man sie nicht erkennt. Denn ohne dieses ganze Make-Up würde jeder mit dem Finger auf sie zeigen. Ihre Bilder sind überall. Sogar Videos findest du von ihr, wenn du weißt wonach du suchen musst.“
Mit einem ausdruckslosen Gesicht behielt Jack Sebastian im Auge und konnte nicht fassen was er da gerade gehört hatte. Wenn es stimmte, was dieser arme Irre da gerade erzählte, konnte er verstehen, warum Louisa sich so gebärdete. Sie verkleidete sich, damit sie niemand erkannte. Sie misstraute Männern, nicht, weil sie ein paar schlechte Beziehungen oder Erfahrungen hinter sich hatte; nein. Sie wurde misshandelt. Vielleicht nicht geschlagen oder vergewaltigt, aber über Nacht gequält, indem sie in einem dunklen Keller angebunden auf Zehenspitzen und Armen über dem Kopf ausharren musste. Was für kranke Typen hatten ihr das angetan? Und dann noch Bilder und Videos von ihr anzufertigen und diese zu veröffentlichen.
„Ich habe keine Lust mich mit dir auseinanderzusetzen. Das ist dieses hässliche Miststück einfach nicht wert. Befass du dich mit ihr und ich suche mir ein Mädchen, was meine Aufmerksamkeit zu schätzen weiß. Ich habe Louisa eine stabile Beziehung geboten, ihr die Welt zu Füßen gelegt und sie hat alles mit ihrer unnötigen Eifersucht zerstört und mich dazu getrieben das mit ihr zu tun. Wenn sie einen Schuldigen sucht, dann sollte sie bei sich anfangen. Denn meine Taten sind das Spiegelbild ihrer eigenen“, lamentierte Sebastian gelangweilt, winkte ab und verschwand so schnell wie er gekommen war.
Am liebsten wäre Jack ihm hinterhergejagt und hätte ihm gezeigt was er von ihm hielt, doch jetzt zählte nur eines für ihn – dass es Louisa gut ging. Langsam drehte er sich zu ihr um und sah, wie die ersten Tränen sich aus ihren wundervollen und jetzt so traurigen Augen löste. Sie hatte ihre Arme um ihren Oberkörper geschlungen und machte sich nicht einmal die Mühe ihr Gesicht vor ihm zu verstecken. Er konnte ihre Qual sehen… die Scham und ihre verletzte Seele. Was zum Teufel hatte man ihr nur angetan? Wie grausam konnten Menschen sein?
„Belezza“, raunte er leise und sanft, trat vorsichtig einen Schritt näher und öffnete seine Arme einladend, um sie jetzt nicht noch zusätzlich zu stressen und sie einfach an sich zu ziehen, obwohl er es am liebsten getan hätte. „Dir geschieht nichts, komm zu mir… bitte. Ich ertrage es nicht, dich so zu sehen, ohne dich halten zu können.“
Ihre Augen fanden ungläubig die seinen und Louisa schien kurz über seine Worte nachzudenken, ehe sie sich an seine Brust warf und ihre Finger, in Höhe seiner Taille, links und rechts in den Stoff seines Hemds grub. Beschützend schlang er seine Arme um ihren bebenden Körper und biss die Zähne fest aufeinander, weil er ihr den Schmerz nicht nehmen konnte, der auf ihrer Seele lasten musste. Er hatte geahnt, dass sie sich versuchte selbst zu schützen und sich hinter ihrer Wut zu verschanzen versuchte.
„Ich bringe dich nach Hause, komm…“, sagte er dicht an ihrem Ohr und küsste sie dann zart auf den Scheitel. „Du bist bei mir sicher.“
Sie verkrampfte sich, wollte jetzt nicht in ihrer Wohnung sein und die ganze Zeit über an diese schrecklichen Stunden im Heizungskeller denken, in den man sie gegen ihren Willen eingesperrt und gedemütigt hatte und versuchte ruhiger zu atmen, damit sie nicht in eine Panikattacke rutschte. Jack strich ihr beruhigend über ihren Rücken und murmelte leise italienische Worte an ihrem Ohr, was in ihr einen Hauch der Geborgenheit aufkommen ließ. Seine sanfte leise Stimme, dessen Klang ihr bereits so vertraut war, brachte sie dazu sich ein wenig von ihm zu lösen und zu Boden zu schauen.
Behutsam verschränkte er seine Finger mit ihren, drückte sie sanft aber fest genug, um ihr stumm Mut zuzusprechen, bewegte sich dabei mit ihr in Richtung des Ortes, an dem sie lebte und sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Ihr war das alles so unglaublich unangenehm. Er kannte nun ihr dunkles Geheimnis und würde sich, nachdem er sie nach Hause eskortiert hatte, vermutlich nicht mehr bei ihr melden. Wenn man sie an seiner Seite in der Öffentlichkeit erkannte, würde er keine Ruhe mehr haben und ebenso im Gespräch sein, so wie sie es oftmals war.
* * *
Ein wenig angeheitert hatte Gemma sich bei Zane an den Arm gehangen und ließ sich von ihm zu sich nach Hause führen, während sie zum wiederholten Mal darüber sinnierte, wie er es schaffte, ihre Gedanken zu erraten. War das Band zwischen ihnen so eng geknüpft, dass es ein Leichtes für ihn war das zu tun? Würde sie, wenn sie es versuchte, auch in ihm lesen können?
„Geschafft“, lachte Zane in diesem Moment leise und ließ sie in seine Wohnung treten.
Leicht unsicher auf den Beinen zog sie sich die Ballerinas aus und stützte sich mit der rechten Hand an der Wand ab, kicherte und schüttelte, über sich selbst herrlich amüsiert, ihren Kopf. Zane grinste und umfasste sanft ihre Taille um sie an seine Seite zu ziehen.
„Hey, ich kann sehr gut alleine laufen“, empörte Gemma sich, nicht ganz ernst gemeint und lachte dann leise auf, als er ihr zuzwinkerte.
Während sie die Treppe hochging, hielt er sich hinter ihr, damit er sie abfangen konnte, sollte sie das Gleichgewicht verlieren und ließ seinen Blick kurz auf ihrer sexy Kehrseite liegen, ehe er beobachtete, wie sie sich rücklings auf sein Bett fallen ließ und leise seufzte und dabei die Augen schloss. Er hatte die LED-Stripes eingeschaltet, als sie oben angekommen waren und nun wurde der komplette Bereich in sanftes warm-weißes Licht getaucht. Viel angenehmer als Deckenlicht.
„Willst du dich nicht umziehen?“, erkundigte er sich amüsiert und zog sich sein Muskelshirt über den Kopf, ihr dabei den Rücken zugewandt. „In den Klamotten schläft es sich sicher nicht so angenehm.“
Gemma hatte sich bereits aufgesetzt und betrachtete mit bewunderndem Blick seinen trainierten Rücken und biss sich unbewusst auf die Unterlippe. Das was sie gerade empfand war eindeutig mehr als sie in den letzten Jahren gefühlt hatte, wenn er sich in ihrer Gegenwart obenherum freimachte, weil er in den Pool, ins Freibad oder in den See gewollt hatte. Es hatte sie nie wirklich interessiert, nie hatte sie ihn länger angeschaut als flüchtig. Doch irgendwas veränderte sich in ihrer Denkweise. Zane warf sein Oberteil in die Wäschetonne und fuhr sich dann durch die Haare, wandte ihr derweil sein Profil zu und sie stellte mit Faszination fest, dass sie ihn mehr als attraktiv fand. Er verstellte sich in ihrer Gegenwart nicht, sondern war einfach er selbst. Waren fremde Menschen um ihn herum, gab er sich nicht zu hundert Prozent so, als wäre er mit ihr oder mit seinem Bruder zusammen.
Mit einiger Mühe kam sie auf die Füße und zog die Bänder in ihrem Nacken ein wenig schwerfällig auseinander, damit sie den Jumpsuit an ihrem Körper herabgleiten lassen konnte und den Haufen Stoff betrachtete, der nun um ihren Knöcheln lag. Nur im schwarzen Slip und trägerlosem BH überlegte sie angestrengt, ob sie es hier im Raum warm fand oder eher nicht, wurde sich jedoch nicht vollends einig.
Zane drehte sich um und wollte gerade etwas sagen, verharrte allerdings mitten in der Bewegung und konnte nicht glauben, dass sie ihr Outfit einfach so zu Boden rutschen ließ und nun in Unterwäsche unschlüssig und nachdenklich an Ort und Stelle stand und sich nicht mehr bewegte. Sie war heiß; verdammt heiß und das wusste er nicht erst seit ein paar Tagen. Dort stand sie nun, vor seinem Bett, in seinem Schlafzimmer – in Unterwäsche und kaute unbewusst auf ihrer Unterlippe herum, dessen süßen Geschmack er nun kannte.
Ehe er darüber sinnieren konnte was er als nächstes tun sollte, zuckte sie leicht ihre Schultern und krabbelte ins Bett, um sich unter die Decke zu kuscheln und ihm damit ein kleines Lächeln entlockte. Dann sah sie ihn mit einem undefinierbaren Blick forschend an und er löste die Kordeln seiner Bermuda Shorts, um sie sich abzustreifen und in engen Boxershorts auch diese in die Wäschetonne zu verfrachten, bevor er ebenfalls in sein Bett kroch und sich unter die Decke legte. Unentwegt hatte Gemma ihn dabei beobachtet und er erwiderte ihren Blick nun fragend.
„Zane?“
„Ja?“
„Konntest du schon immer in mir lesen wie in einem Buch?“, wollte sie leise wissen.
„Findest du das denn schlecht?“, grinste er sie erheitert an und sie hob eine Augenbraue an.
„Du weißt, was ich meine.“
Zane sah sie mit einem nachdenklichen Blick an und sie rutschte ein Stück näher an ihn heran, weil sie ihm nahe sein wollte. Er schob einen Arm um ihre Taille und gab ihr so die Möglichkeit sich an ihn zu schmiegen, was ihm wiederum den Atem anhalten ließ, da ihre warme Haut auf seine traf und ihn elektrisierte. Ob Gemma wusste welche Wirkung sie auf ihn hatte? Als er gerade dabei war, ihr zu antworten, seit wann er ihre Gedanken erraten konnte, stellte er schmunzelnd fest, dass sie eingeschlafen war und zog die Decke ein wenig höher, damit sie nicht doch noch fror, ehe er das Licht ausschaltete und ihren so verführerischen Duft in seine Lungen einatmete.
Sollte es wirklich stimmen und Owen war überhaupt nicht Gemmas leiblicher Vater? Dann gäbe es keine Blutverwandtschaft und er müsste sich nicht zurückhalten und könnte damit anfangen ihr Herz zu erobern. Zane wusste, dass die Nachricht welche er erhalten hatte nicht für ihn bestimmt war, bekam den Text jedoch nicht mehr aus seinem Kopf. Da Tamara, Gemmas Mutter, momentan auf dem Trip war, immer im Mittelpunkt stehen zu wollen, konnte Gem sich nicht zu hundert Prozent sicher sein dass diese Eröffnung auch der Wahrheit entsprach. Warum jedoch sollte sie sich ausgerechnet bei ihrer ältesten Tochter diese Geschichte ausdenken? Dunkel konnte Zane sich daran erinnern, dass seine Eltern sich darüber unterhalten hatten, dass Owen und Tamara nach der eine größere Ehekrise durchlebt hatten, in der sie für eine Zeit lang getrennt gelebt hatten, was ziemlich genau in diesen Zeitraum fallen dürfte, in dem Gemma gezeugt wurde. Er verzog leicht den Mund, weil er sich eigentlich nicht vorstellen wollte, wie sie entstanden war.
In Gedanken versunken schlief er über seine Überlegungen hinweg ein und bemerkte nicht, wie die Frau in seinen Armen sich einige Stunden später verschlafen regte und ihre Augen langsam aufschlug, um festzustellen, dass die Sonne anfing aufzugehen. Ihr Blick hing wie gebannt am Horizont, den sie durch die breite Fensterfront in voller Schönheit betrachten konnte und richtet sich vorsichtig, um Zane nicht zu wecken, in seine sitzende Position, damit sie eine noch bessere Aussicht hatte, wurde aber von seiner nackten Schulter abgelenkt, als sie Decke durch ihre Bewegung ein Stück von dieser rutschte. Nervös befeuchtete sie sich ihre plötzlich trockenen Lippen und richtete ihr Augenmerk auf sein im Schlaf entspanntes Gesicht, während sie überlegte, was sie für ihn aktuell empfand. Waren es noch die alten Gefühle, die man als familiär bezeichnete oder konnte sie von tiefgreifenderen Empfindungen sprechen? Ein Kribbeln breitete sich in ihr aus, wenn sie an ihren Kuss dachte, den er auf dem Tagada so bereitwillig erwidert hatte und auch der überraschende Kuss danach löste etwas in ihr aus. Waren das Anzeichen für ein Verliebtsein oder genoss sie einfach nur die Aufmerksamkeit eines Mannes, der nicht Dexter war? Immerhin war er ihre erste und bisher einzige Liebe. Wusste sie noch wie es sich anfühlte sich zu verlieben?
* * *
Verwundert darüber, dass sie von Gemma keinerlei Antwort erhalten hatte, öffnete Tiara ihren gemeinsamen Chat und zog irritiert die Augenbrauen in die Höhe, weil ihr Text überhaupt nicht zu sehen war. Hatte sie ihn vielleicht nicht verschickt, sondern aus Versehen gelöscht? Immerhin war sie durch Lillis Rufen abgelenkt gewesen, als sie gerade ein Wort markiert und neu geschrieben hatte. Mit einem unguten Gefühl in der Magengegend navigierte sie in die Übersicht der Chats und ging langsam die Vorschau der letzten Chats durch, ehe ihre Augen an dem von Zane hängenblieben und sie ihn unterdrückt fluchend aufrief, bevor sie sich mit der Hand über die Augen fuhr. Der Text an Gemma war bei ihm gelandet!
Gem, ich weiß ich liege dir mit diesem Thema in den Ohren, aber als deine liebste und beste Freundin muss ich hartnäckig bleiben. ;) Du hast ganz sicher nicht vergessen, wie Zane sich dir gegenüber ausgedrückt hat, als er dich als ‚Neutrum‘ bezeichnet hat, während er mir bei meinem Umzug geholfen hat, oder? Wärst du nicht seine Cousine, was nun gar nicht mehr so unwahrscheinlich ist, wie du erst kürzlich erfahren hast, würde er dich mit in sein Bett nehmen, dich heiraten und danach wieder vernaschen, weil du absolut heiß bist. :p Was also hält dich davon ab, ihm die Karten offen auf den Tisch zu legen und dich auf dieses aufregende Abenteuer einzulassen? Antwort: nichts. Absolut nichts. Also gib dir einen Ruck und schau, ob sich da etwas ernsteres entwickeln kann. Ich selbst glaube dass du Zane nicht kalt lässt. Kuss von deinem externen Gewissen; Tiara
„Fuck“, entfloh es ihren Lippen und Ethan blickte erstaunt vom Weinkatalog auf, sah sie halb fragend und halb amüsiert an, während sie ihr Handy zwischen ihn und sich auf die Couch fallen ließ.
„Was ist passiert, Honey?“
„Ich habe mich im Empfänger vertan und vermutlich ein heilloses Chaos angerichtet. Sie wird mich umbringen.“
„Wer wird dich umbringen und weshalb denkst du das?“, legte er den Katalog beiseite und drehte ihren Kopf sanft in seine Richtung, indem er einen Finger an ihr Kinn legte. „Und von was genau sprechen wir hier überhaupt?“
„Ich habe Gem versprochen, dir und Zane nichts zu verraten“, seufzte Tiara bedrückt. „Aber irgendwie habe ich es jetzt doch getan…“
„Du hast Zane eine Nachricht geschickt, welche für Gem bestimmt war, verstehe ich das richtig?“, erkundigte Ethan sich und Tiara nickte schwach. „Und in der Nachricht standen Dinge, welche im Zusammenhang mit Tamaras bühnenreifen Auftritt auf dem Kinderfest stehen?“
Überrascht sah sie ihn an und er konnte ein Grinsen nicht unterdrücken. In Tiara las er mittlerweile wie in einem offenen Buch, vermied es jedoch, wenn es nicht zwingend notwendig war.
„Wenn du mir jetzt noch sagst, was in der Nachricht stand und was Tamara zu ihrer Tochter gesagt hat, dann rufe ich die Ghostbusters“, schmunzelte Tiara amüsiert und Ethan lachte leise.
„Da muss ich leider passen. Ganz so detailliert kann ich dich nicht lesen, Sweetheart.“
„Zane weiß nun, durch meine Unaufmerksamkeit, sowieso Bescheid also kann ich es dir auch erzählen. Das wird Gem zwar nicht gefallen, aber da muss ich durch“, seufzte sie ergeben und zog ihre Beine in den Schneidersitz, wandte sich ihrem Verlobten offen zu. „Gems Dad ist nicht ihr biologischer Vater. Zumindest hat Tamara Gemma das an den Kopf geknallt, nachdem sie ihr eröffnet hat, dass sie sich getrennt hat und mit ihrem neuen Lover nach Italien auswandert.“
Nun war es an Ethan verblüfft zu schauen und zu schlucken. Er hatte sich auf einiges gefasst gemacht, aber nicht auf diese Nachricht. Wenn kein Verwandtschaftsverhältnis zwischen Gemma und seiner Familie existierte, dann hatte es ihr den Boden unter den Füßen weggezogen. Und weshalb sollte Tamara Unwahrheiten in die Welt setzen? Ihre Kinder waren alle volljährig, Unterhalt würde sie somit so oder so nicht erhalten. Außerdem schätzte Ethan sie auch nicht als manipulativ ein. Ja, sie erlebte gerade ihren zweiten Frühling und krempelte ihr gesamtes Leben um, jedoch hatte sie keinerlei Grund ihre älteste Tochter so zu verletzen. Tamara war eigen und nicht sonderlich taktvoll, sorgte sich allerdings trotzdem um ihre Kinder.
„Ich gehe fest davon aus, dass diese Informationen der Wahrheit entsprechen. Tamara hat nichts davon, sich so eine Geschichte ausgerechnet jetzt auszudenken“, erwiderte er nach eine Weile ernst und Tiara seufzte leise.
„Das dachte ich mir. Und da wäre noch etwas…“
„Noch etwas?“, hakte er nach und blickte sie erwartungsvoll an. „Mich schockt vermutlich nichts mehr nach dieser Eröffnung.“
Tiara war sich dessen nicht so sicher und kletterte auf seinen Schoß, was ihn leise aufknurren ließ, denn er wusste, dass sie ihm nahe sein wollte, wenn sie ihre nächsten Worte aussprach, damit sein Blut nicht direkt anfing zu brodeln. Innerlich wappnete er sich gegen alles und legte seine Hände um ihre schmale Taille, während er wartete dass sie weitersprach.
„Ich glaube, Zane liebt Gemma.“