Innerlich seufzend fuhr Zane sich mit einer Hand durch die dunklen Haare und versuchte seine Gedanken zu sortieren und einen Faden zu finden, an den er beginnen konnte. Warum war dieser Idiot hier aufgetaucht? Ganz ohne Ankündigung und Kontakt zu Gemma? Was hatte er vor? Ein ungutes Gefühl machte sich in seinem Magen breit und er schob den Teller mit der restlichen Pizza ein Stück von sich. Er würde sowieso nichts mehr runterbekommen; der Appetit war ihm wahrlich vergangen. Wenigstens wusste er nun Bescheid und konnte sich auf ein Zusammentreffen vorbereiten, denn er wollte sich nicht die Blöße geben und einen Streit anfangen. Sollte Dexter ihm dumm kommen, wäre das eine andere Geschichte.
„Ich geh‘ eben bezahlen“, sagte er zu Gemma und erhob sich vom Stuhl, um zu Nesrim zu gehen, der gerade einen Döner zusammenstellte. „Was bekommst du?“
„Fünfzehn Euro, mein Freund“, informierte Nesrim ihn lächelnd und sah an ihm vorbei zu Gemma. „Habt ihr es endlich geschafft und seid zusammen?“
Zane hob seinen Kopf und sah von seinem Portemonnaie auf seinen türkischen Freund, zog seine Augenbrauen fragend zusammen und reichte ihm dann die gewünschten Fünfzehn Euro, die er entgegennahm und in der Kasse verstaute.
„Endlich?“, hakte Zane nach und steckte seine Börse wieder weg. „Was meinst du damit?“
Nesrim beugte sich zu ihm und senkte seine Stimme verschwörerisch.
„Du hast dich schon als Teenager in sie verguckt, Zane. Es war für mich ziemlich offensichtlich.“
„Anscheinend war ich doch nicht so geheimnisvoll wie ich immer angenommen habe...“, bemerkte Zane und seufzte dann leise auf. „Wie dem auch sei… ich kann es dir ehrlich gesagt nicht sagen, Nesrim. Am besten fragst du sie selbst?“
Der Blick des Imbiss-Inhabers wanderte wieder zu der Blondine, die noch ein Stück Pizza auf die Faust nahm und gerade genüsslich hineinbiss und zuckte dann wieder zu Zane zurück, der die Arme vor der Brust verschränkt hatte.
„Ich habe keine Todessehnsucht. Immerhin wollte sie mir damals den Arsch aufreißen, weil ich ein wenig mit ihr flirten wollte und sie gelangweilt hier saß, als du kurz austreten warst und Ethan draußen am Telefonieren.“
Nun grinste Zane und sah mit einem sehnsuchtsvollen Blick zu der Frau hinüber, die sein Herz von jetzt auf gleich in Beschlag genommen hatte, bevor sie überhaupt volljährig geworden war. Hatte die Tatsache etwas zwischen ihnen geändert, dass Dexter nun in Braunschweig war? Oder interessierte es sie nicht? Da sie noch gegessen hatten, hatten sie beide dieses Thema unter den Tisch fallen lassen und nun wusste er nicht, wie er dieses Thema angehen sollte, welches für ihn ein rotes Tuch darstellte. Konnte er mit einem kühlen Kopf darüber sprechen? Ehrlich gesagt wusste er es nicht. Dennoch mussten sie darüber sprechen.
„Nesrim?“, wandte er sich nachdenklich an seinen Freund und dieser erwiderte fragend den Blick. „Hast du noch die Black Baccara in deinem Garten?“
„Meine wundervolle dunkelbordeauxrote Rose? Aber sicher, mein Bester. Brauchst du für deine Süße eine?“, zwinkerte Nesrim ihm verschwörerisch zu und Zane nickte. „Ich hole dir die schönste Rose, warte einen Moment.“
Da der Döner bisher noch nicht abgeholt wurde, befand sich außer Gemma und ihm niemand im Imbiss, was Zane nun recht kam. Gemma vertilgte gerade das letzte verbliebene Stück Pizza und er sah über seine Schulter, um nach Nesrim Ausschau zu halten, der in diesem Moment mit einem stolzen Grinsen und einer Hand voll Rosen wieder zurückkam.
„Eine reicht nicht, Zane“, beantwortete er Zanes unausgesprochene Frage und drückte ihm die Rosen in die Hand, die er soeben ausstreckte. „Und nun los, sie steht grade auf.“
Tief durchatmend befeuchtete Zane seine Lippen, ging die wenigen Schritte auf Gemma zu und hielt den Atem an, als sie sich zu ihm umdrehte und ihn mit überrascht geweiteten Augen ansah, ehe ihr Blick auf die atemberaubenden Rosen in seinen Händen fiel. Er stieß lautlos die angehaltene Luft aus und verhakte seinen Blick mit ihrem, während er lächelte und, aus einer inneren Eingebung heraus, langsam auf seine Knie sank. Den Blickkontakt brach er dabei jedoch nicht für eine Sekunde ab.
„Gem, ich weiß, es ist vielleicht ein wenig merkwürdig und geht verdammt schnell, aber ich…“, begann er mit einem nervösen Flattern in seinem Bauch und schluckte. „Ich liebe dich, Sunshine und du würdest mich zum glücklichsten Mann der Welt machen, wenn du meine Freundin wirst.“
Sein Herz schlug ihm bis zum Hals und er dachte, er würde an akutem Sauerstoffmangel sterben, wenn sie jetzt nichts sagte und ihn einfach nur weiter anstarren würde, als sie ihm die Rosen behutsam aus der Hand nahm und sie auf den Tisch neben sich legte. Dann hielt sie ihm ihre Hände mit einem Lächeln entgegen und Zane ergriff sie, um sich aus der knienden Position in eine stehende zu bringen und sie abwartend anzuschauen, da Gemma bisher noch keinen einzigen Ton von sich gegeben hatte.
„Sunshine…?“, wollte er die Situation irgendwie auflockern, doch Gemma schüttelte leicht den Kopf, was ihn verstummen ließ.
Endlich trat sie eng an ihn, ließ dabei seine Hände los und schlang ihre Arme um seinen Nacken, damit sie in sanft zu sich herunterziehen und zärtlich küssen konnte. Erleichtert legte er seine Hände auf ihre Hüften und erwiderte ihren liebevollen Kuss, während er sich vollends entspannte.
„Ich liebe dich auch, Flame. Und wenn es dich glücklich macht, dann macht es mich ebenfalls glücklich. Es ist so süß von dir, dass du dafür mit diesen wunderschönen Rosen extra auf die Knie gegangen bist“, sagte sie leise an seinen Lippen und kraulte dabei leicht seinen Nacken, was ihm eine Gänsehaut bescherte. „Obwohl ich dir jetzt eigentlich den Namen inZane verpassen müsste.“
Ein Grinsen zupfte an seinen Mundwinkeln und er ließ es nach einem kleinen Augenblick zu.
„Ja – ich bin verrückt. Verrückt nach dir, Gemma Pearl. Schon fast mein ganzes Leben lang. Darf ich nachher deinem Ex unter die Nase reiben, dass du mein Mädchen bist, wenn er den Mund zu weit aufmacht?“
Gemma lachte leise, als sie den bittenden Ausdruck in seinen Augen sah und legte ihren Kopf schräg. Zane strich sanft mit einem Finger über ihren Wangenknochen und sie seufzte innerlich vor Verzückung auf. Dieser Mann war einfach unglaublich. Da verliebte er sich vor ewigen Zeiten in sie, sagte jahrelang kein Wort und nahm einfach so hin, dass sie mit Dexter ihr Dasein fristete, ohne zu kämpfen. War das bedingungslose Liebe? Oder hatte er nie um sie gekämpft, weil sie… Nein, eigentlich konnte das nicht der Hauptgrund gewesen sein. So schätzte sie Zane nicht ein.
„Meinst du, es käme erwachsen rüber, wenn du ihm das unter die Nase reibst?“
„Vermutlich nicht. Aber ich kann es auch ganz subtil machen“, entgegnete er und grinste dann wieder. „Das kriege ich auch ganz ohne Worte hin.“
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Mit Wut im Bauch hob Tiara die Scherben auf, die entstanden sind, als ihr das Cocktailglas aus der Hand geglitten war und fluchte leise auf, als sie sich an einer der scharfkantigen Glasstücke in den Finger schnitt. Der Schnitt blutete und sie hob ihren Finger an die Lippen, damit sie nicht auch noch den Boden volltropfte. Ihre Augen füllten sich mit Tränen und sie fluchte erneut, diesmal jedoch innerlich. Wenn sie jetzt auch noch vor Wut und Frust losweinte, dann hatte sie den absoluten Jackpot gezogen. Nicht hier. Nicht jetzt.
„Lass mich machen, Süße“, hockte Jannis sich neben sie und lächelte sie sanft an, ehe er die Scherben mit dem Handfeger auf das Kehrblech schob, an welches sie gar nicht gedacht hatte. „Alles in Ordnung? Du sahst ziemlich geladen aus, als du wieder zurückgekommen bist.“
Sie seufzte leise auf und schüttelte den Kopf.
„Nichts ist in Ordnung. Dexter ist hier aufgetaucht, gerade jetzt, wo Zane und Gem…“, fing sie an zu erklären und schluckte die aufsteigenden Tränen runter. „Warum ist er hier? Was will er damit bezwecken, Jannis?“
„Dexter ist gerade hier? Wo?“, war er erstaunt, richtete sich auf, damit er die Scherben in den Mülleimer kippen konnte und half ihr auf, nachdem er Handfeger und Kehrblech wieder verstaut hatte. „Ich habe ihn überhaupt nicht gesehen.“
„Mit Ethan im Treppenhaus. Ich hoffe, er nimmt ihn nicht mit hoch. Ich kann diesen Dexter nicht leiden… Arroganter Schnösel, der denkt, er könnte einfach haben was er will. Dass er Gemma wieder an sich binden und sie mitnehmen kann, nur weil ihm gerade der Sinn danach steht“, beantwortete Tiara seine Frage mit unterdrückter Aggression in der Stimme und betrachtete ihren pochenden, schmerzenden Finger. „Und dann meinte er noch ‚Ich bin Dexter, jedoch nennen mich Freunde und Familie Dex. Freut mich dich kennenlernen zu dürfen‘. Da ist er bei mir an der falschen Adresse. Ich habe ihm deutlich gesagt, was ich von ihm halte und bin dann wieder zurück hierher.“
Jannis lachte amüsiert auf und Tiara blitzte ihn warnend an, was ihn augenblicklich verstummen ließ. Mit ihr war in letzter Zeit nicht gut Kirschen essen, wenn etwas an ihr nagte. Ihr Gesichtsausdruck wurde weicher und Jannis wusste, dass Ethan gerade in Sichtweite war, weshalb er betont langsam seinen Atem ausstieß und sich dann umdrehte. Mit einem nachdenklichen Blick näherte Ethan sich und Jannis machte sich wieder an seine Arbeit, da er wusste, dass sich nun weiter um Tiara gekümmert wurde.
„Was ist passiert?“, erkundigte der Inhaber der Lounge sich besorgt bei ihr, als er ihren verletzten Finger sah und griff in eine der Schubladen unter dem Tresen. „Hast du dich geschnitten?“
„Blöderweise ja. Mir ist ein Glas aus der Hand gerutscht, welches ich nicht richtig abgetrocknet hatte. Und beim Aufsammeln habe ich unglücklicherweise in die Scherben gefasst und mich verletzt. Ist aber halb so schlimm.“
Ethan nahm eines der Pflaster, versorgte die Schnittwunde an ihrem Finger und sah ihr dann in die Augen. Tiara wirkte ein wenig abgeschlagen und das bereitete ihm bereits seit einigen Tagen Sorgen. Übernahm sie sich aktuell mit allem? Immerhin machte sie fast jede Schicht mit und gönnte sich nur selten eine Pause – von freien Tagen fing er lieber nicht an zu sprechen. Sie schenkte ihm ein schiefes Lächeln und band sich dann ihre braunen Locken zu einem hohen Zopf, denn der alte hatte sich gelöst. Seit einer Weile kringelten sich ihre Haare, was er im höchsten Maße anziehend fand. Natürlich fand er sie immer attraktiv, doch Locken…
„Ich sollte eine kurze Pause machen“, hörte er Tiara sagen und sah sie erstaunt an.
Sie rieb sich müde die Stirn und dann über die Schläfe, bevor sie nach ihrem Glas griff und mitten in der Bewegung innehielt, ehe ihre Beine unter ihr nachgaben und Ethan erschrocken nach ihr griff, damit sie nicht zu Boden fiel.
„Tiara“, raunte er mit besorgter Stimme und etwas lauter als beabsichtigt, was Jannis auf den Plan rief, der sofort die übrigen Crew-Mitglieder koordinierte und dann zu Ethan und Tiara trat.
„Was ist mit ihr?“, klang Jannis ebenso besorgt wie Ethan selbst, welcher nur den Kopf schüttelte.
„Bring sie hoch, Ethan“, stand Zane plötzlich bei ihnen und fasste seinem Bruder beruhigend auf die Schulter. „Ich bin direkt hinter dir und werde sie mir anschauen. Sieht nach einem Schwächeanfall aus. Komm.“
Im Vorbeigehen sah Zane Gemma entschuldigend an und sie lächelte ihm kopfschüttelnd zu, während sie hinter die Bar trat und sich an Jannis wandte.
„Soll ich einspringen? Ich habe grade nichts anderes zu tun und Zane kümmert sich um Tia.“
„Dich schickt der Himmel, Gem“, sagte Jannis und reichte ihr ein Trockentuch, damit sie es sich an die Gürtelschlaufe binden konnte. „Soll ich die Rosen ins Wasser stellen?“
Ein neckisches Zwinkern begleitete Jannis’ Frage und Gemma spürte, wie sie errötete, ehe sie nickte und auf ihre Hand sah, in der sie die Blumen trug, welche sie gänzlich vergessen hatte. Ihr Gegenüber griff unter den Tresen in einen Schrank und holte eine passende Vase heraus, um sie mit Wasser zu befüllen und Gemma die Rosen hineinstellen ließ. Behutsam stellte er sie außer Reichweite und warf ihr dann einen Blick zu.
„Von Zane?“, erkundigte er sich mit einem Lächeln und sie nickte ihm zu. „Der glückliche Esel. Hat er endlich seine Bedenken über Bord geworfen? Wurde auch Zeit. Ich hoffe, du weißt, was du an ihm hast, hm?“
„Definitiv weiß ich das, Jannis“, erwiderte sie sein Lächeln und nahm die Bestellungen der Gäste entgegen, damit der Betrieb nicht zum Erliegen kam. „Zwei Bier? Kommen sofort.“
Gemma stellte sich an die Zapfanlage und machte zwei Biere fertig, die sie dann dem Gast zuschob und das Geld entgegen nahm. Da sie sich aktuell in der Happy Hour befanden, kamen noch einmal einige Gäste hinzu, die natürlich einige günstigere Drinks abstauben wollten, was den Umsatz steigerte und eine absolute Win-Win-Situation war.
Ihre Gedanken schweiften zu Tiara ab, die regungslos und blass in Ethans Armen gelegen hatte und sie seufzte leise auf. Tiara hätte einen Gang zurückschalten und sie, Gemma, ihre Schichten machen lassen. Aber sie wollte ihr helfen und die Sache mit Zane beschleunigen, was Gemma nun zum Schmunzeln brachte, denn Tiara hatte es geschafft, in dem sie hartnäckig geblieben und die Doppelschichten ohne zu murren absolviert hatte. Doch nun hatte sie die Quittung bekommen und ihr Kreislauf stoppte ihr Tun.
„Sandra…?“, rief sie und drehte sich um, nur um gegen jemanden zu prallen, der definitiv niemand der Crew war. „Sorry.“
Als Gemma einen Schritt zurücktrat und aufblickte, erkannte sie Dexter und unterdrückte ein entnervtes Aufstöhnen. Er grinste sie an und streckte einen Arm aus, um sie zu berühren, doch sie warf ihm einen warnenden Blick zu.
„Baby…“, begann er und sie zischte warnend auf.
„Nenn mich nicht so, Dexter. Diese Zeiten sind vorbei. Ein für alle Male“, unterbrach sie ihn und blitzte ihn aus zornigen Augen an, während sie an ihm vorbei zu Sandra spähte. „Sandra!“
Die Angesprochene sah sich irritiert um und kam dann zu ihr.
„Ja?“
„Haben wir noch Grenadine im Lager?“, erkundigte Gemma sich und ignorierte ihren Ex geflissentlich, da sie zu tun hatte. „Der hier ist fast leer.“
„Ich glaube schon, doch. Aber wir müssen unbedingt neuen besorgen – viel ist nicht mehr da.“
„Dann hol ich eben welche“, informierte sie ihre Kollegin lächelnd und sah dann ernst ihren Ex wieder an. „Und du solltest hier nicht herumlungern. Geh bitte wieder vor die Theke, ja?“
„Gemma, bitte, ich…“, sah er sie entschuldigend an und verließ den Bereich des Theken-Teams wieder, blieb jedoch unmittelbar vor dem Durchgang stehen, durch den sie eigentlich wollte. „Lass uns reden. Ich bin den weiten Weg bis hier her…“
„Dexter“, unterbrach sie ihn erneut und unterdrückte den Drang die Augen zu verdrehen. „Wie du vielleicht unschwer erkennen kannst, befinde ich mich aktuell im Dienst und ich habe keine Zeit, und auch keine Muße, mich jetzt mit dir und deinen plötzlichen Anwandlungen auseinanderzusetzen. Lass mich durch, okay?“
„Nein.“
„Nein?“, sah sie ihn an und reckte ihr Kinn angriffslustig. „Sieh zu, dass du dich wegbewegst, sonst…“
„Sonst was? Baby, du weißt, dass ich bekomme was ich will“, unterbrach Dexter nun sie.
„Hör auf mich so zu nennen, verdammt!“
Jannis trat neben Gemma und verschränkte seine Arme vor der Brust, während er mit einem auffordernden Blick Dexter taxierte.
„Hast du Gem nicht gehört? Zur Seite – aber pronto“, sagte er mit einem Knurren.
„Seit wann hast du hier etwas zu sagen? Nur Ethan und Zane sind hier die Inhaber, oder habe ich etwas nicht mitbekommen?“, höhnte Dexter und verschränkte ebenfalls seine Arme vor der Brust.
Gemma stöhnte entnervt auf und rieb sich, ein Gebet an Gott sendend, die Nasenwurzel.
Ohne zu überlegen, kletterte sie neben Dexter auf den Tresen, warf einen Blick über ihre Schulter und zog die Augenbrauen missbilligend zusammen, bevor sie elegant auf den Boden vor der Bar sprang und sich missmutig auf den Weg zum Lager machte. Konnte man das nicht woanders klären? Nein… man versperrte lieber alles und hielt die Leute von der Arbeit ab. Was solls. Dann musste es ebenso gehen.
Gemma gab den Zugangscode für das Lager ein und zog die Tür hinter sich ins Schoss, betätigte den Lichtschalter und trat an das Regal, damit sie nach der gesuchten Flasche mit der dunkelroten Flüssigkeit Ausschau halten konnte. Hinter ihr wurde die Tür geöffnet und sie warf einen kurzen Blick über ihre Schulter, um zu schauen wer von der Crew noch etwas benötigte und erstarrte.
Dexter.
„Was? Wie kommst du hier rein? Du hast hier nichts zu suchen – verschwinde.“
„Ach, Baby… der Code für das Lager ist seit Jahren immer der Gleiche. Vielleicht sollte er geändert werden? Aber sicherlich denkt daran niemand. Bei all der Arbeit und dem Stress hier. Aber so ist es gut für mich – für uns – denn wir können ungestört reden“, schmunzelte Dexter siegessicher und lehnte sich mit verschränkten Armen gegen die Tür. „Entkommen ausgeschlossen.“
Verflucht. Der Akku ihres Handys war leer und niemand würde auf die wahnwitzige Idee kommen, dass ihr penetranter und völlig verblendeter Ex ihr bis ins Lager gefolgt war. Vermutlich fiel erst in frühestens zehn Minuten auf, dass sie viel zu lang weg war und man hier nachschauen würde. Und das waren eindeutig zehn Minuten zu viel mit ihm in diesem Raum. Mit einem abweisenden Blick verschränkte auch sie ihre Arme und presste ihre Lippen kurz aufeinander.
„Schön – sprich. Aber erwarte nicht, dass ich allzu viel dazu zu sagen habe.“
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„Mir geht es wieder besser, wirklich“, wiederholte Tiara noch einmal und sah dann von Zane zu Ethan, die beide einen besorgten Ausdruck in ihren grünen Augen hatten. „Zane… geh lieber wieder zu Gem, ich trau diesem Klappspaten Dexter nicht über den Weg.“
Zanes Augen weiteten sich überrascht und er grinste amüsiert.
„Du kannst ihn auch nicht leiden?“, hakte er nach und sie schüttelte betont langsam ihren Kopf. „Das gefällt mir, Tia. Wenigstens habe ich einen Verbündeten.“
„Er hat sich verändert“, warf Ethan nun ernst ein und streichelte währenddessen weiter über Tiaras Rücken, während er sie im Arm hielt und sich auf der Couch noch ein wenig mehr nach hinten lehnte. „Seine ganze Art ist… abgebrühter. Ich kann es nicht richtig greifen und beschreiben, aber ich muss Tiara Recht geben – hab ein Auge auf ihn, solang er hier herumgeistert.“
Sofort trat der Ernst in Zanes Augen zurück und er nickte knapp.
„Jannis wird auf sie aufpassen, aber das ist eindeutig mein Job, weswegen ich nun wieder runtergehe. Tiara? Schone dich, um Gotteswillen. Das eben war ein eindeutiger Warnschuss seitens deines Körpers. Mute dir nicht zu viel zu“, entgegnete er und hob mahnend einen Finger, was seine Schwägerin in spé zum Kichern brachte.
„Ich wollte nur, dass du mehr Zeit mit Gem verbringen kannst…“, sagte sie leise und hörte die beiden Brüder unisolo aufstöhnen. „Es tut mir leid?“
„Mein Dank wird dir ewig nachschleichen, Kleines, aber tu das bitte nie wieder, hörst du?“, bat Zane sie und hauchte ihr einen brüderlichen Kuss auf die kühle Stirn, ehe er seinem Bruder zunickte. „Pass auf sie auf und lass sie am besten nur noch bis zum Bett selbst gehen.“
„Wird gemacht, Ersthelfer Zane“, grinste Ethan ihm zu und Zane verdrehte die Augen gespielt genervt. „Und nun ab mit dir, sonst kommt Tiara gar nicht mehr zur Ruhe.“
„Bin ja schon weg“, amüsierte der jüngere der Brüder sich und machte sich auf den Weg nach unten in die Lounge. „Wo ist Gem?“
Fee sah ihn verblüfft an und errötete zart, was Zane die Augenbrauen heben ließ.
„Gemma?“, griff er einen Teil seiner Frage nochmal auf und sie blinzelte kurz.
„Im Lager, glaube ich“, beantwortete die schüchterne Angestellte seine Frage und er nickte ihr dankend zu, als er sich von der Theke abstieß und in Richtung des Lagers ging.
„Zane? Kannst du mir eben helfen? Das Mikro der Anlage macht gerade Macken“, sprach der heutige DJ des Abends ihn an und Zane seufzte innerlich auf. „Dauert auch nicht lang, versprochen. Du hast dieses Dilemma beim letzten Mal bereits so fix gelöst.“
Er folgte Ray, wollte sich gerade um das Problem kümmern und hob den Kopf als er seinen Namen hörte. Irritiert blickte er sich um und fand die Quelle dessen, welche sich gerade durch eine Reihe Gäste kämpfte, die keinen Zentimeter rückten, um sie durchzulassen.
„Entschuldigt mal kurz, ja?“, ertönte Jacks tiefe Stimme und pflügte sich höflich, aber bestimmt, durch die Menge, damit die zierliche Louisa ihm folgen konnte. „Vielen Dank.“
„Zane“, war sie außer Atem und deutete dann in Richtung Lager. „Da ist ein nicht befugter Kerl ins Lager gegangen, der den Code anscheinend kannte.“
Jacks Blick flog zu Louisa und sie errötete verlegen.
„Warum hast du das nicht mir erzählt, dann wären wir jetzt bei Gemma und…“, begann er zu sprechen und Zane hörte schon gar nicht mehr zu, sondern eilte an den beiden vorbei in Richtung des Lagers.
Könnte das Dexter sein, der sich aufspielen will? Will er Gemma unter Druck setzen und sie somit überreden, ihm in die USA zu folgen? Ich traue ihm das durchaus zu.
Mit einem unterdrückten, jedoch wütendem Knurren gab er den Code für das Lager ein und warf sich mit Schwung gegen die Tür, welche nach innen aufging. Sollte es sich tatsächlich um Dexter handeln, würde dieser Vollidiot Gemma die Tür versperren und an der Tür lehnen. Schlecht für ihn, gut für Zane. Grimmig, und erfreut zugleich, stellte er fest, dass er richtig gelegen hatte und sah, dass dieser bornierte Lackaffe halb unter das Getränkeregal gerutscht war und er mit der Vorderseite den Boden ordentlich gewienert hatte.
Ehe er nach Gemma schauen konnte, stand sie auch schon neben ihm und betrachtete ihren Ex, der stöhnend unter dem Regal hervorkam und sich zu ihnen umsah.
„Was zur Hölle sollte das, Zane?“, verlangte er schlecht gelaunt zu wissen und setzte sich auf. „Ich bin hier, damit ich Gemma nach Hause holen kann. Sie soll wieder glücklich werden.“
Zane lachte humorlos auf und schüttelte dann fassungslos seinen Kopf. Dieser Idiot war noch arroganter geworden, als er ihn in Erinnerung hatte.
„Wie oft soll ich dir noch sagen, Dexter, dass es für mich nichts mehr zu besprechen gibt. Außerdem habe ich nicht umsonst meine Zelte in Seattle abgebrochen und bin nach Deutschland ausgewandert. Hier bin ich glücklich“, übernahm Gemma das Wort und Dexter sah sie überrascht an, ehe sein Gesicht wieder ausdruckslos wurde.
„Wie kannst du hier glücklich sein? Du arbeitest als Barkeeperin bei deinen Cousins und…“
Noch bevor Zane realisieren konnte, was passieren würde, hatte Gemma sich mit beiden Händen den Stoff seines Shirts gegriffen, ihn an sich gezogen und küsste ihn, als würde ihrer beider Leben davon abhängen. Zane stöhnte unterdrückt in ihren Mund und schlang seinen rechten Arm um ihre Hüfte, während er seine andere Hand sanft an ihre Wange legte.
„Was zum…?“, hörten sie den auf dem Boden hockenden Dexter fassungslos fluchen und Zane unterdrückte ein zufriedenes Grinsen, als er widerwillig von Gemmas Lippen abließ.
„Gem ist mit mir zusammen und glücklich, Dexter. Akzeptiere das“, informierte er den noch immer irritiert schauenden Ex von Gemma.
„Ihr seid miteinander…“, begann Dexter und Zane unterbrach ihn mit schneidender Stimme.
„Wir sind nicht miteinander verwandt. Und dir eigentlich auch keinerlei Rechenschaft schuldig. Und da ich zufällig weiß, dass du du einigermaßen passabel tanzen kannst: tanz ab“, sagte Zane mit einer unterschwelligen Drohung in der Stimme und deutete mit den Daumen über seine Schulter in Richtung Gastraum. „Tauchst du hier noch einmal auf, breche ich dir alle Knochen einzeln, hast du mich verstanden?“