„Kommst du später mit in den Prinz-Albrecht-Park?“, erkundigte Gemma sich und trat in Zanes Wohnzimmer, nachdem sie kurz bei sich zu Hause gewesen war, um die Post zu holen.
„Du möchtest in den Skate-Park?“, wandte er sich verblüfft an Gemma, die gerade wiedergekommen war und ihre Post in den Händen hielt. „Hast du denn ein Skateboard?“
Sie sah ihn mit einem Schmunzeln an und schüttelte dann verneinend den Kopf, blickte wieder auf die Post in ihren Händen und runzelte die Stirn, als sie auf einen Brief stieß, der von ihrem Vater zu kommen schien. Innerlich seufzend rieb sie sich die Schläfe, denn sie hatte sich bisher noch immer nicht bei ihm gemeldet. Das schlechte Gewissen packte sie mit eisigen Klauen und Gemma legte die restliche Post auf den Tisch vor sich, während sie sich auf die Couch neben Zane setzte.
„Keine guten Nachrichten?“
„Mein Dad hat mir was geschickt“, erwiderte sie und drehte nachdenklich den Umschlag hin und her, unschlüssig, ob sie ihn öffnen wollte oder nicht. „Er hat mir bisher nie geschrieben.“
Während Gemma unterwegs war, hatte Zane sich mit Tiara und Ethan am Telefon beratschlagt, wie er am besten mit der ganzen Situation umgehen sollte, ohne übergriffig zu wirken und direkt das Thema anzusprechen. Offiziell wusste er von nichts, doch spalteten sich hier die Meinungen. Tiara hielt daran fest, dass Zane es ansprechen sollte, Ethan hingegen plädierte darauf, dass Gemma den ersten Schritt machen sollte. Wenn es zu einem Gespräch kam, konnte Zane immer noch zugeben davon gewusst zu haben. Viel gebracht hatte ihm das Telefonat jedenfalls nicht, weswegen er mit einer Entscheidung haderte.
Gemma riss den Umschlag an der Seite vorsichtig auf und zog den Inhalt heraus, faltete ihn auseinander und begann zu lesen, kaute dabei unbewusst auf der Unterlippe herum und Zane versuchte sich davon nicht aus dem Konzept bringen zu lassen. Entschlossen griff er nach der Dose Energy und nahm einen großen Schluck, lehnte sich bequem zurück und wandte seinen Blick auf den Fernseher, wo gerade irgendeine Serie lief, die er random angewählt hatte. Geschaut hatte er sie nicht wirklich bisher. Ein Papierrascheln neben ihm ließ ihn zu Gemma rüberschauen. Sie war blass geworden und presste ihre sinnlichen Lippen aufeinander.
„Hey“, sagte er sanft und zog die Augenbrauen ein wenig zusammen. „Alles okay bei dir?“
Ein leises Seufzen entkam ihren Lippen und sie warf ihm einen kurzen Blick zu, bevor sie sich auf die Unterlippe biss und ihm das zweiseitige Schreiben entgegenhielt. Seine Augen suchten ihre und sie nickte ihm auffordernd zu. Erstaunt nahm er ihr das Papier aus der Hand, überflog das Schreiben, welches aus einem DNA-Labor zu stammen schien und mit einem kurzen Text von Owen versehen war, der sie darauf hinwies, dass er nicht ihr biologischer Vater war und der nachfolgende Laborbefund dies auch schwarz auf weiß nachwies. Das Schreiben ihm las sich abgeklärt und mehr als nur sachlich. War das Owens Ernst? Zane unterdrückte ein Aufknurren und besah sich das Ergebnis des DNA-Tests, welches bestätigte, was Gemma von ihrer Mutter erfahren und Tiara anvertraut hatte.
„Er ist sauer, Zane.“
„Ja, aber nicht auf dich, sondern auf deine Mom“, stellte er richtig und sah sie nun offen an.
„Woher willst du das wissen?“
„Ich kenne Owen. Er war bisher zu allen fair, warum sollte er es an dir auslassen? Du kannst nichts dafür, dass du nicht seine leibliche Tochter bist, Gem. Und er liebt dich wie sein eigenes Kind. Er hat dich aufgezogen, dich getröstet, mit dir gelacht und deine ersten Schritte miterlebt.“
Ein leises Seufzen entfuhr ihr und sie lehnte sich in die Kissen zurück. Ihre Gedanken kreisten, denn die Worte an sie lasen sich ziemlich kühl und unpersönlich, als wäre sie nicht seine Tochter, sondern irgendjemand, dem er diese Information mitteilte. Vielleicht hatte Zane Recht und sie interpretierte einfach etwas falsches in diese Worte.
„Ich sollte ihn heute Abend anrufen und mit ihm sprechen. Vermutlich hast du Recht und ich mache mir ganz umsonst einen Kopf darum“, sagte sie und lächelte ihn leicht an. „Kommst du in den Skate-Park mit oder nicht? Du hast mir noch keine Antwort gegeben.“
„Du glaubst ja wohl nicht, dass ich dich allein den ganzen Spaß haben lasse? Aber du hast gesagt, du hast kein Skateboard“, zog Zane eine Augenbraue fragend hoch.
„Habe ich auch nicht. Aber Inline-Skates. Und die habe ich mitgebracht.“
„Oh wow, Inliner? Die bin ich schon ewig nicht mehr gelaufen. Irgendwo habe ich die noch liegen. Ich bin gleich wieder da.“
Kaum hatte er ausgesprochen, war er auch schon im Flur verschwunden und Gemma hörte ihn die Treppe hochlaufen. Ein amüsiertes Grinsen breitete sich auf ihrem Gesicht aus und sie beugte sich nach vorn, um seinen Energy zu schnappen, der noch mindestens halbvoll war. Eigentlich mochte sie diesen nicht so gern, aber sie wollte Zane ärgern. Derweil überlegte sie, warum er überhaupt nicht überrascht auf die Tatsache reagiert hatte, dass Owen nicht ihr biologischer Vater war und ließ ihren Blick zu den Papieren wandern, die auf der Lehne der Couch lagen. Hätte er ihr diese Unterlagen in die Hand gedrückt, wäre ihr alles aus dem Gesicht gefallen. Es sei denn… Wusste er etwas schon vorher davon? In ihrem Kopf blitzten die Bilder der vergangenen Tage auf und sie stöhnte leise auf, als ihr dämmerte wie er auf ihren Kuss auf dem Tagada reagiert hatte. Vorher, in der Geisterbahn die Nachricht, das fehlende Veto gegenüber Neo, als er sie Zanes Mädchen nannte… Der Kuss an der Getränkeausgabe seitens Zane… Oh Gott, er hatte es gewusst!
„Ich hab es gewusst“, triumphierend grinsend hielt er die Inliner in der rechten Hand und kam damit ins Wohnzimmer. „Wie neu.“
Ihr Blick ließ ihn stutzen, weswegen er die Inliner auf dem Boden abstellte und sich wieder neben sie auf die Couch setzte. Gemma musterte ihn, trank von seinem Energy und trommelte mit den Fingerspitzen auf ihrem Oberschenkel, der in einer Karoshorts steckte.
„Du wusstest davon“, stellte sie fest, denn es klang nicht nach einer Frage.
„Ja“, gab er unumwunden zu, wenn leugnen war sowieso zwecklos. „Tiara wollte dir eine Nachricht schicken, hat aber den falschen Chat erwischt und mir den Text zukommen lassen. Aber ich wollte sie bei dir nicht in die Pfanne hauen, zumal es ja auch keine Absicht ihrerseits war…“
„Die Nachricht an der Geisterbahn?“, kombinierte sie und leckte in Gedanken versunken an dem Rand der Dose in ihrer linken Hand. „Das war also eine versteckte Botschaft, hm? Schützenhilfe und so.“
Seine Aufmerksamkeit hing wie gebannt an ihrer Zungenspitze, bis sie bemerkte was sie tat und sich leise räusperte, noch einen letzten Schluck aus der Dose nahm und dann die Schultern zuckte.
„Irgendwie schon, ja. Ich war verwirrt, aber…“, versuchte er sich zu erklären und fühlte Nervosität in sich aufkommen. „… es macht einiges soviel einfacher.“
„Einfacher? In welchem Bezug?“
Mit einem unsicheren Schmunzeln nahm er ihr seinen Energy aus der Hand und leerte den Rest in einem Zug, spielte mit der Dose, indem er sie zwischen seinen Fingern langsam drehte und beobachtete seine Spielerei, während er sich auf die Unterlippe biss. Alles auf eine Karte setzen und auf Risiko spielen, oder langsam und Stück für Stück herantasten? Seine Gedanken rasten und Zane seufzte leise auf.
„Gem… erinnerst du dich noch an Tias Umzug zu Ethan?“
„Ja, aber was hat das jetzt damit zu tun?“, war sie verwirrt und zog ein Bein unter ihren Körper.
„Ich habe dir gesagt, dass du, wärst du nicht meine Cousine, ich dich nicht als Neutrum, sondern als Frau mit Reizen sehen würde“, tastete Zane sich vorsichtig an das Thema heran, welches er anschneiden wollte. „Richtig?“
„Irgendwas in dieser Art hast du gesagt, richtig.“
Auf was wollte er jetzt hinaus? Irritiert betrachtete sie sein Profil und erkannte, dass es ihm sichtlich schwer fiel und seine sonstige Gelassenheit passé war. Bisher hatte ihn nicht so aus dem Konzept gebracht, wie dieses Thema jetzt. Was war passiert?
„Nun… das war nicht ganz korrekt.“
„Nicht ganz korrekt?“, wiederholte Gemma fragen und ihr wurde schlagartig schlecht.
Es störte ihn. Auch mit dem Hintergrund, dass sie nie blutsverwandt waren. Gemma stöhnte innerlich auf und richtete ihren Blick auf die Dose in Zanes Händen, die das dünne Blech immer wieder ein wenig eindrückten, sodass es einen metallisch klingenden Ton erzeugte. Aber warum war er dann so verdammt nervös? Traute er sich nicht es ihr einfach zu sagen? Dass er für sie niemals mehr als soetwas wie geschwisterliche Gefühle für sie aufbringen konnte? Wollte er sie nicht verletzen?
„Ach was soll dieses um den heißen Brei reden“, fuhr er plötzlich aus seiner entspannten Position hoch, stellte mit Nachdruck die leere Getränkedose auf den Couchtisch, drehte seinen Oberkörper zu Gemma.
Zane sah mit seinen grünen Augen tief in ihre, lehnte sich noch etwas weiter zu ihr und schob seine rechte Hand in ihren Nacken, stützte sich dabei mit der linken an der Rückenlehne der Couch ab und zog Gemma mit einem bestimmten Druck im Nacken zu sich, um seine Lippen innig auf ihre zu drücken und ihr einen Kuss zu schenken, den sie in der Form noch nie erhalten hatte. Seine Zunge strich langsam und bedächtig über ihre Unterlippe, bat sie stumm um Einlass und Gemmas Lippen teilten sich wie von allein, hießen seine heiße Zunge in ihrem Mund willkommen. Ihre Arme schlangen sich wie von selbst um seinen Nacken, zogen ihn in eine enge Umarmung und sie ließ sich nach hinten auf den Rücken sinken, damit er auf ihr lag. Ihr zuvor untergeschlagenes Bein hatte sie zwischen seinem Körper und der Rückenlehne angewinkelt, sodass er nun halb zwischen ihren Beinen und auf ihr lag. Mit einem unterdrückten Stöhnen schob sie ihre Finger in seine Haare und kratzte behutsam mit ihren Nägeln über seine Kopfhaut, was ein leises Knurren nach sich zog.
„Gem, ich finde dich schon seit einer geraumen Zeit begehrenswert, nicht erst seit dem Moment, in dem ich die fehlgeleitete Nachricht erhalten habe“, gestand er ihr, nachdem er seine Lippen widerwillig von ihren gelöst hatte und blickte ihr unumwunden in die Augen. „Und auch, wenn du dich nicht in mich verlieben kannst, wird dir auf ewig mein Herz gehören, hörst du? Damit will ich keinesfalls irgendeinen Druck auf dich erzeugen, doch ich gehe daran zugrunde, wenn ich es nicht endlich loswerde.“
Er senkte seinen Kopf, lehnte seine Stirn an ihre rechte Schulter und atmete tief durch. Die Worte waren heraus – sein Herz lag auf dem Silbertablett. An ihrer Stelle würde er sich nun grenzenlos überfahren fühlen. Sein Puls raste und er hatte Mühe normal weiterzuatmen, weil alles in ihm in heller Aufruhr war. Vorsichtig richtete Zane sich auf, vermied den Blick in ihr Gesicht und konnte die bleierne Still zwischen Gemma und sich kaum ertragen, weshalb er von der Couch aufstand und in Richtung Flur ging.
„Ich bin oben“, sagte er leise, ohne sich umzudrehen. „Damit du in Ruhe darüber nachdenken kannst, was ich dir soeben eröffnet habe, denn ich will dich nicht beeinflussen.“
Mit geballten Fäusten ging er betont langsam die Stufen in seinen Schlafbereich hoch und schüttelte über seine Dummheit den Kopf. Wieso hatte er das getan? Es war doch zu erwarten, dass Gemma sich nun wie vor den Kopf gestoßen fühlte, denn immerhin hatte sie ihr Leben lang nur den Cousin in ihm gesehen. Wie hätte er an ihrer Stelle reagiert? Vermutlich exakt genauso.
„Idiot“, murmelte er sauer auf sich selbst und zog sich sein Shirt über den Kopf, ließ es achtlos auf das Fußende des Bettes fallen und warf sich bäuchlings darauf. „Verfluchter Idiot.“
Schwer seufzend schob er seine Arme unter das Kopfkissen und legte seinen Kopf darauf ab, blickte durch das Fenster nach draußen und fragte sich, ob Gemma jemals wieder mit ihm sprechen würde. Sie hatte nach dem Kuss nicht einen Ton gesagt. Ihr Gesicht hatte er absichtlich nicht betrachtet, damit ihn der Ausdruck darauf nicht vollends in die Knie zwang.
Du hast es versaut, Zane. Vielleicht hättest du ein wenig mehr um sie werben sollen, ehe du mit offenen Karten spielst. Zwar hast du ihr nur durch die Blume deine tieferen Gefühle verraten, doch Gemma ist nicht dumm. Sie wird verstanden haben, dass du sie liebst. Und das nicht nur ein bisschen. Du hast dich richtig in die Scheiße geritten, mein Freund.
Sie hatte auf seinen Kuss reagiert, hatte ihn erwidert, ihn an sich gezogen und seines Erachtens auch genossen… bis, ja bis… er ihr eröffnet hatte, dass sein Herz auf ewig ihr gehören würde. Danach hatte sie sich unter ihm verspannt. Fast unmerkbar, doch er hatte es wahrgenommen. Jahrelang hatte er seine Empfindungen diesbezüglich für sich behalten und ausgerechnet heute musste es passieren und er konnte seine Klappe nicht halten.
Mit einem langgezogenem Stöhnen drehte er sich auf den Rücken und drückte sich das Kissen ins Gesicht. Am besten, er würde hier auf ewig liegenbleiben und einfach nichts tun. Gemma würde ihre Siebensachen zusammenklauben, alles einpacken und nach Hause fahren. Es war besser so. Auch, wenn es ihm das Herz in Stücke riss, doch wenn sie ihn nicht lieben konnte, dann musste er das akzeptieren und lernen damit umzugehen.
-
Damit es hier nicht komplett zum Stillstand kommt, habe ich mich entschlossen, die Storys von Zane und Gemma, sowie von Jack und Louisa zu trennen. Natürlich finden letzte beiden hin und wieder ihre Erwähnung hier, doch werden sie ihre eigene Geschichte erzählen dürfen – separat. Mit 4.000 Wörtern und mehr, je Kapitel, hat es den Rahmen ein wenig gesprengt. Zumindest was das schnelle Uploaden anging. ;) Der ein oder andere wird jetzt vermutlich STRIKE rufen, denn viele haben sich sicherlich eine eigene Story für Jack und Lou gewünscht.
Ich bemühe mich, Zane und Gemma wieder regelmäßig zu aktualisieren und sobald wir hier zum Ende kommen, geht es mit den anderen beiden weiter. ;)
Scully