Im Hause Brantner hatte der Senior seit Stunden auf die Ankunft seines Sohnes gewartet, der normalerweise kein Nachtschwärmer war. Er hatte sich vorgenommen, einen weiteren Versuch zu machen, Josef von seiner "Hexenjagd" abzubringen. Ja, er betrachtete sich und seine Kumpane aus der Kommunalpolitik als Verfolgte des überzogenen Ehrgefühls seines Sohnes. Wenn er schon nicht in die Kommunalpolitik einsteigen hatte wollen, hätte er sich wenigstens aus den "diplomatischen Problemlösungen" des Landtagsabgeordneten heraushalten müssen. Er hatte nie von seinem Sohn verlangt, dass er in den Gemeinderat ginge. Aber wenn nicht, dann sollte er sich wenigstens heraushalten. Als würde er nicht begreifen, was alles davon abhinge, ob dieser Bau reibungslos verläuft. Ein Baustopp hätte zweifellos zu großen Problemen für einige in der Gemeinde ansässige Firmen geführt. Es ging hier unter anderem um Arbeitsplätze oder aber ganze Firmenpleiten! Und nicht zuletzt um das Ansehen seines Vaters!
Dieser sture Esel kannte nur schwarz und weiß. Der Senior hatte als Landtagsabgeordneter die Erfahrung gemacht, dass das Wohl der Bürger auch das eine oder andere Mal einer "Sichtweise im Graubereich" bedurfte. Als "Rechtsbeugung" hatte es sein kleinlicher Sohn betitelt. Das war ja wohl eine Frechheit, dem eigenen Vater gegenüber! Doch auch wenn er sich Argumente und Ausreden für eine neuerliche Aussprache mit seinem Filius zurechtgelegt hatte, er sollte an diesem Abend seinen Sohn nicht mehr antreffen. Der lag, keine zwei Kilometer von seinem Elternhaus entfernt, schon ein Weilchen im Bett...
Josef war erschrocken und verstand nicht, was mit Sonja los war, doch spürte er, dass sie seine Nähe jetzt brauchte. Er legte sich wieder hin und hielt sie im Arm. Nur langsam ebbte das heftige Schütteln, das leise Schluchzen, ab und ging in ein feines Zittern über. Was war nur mit ihr los. Er rückte etwas zurück und hob mit dem Finger ihr Kinn ein Wenig an, so dass sie ihm in die Augen sehen musste. Er küsste ihr ein paar Tränen weg. "Was ist denn nur mit dir, Kleines? Willst du es mir nicht sagen? Sie schüttelte fast unmerklich den Kopf. "Ich kann nicht!" flüsterte sie, streckte sich ein Wenig und küsste ihn sehr leidenschaftlich, ja beinahe ungestüm. Dann legte sie sich eng an seine Seite und streichelte mit den Fingerkuppen seine Brust. "Bitte bleib noch! Fahr jetzt nicht heim!... Bitte!"
"Wenn du dir das so wünschst, dann bleib ich noch zum Frühstück, Sonja, möchtest du das?"
"Oh ja! Halt mich einfach und lass uns noch ein Weilchen schlafen, ok?"
"Wie du möchtest, Liebes. Ich frag dich jetzt nicht mehr. Irgendwann, wirst du es mir bestimmt sagen. Mir ist nur wichtig, dass es nicht an mir liegt. Das Letzte was ich möchte, wäre es, dir Schmerz zu bereiten! Ich bin viel lieber zärtlich zu dir!"
"Das hab ich gespürt... und es ist unglaublich schön." murmelte Sonja. Sie schien sich nun gefangen zu haben und schmiegte sich eng an ihn. Josef war nun beruhigt und schlief kurz darauf wieder ein. Sonja aber konnte nicht mehr einschlafen. Sie war aufgewühlt und suchte nach einer Lösung für ihr Dilemma. Obwohl sie wusste, dass es eigentlich keine Lösung geben konnte...