Für Josef Brantner brach in diesem Moment eine Welt zusammen. Er hatte das Gefühl, man hätte ihm den Boden unter den Füßen weggezogen!
"Soviel zur Wahrheit, CHRISTINA! Wie konntest du? Ich hab dir vertraut! Ich hab dir gesagt, du darfst mich nicht mehr belügen! Ich wollte dich schon meinem Vater vorstellen! Ich habe sogar schon von meiner Freundin erzählt! Wie konntest du mir das antun? Und ich Idiot hab dir tatsächlich geglaubt! Ich hab mir eingebildet, du liebst mich! Wer bist du nun wirklich, Sonja? Bist du Christina? Oder bist du gar diese Mantodea, die mich ins Jenseits befördern soll?! Ich... Ich will dich nicht mehr sehn, du falsche Schlange! Und ich Idiot hab mich tatsächlich in eine notorische Lügnerin verliebt! Geh mir aus der Sonne, verdammt! Zutiefst enttäuscht wandte er sich ab von ihr und ging ein Stück weit weg.
Mantodea? Hatte er Mantodea gesagt? In diesem Moment war Sonja Tremer gestorben! Die Kunstfigur, geschaffen von Christina, die bis zum Schluss gehofft und versucht hatte, Sepp zur gemeinsamen Flucht zu bewegen, hatte erkennen müssen, dass Josef Brantner niemals mit ihr gehen würde, dass ihr Lügengebäude, mit dem sie gehofft hatte, ihn zu guter Letzt doch noch für sich zu gewinnen, über ihr zusammengestürzt war...
Josef Brantner kannte nunmehr nicht nur Sonjas wirklichen Namen, nämlich Christina Kemper. Er hatte sie tatsächlich nach Mantodea gefragt... Josef Brantner musste sterben!
"Sepp! Bitte! Es ist nicht so wie du denkst! Ich liebe dich wirklich! Bitte glaub mir doch! Bitte! So hör mir doch zu, Sepp!"
"Verschwinde einfach aus meinem Leben! Hast du gehört! Verschwinde! Ich will dich nie mehr sehn!"
Er ging ein paar Schritte Richtung Schutzhaus und sah nicht mehr zurück. Christina aber ging schurstracks zum Gipfel und zu dem Geländer zur Mondseeseite hin. Dicke Tränen liefen über ihre Wangen. Sie brauchte ihre Verzweiflung nicht zu spielen, denn sie wusste, sie hatte den einzigen Menschen verloren, den sie jemals wirklich geliebt hatte... und vor allen Dingen, den Mann, der auch sie nicht nur begehrt, sondern aufrichtig geliebt hätte, wären sie sich unter anderen Umständen begegnet...
Doch Josefs Tod war genau so von ihr geplant worden, genau so, wie er sich nun in Kürze ereignen sollte! Nur hätte sie dabei die Befriedigung über die perfekt geplante und durchgeführte Tat empfinden sollen ,so wie immer und nicht Trauer und Wehmut, wegen des Verlustes eines geliebten Menschen!
Es waren echte Tränen, die ihre Sicht verschleierten, als sie in die Hosentasche ihrer Lederhose griff und jenes Heftpflaster daraus hervorholte, welches sie heute vormittag präpariert hatte. Es hatte etwa die Größe einer Euromünze und eine Reiszwecke war von der Innenseite genau durch die Wundauflage gesteckt worden. Sie entfernte die Schutzfolie und ließ die beiden Teile fallen. Sie fielen nicht auf den Boden, weil der Wind sie verschleppte, noch bevor sie auf den Boden gelangen konnten. Dann klebte sie das Pflaster auf die Innenseite, die Handfläche ihrer rechten Hand und kletterte über das Geländer. Da stand sie nun, beide Hände hinter ihrem Gesäß auf dem Balken und wartete auf die Reaktion der umstehenden Leute und natürlich auf Josef Brantner, der mit Sicherheit versuchen würde, Sonja Tremer am Suizid zu hindern...