Ob meine Frau davon begeistert war, dass ich meine erste Freundin und ihre Frau mitnahm, mag dahingestellt sein. Aber ich hatte in gewisser Weise derzeit keine Wahl. Die Zeros hatten im Wächterschiff eine sogenannte Überführungsklasse befreit. Es waren lauter Kinder im Alter von vier bis sechs Jahren, in denen die Macht sich vollständig zeigte und mit denen nun das intensive Training im Tempel der Wächter beginnen konnte. Sie sollten von einem Ort, der sich nur die Station nannte, zum Tempel, der sich auf Sydika A befand, überführt werden. Im Schiff hatte man jeden einzelnen der Kinder vor einem Bildschirm festgebunden, der in einer Tour einen Film durchlaufen ließ, der merkwürdige Strukturen zeigte.
Ich erkannte die Strukturen wieder. Chimea hatte sie gewebt, um das Wachstum von Freya in meinem Körper zu beschleunigen. Sie zeigten sich auch in den Früchten unseres Botanischen Gartens, wenn wir beim Flug Materie in unseren Antrieb warfen. Es waren das Muster der Macht, die sich konzentrierte. Aus so einer Struktur konnte ein Machtwesen alles erschaffen. Es war der Beginn einer Energiematerietransformation. Auf den Bildschirmen abgespielt schien es eine Art Programmierung auf die reine Macht zu sein, die die Kinder vergessen ließ, wer sie eigentlich waren und von wem sie abstammten.
Wir an Bord der Pi-Hydra sorgten jetzt allerdings dafür, dass sie sich zu mindestens wieder an ihre Abstammung und die Besonderheiten ihrer einzelnen Rassen erinnerten. Wir hatten fast für jeden von ihnen eine Ziehmutter im Harem von Tusch gefunden. Nur die Goldene Prinzessin und die Florianerin hatten keine passenden Kinder abbekommen. Die Letztgenannte nahm sich einem schüchternen Mädchen mit Schwimmhäuten zwischen den Fingern an. Die Prinzessin nahm zwei Menschenkinder und ein Wesen, dass einem dünnen Insekt glich, auf.
Aber das Leben bestand nicht nur daraus, wenn man groß war, mit einem Lichtschwert herum zu fuchteln und anderen Wesen seinen Willen aufzuzwingen. Hier an Bord war der Teil der Ausbildung sowieso schwierig, denn meine Kinder pochten auf das Hausrecht. Der Machtkampf um die Hoheit in der neuerrichteten und befestigten Sandburg wurde trotz der Größe erbittert geführt und blieb letztendlich weiter fest in der Hand meiner Kinder, da konnten sich die neuen auf den Kopf stellen.
Aber genau da schloss sich der Kreis wieder zu mir und Ariane. Ich hatte hier im Schiff die Situation, dass sich meine Kinder für etwas besseres hielten. Also setzte ich Ariane in einen improvisierten Klassenraum und ließ sie ihre Geschichte erzählen. Von dem Mädchen, dass in einen solchen Raum gesetzt wurde, weil sie nicht zu Elite gehörte. Die neben so einem Typen sitzen musste, der sie zu Anfang wie alle anderen gehänselt hatte. Weil sie die Bezeichnung einer Rakete als Vornamen trug. Und wie dieser Junge sie dann gerettet und sie ab da beschützt hatte. Er war auch der erste, dem sie erzählt hatte, dass sie Mädchen toll fand und der sie bekräftigt hatte, ihren eigenen Weg zu gehen. Und der jetzt nach Jahrhunderten sie wieder gerettet hatte.
Im Klassenzimmer herrschte danach betroffene Stille. Meine Kleinen hatten in gewisser Weise Ariane für mich gerettet, weil Parker keinen zurücklassen. Und dann begannen sie selber mit der Ausgrenzung, weil sie die Machtkinder ausschlossen. Das war die Geschichte, die sie in dem Moment hören mussten.
Alice stand neben mir und lächelte. Sie verstand die Reste einer tiefen Freundschaft, die es vor so vielen Jahren einmal gab. Ariane war die selbst gesuchte Schwester in meinem Alter, die Freundin, mit der ich durch dick und dünn gegangen war. Sie würde aber nie eine Konkurrenz im Nest werden. Geschweige denn das ich glaubte, dass sie das Konzept dahinter überhaupt verstehen konnte.
Ich ging mit Alice an der Hand zum botanischen Garten. Hier sahen wir zu, wie Henriette eine Flugschule für ihre Art organisierte. Auch die alte Dame aus dem Frachter war dabei. Sie trug einen Computer in einem Kasten zwischen den Schultern, der die fehlenden Bereich ihres Gehirns ausglich. Cham hatte ihn mit Juliet konstruiert und hatte Ähnlichkeiten mit der Archivtechnologie. Shima lud Teile ihrer Erinnerung in diese Matrix, die ihr den normalen Umgang mit ihrer Umwelt ermöglichen sollte. Bedeutungen von, was ist Glück, was ist Leid, was ist Mitgefühl. Die alte Drachendame war trotzdem in allem, was sie tat, sehr bedächtig und wirkte weiter Emotionslos.
Wir setzten uns etwas zu ihr. Henriette hatte eine Sprungschanze aufgebaut, die über den See führte. Die Drachoiden, die ihre Flügel noch hatten, verstanden schnell, was Henriette von ihnen wollte. Die Drachoiden mit den Prothesen hatten mehr Probleme und als einer dabei recht tollpatschig die Rampe verfehlte und mit dem Kinn zuerst den Schlamm aufwühlte, stahl sich ein Lächeln auf das Gesicht der alten Drachin.
"Siehst du? Es gibt für jeden Hoffnung", flüsterte ich Alice in ihr Ohr.
Wir wollten uns gerade unserem Wohnbereich zuwenden, da stand Chimea mit Freya im Arm vor uns. Bei der Ghostfrau standen alle Federn ab. Etwas, was ich nur einmal gesehen hatte und zwar in der Nacht, wo Freya gezeugt wurde. Es gab nur eine Erklärung dafür: ein Machtausbruch.
Sofort nahm ich ihr Freya ab und drückte ihr den Gedankenstein in die kleinen Finger. Alice und Chimea stellten sich um uns und kamen auch in die Traumwelt. Um uns herum wirbelten die Strukturen, die der Machtskulptur entsprachen. Aber es war nicht so, dass Freya sie ausstrahlte. Es war eher so, dass sie in Freya verschwanden.
"Was tut sie da?", fragte ich Chimea.
"Sie sammelt Machtenergie."
"So viel Energie", stellte Alice fest. "Kann sie das nicht schädigen?"
"Ich weiß nicht, ich habe das noch nicht gesehen. Es sieht so aus, als versuche sie, ein Wurmloch zu öffnen."
"Kann sie das? Ich meine, kann die Macht das?"
"Die Macht eines Schwerkrafttopfes kann das. In der Theorie kann es auch eine Seele. So müsste auch die Lebendenergie das können."
"Und dann wird sie von uns weggezogen?"
Bevor wir die Idee mit Angst ausfüllten, brach das Feld zusammen und Freya drehte sich, typisch Katze, auf meinem Arm ein und steckte ihren Daumen, typisch Mensch, in ihren Mund.
Was immer geschehen war, es war jetzt vorbei.