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KAPITEL 3
Ein Blick in die Vergangenheit
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Die Uni hatte wieder begonnen und ich war nach den Sommerferien endlich wieder zurück am Campusgelände. Es dauerte einige Tage, bis ich mich wieder eingelebt hatte, doch ich freute mich darauf, wieder in Kurse zu gehen und auch meine Kommilitonen und die Professoren wiederzusehen. Die warmen Herbsttage luden dazu ein, die Zeit draußen zu verbringen. Ich war inspiriert, also nahm ich eine Decke, meine Tasche, mein Skizzenbuch und meine Zeichenutensilien, um an der frischen Luft ein paar Sketche zu zeichnen.
„Kommst du mit nach draußen? Das Wetter ist heute recht angenehm“, fragte ich meine Zimmergenossin, doch sie schüttelte den Kopf. Mit Quinn hatte ich ein großes Los gezogen. Sie war clever, nett, zuverlässig und wir steckten beide gerne die Nasen in die Bücher, um zu lernen.
„Nein, ich muss noch ein paar Lektionen durchackern. Mein Prof ist wieder mies gelaunt. Wahrscheinlich lässt er sich scheiden.“
„Oh, das tut mir leid“, antwortete ich ihr und schloss meine Tasche.
„Ja, mir auch, die Qualität seines Unterrichts wird mies, wenn er mies gelaunt ist.“ Sie sah von ihrem Buch auf und rückte ihre Brille zurecht. „Bist du zum Essen wieder da?“
„Mhm“, antwortete ich ihr. „Viel Spaß noch.“
„Danke, dir auch.“
Ich schloss leise die Tür und ging den Gang entlang. Alleine zu sein, störte mich nie. Als Einzelkind war das nichts Neues für mich. An der Highschool war ich nicht besonders beliebt, also war ich es gewohnt, etwas alleine zu unternehmen. An der Uni war alles anders. Hier hatte dieses ständige Rennen um Beliebtheit glücklicherweise weniger Stellenwert. Wir waren alle hier, um etwas über die Welt und auch über uns selbst zu lernen. Gut, einige waren hier, um zu feiern und zu trinken, anstatt zu lernen, doch ich verbrachte meine Zeit lieber in der Bibliothek, anstatt auf Partys zu gehen. Ich steckte die Kopfhörer in meine Ohren und suchte nach einem passenden Song. Meine Entscheidung fiel auf eine Instrumentale Playlist. Ein paar Zimmer weiter hörte ich einige Mädchen lachen. Stacy hatte wohl wieder Besuch. Es ist das Letzte, das ich wahrnahm, bevor ich nach draußen ging.
Die Sonne schien, ein sanfter Luftzug strich über den Campus. Zielstrebig wählte ich einen Platz, an dem ich es mir immer bequem machte, sobald das Wetter dazu einlud. Ich breitete meine Decke aus, legte meine Tasche ab und machte es mir bequem. Der Campus um mich herum war lebendig. Einige Schüler saßen zusammen, um zu diskutieren, andere machten ein Picknick. Einer der Jungs hatte seine Gitarre dabei. Er klimperte ein Lied, zu dem seine Freunde sangen. Auch einige der Footballspieler vertrieben sich ihre Zeit hier draußen. Matt, einer der Stars, und sein Freund Blake warfen einander den Ball zu.
Ich senkte meinen Blick und begann damit, eine Hand zu zeichnen. Finger machten mir immer wieder Probleme, weswegen ich es mir zum Ziel genommen hatte, pro Woche zumindest ein paar Skizzen zu zeichnen, um dieses Defizit auszugleichen. Ich studierte Kunst, meine wahre Leidenschaft war nicht nur das Malen und Zeichnen, sondern auch die Herstellung von Schmuck aus Naturmaterialien. Ich hatte mir immer gerne die Zeit mit handwerklicher Arbeit vertrieben. Mein Ziel war es, nach meinem Abschluss mein eigenes Geschäft zu eröffnen und von meiner Kunst zu leben.
„Hey, Vorsicht!“ Verwirrt sah ich auf. Als der Football auf mich zukam, lies ich meinen Stift fallen und fing den Ball. Matt kam auf mich zugelaufen. „Hey, stark gefangen.“
„Danke“, antwortete ich schüchtern.
Er ging in die Knie und ich reichte ihm seinen Ball. „Hab' eher damit gerechnet, dass der Idiot deinen Kopf trifft. Ich war schon bereit, dich zu retten.“
„Mein Kopf ist in Ordnung, danke“, antwortete ich ihm. Sein Lächeln ließ mein Herz sofort höherschlagen. „Mein Dad war früher Profispieler. Er wollte mir das Werfen und Fangen beibringen.“
„Hat ganz gut geklappt“, meinte er, ehe er grinste.
„Naja, werfen kann ich nicht besonders gut“, gestand ich ihm.
„Jeder hat andere Talente.“ Mit dem Kopf deutete er auf meinen Zeichenblock. „Was machst du da Schönes?“
„Oh, das sind nur ein paar Sketche. Genau genommen erst ein paar Striche.“
Er warf einen Blick auf meine Skizze. „Besser als alles, was ich je hinbekomme.“ Matt sah mich an. Er musterte mich, dann sprach er weiter: „Ich glaube, dass ich dich kenne. Du bist Ilaria, nicht?“
Überrascht legte ich meine Hand an meine Brust. „Ja, Ilaria Evans.“
„Dachte ich mir. Ich habe eines deiner Bilder gesehen. Dieses große mit dem Pilzwald. Bisschen trippy.“
„Die Pilzkappen leuchten im UV-Licht. Und außerdem werden an den Ästen Feen sichtbar.“
„Ja, genau das meinte ich!“, antwortete er mir. „Das hat mich echt gekillt.“ Mit seinen Fingern trommelte er auf dem Football herum. „Du hast Talent für dieses Kunstding, da müssen deine Hände keine Bälle fangen. Hey, kommt vielleicht jetzt wie eine blöde Anmache rüber, aber kann ich deine Nummer haben? Vielleicht brauche ich ja mal jemanden, der etwas für mich malt. Gegen Bezahlung natürlich.“
„Ich ähm …“
„Matt! Komm schon, hör auf zu flirten!“, rief Blake nach seinem Freund.
Matt blickte über seine Schulter und antwortete laut: „Ja, gleich, gib mir 'ne Minute. Ich unterhalte mich gerade.“ Zielgenau warf er seinem Freund den Ball zu, ehe er sich wieder mir zuwandte. „Also? Was sagst du?“
„Na gut“, gab ich mich geschlagen. „Aber du schickst mir keine Dickpics, klar? Daran habe ich nämlich kein Interesse.“
Matt lachte herzlich. Ich zog meinen Terminplaner aus meiner Tasche, schrieb meine Nummer auf ein Post it und reichte es ihm.
„Oh, oldschool. Wehe, das ist eine falsche Nummer, ich weiß, wo du studierst.“ Matt grinste mich breit an. Es war offensichtlich ein Scherz. Verlegen strich ich mir eine blonde Haarsträhne hinter das Ohr.
„Du solltest gehen, dein Freund wartet auf dich.“
„Ach, der ist nur genervt, weil keine Frau mit ihm flirten will. Man sieht sich. Ich rufe dich an, okay?“
Verlegen sah ich wieder auf meine Zeichnung und griff dann nach dem Stift, den ich vorhin fallen ließ. „Mach das.“
Matt richtete sich wieder auf. Er joggte auf seinen Freund zu. Ich sah ihm nach, da bemerkte ich, dass auch er mir einen letzten Blick zuwarf. Sein Lächeln brachte auch mich zum Lächeln. Ich atmete tief durch und widmete mich wieder meiner Skizze. Es war eine nette Abwechslung, von einem Mann bemerkt zu werden. Unweigerlich sank mein Blick auf meine nicht vorhandene Oberweite. Es war schwer, mir vorzustellen, dass Matt ernsthaft Interesse an mir haben könnte. An einem hübschen Cheerleader ja, doch nicht an einem langweiligen Mauerblümchen wie mir. Vielleicht wollte er ja auch nur nett sein. Oder er redete mit jedem Mädchen?
Ich presste meine Lippen zusammen. Meine Unsicherheit nahm mich vollkommen ein. Es war schwer, mich wieder auf meine Skizzen zu konzentrieren.
· • ❀ • ·
Nach einer Dusche spazierte ich von den Gemeinschaftswaschräumen wieder zu meinem Zimmer zurück. Wie immer war die Zimmertür von Stacy geöffnet. Sie war immer bereit, Besuch zu empfangen. Beim Vorbeigehen sah ich, wie sie sich gerade im Spiegel betrachtete. Sie drehte sich zu mir um und winkte mir zu. Ich erwiderte das Winken zaghaft und ging weiter. Ich wusste, dass ich es nicht sollte, aber ich beneidete Stacy für ihre Kurven. Sie hatte nicht nur eine schöne Oberweite, sondern auch einen schönen, runden Hintern. Ich hingegen sah aus wie ein flaches Brett aus dem Werkunterricht. Ich drückte meine Tasche gegen meinen Brustkorb. Mich selbst im Spiegel zu betrachten, verunsicherte mich seit dem Beginn der Pubertät. Es war schon lange mein Traum, mir meine Brüste vergrößern zu lassen, sobald ich 21 Jahre werde. Leider hatte ich noch einige Monate vor mir, bevor es endlich soweit sein sollte. Doch sobald ich die Operation hinter mir hätte, könnte ich endlich die Kleider tragen, auf die ich schon lange neidisch war. Ich war sicher, dass ich mich dann endlich in meiner eigenen Haut wohlfühlen würde.
Zurück in meinem Zimmer, setzte ich mich in mein Bett. Die Tasche mit meinen Kosmetikartikeln legte ich neben mir ab. Ich griff nach meinem Smartphone, das ich in der Zwischenzeit zum Aufladen in meinem Zimmer gelassen hatte.
„Gut, dass du da bist, Ilaria“, meinte Quinn. Sie legte das Buch auf ihrem Brustkorb ab. Meine Mitbewohnerin und Freundin lag gerade in ihrem Bett. „Du bist heute ganz schön beliebt.“
„Was meinst du?“, fragte ich verwirrt.
„Dein Smartphone hat gar nicht mehr aufgehört zu klingeln.“
„Oh, tut mir leid. Ich hätte es auf lautlos stellen sollen“, antwortete ich ihr und sah dann auf mein Display. „Die Nummer kenne ich gar nicht … oh.“
„Oh?“, fragte sie nach. Ihr Interesse war sofort entflammt. „Mach es nicht so spannend. Was ist los?“
Ich öffnete die erste Nachricht und sah Quinn dann breit lächelnd an. „Als ich heute Nachmittag draußen war, habe ich einen der Footballspieler getroffen. Du kennst doch Matt, oder? Er ist so süß.“
Quinn hob ihre Augenbrauen. „Uh. Das nerdige Mädchen und der beliebte Footballer, das passt ja“, meinte sie amüsiert. „Wie in so einem Teenie-Film.“
„Ach, hör doch auf.“
„Was wirst du tun?“, fragte sie mich. Sie setzte sich auf. „Wirst du für das erste Date in ein kurzes Kleid schlüpfen, dein Haar aufschütteln und ihm deine Brüste ins Gesicht halten?“ Ich konnte nicht anders, als zu kichern, denn Quinn beugte sich nach vorne, spitzte ihre Lippen und drückte ihre Brüste mit ihren Händen zusammen. Es sah lächerlich, aber auch sehr lustig aus.
„Unsinn“, antwortete ich ihr. „Ich habe gar keine Zeit für Dates und ich habe auch keine Zeit für einen Aufreißer, auch wenn er unser Team zum Sieg führt.“
„Was hat er denn geschrieben? Will er sich mit dir treffen?“
„Ist doch egal. Ich hätte ihm gar nicht meine Nummer geben dürfen.“
Ich stand auf und warf mein Smartphone auf mein Bett. Nachdem ich durchgeatmet hatte, zog ich das Handtuch von meinem Kopf und trocknete meine Haare noch einmal gründlich, indem ich sie mit dem Handtuch ausdrückte. Das Handtuch hing ich über meinen Stuhl, dann schnappte ich mir meine Bürste und strich damit durch mein Haar. Nachdenklich starrte ich aus dem Fenster. War es wirklich so eine gute Idee, Matt meine Nummer zu geben?
„Ist alles okay, Ilaria?“
Ich zuckte mit den Schultern. „Nein.“ Frustriert ließ ich mich seitlich auf meinen Stuhl sinken. Die Bürste lege ich auf meinen Tisch. Mein Blick war auf meine Freundin gerichtet, während ich meinen Arm auf der Tischplatte abstützte. „Denkst du, dass jemand wie er mich wirklich mögen würde? Ich meine, ich bin nicht hässlich und meine Haut ist mittlerweile auch viel schöner als früher, aber … Ich weiß nicht, ich fühle mich nicht hübsch. Ich bin so flach und langweilig. Ich sehe aus wie ein kleines Kind, da kann ich mir noch so viel Makeup ins Gesicht klatschen.“
Quinn musterte mich. „Weißt du, wen du das am besten fragen solltest? Den Kerl, der dir mindestens zehn Nachrichten geschickt hat, du doofe Nuss.“ Sie lächelte mich an, schüttelte aber dann den Kopf. „Lies, was er geschrieben hat, anstatt dich verrückt zu machen.“
„Ja, aber denkst du, dass er mich wirklich mögen könnte? Was ist, wenn er nur flirtet, weil er das immer macht?“
Meine Freundin seufzte, dann ließ sie sich wieder auf die Matratze sinken. „Keine Ahnung. Du bist nett und süß und ich persönlich finde dich sehr hübsch. Wir haben doch alle unsere Probleme. Ich muss mir regelmäßig meinen dämlichen Damenbart wegwachsen und hab dann einen Tag lang einen rosa Streifen über der Oberlippe. Du bist schlank, dafür würden sich viele wortwörtlich unters Messer legen. Du bist eine sehr schöne Frau, Ilaria.“
Ich sah Quinn an, die sich gerade wieder ihr Buch nahm, um weiterzulesen. „Dann soll ich mich nicht von meiner Unsicherheit aufhalten lassen, richtig?“
„Genau“, stimmte sie mir zu. „Wir haben alle Stärken und Schwächen. Wir sind keine perfekten Roboter. Wir sind Menschen mit Haaren und Hautunreinheiten. Wir haben alle etwas, das uns total stresst. Wenn du den Kerl gut findest, lies die Nachrichten und lern ihn kennen. Wenn du nur darüber nachdenkst, wird nichts passieren. Beweg deinen Hintern.“
„Welchen Hintern?“, fragte ich amüsiert und stand dann auf, um mein Smartphone wieder zur Hand zu nehmen. „Soll ich wirklich?“
Ein lautes Seufzen erklang im Raum. „Du machst mich fertig, Ilaria. Sei nicht so anstrengend.“
Schon um Quinn nicht noch mehr zu frustrieren, widmete ich mich meinem Bildschirm. Zwei der Nachrichten waren von meinem Dad. Es war das tägliche Update zu seiner neuen Katze. Er hatte sich Laileena in meinem ersten Collegejahr zugelegt. Ich antwortete mit einigen Emojis auf die zuckersüßen Fotos der rötlichen Bengalkatze und widmete mich schließlich Matts Nachrichten. Ich war so nervös, dass ich gar nicht klar denken konnte.
‚Hey!‘
‚Oh, du antwortest nicht. Kommt wohl davon, wenn man ohne Namen schreibt. Hier ist übrigens Matt, kein grusliger Stalker.‘
‚Hättest du vielleicht Lust, am Wochenende etwas zu unternehmen?‘
‚Wir könnten ins Kino gehen.‘
‚Oder auf eine Party.‘
‚Samstagabend steigt eine bei einem Kumpel.‘
‚Ist eine Verbindungsparty. Wenn das nichts für dich ist, könnten wir auch einfach nur chillen. Wir fahren zu mir und sehen uns einen Film an.‘
‚Meld dich einfach, wenn du Bock drauf hast, was mit mir zu machen.‘
„Er will etwas am Wochenende unternehmen.“
„Klingt gut.“
„Ich weiß nicht. Ich muss noch so viel lernen. Eigentlich habe ich überhaupt keine Zeit dafür.“
Quinn lachte plötzlich los. „Okay, sorry, dass ich jetzt so direkt bin, aber du klingst gerade total verwirrt und verwirrend. Was willst du eigentlich?“
Ich sah Quinn an und nickte langsam. „Ja, das ist eine gute Frage. Ich weiß es nicht, um ehrlich zu sein.“
„Vielleicht solltest du dir das vorher überlegen, bevor du dich in irgendetwas stürzt, hm?“
„Ja, du hast Recht. Ich bin so froh, dich zu haben, Quinn. Du bist so clever.“
Sie lachte und winkte dabei ab. „Du bist genauso clever, nur irgendwie unkonzentriert. Wie ein Golden Retriever Welpe, der freudig auf einer Blumenwiese herumhüpft und nicht weiß, ob er an einer Blume schnuppern oder einen Schmetterling fangen soll.“
Ich lächelte bei der Vorstellung. „Ich liebe Hundewelpen.“
„Jeder liebt Hundewelpen.“
Ich überlegte einen Moment, während ich auf mein Display sah. Auf meine Antwort musste Matt noch eine Weile warten.