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KAPITEL 11
Abschiedsparty
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Die zwei Wochen oder eher neun Tage Arbeitszeit vergehen nicht so schnell, wie Matt es mir versprochen hat. Es geht allerdings schnell das Gerücht um, dass Jake der Grund ist, weswegen ich gekündigt habe. Einige Mitarbeiter, mit denen ich mich eigentlich gut verstanden habe, nehmen mich nun in einem vollkommen neuen Licht wahr. Für einige von ihnen bin ich eine verwöhnte Diva, die es nicht erträgt, verloren zu haben. Andere reden hinter meinem Rücken über mich. Es fallen Sprüche über mein Aussehen und darüber, dass man mit einem hübschen Gesicht und falschen Brüsten eben nicht alles bekommt, was man sich wünscht. Dass all diese Gerüchte und Geschichten nur ein kleiner Teil eines großen Ganzen sind, interessiert niemanden. Klatsch und Tratsch sind spannender und interessanter, anstatt mich zu fragen, was passiert ist. Natürlich sind diese Gerüchte auch zu Jake durchgesickert. Ich habe zwar versucht, mit ihm darüber zu sprechen, er hatte allerdings nicht besonders viel Interesse daran, meine Sicht der Dinge zu hören. Ich kann es einerseits verstehen, immerhin kann er auch nichts dafür, dass er bevorzugt wurde, anderseits ist es nichtsdestotrotz unfair für den Rest des Teams. Aber geschehen ist geschehen. Wir können es nicht mehr ändern.
Durch dieses Chaos fühlt sich jeder Tag wie ein Albtraum an, doch das Ende ist bereits in Sicht. All das zeigt mir sehr deutlich, dass ich mich richtig entschieden habe. Ich fühle mich an meinem ehemaligen Arbeitsplatz nicht mehr wohl und bin froh, dass meine letzten Minuten ablaufen. In meinem Team ist die Missgunst glücklicherweise nicht so stark, wie sie es bei den restlichen Mitarbeitern ist. Abgesehen von Jake ist jeder sehr unglücklich darüber, dass ich das Team verlassen werde.
Ein letztes Mal schalte ich meinen Computer aus. In eine leere Kiste Kopierpapier packe ich meine persönlichen Sachen. Süßigkeiten, ein kleiner Goldfisch aus Porzellan, einige bunte Stifte und Notizzetteln, das Foto von Matt und mir und auch meine kleinen Pflanzen finden ihren Platz in dem Karton. Ich schlucke, als ich meine Schreibtischschubladen noch einmal absuche, um ganz sicher nichts zu vergessen. Noch einmal will ich nicht hierherkommen. Zuhause wartet bereits eine große Packung Eiscreme auf mich. Von meiner liebsten Pizzeria werde ich mir wohl Pizza und Pasta kommen lassen. Matt kommt erst am Sonntag wieder nach Hause, also muss ich die Zeit bis dahin alleine totschlagen. Ich sehne mich jetzt schon danach, mich in meinem Bett zu verkriechen und erst wieder rauszukommen, wenn Matt vor der Tür steht.
Steve kommt an meinen Tisch. Er blickt auf meinen Karton und mustert mich dann. „Heute entkommst du mir aber nicht.“
„Was meinst du?“, frage ich nach.
„Das Team würde dich gerne richtig verabschieden“, antwortet er mir. „Komm schon. Du hast heute doch bestimmt nichts mehr vor, oder? Zufällig weiß ich, dass das Trainingscamp noch bis Sonntag läuft.“
Ich seufze. „Steve, ich bin wirklich nicht in der Stimmung, irgendetwas zu feiern. Die letzten Tage in dieser Hölle waren grausam. Es ist beschissen, dass alle Gespräche verstummen, wenn man einen Raum betritt.“ Ich streiche mir eine Haarsträhne hinter mein Ohr. „Ich habe mich gefühlt, als wäre ich ein Verbrecher. Eigentlich will ich nur noch hier weg.“
„Komm schon. Ein Drink? Nur einer. Wir sitzen in gemütlicher Runde zusammen und plaudern.“ Ich sehe Steve an. Er lächelt leicht. „Bitte. Es war wirklich nett mit dir und auch wenn alle anderen Scheiße labern, heißt das nicht, dass du dir davon die Laune verderben lassen solltest. Du warst doch immer unser kleiner Sonnenschein.“
Nun lächle auch ich. „Das sehen die meisten allerdings anders.“
„Ja, weil das Idioten sind, die nur reden und selten denken. Klatsch ist interessanter, als die Wahrheit. Außerdem bin ich sicher, dass viele einfach nur neidisch sind, weil sie gerne an deiner Stelle wären.“
Schweigend sehe ich Steve an. Ich nehme mir einen Moment, um darüber nachzudenken. Vielleicht wäre es ja doch gar nicht so schlecht, den Abend mit jemandem zu verbringen, anstatt mich alleine in meinem Elend zu suhlen. „Na gut, überredet.“
„Dann sehen wir uns heute Abend?“
„Ja.“
„Drück dich ja nicht“, ermahnt Steve mich grinsend. „Wenn du nicht auftauchst, bringen wir die Party zu dir.“
„Ich werde da sein“, verspreche ich.
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„Ilaria!“, werde ich hochmotiviert begrüßt, als ich an den Tisch meiner Kollegen komme. Durch den zähen Verkehr bin ich doch ein wenig spät dran. „Ich dachte schon, du kommst nicht mehr!“ Phil rückt seine Brille zurecht und grinst mich breit an. Es ist nicht zu übersehen, dass er schon einiges intus hat.
„Entschuldigt die Verspätung.“
„Kein Ding, kein Ding, setz dich“, bittet Steve mich. „Was trinkst du?“
„Das weiß ich noch nicht. Lasst mich doch mal ankommen“, bitte ich amüsiert. Obwohl Sarah nicht Teil unseres Teams ist, ist auch sie anwesend. Ich setze mich neben sie und werde sofort umarmt.
„Du wirst mir wirklich fehlen, meine Kleine.“
„Hört auf, so viel Liebe habe ich gar nicht verdient.“
„Und ob du das hast“, antwortet Jun mit einem Lächeln. Das ausgewaschene Lila in seinen Haaren erstrahlt in neuem Glanz. „Es ist zwar schade, dass du gehst, aber es ist auch nachvollziehbar. Wenn ich das Geld nicht brauchen würde, würde ich wohl auch gehen.“
„Oh bitte lasst mich nicht mit Jake alleine“, gibt Steve sofort von sich.
„Ich lass dich nicht alleine, Bro“, meint Phil selbstsicher. Er grinst Steve breit an. „Mich wirst du nicht so schnell los.“
Steve legt einen Arm um seinen Kumpel. „Wenigstens einer, der mich nicht im Stich lässt.“
„Tz, ich bin doch auch noch da“, antwortet Jun gespielt empört.
Während die Jungs diskutieren, reicht Sarah mir die Cocktailkarte. „Geht auf mich“, sichert sie mir mit einem Lächeln zu. „Such dir aus, was du möchtest.“
Ich nehme die Karte an mich und blicke auf Sarahs Glas. „Ein Cosmopolitan, hm?“
„Ja“, antwortet sie, worauf ich den Kopf schüttle.
„Ich verstehe nicht, wie du den runterbekommst. Der ist mir nicht süß genug. Wenn ich Alkohol trinke, will ich etwas Süßes.“
„Ich mag ihn. Wenn die Cocktails zu süß sind, muss ich mich eher übergeben.“
„Oh nein, das wollen wir heute aber nicht“, antworte ich und stöbere bereits in der Karte. Ein Blick auf den Tisch verrät mir, dass Steve und Phil Bier trinken, während das Glas in Juns Hand nach Rum oder Whiskey mit Cola aussieht. Auf dem Tisch stehen außerdem einige Shotgläser mit Zitronenschalen, die kleine Party hat also schon begonnen, bevor ich angekommen bin. „Ich glaube ich will einen Sex on the Beach.“
Sarah trinkt ihr Glas leer und steht dann auf. „Dann geh' ich mal bestellen. Wollt ihr noch irgendwas?“
„Noch eine Runde Shots“, ordert Steve schnell. „Du trinkst doch Shots mit uns, oder Ilaria?“
„Äh, ja, aber nur einen. Ich will heute noch nach Hause finden.“
„Ach, das klappt schon“, meint Phil locker. „Im Notfall pennst du bei Sarah auf der Couch, die passt sicher gerne auf ihre Kleine auf.“
Sarah lacht. „Ja, du bist in guten Händen, ich passe schon auf dich auf.“
„Ihr seid zu süß, danke“, antworte ich amüsiert. Für den Ernstfall einen Notfallplan zu haben, beruhigt mich, auch wenn ich nicht in die Verlegenheit kommen möchte, ihn zu nutzen.
Sarah kommt ganz schnell mit unseren Getränken zurück. Eine Kellnerin bringt ein Tablett mit den Shots. Kaum hat sie die kleinen Gläser verteilt, sammelt sie auch schon die leergetrunkenen Gläser ein und spaziert wieder zurück zur Bar. Ich nehme die Zitrone von dem Shotglas und das Glas in meine freie Hand. Interessiert betrachte ich den goldenen Alkohol darin. Ich bin ziemlich sicher, dass es sich um Tequila handelt. Als ich das letzte Mal Tequila getrunken habe, ist das für mich nicht besonders gut ausgegangen. Ich nehme mir fest vor, dass dieser Abend anders und auf einer positiven Note endet.
„Auf unsere Ilaria, möge sie ein wundervolles High Society-Leben leben“, spricht Phil und erhebt sein Glas.
Ich kichere und hebe mein Glas ebenfalls. „Ich weiß ja nicht, wie ihr euch das vorstellt, aber mein Leben ist wirklich normal und langweilig.“
„Ja, ja, erzähl das dem Footballstar, mit dem du dir dein Bett teilst“, antwortet Jun amüsiert.
Ich lache, dann schüttle ich wieder den Kopf. „Ich bin ja schon still.“
Wir kippen unsere Shots und beißen dann in die Zitronen, die es meiner Meinung nach nur bedingt besser machen. Ich verziehe mein Gesicht und trinke schnell von meinem süßen Cocktail um den Geschmack in meinem Mund zu vertreiben. Das fruchtige Getränk lindert das Brennen in meinem Hals.
„Alles gut?“, fragt Sarah und legt ihre Hand an meinen Oberarm.
„Ja, alles gut. Ich hab' mich nie wirklich an Tequila gewöhnt.“
„Dann musst du öfter mit uns ausgehen“, meint Steve grinsend. „Sonst bekommen wir dich ja nicht mehr zu Gesicht.“
„Ich fürchte, dass ich das nicht überlebe“, antworte ich ihm.
„Ach, Quatsch, Übung macht den Meister“, sichert mir nun Phil zu. So ganz überzeugt bin ich ja nicht.
Die Zeit vergeht, der Alkohol fließt und ich werde immer betrunkener. Die guten Vorsätze sind schon längst vergessen. Ich bin schon ziemlich angetrunken, als ich mich auf den Weg zu den Toiletten mache. Glücklicherweise finde ich schnell eine freie Kabine, in der ich mich verstecken und mein kleines Geschäft erledigen kann. Ich betätige die Spülung und bleibe dann noch einen Moment an die Wand der Kabine gelehnt stehen. Ich schließe meine Augen. Mein Körper fühlt sich schwer an, außerdem fühlt sich der Raum an, als würde er sich drehen. Ich bin müde und habe bereits jetzt die Vorahnung, dass es mir morgen wahrscheinlich nicht so gut gehen wird.
Ich öffne meine Augen wieder, als mein Smartphone klingelt. Ein wenig wackelig verlasse ich die Kabine, stelle meine Tasche an dem Waschbecken ab und nehme das Gespräch an.
„Hallo?“, frage ich und klemme mir mein Smartphone mit der Schulter ans Ohr.
„Hey, Baby, du hast nicht zurückgeschrieben. Ist alles okay bei dir?“
„Ja, alles gut“, antworte ich ein wenig nuschelnd, während ich Seife auf meine Hand pumpe und mir dann die Hände wasche. Matt sagt irgendetwas, was ich durch das Wasser aber nicht so gut verstehe. „Warte mal, das ist grade total stressig für meinen Kopf.“ Der Wasserhahn stoppt von selbst und ich trockne meine Hände. Ich bin froh, die verkrampfte Position wieder loszuwerden. Damit mein Smartphone nicht fällt, halte ich es fest in meiner Hand. „Was hast du gesagst? Nein, ich meinte gesagt.“ Ich atme tief durch und streiche durch mein Haar.
„Bist du betrunken?“, fragt Matt mich.
„Ja, ich bin doch mit meinen Kollegen oder Ex-Kollegen weg. Eigentlich wollte ich nur einen Drink, aber jetzt waren es glaub ich 100 Drinks und ich bin ziemlich fertig.“
Ein Mädchen mit schönen, dunkelrot gefärbten Locken geht an mir vorbei. Sie kichert, dann verschwindet sie in die Kabine, in der ich gerade war. Für einen Moment fixiere ich die Tür und es fühlt sich so an, als würde der Raum sich weniger drehen, doch das Gefühl kommt leider schnell wieder zurück. Ich fühle mich nicht gut.
„Matt, es war ein Fehler so viel zu trinken. Das war nicht gut.“
„Okay, wo bist du? Soll ich deinen Dad anrufen?“
„Es wär' so peinlich, wenn er mich abholt. Ich bin doch kein Kind mehr.“
„Blödsinn“, beschwichtigt Matt mich. „Schick mir deinen Standort, dann kümmere ich mich darum, dass dein Dad dich abholt. So solltest du nicht alleine nach Hause irren.“
„Matt?“
„Ja?“
„Bist du wütend auf mich?“, frage ich ein wenig nervös nach. Ich spiele mit einer meiner Haarsträhnen. Tränen bilden sich in meinen Augen. Jetzt bloß nicht weinen, Ilaria.
„Wütend? Wieso sollte ich wütend auf dich sein? Es ist toll, dass du deinen Spaß hast. Aber wenn ich mir dich so anhöre, dann wird es Zeit, dass du ins Bett kommst. Und wenn dein Dad dich nach Hause bringt, dann bist du in Sicherheit und ich kann gut schlafen, weil ich weiß, dass es dir gutgeht.“
„Ja“, antworte ich mit brüchiger Stimme. „Ich bin auch total müde.“
„Schick mir deinen Standort, ich rufe deinen Dad an und der holt dich ab.“ Ich nicke. „Und nicht weinen, ja? Es ist nicht schlimm, wenn man betrunken ist. Es ist alles gut.“
„Ich versuch’s“, antworte ich und wische mir die Tränen aus den Augen. „Ich schick’s dir jetzt.“
„Okay, ich ruf' dich gleich wieder an.“
„Mhm.“
Matt legt auf und ich sehe auf mein Display. Das Mädchen mit den schönen, dunkelroten Locken wäscht sich gerade die Hände. Ich lehne mich mit dem Rücken an die Theke neben ihr. Wie versprochen schicke ich Matt meinen Standort, damit mein Daddy mich abholen kann. Ich ziehe meine Nase hoch und wische über mein Auge. Das alles ist so dumm und peinlich.
„Hey, was ist denn los?“, fragt das Mädchen mich.
Ich schüttle den Kopf. „Gar nichts, ich bin nur dumm und heule.“
„Ach, sag' doch sowas nicht“, bittet sie mich. Sie nimmt eines der Papiertücher und befeuchtet es. „Sieh' mich mal an. Dein Mascara ist ganz verschmiert.“ Vorsichtig und offensichtlich sehr liebevoll wischt sie über meine Haut. Sie lächelt mich breit an. „Schon viel besser.“ Sie hebt ihren Zeigefinger, auf dem sich ein klobiger Ring befindet. „Wenn du wegen einem Kerl heulst, dann lass das gleich ganz sein. Solche Typen sind es nie wert.“
Etwas verlegen senke ich meinen Blick. „Naja, nein, kein Kerl. Ich werde nur so seltsam, wenn ich trinke. Einfach viel zu emotional.“
„Ja, kenn ich“, antwortet sie mir. „Ich bin übrigens Alice.“ Sie hält mir ihre Hand hin und ich nehme sie an. „Und du bist?“
„Ilaria“, stelle auch ich mich vor. „Danke für deine Worte, ich glaube, mir geht’s schon besser. Darf ich dich umarmen?“
Alice lacht, dann hält sie schon die Arme auf. Ich drücke sie fest und schließe meine Augen. „Wir Schwestern müssen zusammenhalten und aufeinander aufpassen.“ Sie reibt mir den Rücken. „Du kannst bestimmt ein Glas Wasser vertragen.“
„Ja“, stimme ich ihr zu. Als mein Smartphone läutet, lasse ich von Alice ab und nehme das Gespräch an. „Hey, Matt.“ Alice scheint neugierig zu sein, denn sie lehnt sich in meine Richtung, um dem Gespräch lauschen zu können. Ich habe nichts dagegen.
„Dein Dad ist in ein paar Minuten bei dir. Du sollst an der Bar auf ihn warten, dann kommt er, um dich zu holen.“
„Danke.“
„Soll ich in der Leitung bleiben, oder schaffst du es alleine?“
„Ich bin nicht alleine, alles gut.“
„Okay. Dann hören wir uns morgen?“, fragt Matt nach.
„Ja, ich schreibe dir, wenn ich wieder klarer bin.“
„Sehr gut, schlaf dich aus.“
„Mach ich. Gute Nacht, Matt.“
„Gute Nacht.“
Ich lege auf und ziehe meine Nase hoch. Alice reicht mir eines der Papiertücher. „War das dein Freund? Er klingt nett.“
„Ja, das ist er auch“, antworte ich ihr und putze mir die Nase. Das Tuch werfe ich in den Papierkorb. Ich vermeide es, mich zu genau im Spiegel zu betrachten. Ich sehe fertig aus, das zu wissen, reicht mir schon.
„Ach, hier bist du“, höre ich Sarahs Stimme hinter mir. „Du warst ganz schön lange weg, ich hab' mir schon Sorgen gemacht.“
„Ich hab' eine neue Freundin gefunden. Das ist Alice.“
Sarah lacht und stellt sich ebenfalls vor. „War klar, dass du eine neue Freundin findest, wenn man dich fünf Minuten alleine lässt.“
„Sie wird gleich abgeholt und soll an der Bar warten“, erklärt Alice, während sie meinen Rücken streichelt. „Besorg' ihr vielleicht noch ein Glas Wasser.“
„Gute Idee. Komm, du verabschiedest dich noch von den Anderen und dann warten wir an der Bar.“
Ich nicke, umarme Alice aber noch einmal fest zum Abschluss. „Danke Alice, ich hab' dich lieb.“
„Aww, ich hab' dich auch lieb, Ilaria. Pass auf dich auf.“
„Mach' ich.“
Ich schnappe mir meine Tasche und hake mich bei Sarah ein. Sie führt mich zurück zu unserem Tisch, wo ich mich von den Jungs verabschiede. Jeder von ihnen bekommt eine feste Umarmung von mir. Meine Schritte sind schwer und ich bin froh, dass ich mich an der Bar wieder auf einen Hocker setzen kann. Sarah stellt mir ein Glas Wasser vor die Nase, dann streicht sie durch mein Haar.
„Trink etwas, dann geht’s dir bestimmt besser.“
„Ich mach' den ganzen Abend kaputt. Das ist so peinlich. Alle im Büro werden über mich lachen.“
„Nein, Süße, ganz und gar nicht. Du hast nur ein bisschen zu viel intus, das ist nicht schlimm. Bei den Weihnachtsfeiern sind die Leute viel peinlicher. Du hast nichts falsch gemacht. Trink Wasser und schlaf dich aus und morgen ist alles wieder vergessen.“
Ich greife nach dem Glas und trinke davon. Es hilft tatsächlich, mich ein wenig besser zu fühlen. Der Raum dreht sich zwar immer noch und ich bin auch immer noch müde, doch zumindest das trockene, pelzige Gefühl in meinem Mund nimmt ab.
Ich lehne meinen Kopf gegen meinen Arm, den ich wiederum auf der Bar abstütze und schließe meine Augen. Wenn ich mich in die andere Richtung drehe, kann ich die Drehung der Welt vielleicht ausgleichen. Das sollte ich probieren, wenn ich mich dazu aufgerafft habe, wieder aufzustehen. Irgendwie riecht es hier total seltsam. Bier stinkt total eklig. Wieso bin ich überhaupt in einer Bar? Ich mag Alkohol nicht mal besonders. Das Gefühl, betrunken zu sein, mag ich sogar noch weniger. Ich bin ein hoffnungsloser Fall.
„Oh, mein kleiner Goldfisch. Es wird Zeit, dich ins Bett zu bringen.“
Ich sehe auf, als ich die Stimme meines Daddys höre und wische mir über mein Auge.
„Hey, Daddy. Tut mir leid, dass du mich abholen musst.“
„Ach, schon gut. So kann ich wenigstens sicher sein, dass du auch zu Hause ankommst.“
Sarah hilft mir dabei, aufzustehen, sie reicht mir außerdem meine Tasche. „Danke, Sarah.“
„Es war schön, dass du heute gekommen bist“, verabschiedet sie sich von mir. „Es hat Spaß gemacht.“
Ich nicke. „Ja, finde ich auch.“ Bevor ich mich ganz von Sarah lösen kann, muss ich sie noch einmal fest umarmen. „Ich hab' dich lieb, Sarah.“
„Ich dich auch, meine Kleine. Du wirst mir fehlen.“
Als wir uns von einander lösen, lehne ich mich gleich an meinen Daddy. „Ist noch irgendeine Rechnung offen?“, erkundigt er sich.
„Nein, alles bezahlt.“
„Sehr schön, komm, mein Goldfisch, ich bringe dich nach Hause.“
„Gute Nacht, Sarah.“ Ich winke meiner Freundin zum Abschied. „Ich schreibe dir und wir verlieren den Kontakt ganz bestimmt nicht, auch wenn wir uns nicht so oft sehen.“
„Gute Nacht.“
Zusammen mit meinem Daddy verlasse ich die Bar. Die frische Luft haucht mir wieder ein wenig Leben ein. Meine Füße tun allerdings mit jedem Schritt mehr weh. Im Auto werde ich meine Schuhe auf jeden Fall ausziehen. Ich kann es kaum erwarten, meine Pumps loszuwerden.
„Bist du mit dem Auto hier?“, fragt Daddy nach.
„Nein, ich hab' ein Uber genommen. Entschuldige, dass du mich abholen musst. Du hattest bestimmt eine ganz bessere Idee für den Freitagabend.“
„Nicht unbedingt. Ich verbuche es als Quality-Time mit meiner Tochter.“
„Ja, total high Quality, ich bin betrunken wie ein Goldfisch im Whiskyglas.“
„Hast du dich wenigstens amüsiert?“, fragt er nach.
„Ja und ich hab' am Klo eine neue Freundin gefunden. Ihr Name ist Alice. Sie hat meinen verwischten Mascara unverwischt.“
Daddy lacht herzlich. „Meine Kleine findet überall neue Freunde. Da vorne ist schon das Auto. Musst du dich vorher vielleicht übergeben oder geht’s?“
„Nein, alles gut, aber meine Füße tun weh.“
„Du kannst deine Schuhe im Auto ausziehen. Ich nehme dich mit zu uns, dann bekommst du morgen, wenn du ausgeschlafen bist, ein gutes Frühstück, um deinen Magen wieder richtig einzurenken und dann fahre ich dich nach Hause. Wie klingt das?“
„Das klingt total super. Ich bin froh, dass du gekommen bist, um mich zu holen. Danke, Daddy. Du bist der beste Daddy auf der ganzen Welt.“
„Ach, das ist doch das Mindeste.“
Daddy hilft mir ins Auto und schließt die Tür. Er erinnert mich daran, mich anzuschnallen und reicht mir dann von der Rückbank eine Decke, in die ich mich einkuscheln kann. Ich weiß, dass ich in Sicherheit bin und mich entspannen kann.
Als wir die Straße entlangfahren, sehe ich aus dem Beifahrerfenster. Es läuft leise Musik. Daddy tippt mit seinen Fingern im Takt gegen das Lenkrad, so wie er es immer macht, wenn ihm ein Song gefällt.
„Schläfst du schon?“, fragt er mich.
„Nein.“
„Wenn du Durst hast, habe ich hier eine Flasche Wasser für dich.“
„Das wär' eine gute Idee.“ Ich greife nach der Flasche, die in dem Getränkehalter zwischen uns steckt und nehme sie heraus. Ich kann sie mit Leichtigkeit öffnen. Daddy hat also schon vorgesorgt und das Siegel geknackt. „Gibt’s irgendwas zu essen?“
„Wenn ich gewusst hätte, dass du heute bei uns übernachtest, hätte ich etwas ohne Fleisch gemacht. Wenn du willst, kann ich dir aber Mozzarellasticks und Fritten machen. Wenn ich getrunken habe, ist fettiges Essen immer das beste Essen auf der ganzen Welt.“
„Weißt du was, Daddy? Das klingt richtig, richtig gut.“ Ich trinke einen Schluck und verschließe die Flasche dann wieder. „Ich freu mich schon auf meine Dusche und auf mein Bett. Irgendwie ist mir grade total kalt.“
„Ein paar Minuten noch, dann sind wir zu Hause.“
· • ❀ • ·
Frisch geduscht, eingekuschelt in einen warmen Pyjama und eine Kuscheldecke und mit gut gefülltem Magen liege ich in meinem Bett. Daddy bringt mir noch einen Eimer. Auf meinem Nachttisch stellt er noch eine Flasche Wasser ab.
„Für den Fall, dass dir doch noch übel wird“, erklärt er und stellt den Eimer zu Boden.
„Danke, dass du mich heute gerettet hast.“
Daddy setzt sich zu mir auf das Bett und streicht durch mein feuchtes Haar. „Ich bin immer da, um dich zu retten.“ Er lächelt mich an. „Brauchst du noch irgendetwas?“
„Nein, ich glaube, dass ich alles habe.“
„Okay. Gute Nacht, mein Goldfisch. Falls es dir schlechter geht, kannst du mich wecken.“
„Danke. Gute Nacht, Daddy.“ Er steht auf und geht zur Tür. Bevor er mein Zimmer verlässt, schaltet er noch das Licht aus.
„Schlaf schön.“
„Du auch und träum' was Schönes.“
Daddy schließt die Tür und ich schließe meine Augen. Wenn die Welt jetzt nur noch aufhören würde, sich so brutal nach links zu drehen, dann könnte ich vielleicht sogar gut schlafen.