╭─━ · • ❀ • · ━━━━━━━━━━━━━━━━━━━━─╮
KAPITEL 19
Der Glücksbringer
╰─━━━━━━━━━━━━━━━━━━━━ · • ❀ • · ━─╯
Dass es anstrengend sein wird, viele Küsse auf meine Leinwand zu drücken, wusste ich, aber ich hatte es mir trotzdem einfacher und weniger unangenehm vorgestellt. Mit einem Abschminktuch streiche ich über meinen Mund, bis hinunter zu meinem Kinn. Nach diesem Projekt kann ich roten Lippenstift vermutlich nicht mehr sehen. Ich rümpfe die Nase und lasse mich in meinen Sessel sinken. Das Abschminktuch fällt in meinen Mülleimer, den ich unter den Schreibtisch gestellt habe. Ich verfluche mich dafür, dass ich so eine große Leinwand gewählt habe. Die Hälfte hätte vermutlich auch ausgereicht, um diese Technik auszuprobieren. Für das nächste Mal werde ich mir lippenförmige Stempel basteln.
Durch einen Strohhalm trinke ich von meinem Eistee, dann greife ich in die Tüte Jellybeans und stecke einige der rosa Bohnen in den Mund. Cotton candy mochte ich immer schon am liebsten.
Als mein Display aufleuchtet, sehe ich zu meinem Smartphone. Dass mein Daddy mich anruft, kommt unerwartet. Freudig nehme ich seinen Anruf entgegen.
„Hey, Daddy“, begrüße ich ihn fröhlich.
„Da klingt aber jemand gut gelaunt. Hey, mein Goldfisch. Alles wieder gut?“
„Ja, ich schätze schon“, antworte ich ihm und drehe mich mit meinem Schreibtischsessel in die Richtung meiner Staffelei. „Matt ist unterwegs, er hat die restliche Woche ständig Pressetermine. Sonntag ist das erste Spiel. Das heißt ich bin wieder alleine.“
„Wenn du nichts zu tun hast, kannst du rüberkommen. Wir sehen uns viel zu selten.“
Ich kichere. „Aww, vermisst du mich etwa?“
„Natürlich vermisse ich dich!“, antwortet Daddy enthusiastisch. „Du bist mein kleines Mädchen. Wie könnte ich dich nicht vermissen?“
„Ach, so klein bin ich gar nicht mehr.“
„Für mich schon. Wenn du irgendwann selbst Kinder hast, dann wirst du verstehen, wie ich mich fühle.“
Ich atme hörbar aus. „Dafür habe ich hoffentlich noch ein kleines bisschen Zeit.“
„Bestimmt. Hey, vielleicht brauchst du eine kleine Bestechung. Deine Mum ist heute Morgen weggefahren und um mir die Zeit zu vertreiben, habe ich gebacken.“, meint Daddy, worauf ich meine Lippen spitze. „Es könnte sein, dass ich deine Hilfe dabei brauche, das alles hier aufzuessen.“
„Verrätst du mir auch, was du gebacken hast?“, erkundige ich mich neugierig.
„Nein, das musst du schon selbst herausfinden.“
Ich stehe von meinem Sessel auf. „Das ist doch Erpressung.“
„Ich verspreche dir, dass es dir schmecken wird, aber du musst dich beeilen. Laileena ist gerade auf die Küchentheke gesprungen und verschafft sich selbst einen Überblick.“ Ich höre, dass Daddy sich von seinem Smartphone abwendet, als er weiterspricht: „Hey, runter. Genug geschnuppert.“ Während er das Problemchen mit seiner Katze löst, verlasse ich mein Atelier und schnappe mir aus meinem Kleiderschrank ein bequemes Outfit. „Bist du noch da?“
„Ja, Daddy, ich bin noch da.“
„Also? Kommst du vorbei?“
„Ich ziehe mich gleich um und fahre sofort los. Reservier' ein großes Stück Kuchen für mich.“
„Die Ecken gehören dir“, verspricht er, was mich dazu bringt, breit zu grinsen. Die Randstücke sind immer die besten Stücke!
„Danke, Daddy. Wir sehen uns dann.“
„Bis dann. Fahr' vorsichtig.“
„Ich fahre immer vorsichtig“, versichere ich.
„Ich wollte es nur gesagt haben. Hab' dich lieb.“
Lächelnd antworte ich: „Ich dich auch, Daddy. Bis dann.“
Ich tausche meine Shorts gegen eine bequeme Jogginghose und mein von Farbklecken übersätes Shirt gegen ein lockeres, luftiges Top. Mit dem Versprechen nach leckerem Kuchen könnte man mich wahrscheinlich sogar in einen Van an einem abgelegenen Parkplatz locken. Daran sollte ich arbeiten. Bei dem Gedanken daran, schüttle ich über mich selbst den Kopf. Ein Blick in den Badezimmerspiegel erschreckt mich schon fast. Durch den verwischten, roten Lippenstift sehe ich ein bisschen aus wie der Joker oder ein hübscher, blonder Clown mit einem sehr schlimmen Drogenproblem. Ein weiteres Abschminktuch muss her. So kann ich unmöglich das Haus verlassen.
· • ❀ • ·
Ich eile fast schon aus meinem Auto. Mein Dad scheint sich ebenfalls sehr zu freuen und es kaum erwarten zu können, mich zu sehen. Er öffnet mir das Tor in den Garten und nimmt mich sofort in den Arm, als ich in seine Nähe komme. Ich schließe die Augen und lasse mich von ihm drücken. Manchmal ist eine feste Umarmung ganz genau das, was man braucht und ich kann diese Umarmung wirklich gut gebrauchen.
„Da ist ja mein kleiner Goldfisch.“
„Blubb.“
Meine Antwort bringt Daddy zum Lachen. Er löst die Umarmung, lässt seine Hände aber auf meinen Schultern ruhen. Er mustert mich und lächelt breit. „Wieso siehst du mich so an?“, frage ich nach. „Hab' ich irgendwas?“
Er zuckt mit den Schultern und lässt von mir ab. „Nein, ich freue mich nur so sehr, dass es dir wieder besser geht. Du hast mir Sorgen gemacht. Deine letzten Nachrichten klangen nicht wie du, aber als ich dich vorhin am Telefon gehört habe, hatte ich meine Kleine wieder zurück.“ Mein Dad grinst von einem Ohr zum anderen.
Ich kichere und gebe meinem Dad einen sanften Schubs. „Ich war nur ein wenig traurig, es ist alles gut. Du musst dir wirklich keine Sorgen um mich machen.“ Ich gestikuliere mit einer Hand, in der anderen halte ich mein Smartphone und meinen Schlüssel. „Ich glaube, dass die Umstellung von College auf Erwachsenenleben mich ein bisschen überfordert hat. So wie es alle überfordert. Plötzlich ist man erwachsen und das ist schon ein bisschen unheimlich. Ich muss mich noch daran gewöhnen, dass ich jetzt das richtige Leben vor mir habe.“
„Ich würde dich ja gerne trösten, aber man gewöhnt sich nie wirklich daran.“
Erstaunt sehe ich zu Daddy hinauf. „Was?“
„Man gewöhnt sich nicht daran“, wiederholt er sich. Er schließt das weiße Gartentor und legt einen Arm um mich. „Wenn du nach mir kommst und ich bin ziemlich sicher, dass du das tust, dann wirst du nicht richtig erwachsen.“ Daddy führt mich den Weg entlang, Richtung Terrasse. „Aber das ist nichts Schlechtes. Man verzichtet nur darauf, sich einen Stock im Arsch wachsen zu lassen.“
Da ich mit diesem Twist nicht gerechnet hätte, fange ich laut an zu lachen. „Daddy! Ich wollte einen Rat haben! Einen guten Rat!“ Belustigt schüttle ich den Kopf. „Irgendetwas Nützliches, das mir Mut macht.“
Ahnungslos hebt er seine Arme. „Es gibt keinen Rat. Ich habe dir das mit den Steuern erklärt, du weißt, wie man mit Geld haushaltet und du kannst ein bisschen kochen, um nicht zu verhungern. Die Wahrheit ist, dass wir alle keine Ahnung haben, was wir tun, aber wir versuchen täglich unser Bestes.“
Daddys Worte bringen mich zum Lächeln. „Dann wusstest du nie, was du tust? Auch nicht, als ich klein war?“
„Ich wollte, dass es dir gutgeht und du Spaß hast. Wir waren nicht perfekt, aber wir haben das getan, was sich richtig angefühlt hat.“ Daddy drückt mich an sich und küsst dann meinen Schopf. „Du wirst deinen Weg gehen. Das weiß ich. Und wenn du nicht weißt, wo es langgeht, dann bin ich da.“
Ich lege meine Arme um meinen Dad und atme tief durch. „Danke.“
„Immer gerne.“
„Darf ich dich etwas fragen?“
„Aber natürlich. Du kannst mich immer alles fragen.“
Ich sehe zu meinem Daddy auf. „Können wir jetzt Kuchen essen?“
Lachend schiebt er mich weiter Richtung Terrasse. „Hol dir deinen Kuchen.“
Ich löse mich von meinem Daddy und hüpfe die Stufen zur Terrasse hoch. Meine Ballerinas lasse ich vor der Tür stehen und trete dann ein. Laileena liegt schlafend auf ihrem Kratzbaum. Als sie mich bemerkt, setzt sie sich auf und streckt sich genüsslich. Sie gähnt und springt dann auf den Boden.
„Hey, Baby“, begrüße ich die verschlafene Katze und eile in die Küche. Unter einer Glaskuppel entdecke ich Karamellbrownies. Wie eine freche Fliege reibe ich mir die Hände, dann schnappe ich mir einen Teller und ein Randstück der bereits aufgeschnittenen Brownies. Sie duften köstlich.
„Lass sie dir schmecken“, erklingt Daddys Stimme. Er geht zum Kühlschrank und öffnet ihn.
„Danke“, antworte ich mit vollem Mund, da ich mir bereits den Bauch vollschlage.
„Da hab' ich nicht zu viel versprochen, hm?“ Daddy grinst.
„Sehr lecker“, stimme ich ihm zu. „Du könntest die verkaufen, die ganze Welt würde sie lieben.“ Laileena springt neben mich auf die Theke. Sie schnuppert an mir, ehe sie sich schnurrend an meinem Arm reibt. „Ich weiß was du vorhast, du versuchst mich mit Niedlichkeit abzulenken, um dann meinen Brownie klauen zu können. Aber nicht mit mir, ich hab' dich durchschaut.“
„Runter da“, spricht Daddy streng und wedelt mit der Hand in Laileenas Richtung. Sie versteht den Wink und springt von der Theke. Kauend beobachte ich Laileena. Mauzend schlendert sie durch die Küche, dann reibt sie sich schnurrend an Daddys Bein.
Daddy macht Kaffee für uns. Wir nehmen an der Theke Platz und tauschen einige Neuigkeiten aus. Dad erzählt mir den heißesten Klatsch und Tratsch aus der Nachbarschaft. Er kennt so viele Details, dass ich mir regelrecht vorstellen kann, wie er über den Zaun mit den Nachbarn die neuesten Skandale bespricht. Bei dem Gedanken muss ich grinsen, mein Grinsen überspiele ich jedoch durch einen weiteren Bissen des Brownies.
Ich erzähle ihm von meinem neuen Kunstprojekt und dass ich die Pause von den vielen Küssen gut gebrauchen konnte. Im Gegensatz zu Matt, der hauptsächlich verwirrt war, ist mein Dad begeistert davon, dass ich etwas Neues ausprobiere. Da ich meinen kreativen Prozess glücklicherweise mit Fotos dokumentiert habe, kann ich ihm mein neuestes Kunstwerk sogar zeigen. Mein Dad ist begeistert und stellt einige Fragen zu der Technik, die zugegeben noch nicht besonders ausgereift ist, doch probieren geht bekanntlich über studieren. Auch Daddy erzählt mir Neuigkeiten aus seinem Leben. Er weiht mich in sein aktuelles Projekt ein. In der Garage zeigt er mir den Schreibtisch, den er aktuell zusammentischlert. Die Tischplatte besteht aus zwei rustikalen Echtholzplatten, die er durch Epoxidharz miteinander verbunden hat. Er zeigt mir außerdem die LEDs, die er in dem Tisch einbauen wird. Es freut mich sehr, zu sehen, wie sehr er strahlt, als er mir von seinem Projekt berichtet. Er war immer schon handwerklich geschickt. Als ich noch ein Kind war, war ich bei vielen seiner Projekte seine kleine Assistentin. Daddy hat mir viel beigebracht.
Wir finden uns wieder im Garten ein, wo wir noch eine zweite Tasse Kaffee trinken und noch mehr Brownies essen. Daddy erzählt mir, dass er überlegt, sich einen Whirlpool anzuschaffen, doch ihm fehlt noch der richtige Standort, da Mum den Garten mit ihren Pflanzen für sich eingenommen hat. Ich bin ziemlich sicher, dass die beiden einen Kompromiss finden werden.
Daddy öffnet sich ein Bier und legt seine Beine hoch. „Der Sommer wird mir fehlen.“
„Mir auch“, stimme ich ihm zu und beiße in den letzten Brownie, den ich heute essen werde. Ich kaue schnell und halte mir dann die Hand vor den Mund. „Ich muss mir ein Fitnessstudio mit Pool suchen. Ich will nicht aufs Schwimmen verzichten. Jetzt bin ich endlich selbstsicher genug, um in der Öffentlichkeit einen Bikini zu tragen. Das muss ich ausnutzen.“
„Mein Studio hat leider keinen Pool, aber ich kann schnell für dich googeln.“ Daddy will schon aufstehen, doch ich strecke mein Bein nach ihm, was dazu führt, dass er sich gleich wieder hinsetzt.
„Bleib sitzen“, bitte ich ihn amüsiert. „Du musst nicht sofort für mich aufspringen. Ich kann das demnächst machen, sobald ich ins Wasser will.“ Er greift wieder nach seinem Bier und trinkt einen Schluck. „Man merkt sofort, dass du Mum vermisst. Du brauchst eine Beschäftigung, solange sie weg ist.“
Daddy sieht mich ertappt an. „Was muss sie denn auch ohne mich zu deiner Grandma fahren?“
„Tja, das ist der Fluch, wenn man morgens aus dem Bett klettern muss, um zur Arbeit zu gehen.“
Nun nickt er. „Ja, mach das bloß nicht. Bleib dabei, deine Träume zu verfolgen. Ich schwatze gerne reichen Menschen teure Autos auf, aber ich würde doch lieber hier zu Hause sitzen und deiner Mum mit ihren Pflanzen helfen oder in der Garage an irgendetwas Basteln.“
„Vielleicht tröstet es dich, dass du schon alt bist und bald in Rente gehen kannst.“
Daddy sieht mich ungläubig an. Er wirkt erst ein wenig beleidigt, doch dann lacht er los. Er schüttelt den Kopf. „Ilaria, man sollte nicht alles verbalisieren, was einem im Kopf herumschwirrt.“
Ich lache, dabei halte ich mir die Hand vor den Mund. „Jetzt weißt du, wie sich dein Rat vorhin angefühlt hat. Ich schätze, dass wir jetzt quitt sind.“
„Okay, das lasse ich gelten.“ Er schüttelt erneut den Kopf. „Tz, alt. Du frecher Goldfisch. Wenn der Pool noch nicht grün wäre, wärst du jetzt schwimmen gegangen.“ Ich zeige Daddy meine Zunge und trinke dann von meinem Kaffee. Es macht Spaß, ihn zu ärgern. Kopfschüttelnd sieht er mich an, dann trinkt er von seinem Bier.
· • ❀ • ·
Müde taste ich nach Matt, doch das Bett ist leer. Der Blick auf mein Display lässt mich beinahe erblinden. Jammernd lege ich den Arm über meine Augen. Ich muss mir angewöhnen, die Helligkeit zu drosseln, bevor ich mich in meine Decke kuschle, um zu schlafen. Auch der zweite Versuch ist nicht besser. Ich bin ziemlich sicher, dass ich nachhaltigen Schaden an meiner Netzhaut angerichtet habe. Matt hat mir geschrieben, dass es etwas länger dauert. Ich reibe mir die Augen und lege das Smartphone dann wieder auf den Nachttisch. Jetzt bin ich wach.
Durstig kämpfe ich mich aus dem Bett. Ich ziehe meinen Morgenmantel über, da mir bestimmt spätestens in der Küche in meinem Nachthemd kalt wird. Mit nackten Füßen steige ich die Treppen hinunter. Ich vermisse bereits jetzt mein kuscheliges Bett und die weiche Matratze. In der Küche fülle ich ein Glas mit Wasser. Da ich außer Brownies nur ein kleines Frühstück hatte, suche ich im Kühlschrank nach einem Snack. Ich nasche eine Scheibe Käse und eingelegte Gurken, außerdem schnappe ich mir Hüttenkäse und Knäckebrot.
Gerade, als ich an der Theke in der Küche platznehme, höre ich ein Auto auf unserer Einfahrt. Matt kommt wohl gerade nach Hause. Ich überlege, ob ich mich beschweren soll, dass ich alleine ins Bett gehen musste, doch eigentlich störe ich mich nicht besonders daran, dass er erst jetzt nach Hause kommt. Vielmehr ärgere ich mich darüber, dass ich keine Pizza bestellt habe, denn auf Thunfischpizza hätte ich jetzt große Lust. Matt schließt die Tür auf und schaltet das Licht im Flur an.
„Hey, Matt“, begrüße ich ihn, ohne aufzustehen. Mit meinem Knäckebrot schaufle ich etwas Hüttenkäse aus dem Becher und beiße dann genüsslich hinein. Lecker, aber eben keine Thunfischpizza.
„Baby, du bist noch wach?“, erklingt seine Stimme überrascht. „Ich hab' dir doch geschrieben, dass du nicht warten musst.“
„Nächtlicher Fressanfall. Du hast nicht zufällig Pizza dabei?“
Matt lacht. „Nein?“ Er tritt in die Küche. „Aber das hier.“ Zur Begrüßung drückt er mir einen Kuss auf die Stirn, dann legt er eine Schachtel Pralinen neben mich. „Ich dachte, dass du dich freust.“
„Uhh, Schokolade.“ Ich lächle Matt an. „Damit kannst du mich immer glücklich machen.“
„Das ist noch nicht alles. Ich habe noch etwas für dich.“ Er reicht mir eine kleine Schmuckschatulle. „Ich hoffe, es gefällt dir.“
Ich sehe das kleine Geschenk an und sehe dann zu Matt auf. Mit einer Serviette wische ich meine Hände sauber. „Du musst mir keinen Schmuck schenken. Das weißt du doch.“
„Aber ich will“, antwortet er.
Ich nehme das Geschenk an und öffne es. Es gibt vieles, das ich erwartet habe, allerdings kein silbernes Kreuz. Verwirrt blinzle ich das Schmuckstück an. „Ein Kreuz?“
„Ja“, antwortet Matt mir. „Du hast keines und ich dachte, dass es mir für die kommende Saison Glück bringen könnte, wenn mein Glücksbringer es trägt.“
„Oh“, gebe ich etwas verwirrt von mir.
„Warte, ich lege es dir an.“ Matt fummelt das Kreuz aus der Schmuckschatulle. In seinen großen Händen wirkt der kleine Anhänger sehr filigran. Matt legt es mir an und ich halte meine Haare hoch, sodass er den Verschluss in meinem Nacken schließen kann. Zufrieden nimmt er einen Schritt Abstand und betrachtet mein Dekolleté. „Es steht dir wirklich gut.“
„Meinst du?“
Mit meinen Fingern streiche ich über den Anhänger. Das Schmuckstück und auch die feinen Gravuren sind ausgesprochen schön, doch ich bin weder besonders gläubig, noch habe ich das Gefühl, dass es ein Geschenk für mich ist. Mich überkommt sofort das Gefühl, dass es dabei nicht nur um Glück, sondern auch um Repräsentation geht. Ich soll das süße christliche Mädchen spielen. Vielleicht für ihn, vielleicht für seine Familie, vielleicht aber auch für die Medien. Ich weiß gar nicht recht, wie ich darauf reagieren soll.
Um nicht undankbar zu erscheinen, lächle ich. „Vielen Dank, Matt.“
„Gern geschehen.“ Er wirft einen Blick auf meinen Snack und sieht dann mich an. „Hey, könntest du mir noch ein Sandwich machen, während ich schnell unter die Dusche springe? Ich bin schon total fertig.“
„Ja, mache ich.“
„Danke, du bist wirklich die Beste.“ Ich bekomme einen Kuss von Matt, dann verschwindet er schon nach oben. Mein Blick verfolgt ihn, bis er aus meinem Sichtfeld verschwindet. Mit den Fingern tippe ich gegen mein neues Schmuckstück, dann nehme ich einen großen Bissen von meinem Knäckebrot. Er hätte sich auch ein Sandwich von der Tanke mitnehmen können, bei der er meine Pralinen besorgt hat. Ich schüttle über mich selbst den Kopf.
„Sei nicht so undankbar“, murmle ich vor mich hin und schaufle dann eine große Portion Hüttenkäse auf das letzte Stückchen Knäckebrot, ehe ich es in meinen Mund stecke. Kauend betrachte ich die Schmuckschatulle, die nun auf der Küchentheke neben meinem Wasserglas liegt. Eigentlich ist der Anhänger ja sehr schön. Ich sollte mich mehr darüber freuen, denn das Logo auf der Schatulle verrät, dass das Schmuckstück garantiert nicht billig war. Ich atme tief durch. „Ein Sandwich.“
Da ich Matts Appetit kenne, mache ich ihm nicht nur ein Sandwich, sondern gleich zwei. Ich belege sie mit Käse und Schinken, außerdem schneide ich noch ein bisschen Gemüse für ihn auf. Natürlich darf Mayonnaise und etwas Kräutersalz nicht fehlen, das Sandwich soll ja auch schmecken. Ich bin noch dabei, Matts Mitternachtssnack vorzubereiten, da höre ich ihn bereits wieder an der Treppe. Matt stellt sich hinter mich. Er legt seine Arme um mich und lehnt seinen Kopf gegen meinen. Er ist noch ganz warm von der heißen Dusche.
„Das sieht aber lecker aus“, raunt er.
„Ich bin noch nicht fertig. Gib mir ein bisschen Freiraum, sonst musst du verhungern.“
„Aber es ist grade so schön“, antwortet er murmelnd und schmiegt seinen Kopf gegen meinen. Ich tätschle Matts Arm, dann lässt er von mir ab und ich kann meine Arbeit beenden. Zu guter Letzt halbiere ich beide Sandwiches, dann schiebe ich den Teller zur Seite.
„Lass es dir schmecken.“
„Vielen Dank, Baby. Ich könnte dir die Füße küssen.“
„Lieber nicht“, antworte ich amüsiert und beginne damit, aufzuräumen. Als ich den Kühlschrank öffne, steht Matt erneut hinter mir. „Suchst du etwas?“ Sein aufdringlicher Körperkontakt ist mir gerade doch ein wenig unangenehm. Erst, wenn ich alles weggeräumt habe, bin ich für eine Umarmung bereit. Mitten in meiner Aktion fühlt es sich doch eher so an, als würde ich aufgehalten, anstatt geliebt zu werden.
„Nein“, antwortet er. Matt nimmt mich an der Hand und zieht mich zu sich. Ich sehe verwirrt zu ihm nach oben. Das Licht des Kühlschranks lässt ihn blass aussehen. „Lass uns tanzen.“
„Tanzen?“, frage ich lachend. „Bist du betrunken oder vielleicht high?“
„Nein“, antwortet er ebenfalls amüsiert. „Nein, du weißt schon, so wie in dem Song, den du so gernhast.“
Mein Kopf braucht viel zu lange, um die Information zu verarbeiten, doch dann kann ich eins und eins zusammenzählen. Matt beginnt zu tanzen. Erst finde ich es albern, doch als ich mich von seiner guten Laune anstecken lasse, geht es mir besser. „Du weißt aber schon, dass es in dem Song um eine zerbrochene Beziehung geht?“
„Tja, ist dann eben so.“ Matt dreht mich einmal, dann beugt er sich vor und küsst meine Hand. „Vielen Dank für das leckere Sandwich.“
„Du hast doch noch keinen Bissen gemacht. Du weißt noch gar nicht, ob es lecker ist.“ Ich ziehe meine Hand aus der von Matt und stelle das Gurkenglas zurück in den Kühlschrank. Dieses Mal schließe ich ihn. Als ich mich wieder zu Matt umdrehe, kaut er gerade einen großen Bissen. Er hebt seine Hand, um mir einen Daumen hoch zu schenken. Ich kann zwar nicht besonders gut kochen, aber ich bin gut darin, Sandwiches zu machen. Matt winkt mich zu sich. Ich komme der Einladung nach und lege meine Arme um ihn. Mit geschlossenen Augen atme ich durch. Wahrscheinlich habe ich wegen der Kette vollkommen überreagiert. Zwischen uns ist alles gut. „Hey, ich geh schon mal ins Bett.“
„Okay, ich bin gleich bei dir.“
Ich strecke mich, um Matt einen Kuss auf die Wange zu drücken. „Lass mich nicht zu lange warten.“
„Nein, bin gleich fertig.“
Ich streichle über Matts Arm und verlasse dann die Küche. Auf dem Weg nach oben spiele ich mit dem Anhänger meiner neuen Kette. Ich schätze, dass ich das Kreuz von nun an zu jedem seiner Spiele tragen werde. Die Colts können jedes Fünkchen Glück brauchen.