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KAPITEL 30
Die kleine Assistentin
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„Raus aus den Federn.“ Ich verstecke mich unter meiner Decke und kuschle mich an Okti. „Komm, mein Goldfisch, du hast genug geschmollt.“
„Nein, habe ich nicht“, antworte ich meinem Daddy. Da es unter der Decke doch recht heiß wird, strecke ich meinen Kopf wieder hervor. Daddy öffnet gerade meine Fenster. Ich rümpfe die Nase, als ich die kalte Luft einatme. Laileena streckt sich neben mir. Ihr scheint es zu kühl zu werden, denn sie rollt sich in meiner Kuscheldecke ein und versteckt sich vor dem kalten Luftzug.
„Komm schon, du musst aufstehen“, bittet Daddy mich, als er an mein Bett tritt. Ich rutsche zur Seite, damit er neben mir Platznehmen kann. „Du bist jetzt seit über einer Woche hier und ich muss schon sagen, dass mir die Geduld ausgeht.“ So streng ist er normalerweise nicht mit mir. Ich fühle mich augenblicklich noch schlechter.
Ein wenig eingeschüchtert setze ich mich auf, dabei ziehe ich meine Decke und auch Okti an meine Brust. „Entschuldige.“ Um Daddys Blick zu entfliehen, sehe ich auf meinen rosa Oktopus.
Daddy tätschelt meinen Arm. „Ich werde das Haus ganz bestimmt nicht ohne meine kleine Assistentin dekorieren und Weihnachten ohne Dekoration ist kein richtiges Weihnachten.“
Überrascht sehe ich ihn an. „Oh, ich dachte, dass du mich rauswerfen willst.“
„Dann müsste ich das Haus ja erst recht ganz alleine dekorieren. Das wäre ja sehr dumm von mir.“ Daddy bringt mich zum Lächeln. „Also? Wie sieht’s aus? Hast du Lust, eine Dusche zu nehmen und dein Haar zu kämmen und kommst dann runter, um mir zu helfen?“
Ich hebe meinen Arm und schnuppere, dann verziehe ich das Gesicht. „Wird wohl Zeit, hm?“
Daddy lacht, dann schüttelt er den Kopf. „Es ist noch nicht so übel wie in einer Männerumkleide nach einem anstrengenden Spiel, aber es wird doch langsam kritisch.“
„Oh Gott, das ist so peinlich“, gebe ich schmollend von mir und verstecke mein Gesicht in meinen Händen. „Ich verstehe nicht, was mit mir los ist. Ich war noch nie so eklig und jämmerlich. Ich hasse es, dass du mich so siehst. Einfach peinlich. Ich könnte auf der Stelle sterben.“
„Du bist traurig und das ist auch okay so.“ Daddy lehnt sich in meine Richtung und umarmt mich. „Von mir aus könntest du noch ewig hier sitzen oder liegen bleiben und ich bringe dir dein Essen ans Bett, wenn dir das guttut.“ Er drückt mir einen Kuss ins Haar. „Aber heute brauche ich wirklich eine Assistentin. Und wenn wir fertig sind, dann belohnen wir uns mit Eis und einem Film.“
„Danke, Daddy. Ich wüsste nicht, was ich ohne dich machen würde.“
„Wahrscheinlich noch einen Tag ungeduscht im Bett liegen“, antwortet er scherzhaft, dabei lässt er mich los. Er greift Richtung Laileena und streichelt ihren Rücken.
Mit vorgeschobener Unterlippe hebe ich Okti hoch und stupse Daddy mit einem Tentakel ins Gesicht. „Siehst du, Okti mag es nicht, dass du mich aufziehst.“
Daddy hebt seine Hände. „Entschuldige Okti und entschuldige mein kleiner Goldfisch. Das wollte ich natürlich nicht.“ Er erhebt sich und nimmt das Geschirr von meinem Nachttisch zur Hand. „Komm einfach runter, wenn du bereit bist, okay?“
„Ja, danke.“
„Ich hab' dich lieb.“
„Ich dich auch.“
Noch etwas müde sehe ich mich in meinem Zimmer um. Daddy hat Recht. Es ist eine gute Idee, dass ich wieder aus dem Bett komme. In den letzten Monaten war ich sehr damit beschäftigt, mich in meinem eigenen Selbstmitleid zu suhlen. Und jetzt, da ich die Beziehung mit Matt endlich beendet habe und wieder frei bin, das zu tun, was ich möchte, verschwende ich mein Leben damit, zu weinen und traurig im Bett zu liegen. Ich seufze und reibe mir dann die Augen. Ich greife nach meinem Smartphone und springe von einem Chatverlauf zum Nächsten. Die Enttäuschung ist groß, als ich sehe, dass keine meiner Freundinnen mir zurückgeschrieben hat, obwohl sie die Nachrichten gelesen haben. Abgesehen von meinen Eltern ist niemand da, der mir beistehen kann.
Matt hingegen ist deutlich gesprächiger als meine Freundinnen. Er hat mir unzählige Nachrichten geschrieben. Ich überfliege die Nachrichten, die sich in den letzten Tagen angesammelt haben, antworte ihm jedoch nicht. Nichts, was er sagt, könnte meine Meinung ändern. Auch wenn es wehtut, mich von ihm zu trennen und ich ihn mehr vermisse, als ich gedacht hätte, musste ich es tun. Ich hatte keine andere Wahl. Wir beide haben uns in unterschiedliche Richtungen entwickelt und auch wenn ich ihn immer noch liebe, kann ich nicht länger mit ihm zusammen sein. Es wird Zeit, dass ich meinen neuen Weg gehe. Als ich tief durchatme, verziehe ich mein Gesicht. Mein erster Weg führt ins Badezimmer. Ich muss dringend duschen.
· • ❀ • ·
Gehüllt in einen kitschigen Weihnachtspullover, um das richtige Gefühl für die Dekoration des Hauses zu bekommen, gehe ich die Treppen hinunter. Auf dem Arm habe ich Laileena, die mir in den letzten Tagen gar nicht von der Seite weichen wollte. Ich drücke mein Gesicht in ihr kuscheliges Fell und gebe ihr einen Kuss auf ihr Köpfchen, dann setze ich sie auf ihrem Kratzbaum ab. Genüsslich streckt sie ihren Rücken, dann ihre Hinterpfoten. Schnurrend reibt sie ihren Kopf an dem Stamm. Sieht so aus, als wäre sie zufrieden mit ihrem neuen Sitzplatz.
„Du siehst ja hübsch aus“, macht Daddy mir ein Kompliment. Ich grinse breit und drehe mich im Kreis, um mein Outfit zu präsentieren. „Wunderschön, einzigartig, ten out of ten. Das perfekte Outfit, um weihnachtlich zu dekorieren.“
„Vielen Dank“, antworte ich und verbeuge mich leicht. „Also? Womit beginnen wir?“
Daddy öffnet eine der schwarzen Plastikboxen. All unsere Dekoration ist in diesen Boxen verstaut. Die Weihnachtsboxen sind mit Stickern von Zuckerstangen, Weihnachtsbäumen und Schneemännern verziert. So kann man sie gut erkennen. Neugierig trete ich auf Daddy zu und sehe in die Box, die er gerade öffnet. Er kommt gar nicht dazu, seine Frage zu stellen, da zeige ich schon auf die rote Girlande. Er nickt.
„Dann ist unser Farbthema dieses Jahr Rot und Gold?“, hakt er nach, worauf ich nicke.
„Ja, Rot und Gold. Schön klassisch und weihnachtlich.“ Vor Freude kann ich gar nicht richtig stillstehen. Daddy sieht mich lächelnd an, dann legt er seine Hand an meine Schulter und zieht mich in eine feste Umarmung. „Ah, nicht zerquetschen. Ich brauche Luft.“
„Gleich, ein Moment noch.“
Kichernd fange ich an zu zappeln. „Daddy.“
„Schon gut.“ Er lässt von mir ab und widmet sich wieder der Dekoration. „Hier, du fängst damit an.“ Er reicht mir einen Haufen leuchtender Sterne, die später unsere Fenster zieren. „Die mit den Batterien sind für das Vorzimmer, die mit den Steckern fürs Wohnzimmer, Schlafzimmer und dein Zimmer.“
Ich nehme die Dekoration an mich und lege sie auf den Tisch. „Ja, ja, ich weiß. Das ist nicht mein erster Tag als Weihnachtsengel.“
„Ich wollte es nur gesagt haben“, antwortet er. „Kabel sind lebendige Wesen, ich bin ziemlich sicher, dass ich die Kabel um die Sterne gewickelt habe, damit ich sie nicht entwirren muss.“
Ich setze mich und beginne damit, die Sterne auseinander zu fummeln. „Schon in Ordnung. Ich erledige das. Dazu hat man ja eine Assistentin.“
„Oh, fast hätte ich es vergessen.“ Daddy reibt sich die Hände. Sein beschwingter, freudiger Schritt verleiht ihn die Ausstrahlung eines frechen Kindes, als er das Wohnzimmer verlässt.
„Was denn?“, frage ich etwas lauter nach, doch ich bekomme keine Antwort. Obwohl ich neugierig bin, zucke ich mit den Schultern und widme mich wieder den Sternen. Die, die tatsächlich von ihrem eigenen Kabel umwickelt wurden, lege ich nebeneinander, die anderen muss ich noch voneinander trennen, um sie an den Fenstern anbringen zu können. Die Kabel haben sich ineinander verschlungen, als würden sie miteinander kuscheln. Vielleicht sollten wir sie für nächstes Jahr in Papier wickeln oder einzeln in Tüten verpacken, damit sich die Kabel nicht mehr ineinander verheddern. Daddy tritt ganz stolz zu mir ins Wohnzimmer. Er präsentiert mir ein weihnachtlich rot-grün kariertes Halsband, an dem eine große Schleife befestigt ist. „Ist es nicht schön?“
„Naww, wie süß ist das denn? Ist das für Laileena?“, frage ich begeistert.
„Ja“, antwortet Daddy freudig und tritt auf den Kratzbaum zu. Laileena setzt sich auf und streckt ihren Kopf Richtung Schleife, um daran zu schnuppern. Sie stupst mit der Pfote nach der Schleife und nimmt dann Abstand. „Ja, mein Schatz, die ist für dich.“ Ich stütze mein Kinn an meiner Hand ab und beobachte Daddy dabei, wie er mit Laileena umgeht. Obwohl seine großen Hände eindeutig nicht für den winzigen Verschluss gemacht sind, nimmt er Laileena ihr gewöhnliches Halsband ab und legt es zur Seite. „Was hältst du davon, wenn wir die Schleife probieren?“ Laileena wirkt skeptisch, als Daddy ihr die Schleife zeigt, doch sie lässt es sich gefallen, sich das neue Halsband anzulegen. „Hey, Ilaria, gibst du mir mein Smartphone?“
„Selbstverständlich.“ Ich nehme Daddys Smartphone mit und reiche es ihm. Die Freude in seinem Gesicht ist groß, als er Fotos von seiner Katze schießt. Laileena wirkt noch etwas steif, doch sie gewöhnt sich zu meiner Überraschung doch recht schnell an die Schleife an ihrer Brust. Sie hebt ihre Pfote und leckt daran. „Süß sieht sie aus.“
„Ja“, stimmt Daddy mir zu. Ich hebe meine Hand. Laileena schnuppert an mir, dann lässt sie sich von mir streicheln. „Aber ich muss sie im Auge behalten. Wenn sie die Schleife doch nicht mag, bekommt sie ihr anderes Halsband zurück. Ich will sie ja nicht quälen. Stimmt’s, mein kleiner Schatz?“ Laileena miaut zur Antwort.
„Naww, so süß“, gebe ich begeistert von mir. „Und so ein braves, kleines Schätzchen.“ Ich streichle Laileenas weiches Fell. Sie schnurrt zufrieden.
Daddy und ich machen uns wieder an die Arbeit. Es gibt viel zu tun. Während er die von mir ausgewählte Girlande im Wohnzimmer an die Wand hängt, verteile ich die leuchtenden Sterne an den Fenstern des Hauses. Wir hängen Lichterketten in den Zimmern auf, stellen kitschige Schneemänner auf die Kommode im Vorzimmer und tauschen die blauen Vorhänge im Wohnzimmer gegen farblich passende rote Vorhänge aus. Als auf dem Esstisch wieder Platz ist, wische ich ihn ab und Daddy breitet ein dunkelgrünes Tischtuch aus. Gleich darauf kommt noch der weihnachtliche Tischläufer in rot und grün. All die Kerzen in den Kerzenständern und Gläsern werden ebenfalls durch festliche rote Kerzen ausgetauscht. Obwohl es erst Anfang Dezember ist, kann ich es jetzt schon nicht erwarten, zusammen mit Daddy einen Weihnachtsbaum auszusuchen und ihn im Wohnzimmer aufzustellen. Obwohl ich schon lange weiß, dass Santa nicht echt ist und meine Geschenke aus der Mall, dem Internet und vor allem von meinen Eltern kommen, hat dieses Fest nie seinen Reiz für mich verloren. Ich liebe es, dass bunte, leuchtende Dekoration den kalten, rauen Winter erhellt und ihm eine Prise Magie verleiht. Gerade an diesem Punkt in meinem Leben kann ich alles brauchen, was mir ein gutes Gefühl gibt.
„Jetzt fehlt nur noch Schnee, dann ist das Winterwunderland fast schon bereit“, erzähle ich stolz und blicke dann aus dem Fenster. Kalt ist es bereits, es scheint ewig her zu sein, dass Daddy und ich da draußen im Pool um das aufblasbare Einhorn gekämpft haben. Obwohl auch der Winter seine schönen Seiten hat, fehlt mir der Sommer sehr.
„Der kann sich ruhig noch ein wenig Zeit lassen, dann erspare ich mir das Schneeschaufeln und die Lichterketten muss ich auch noch am Haus montieren, da wäre es mir sehr recht, wenn es noch nicht schneien würde.“
„Unglaublich, wie schnell die Zeit vergeht“, erzähle ich gedankenverloren. „Draußen ist es schon wieder dunkel.“
„Ja, wird Zeit, dass ich uns etwas zu essen mache.“
„Du hast mir ein Eis versprochen“, erinnere ich Daddy an seine Bestechung, worauf er lacht.
„Du bekommst vorher etwas Richtiges in den Magen, dann kannst du so viel Eis essen, wie du möchtest.“
„Und schon bin ich mindestens zehn Jahre jünger geworden.“
Daddy lacht, dann schüttelt er den Kopf. „Du weißt schon, wie ich das meine. Du bist wieder zu Hause, da muss ich mich um dich kümmern.“
„Ja, ich weiß, du passt nur auf mich auf.“ Wir gehen zusammen in die Küche. „Du, Daddy, ich muss mich noch bei dir bedanken. Es ist lieb, dass du dich in den letzten Tagen so um mich gekümmert hast.“
„Du musst dich doch nicht bedanken. Das war selbstverständlich. Auch wenn du erwachsen bist, bist du trotzdem doch immer noch mein kleines Mädchen. Und wenn du mich brauchst, dann bin ich für dich da.“ Daddy lächelt mich an, dann öffnet er den Kühlschrank. „Gut, was gibt der Kühlschrank für uns her?“
Während Daddy überlegt, was er uns zu essen machen kann, tippe ich auf meinem Smartphone und seufze, da sich meine Freundinnen immer noch nicht gemeldet haben. Abgelenkt von meinem Display spaziere ich durch die offene Küche und das Wohnzimmer. Ich lasse mich auf die Couch fallen und lege meine Füße hoch. Deprimiert scrolle ich durch Brookes Profil. Es dauert nicht lange, da komme ich bei den Fotos von Halloween an. All die Bilder, auf denen ich zu sehen bin, wurden gelöscht. Es fühlt sich an, als würde mir jemand ins Gesicht schlagen und gleichzeitig in den Magen boxen. Meine beste Freundin hat mich aus ihrem Leben gelöscht und nicht einmal so viel für mich übrig, dass sie es mir ins Gesicht sagt oder mir zumindest eine Nachricht schreibt. Mit verschwommener Sicht starre ich auf den leuchtenden Bildschirm. Meine Tränen werden von dem Ärmel meines Weihnachtspullovers aufgesaugt. Ich ziehe meine Nase hoch und sehe auf Ambers Profil, auch von ihrer Galerie wurde ich entfernt, Hailey hat es ihnen gleichgetan. Sie wollen nichts mehr mit mir zu tun haben. Sie posten neue Selfies, auf denen sie breit lächeln, als hätte ich in ihrem Leben nie existiert. Noch nie habe ich mich so alleine, wertlos und austauschbar gefühlt wie in diesem Moment.
Auch wenn ich es nicht sollte, tippe ich auf Matts Profil. Die Welt hat Mitleid mit ihm. Indianas Goldjunge bekommt Liebe und Support. In den Kommentaren zu seinem letzten Bild finden sich jedoch nicht nur nette Worte. Dass man mich als ‚geldgeile Nutte‘ bezeichnet ist noch das Netteste. Unsicher, was mich erwartet, sehe ich auf meine privaten Nachrichten. Die Anzahl der Nachrichten wird kaum richtig angezeigt, schon erhöht sie sich erneut. Ganz Indiana scheint mich zu hassen. All die Beschimpfungen geben mir den Rest. Ich lasse mein Smartphone fallen und beginne zu schluchzen.
„Oh mein Gott, was ist passiert?“, fragt Daddy aus der Küche. Er eilt sofort zu mir und setzt sich auf die Couch.
„Die-Die Welt hasst-hasst mich“, antworte ich schluchzend. „Alle hassen mich.“ Weinend falle ich meinem Daddy in die Arme. Er drückt mich fest an sich.
„Was? Wie kommst du darauf?“
„Die-Die Colts haben gestern verloren.“
„Ja, schon gehört.“ Daddy reibt meinen Rücken. „Aber das ist doch nicht deine Schuld. Das Team war nicht in Form und die Sprecher in den News spekulieren doch immer schon.“
„Was? Die News? War ich in den Nachrichten?“, frage ich geschockt und winde mich aus Daddys Umarmung. Ich sehe mich um und greife nach den Taschentüchern auf dem Couchtisch und putze mir die Nase.
„Oh, das hast du nicht gemeint?“
„Nein!“ Ich greife mit zittrigen Fingern nach meinem Smartphone. „Da. Sieh mal. Matt schreibt, dass sein Herz gebrochen ist, weil ich ihn verlassen habe. Da. Und-Und die Leute, die lesen das und jetzt sagen all diese Leute, die mich gar nicht kennen, so gemeine Sachen über mich.“ Daddy nimmt mir mein Smartphone ab. Ich lasse mich wieder in seine Arme sinken. Bitterlich weinend klammere ich mich an ihm fest. Ich verstehe das alles nicht. „Was soll ich machen, Daddy?“
„Wir lassen uns etwas einfallen“, tröstet er mich und streichelt meinen Rücken. Ich werde fest gedrückt, doch all das scheint vergeblich zu sein, denn ich kann nicht aufhören zu weinen. All der Hass ist zu viel für mich. Wie soll ich mich jemals wieder davon erholen?
· • ❀ • ·
„Hier, bitte“, spricht Mum sanft, als sie eine Tasse Tee auf den Couchtisch stellt. Ich bekomme nicht nur Tee, sie reicht mir außerdem Okti, den sie aus meinem Zimmer geholt hat.
„Danke“, antworte ich fast lautlos, als ich meinen Stoffoktopus entgegennehme. Ich drücke ihn an mich und atme tief durch. „Ich hasse die Welt. Kann ich für immer hierbleiben?“
„Aber natürlich“, antwortet sie mir. Sie deutet auf die Couch neben mich. „Darf ich?“
„Ja.“
Sie setzt sich und sieht auf den Fernseher, dann zu mir, danach aber wieder zum Fernseher. „Du weißt, dass ich nicht gut darin bin, aber kann ich irgendetwas tun, um zu helfen?“
Ich hebe Okti an. „Das hast du bereits. Danke für den Tee.“
Ich reibe mir ein Auge. Ich habe so viel geweint, dass meine Augenlider geschwollen sind und meine Augen brennen. Um meine Gedanken von all der Negativität abzulenken, sehe ich mir eine Serie nach der nächsten an. Ich habe Angst davor, dass es still wird und ich nur noch all die Dinge in meinem Kopf höre, die in den Pseudo-Nachrichten über mich gesagt werden. Und Matt? Der Mann, der mich angeblich immer noch liebt, hatte keine Zeit, ein öffentliches Statement abzugeben oder mich zu beschützen. Ganz im Gegenteil. Sein Post über sein gebrochenes Herz und seine schlechte Performance hat mich in das Rampenlicht gerückt. Ich bin schuld an dem verlorenen Spiel. Ich fühle mich, als wäre ich den Haien zum Fraß vorgeworfen worden. Es wäre möglich, rechtlich gegen den Hass und die Drohungen vorzugehen, doch wozu? Es sind nur Worte und niemand würde mich ernstnehmen, so wie man mich damals schon nicht ernstgenommen hat, als ich auf einer Party bedrängt wurde. Meine müden Augen fallen zu, doch ich kämpfe darum, wach zu bleiben. In den letzten Stunden ist mein Smartphone still geworden. Ich habe alles gelöscht. All meine Profile und die Social Media Apps, die mich mit der Welt verbinden sollten, sind nun verschwunden. Wahrscheinlich wäre es klug, wenn ich meine Telefonnummer ebenfalls wechsle. Selbst wenn nur einer von den wütenden Menschen die harmloseste Drohung wahrmachen würde, könnte ich das nicht verkraften. Es macht mir Angst zu wissen, dass da draußen Sportfans sind, die mir wegen einem verlorenen Footballspiel unaussprechliche Dinge antun wollen. Ich bin am Boden und ich weiß nicht, ob ich jemals wieder aufstehen kann.
„Ich kann mir kaum vorstellen, was du gerade durchmachst, aber ich bin für dich da, wenn du reden willst oder wenn du Gesellschaft brauchst. Wenn diese Menschen dich kennen würden, dann würde niemand von ihnen auch nur ein schlechtes Wort über dich verlieren. Da geht es gar nicht um dich, das weißt du doch, oder?“
Ich zucke mit den Schultern. „Ist schwer, das nicht persönlich zu nehmen, wenn sich so viele Menschen Zeit nehmen, dir hasserfüllte Nachrichten zu schreiben.“
„Die wissen überhaupt nicht, wovon sie reden. Wichtig ist, was du von dir hältst. Du bist talentiert, du bist kreativ, du hast immer so wundervolle Ideen für deine Kunst, dass ich mich frage, woher du all diese Inspiration nimmst. Du hast eine wundervolle, liebevolle und sanfte Seele und all diese Monster da draußen wissen das nicht zu schätzen. Sie stürzen sich nur auf jemanden, weil sie ihre eigenen Probleme nicht sehen wollen. Und wir Frauen waren schon immer für die Probleme der Männerwelt verantwortlich. Du hast das nicht verdient.“ Mum greift nach meiner Hand und drückt sie. „Du darfst aber nicht vergessen, dass dein Dad und ich dich über alles lieben und dass wir für dich da sind und wir das gemeinsam durchstehen.“
Mit zusammengepressten Lippen nicke ich und umarme meine Mum fest. „Danke. Das war toll. Ehrlich. Danke, Mum.“
Mums Umarmungen sind zwar lange nicht so fest, wie die von meinem Dad, sie schenken mir jedoch mindestens genauso viel Trost und Liebe und davon kann ich im Moment nicht genug bekommen.
Mein scheinbar perfektes Onlineleben zu löschen war wahrscheinlich die beste Idee, um all diesen Mist loszuwerden. Ich darf mir von all diesem Hass und den brutalen Nachrichten nicht die Hoffnung nehmen lassen. Ich habe Matt verlassen, um wieder zu mir selbst zu finden und dieses Ziel darf ich nicht aus den Augen verlieren.
Nur wo soll ich anfangen, wenn ich wortwörtlich um mein Leben fürchten muss, sobald ich dieses Haus verlasse? Wenn ich doch nur wüsste, was ich tun soll.