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KAPITEL 28
Thanksgiving-Truthahn
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Normalerweise ist Thanksgiving einer meiner liebsten Feiertage. Zuhause hat Dad sich immer viel Mühe gegeben, unsere Familie mit einem selbstgemachten Dinner zu verwöhnen. Schon als ich klein war, durfte ich Daddy beim Backen und kochen helfen. Meine Hilfestellung hat früher zwar nur zu noch mehr Chaos geführt, doch mein Daddy hatte immer Geduld mit mir und gab mir das Gefühl, dass ich die beste kleine Assistentin bin, die er jemals in seinem Leben hatte. Ich konnte viel von ihm lernen und hatte auch noch viel Spaß dabei. Seine Liebe hat mich immer mit Selbstbewusstsein versorgt und mir geholfen, mich zu fühlen als wäre alles in meinem Leben möglich.
Heute sieht alles anders aus. Matts Grandma, die mich ohnehin schon seit dem ersten Treffen hasst und schikaniert, steht in unserer Küche und sorgt für das heutige Thanksgiving Dinner. Ihrer Meinung nach bin ich die schlechteste Assistentin, die es jemals gegeben hat. Ich verschwende ihre Zeit und koste ihr den letzten Nerv. Laut ihrer Meinung ist alles, was ich anfasse, bereits zum Scheitern verurteilt. Ich kann weder Zwiebel schneiden, noch Füllung kneten und selbst zum Waschen der Cranberrys bin ich offensichtlich zu dumm und zu unfähig. Ihre Worte lassen mich an mir, meinen Fähigkeiten und meiner geistigen Gesundheit zweifeln. Obwohl ich mich in letzter Zeit schon nicht wohlgefühlt habe, ist dieser Moment der absolute Tiefpunkt. Schlimmer kann es gar nicht mehr werden.
Sie schnalzt mit der Zunge und legt ihre Hand an meinen Oberarm. Ihr Griff wird immer fester. Ich bin ziemlich sicher, dass sie mir wehtun möchte. Ich kann deutlich fühlen, wie sie ihre Fingernägel in meinen Arm drückt. „Ilaria, ich verstehe nicht, was daran so schwer ist. Beweg deine Arme. Da gebe ich dir schon die einfachste Aufgabe, die jeder Emigrant locker erledigen kann, und du stellst dich immer noch so an.“ Sie schüttelt den Kopf und sieht mich verurteilend an. „Hübsch sein reicht nicht aus, um einen Mann zufrieden zu stellen. Und wenn dir schon das Putzen abgenommen wird, damit du deine lackierten Fingernägel nicht ruinierst, kannst du dir wenigstens in der Küche Mühe geben. Wie kann man nur so unfähig sein?“ Sie schiebt mich zur Seite und nimmt mir das Sieb ab, in dem sich die Cranberrys befinden. „Gib das her. Sieh zu.“ Ich beiße die Zähne zusammen und versuche stark zu bleiben, auch wenn mir eigentlich zum Heulen zumute ist. „Schwenken, verstehst du? Damit alle Cranberrys nass und sauber werden. Siehst du das?“ Dass ich genau das gemacht habe, behalte ich für mich, stattdessen nicke ich. „Gib mir eine Antwort, Ilaria, du bist kein kleines Baby mehr. Siehst du, wie das geht?“
„Ja, Ma'am.“ Ihr strenger Blick ist so messerscharf, dass er mir körperliche Schmerzen bereitet. Grob drückt sie mir das Sieb in die Hand.
„Wenn du schon den Truthahn nicht füllen kannst, weil du ja Fleisch so ekelhaft findest, dann solltest du zumindest Beeren waschen können.“ Sie nimmt wieder Abstand von mir, beäugt jedoch jede Bewegung. Wenn Matt sehen würde, wie sie mit mir umgeht, würde er endlich verstehen, was mein Problem mit dieser Frau ist. Sie zerstört mich. Jedes ihrer Worte ist tödlich. „Na bitte, warum nicht gleich so? Kann ja nicht sein, dass du vollkommen inkompetent bist. Ich verstehe nicht, was Matt in dir sieht. Wahrscheinlich nur das angemalte Puppengesicht.“ Mit zusammengebissenen Zähnen richte ich meinen Blick stur auf die Cranberrys. „So, das ist genug. Jetzt lässt du sie abtropfen und legst sie dann auf ein Tuch, damit sie trocknen können. Beeilung, Beeilung.“ Sie widmet sich wieder den Süßkartoffeln. Murmelnd beschwert sie sich weiter: „Unglaublich dieses Mädchen. Alleine wäre ich längst fertig. So viel Dummheit sollte eigentlich wehtun.“
Die erste Träne bahnt sich ihren Weg über meine Wange. Ich wische sie mit meinem Ärmel weg, dann konzentriere ich mich auf meine Atmung. Ich kann jetzt nicht anfangen zu weinen. Wenn sie sieht, dass sie mich gebrochen hat, hat sie gewonnen und diese Hexe darf nicht gewinnen. Ich folge ihren Anweisungen und lege die Cranberrys auf ein ausgebreitetes Tuch. Vorsichtig tupfe ich sie ab. Dass ich von Matts Grandma bei jeder Bewegung beobachtet werde, macht mich nur noch nervöser, als ich ohnehin schon bin. Meine Knie sind weich. Meine Beine fühlen sich an, als könnten sie bei jeder Bewegung nachgeben. Wenn es wirklich eine Hölle gibt, dann sieht sie genauso aus. Da bin ich mir sicher.
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Die Stunden, die ich mit Matts Grandma alleine verbracht habe, haben mir fühlbar meinen Lebenswillen geraubt. Als ich endlich von ihr entlassen werde, habe ich keinen Funken Selbstvertrauen mehr in mir. Ihre Worte haben mich so sehr verletzt, dass ich kein einziges Wort mehr sagen möchte. Alles, was ich tue, sage oder auch nur denke ist falsch. Ich möchte mich verkriechen, weinen, schlafen und hoffen, dass ich an einem fernen Ort, irgendwo am Strand aufwache und dass das alles hier nur ein schlechter Traum ist.
„Na los, geh schon nach oben und zieh dich an.“ Sie mustert mich. „Hoffentlich hast du ein paar Kleidungsstücke, die dich nicht so aussehen lassen, als würdest du deinen Körper für ein paar Dollarscheine verkaufen.“ Sie hebt ihren Finger. „Jetzt, da Matt dir diesen Ring an den Finger gesteckt hat, wird es Zeit, dass du dich nicht mehr wie ein Flittchen kleidest, sondern angemessene Sachen trägst. Ehefrauen und Mütter sollten Anstand vermitteln.“ Sie schüttelt den Kopf. „Das Kreuz an deinem Hals täuscht niemanden, Schätzchen.“
Eingeschüchtert fasse ich an die Kette, die Matt mir geschenkt hat. Was das Problem mit meiner Kleidung ist, habe ich noch nie verstanden. Gerade heute trage ich eine lange Hose und einen dünnen, aber weiten Pullover. Man kann kaum mein Schlüsselbein sehen. Ich müsste mir wohl eine Decke über den Kopf stülpen, um diese Frau glücklich zu machen. „Na los, worauf wartest du? Geh schon. Dass du auch für alles eine Extraeinladung brauchst. Gott, dieses Mädchen ist unglaublich.“ Sie schüttelt den Kopf. „Was Matt in ihr sieht, werde ich nie verstehen.“ Die Beleidigung, die sie vor sich hinmurmelt, als sie sich von mir wegdreht, verstehe ich nicht und ich bin mehr als froh darüber. Jedes ihrer Worte ist eines zu viel. Wenn ihr Gott wüsste, wie sie mit Menschen umgeht, würde er sie direkt in die Hölle zu all den anderen Dämonen schicken.
Ich befreie mich aus meiner Starre und verlasse eilig die Küche. Auf dem Weg nach oben schmiede ich einen Fluchtplan. Ich könnte mich an meinem Bettlaken aus dem Fenster abseilen und dann über den Zaun klettern und weit, weit weglaufen. Vielleicht schaffe ich es sogar bis nach Mexiko. Meinen lächerlichen Plan verwerfe ich sofort, als ich oben im Schlafzimmer ankomme. Im Badezimmer nehme ich eine schnelle Dusche. Gedanklich überlege ich, was ich für das Dinner anziehen soll. Das Kleid, dass ich mir eigentlich ausgesucht hatte, verwerfe ich sofort wieder. In ihren Augen ist es wahrscheinlich zu kurz, zu nuttig und generell wäre der Stoff besser als Putzlappen geeignet. Ich habe das Gefühl, dass ich heute keine einzige richtige Entscheidung mehr treffen kann. Am liebsten wäre es mir, wenn ich mich beim Duschen auflöse und in der Kanalisation verschwinde. Dieser Feiertag ist der schlimmste Tag meines Lebens. Mir fällt keine einzige Sache ein, für die ich in meinem Leben dankbar sein könnte.
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Meine Kleidung spielt schnell keine Rolle mehr. Zusammen mit unseren Familien sitzen Matt und ich an dem großen Esstisch. Die Kinder seiner älteren Schwestern haben ihren Platz an dem Tisch in der Küche gefunden. Bis auf mich selbst, scheinen alle gute Laune zu haben. Daddy versteht sich sehr gut mit Matts Dad. Sie unterhalten sich über Matts Spiele, darüber, welcher Spielzug sie am meisten beeindruckt hat und darüber, wie seine Zukunft in der NFL wohl aussehen wird. Matts Grandma wirft mir immer wieder einen Blick zu. Unter Menschen ist er jedoch nicht halb so giftig wie in der Küche, als wir noch alleine waren. Dass ich ihren Truthahn nicht essen möchte, stört sie dennoch. Ich spüre es.
Matt legt seinen Arm um mich. Er zieht mich an seine Seite und küsst meine Schläfe. „Die Cranberrysauce ist dir gut gelungen“, macht er mir ein Kompliment, was mich zum Lächeln bringt.
„Danke“, antworte ich etwas eingeschüchtert, hauptsächlich, weil ich Angst davor habe, dass seine Grandma mich bloßstellt. Meine Angst ist wahrscheinlich unbegründet, immerhin greift sie mich nur an, wenn wir alleine sind. Unter Menschen hält sie sich immer zurück.
„Vielleicht wird das der Anfang einer Tradition, hm?“ Sein Vorschlag lässt mein Herz auf der Stelle aussetzen. Ich spüre, dass meine Seele in unzählige Scherben zersplittert. Die Vorstellung, dass einer meiner liebsten Feiertage zu alljährlicher Folter werden soll, macht mir Angst. Ich fürchte, dass mir diese Erfahrungen auf lange Sicht ernsthaft schaden. „Wäre toll, wenn unsere Familien so zusammenwachsen.“
Matts Grandma ergreift das Wort: „Dann könnte ich Ilaria noch viel mehr beibringen.“ Ihr falsches Lächeln erweckt noch mehr Hass in mir, doch ich lächle ebenfalls. Es ist einfacher, ihr zuzustimmen und es zu ertragen, anstatt mich gegen sie zu wehren. „Das würde ihr bestimmt nicht schaden, man lernt ja nie aus.“
„Ja“, antworte ich ihr. „Das würde mich sehr freuen.“ Ich lehne mich gegen Matt und streichle seinen Arm. „Ich muss meinen zukünftigen Mann ja gut versorgen können. Als Hausfrau gehört sich das.“
„Und das willst du?“, fragt Daddy mich. Er sieht mich interessiert an. „Hausfrau und Mutter? Wünschst du dir das?“ Es ist deutlich zu sehen, dass mein Sinneswandel ihn überrascht, doch ich halte die instabile Fassade weiterhin aufrecht, um den Schein zu wahren.
Ich greife nach meinem Glas und trinke einen Schluck Wasser. „Ja, das mit dem Job hat nicht funktioniert und wenn ich schon Kinder bekomme, dann möchte ich mich natürlich auch um sie kümmern.“ Ich stelle das Glas wieder ab und kratze mich am Unterarm. „Wäre ja schade, wenn man die Kindheit der eigenen Kinder verpasst und sie nur von einer Nanny aufziehen lässt.“
Matt drückt mich stolz an sich. „Ist sie nicht wundervoll? Sie wäre eine tolle Mum. Ich kann es kaum erwarten, den Rest meines Lebens mit ihr zu verbringen.“ Ich bekomme einen Kuss auf die Stirn.
Meine Mum sieht mich an. Unsere Blicke treffen sich. Sie sieht etwas skeptisch aus. Wahrscheinlich versucht sie, meine Mimik zu lesen, weiß jedoch nicht, was sie davon halten soll. Dass meine Worte nicht zu dem passen, was ich wohl ausstrahle, scheint ihr aufzufallen, doch sie sagt nichts. In Gesellschaft ist sie besonders ruhig und überlässt meinem Daddy das Reden. Sie hat sich immer schon wohler gefühlt, wenn sie still zuhört, anstatt sich aktiv an Gesprächen in großen Gruppen zu beteiligen.
„Und wie viele Kinder wollt ihr?“, fragt Chelsea, die älteste Schwester von Matt. Sie hat selbst drei Kinder. Seine beiden anderen Schwestern haben jeweils zwei Kinder.
„Vier“, antwortet Matt ambitioniert. „Vielleicht ja auch ein paar mehr.“ Um nichts dazu sagen zu müssen, esse ich von der Füllung und dem Süßkartoffelauflauf auf meinem Teller. Ich sorge dafür, dass mein Mund immer schön gefüllt ist, sodass niemand von mir erwartet, dass ich meine Meinung dazu äußere. „Ilaria ist gut darin, zu basteln und zu malen. Ich bin sicher, dass die Kinder daran auch viel Spaß haben werden. Im Sommer spielen wir im Garten und lernen den Kindern schwimmen. Die Barbecues mit der gesamten Familie waren für uns als Kinder ein riesengroßes Highlight.“ Chelsea stimmt nickend zu. „Das würde ich unseren Kindern auch gerne bieten. Ich bin sicher, dass sie es genauso lieben werden wie wir damals.“ Matts Freude ist deutlich in seiner Stimme zu hören. „Ich kann es kaum erwarten, endlich Dad zu werden. Das ist bestimmt ein Riesenspaß.“
„Aber vorher wird geheiratet“, klinkt sich Matts Grandma nun doch ein. „Ihr lebt schon lange genug zusammen. Es wird Zeit, dass ihr es offiziell macht und endlich vor den Altar tretet. Der hübsche Ring war schon ein Anfang, aber ihr solltet euch nicht mehr lange Zeit lassen.“
Matts Mum lässt ihre Gabel sinken. „Oh ja, der Frühling steht schneller vor der Tür, als man es erwartet. Ihr solltet so schnell wie möglich eine Location reservieren, bevor alles ausgebucht ist. So kurzfristig ist das wahrscheinlich gar nicht so einfach.“
„Ihr solltet auf jeden Fall heiraten, bevor sie schwanger wird. Wenn man keine aufgeblähte Kuh ist, dann sind die Erinnerungen auch viel schöner“, wirft seine jüngste Schwester nun ein. „Solange sie ihre schlanke Figur hat, kann sie ja alles tragen, das sollte sie ausnutzen.“
Ihre Aussage trifft mich wie ein Stein am Kopf. Der Gedanke, dass ich bald schwanger sein könnte, macht mir Angst. All diese Zukunftsträume machen mir Angst. Schon als Matt das erste Mal davon angefangen hat, dass wir ein Baby bekommen sollten, war mir die Idee nicht geheuer, aber jetzt, da wir sie vor der gesamten Familie ausbreiten, wird alles real. Zu real. Ich wünsche mir, dass ich meine letzten Worte zurücknehmen kann, doch sie sind ausgesprochen und haben zu diesem Gespräch geführt. Ein Gespräch über eine Zukunft, meine Zukunft. Eine Zukunft, an der ich gar kein Interesse habe. Ich spieße ein Stück Süßkartoffel auf und stecke es in den Mund. Je mehr ich kaue, desto mehr ekle ich mich vor dem Essen. Die Bissen, die ich hinuntergeschlungen habe, um dem Gespräch zu entfliehen, haben mir nicht gutgetan. Ich trinke einige große Schlucke, dann stehe ich auf. Auch jetzt sind meine Knie weich. Wahrscheinlich sollte ich mich an dieses Gefühl gewöhnen, denn es scheint nicht mehr verschwinden zu wollen.
„Entschuldigt mich“, gebe ich leise von mir und verlasse den Tisch und den Essbereich. Ich flüchte ins Badezimmer und halte mir den Mund zu. Es ist schwer, das Essen bei mir zu behalten, doch ich gebe mein Bestes, um mich nicht zu übergeben. Wenn sie mich hören würden, würde das Gerücht, dass ich bereits schwanger bin, schneller umgreifen als ein Waldbrand im Hochsommer. Hoffentlich ist das Dinner bald vorbei.
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Als der Sturm sich gelegt hat, bin ich endlich wieder alleine zu Hause. Unsere Gäste sind nach Hause gefahren und Matt bringt seine Grandma ebenfalls zurück nach Hause. Die Fahrt wird wahrscheinlich etwas länger dauern, denn der Highway zur Hölle ist sehr lang. Schluchzend stehe ich an der Inseltheke und spieße mit meiner Gabel ein Stückchen Apple Pie auf, den mein Daddy mitgebracht hat. Beim Aufteilen der Reste habe ich den restlichen Kuchen für mich in Sicherheit gebracht. Ich spüle den Kuchen mit einem Schluck Wasser hinunter, dann breche ich in Tränen aus. Aufgelöst wische ich mir die Tränen von den Wangen. All der Druck, der sich in den letzten Monaten um mich herum aufgebaut hat, bricht mich nun endgültig. Ich bin an meiner Grenze. Die Worte von Matts Grandma waren der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Wenn ich nicht schnell eine Lösung für all das finde, was ich mir Schritt für Schritt selbst eingebrockt habe, bin ich bald verheiratet und durch Kinder für immer an Matt gebunden.
Weinend stopfe ich Stückchen für Stückchen des Apple Pies in meinen Mund. Mein gesamtes Leben war dieser Kuchen das Highlight des Thanksgiving-Dinners. Heute kann ich ihn das erste Mal in meinem Leben nicht genießen. All die erniedrigenden Worte von Matts Grandma kreisen in meinem Kopf. Wenn Matt gehört hätte, was diese verbitterte alte Schachtel zu mir gesagt hat, dann dürfte sie wahrscheinlich nach Hause laufen. Schluchzend lege ich die Gabel in den Geschirrspüler. Ich kaue den letzten Bissen, dann greife ich nach dem Topf, in dem ich die Cranberrysauce unter verurteilenden Blicken gemacht habe. Mit einem Schwamm beginne ich zu schrubben. Alles in mir schreit danach, dass ich endlich eine Entscheidung treffe. Es wird Zeit, aufzugeben. All meine Versuche, die Beziehung zu Matt zu retten, haben nicht geholfen. Eine Rolle zu spielen, in der Hoffnung, dass ich in diese Rolle hineinwachsen und glücklich sein werde, hat nicht funktioniert. Wie denn auch? Die Idee war von Anfang an zum Scheitern verurteilt. All den Menschen um mich herum das zu geben, was sie sich wünschen und dabei vollkommen auf die Erfüllung meiner eigenen Bedürfnisse zu verzichten, war nie eine gute Idee. Es wird Zeit, dass ich mich wieder um mich selbst kümmere. Ich muss wieder zu mir zurückfinden, denn so will ich nicht weiterleben. So kann ich nicht weiterleben.
Mit meinem Ärmel wische ich mir über die Augen, dann betrachte ich den wunderschönen Verlobungsring an meinem Finger. Dieses funkelnde Schmuckstück ist das Schloss an meinem goldenen Käfig. Es wird Zeit, dass ich endlich aus diesem Käfig ausbreche. Nur was soll ich tun? Soll ich mit Matt reden? Würde er mir überhaupt zuhören? Ich schluchze. Vermutlich nicht. Wenn ich mich heute Abend gegen das stelle, was ich beim Dinner gesagt habe, würde das nur zu einem Streit führen. Alles, was ich zu sagen hätte, würde zu einem Streit führen und ich fürchte, dass ich nicht stark genug für einen weiteren Streit bin.
Ausgelaugt fülle ich den Geschirrspüler. Nachdem ich ihn eingeschalten habe, lehne ich mich an die Inseltheke. Ich sehe auf mein Smartphone und entsperre den Bildschirm. Mein Finger führt mich zu meinem Social Media Profil. Mein vermeintlich perfektes Leben hat unzählige Likes bekommen. Vollkommen fremde Menschen kommentieren, wie lecker unser Thanksgiving-Dinner aussieht und wie gerne sie sich an den Tisch gesetzt hätten, um mit uns zu feiern. Wenn es nach mir geht, dann hätte ich liebend gerne mit jedem einzelnen von ihnen getauscht. Ein in der Mikrowelle aufgewärmtes Thanksgiving-Dinner aus dem Tiefkühlregal alleine vor dem Fernseher in einer kleinen Einzimmerwohnung zu essen, wäre mir tausendmal lieber gewesen als die Tortur, den Tag mit Matts Grandma zu verbringen. Der Bildschirm verdunkelt sich und ich blicke auf mein Spiegelbild. Selbst in dem kleinen, dunklen Display kann ich gut erkennen, dass ich genauso aussehe, wie ich mich fühle. Furchtbar. Mit meinem Ärmel wische ich mir die Tränen aus dem Gesicht. Schluchzend sehe ich auf den Ring an meinem Finger. Ich bin vier Tage verlobt und es fühlt sich an, als wäre ich bereits lebenslänglich an dieses deprimierende Leben gefesselt. Wenn ich nicht bald etwas unternehme, dann werde ich für den Rest meines Lebens an diese Familie gebunden sein.
Nach einem tiefen Atemzug richte ich mich auf. Ich schleppe mich die Treppen hoch, durch das Schlafzimmer und ins Badezimmer. Obwohl ich alleine zu Hause bin, schließe ich mich ein. Aktuell scheinen Badezimmer der einzige Ort zu sein, an dem ich meine wahren Gefühle ausdrücken darf. Schluchzend sinke ich zusammen. Meine weichen Knie haben nun endgültig nachgegeben. Ich kann nicht mehr weitermachen.
Was soll ich nur tun?