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KAPITEL 31
Rehabilitation
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Das Klopfen an der Tür wird lauter. Obwohl seine Stimme durch die Tür zwischen uns gedämpft ist, kann ich klar hören, dass Matt meinen Namen ruft.
„Ilaria, bitte. Lass uns reden. Ich weiß, dass du da bist. Bitte. Gib mir eine Chance, das wieder in Ordnung zu bringen. Ich liebe dich.“
Vollkommen starr stehe ich nur wenige Schritte von der Tür entfernt. Ich habe mich versteckt, sodass er mich nicht durch das Fenster neben der Tür sehen kann und dennoch kämpfe ich mit mir selbst und mit einer Entscheidung. Wenn ich Matt die Tür öffne, dann können wir miteinander sprechen. Die Wahrscheinlichkeit, dass ich ihm und unserer Beziehung eine weitere Chance gebe, wächst mit jeder Sekunde, in der ich zweifle. Wenn ich mir sicher wäre, dann würde ich nicht zweifeln. Oder?
„Okay, es reicht“, erklingt Daddy hinter mir. „Soll er gehen?“
„Ich-Ich weiß es nicht. Ich habe ihm doch alles gesagt und ich kann nicht zu ihm zurück. Nicht nach all dem, was passiert ist. Und nach all dem Mist von gestern erst recht nicht.“
„Daddy kümmert sich darum“, verspricht er, dabei streichelt er meinen Rücken. „Geh auf dein Zimmer und nimm Laileena mit, hm?“
„Aber du tust ihm doch nicht weh, oder?“
Daddy schnaubt. „Ich wäre sehr dafür, ihn mit einem Arschtritt von meinem Grundstück zu befördern.“
Ich atme durch und nehme Abstand von der Tür. Ich gehe ins Wohnzimmer, doch von Laileena fehlt jede Spur. Ich kann hören, dass Daddy die Tür öffnet.
„Ilaria! Lass uns reden!“, ruft Matt, doch Daddy schließt die Tür sofort wieder hinter sich. Da ich nicht weiß, was ich tun soll, betrete ich wieder den Flur und blicke vorsichtig aus dem Fenster.
„Nate, bitte. Lass mich mit ihr reden. Ich will ihr doch nichts tun. Ich will nur reden. Wir waren so lange zusammen.“ Mein Daddy hebt seine Hand, was Matt dazu bringt, zu schweigen.
Ich muss mich anstrengen, um Daddy verstehen zu können, da er sehr gefasst und deutlich leiser als Matt spricht. „Für dich heißt es Mister Evans.“
„Ist das dein Ernst? Komm schon.“
„Ja“, antwortet Daddy verstimmt. Er verschränkt seine Arme.
Matt nimmt einen Schritt Abstand, dann fährt er sich mit beiden Händen durch die Haare. „Okay, okay, ich weiß, dass das alles grade eskaliert. Ich möchte nur einmal mit Ilaria sprechen. Sie hat mir keine Chance gegeben, auf ihren Brief zu reagieren.“
„Du hast jetzt Sendepause“, spricht Daddy nun lauter. Seine Stimme so streng zu hören, ist ungewohnt. Ich bin überrascht, als ich sehe, dass er sich aufrichtet, um noch größer und vielleicht sogar bedrohlicher zu wirken. „Soweit ich weiß hat mein kleines Mädchen dir unzählige Chancen gegeben. Sie hat geredet und du hast nicht zugehört, wieso sollte sie dir jetzt zuhören? Hast du das verdient? Ich denke nicht.“ Er macht noch einen Schritt auf Matt zu, der einen Schritt zurückweicht. „Meine Tochter leidet jeden Tag unter all dem Bullshit, den sie mit dir durchgemacht hat. Sie leidet unter den Leuten, die im Internet unaussprechliche Dinge über mein kleines Mädchen schreiben! Hast du eine Ahnung, wie schwer es ist, seine Tochter so zu sehen?“
„Nate, bitte. Ich weiß, was die Leute schreiben und wir löschen das alles. Ich will das nicht. Ich will nicht, dass jemand Ilaria attackiert. So war das alles nicht geplant. Ich schwöre es dir.“
„Hey!“ Matt schreckt noch einmal zurück. „Auf meinem Grundstück sprichst du kein einziges Wort mehr. Du hast all deine Privilegien verloren, als du meiner Tochter wehgetan hast. Wenn ich gewusst hätte, wie deine Familie mit Ilaria umgeht, dann hätte ich sie vor Monaten nach Hause geholt.“
Ich wische mir über die Wangen. Dass Daddy mich verteidigen würde, habe ich erwartet, aber dass seine Worte auch mich so treffen, wäre mir nicht in den Sinn gekommen. Ich schluchze.
„Ja, sieh' mich nicht so an, du weißt, dass ich von deiner Grandma rede. Sie hat Ilaria respektlos behandelt, sie beleidigt und beschimpft und ihr Thanksgiving ruiniert. Meine Tochter hat dir gesagt, dass sie von deiner Familie schlecht behandelt wird, aber es war dir egal. Diese Beziehung ist zu Ende. Ein für alle Mal. Du wirst mein Mädchen nie wieder ansehen und hier nie wieder auftauchen oder ich schwöre bei Gott ich zerschmettere dir deine Kniescheiben, damit du deine Footballkarriere an den Nagel hängen kannst.“ Daddy zeigt Richtung Straße. „Und jetzt verschwinde von meinem Grundstück, bevor ich es mir anders überlege.“
Matt macht einige Schritte rückwärts. „Fuck, ich habs so versaut.“ Mein Blick hängt an ihm, als er seine Hände in seinen Jackentaschen vergräbt. „Okay, ich verschwinde, aber kannst du ihr sagen, dass ich ihr jetzt glaube? Sie hatte Recht, was meine Grandma angeht. Ich hatte deswegen einen riesigen Streit und das sollte sie wissen. Ich bin auf ihrer Seite.“
„Hier interessiert das niemanden mehr. Verschwinde.“
„Okay, okay.“
Matt trottet zu seinem Wagen, den er direkt vor unserem Haus geparkt hat. Er sieht mehrmals zum Haus. Damit er mich nicht entdeckt, trete ich vom Fenster zurück. Mit meinem Ärmel wische ich über meine Wangen. Ich gehe zu Tür und öffne sie einen Spalt, doch dann nehme ich Abstand. Wenn ich jetzt mit ihm spreche, dann könnte sich das alles wiederholen. Ich würde mich wieder gefangen fühlen. Ich kann das nicht mehr. Matt startet seinen Wagen und fährt los. Daddy kommt einen Moment später zurück ins Haus. Er schließt die Tür und nimmt mich sofort fest in den Arm. Schluchzend drücke ich mein Gesicht in seinen Pullover.
„Es ist alles gut, er ist weg.“
„Danke“, drücke ich weinend hervor.
„Wenn er nicht aufhört, dich zu belästigen, dann schalten wir die Polizei ein. Bei der nächsten Nachricht sitze ich mit dir beim Revier.“ Ich nicke eifrig, kann aber nicht aufhören zu weinen. Daddy drückt mich weiterhin an sich. Er streichelt meinen Kopf. So sehr er auch versucht, mich zu trösten, überkommt mich langsam das Gefühl, dass ich mich vielleicht nie wieder besser fühlen werde.
· • ❀ • ·
Daddy deckt mich zu, dann streichelt er meinen Kopf. Etwas Ablenkung kann ich heute Nacht gut gebrauchen. Ich bin ziemlich sicher, dass ich kein Auge zubekomme, außerdem will ich nicht allein sein. Im Moment kann ich nicht alleine sein, denn die negativen Gedanken lauern nur darauf, wieder einen neuen Weg in meinen Kopf zu finden. Ich will, dass es endlich aufhört.
„Hast du dir schon einen Film ausgesucht?“, fragt Daddy mich.
„Ich würde sagen, dass wir bei Mean Girls anfangen und uns von da durch all meine Lieblingsfilme durcharbeiten.“
„Interessante Wahl, wenn man bedenkt, wie nett deine sogenannten Freundinnen zu dir waren.“
„In der Fiktion gibt es immer irgendwie ein Happy End. Mich daran zu erinnern, halte ich für eine gute Idee.“
„Da hast du wohl Recht“, antwortet Daddy mir. „Du bleibst gut eingekuschelt und ich hole uns ein paar Snacks. Du kannst den Film schon starten, wenn du möchtest.“
„Mache ich, aber bleib nicht zu lange weg.“
Ich starte den Film, doch er wird schon nach wenigen Minuten nebensächlich. Daddy reicht mir eine große Schüssel Erdbeereis mit Sahne und M&Ms, auch ein bisschen Schokoladensauce hat er auf seinem ‚Ilarias Trost-Eisbecher‘ verteilt. Durch seine Fürsorge fühle ich mich, als wäre ich wieder ein kleines Kind, dass am Wochenende verboten lange aufbleiben darf, um Fernzusehen und Süßigkeiten zu naschen. Daddy begnügt sich mit einer Tüte Barbecue Chips, die er zufrieden neben mir isst. Das Knuspern ist deutlich zu hören, während er kaut.
„Daddy, mir geht etwas durch den Kopf.“
„Was denn?“, fragt er, dabei dreht er sich sofort in meine Richtung.
Ich nehme einen Löffel der Sahne und stecke sie in den Mund. Überlegend, wie ich es am besten formuliere, sehe ich zu ihm. „Denkst du, dass ich einen Fehler gemacht habe? Ich hatte ein Leben, dass sich so viele Menschen gewünscht haben und ich hatte jemanden, der mich liebt und ich denke, dass Matt für immer an meiner Seite geblieben wäre.“ Ich seufze. „War es dumm, das aufzugeben? Was ist, wenn ich nie wieder jemanden finde, der mich lieben kann? Vielleicht war das der größte Fehler meines Lebens und ich muss alleine sterben.“ Ich bin erstaunt darüber, dass mich all diese Gedanken nicht zum Weinen bringen. Wahrscheinlich gibt es tatsächlich einen Punkt, an dem man keine Tränen mehr übrighat und dieser Punkt ist jetzt wohl erreicht.
„Hast du dir denn dieses Leben gewünscht?“
Überrascht sehe ich Daddy an, dann zucke ich mit den Schultern. „Vielleicht? Irgendwann. Vielleicht in den nächsten fünf oder sechs Jahren, vielleicht aber auch erst in zehn Jahren.“ Ich streiche eine Haarsträhne hinter mein Ohr. „Irgendwann wäre ich vielleicht doch bereit gewesen, Kinder zu bekommen. Vielleicht war Matt nur zu schnell und zu voreilig und wir hätten es vielleicht doch geschafft.“
„Ihr seid an unterschiedlichen Punkten eures Lebens. Er hat seine Karriere, er hat das große Haus und er wollte heiraten und Kinder bekommen. Das war sein nächster Schritt. Du möchtest vorher noch alleine auf eigenen Beinen stehen und die Welt erkunden, das ist das, was er bereits tut.“ Daddy greift in seine Tüte, doch dann hält er inne. „Weißt du, bei Kindern gibt es keinen Kompromiss. Gerade wenn einer der Partner kein Kind möchte und der andere viele Kinder haben möchte, kann man nicht den Durchschnitt nehmen und alle sind zufrieden. Sobald Kinder da sind, sind sie deine Welt. Du hast keine Zeit zu reisen und dich selbst zu verwirklichen, wenn all diese Verantwortung auf dir lastet. Versteh' mich nicht falsch, ich will damit nicht sagen, dass es schlecht ist, Kinder zu haben, aber dein gesamtes Leben verändert sich. Wenn du kein Kind möchtest, aber eines bekommst, dann ist das ein großer Fehler. Kinder brauchen Zeit, Liebe und zumindest ein Elternteil, auf das sie sich immer verlassen können. Wenn er Football spielt und du dich gefangen fühlst. Wer wäre das gewesen?“ Daddy schüttelt den Kopf. „Ich kann nicht in die Zukunft sehen, aber ich bin sicher, dass du nur noch unglücklicher geworden wärst. Kinder können Beziehungen nicht reparieren. Deswegen eines in die Welt zu setzen, wäre dem kleinen Ding gegenüber nicht fair. Und es wäre auch dir gegenüber nicht fair, wenn du ganz genau weißt, dass du noch nicht dazu in der Lage bist, ein Kind in die Welt zu setzen.“
Nickend höre ich zu, dann stecke ich einen Löffel Eiscreme in meinen Mund. „Du hast Recht.“ Nachdem das Eis in meinem Mund geschmolzen ist, rede ich weiter: „Aber es fehlt mir trotzdem, in den Arm genommen und geküsst zu werden. Ich will Liebe, aber ganz Indiana hasst mich. Ich bin mir nicht sicher, ob ich jemals wieder jemanden finden kann, der mich nicht hasst.“
„Ich verstehe, was du meinst, aber bevor du dich in irgendetwas Neues stürzt, solltest du dir Zeit nehmen, um dich zu erholen. Du brauchst keinen Kerl, um komplett zu sein.“
„Ich weiß, ich will aber trotzdem einen. Ich will Sex haben.“
Mit meiner Aussage überrasche ich Daddy so sehr, dass er sich an seinem Chip verschluckt und anfängt zu husten. Er klopft sich auf die Brust, beugt sich dann aber nach vorne, um von seinem Glas zu trinken. „Ilaria!“
Lachend vergrabe ich mein Gesicht unter meiner Hand, mit der anderen halte ich meine Schüssel fest. „Ja, aber es ist doch so!“
· • ❀ • ·
‚Hey, ich hab' gehört, was passiert ist. Dein Dad hat mir deine neue Nummer gegeben. Wir haben uns gefühlt ewig nicht gesehen und du brauchst bestimmt Abstand von dem langweiligen Indiana. Mein Apartment ist winzig, aber New York ruft nach dir.‘
‚Hier ist Brad, by the way. In meiner Bubble interessiert sich niemand für Football, du bist also vollkommen sicher. Meld' dich, wenn du mit jemandem reden möchtest.‘
Obwohl ich die Nachrichten von meinem Cousin sehr zu schätzen weiß, bin ich mir nicht sicher, ob ich mich schon aus dem Haus wagen sollte. Ein Flug bedeutet, dass ich mich ausweisen muss und selbst wenn in New York alles in Ordnung ist, werde ich auf dem Weg dahin leider mit unzähligen Menschen konfrontiert. Ich speichere Brads Nummer und lege mein Smartphone dann zur Seite auf mein zweites Kissen. Müde kuschle ich mich in meine Decke. Ich streichle durch Laileenas weiches Fell. Sie öffnet ihre Augen und blinzelt mich an, dann legt sie sich auf den Rücken, dabei streckt sie sich genüsslich.
„Du bist wohl auch der Meinung, dass wir noch im Bett bleiben sollten, hm?“, frage ich, worauf ich natürlich keine Antwort bekomme. „Wenn ich nicht auf die Toilette müsste, würde ich für immer hierbleiben.“ Ich drücke Laileena einen Kuss auf ihr Köpfchen, dann kämpfe ich mich aus meinen Decken und eile ins Badezimmer.
Nachdem ich auf der Toilette war, mir Hände und Gesicht gewaschen und mir sogar die Zähne geputzt habe, sehne ich mich wieder nach meinem warmen Bett. Nicht aufzustehen, mein Zimmer nicht zu verlassen und weitere Tage und vielleicht das restliche Jahr nur in meinem Bett zu verbringen, erscheint mir die richtige Lösung zu sein. Dass ich wegen Matts unüberlegtem Post all den Hass abbekomme, fühlt sich immer noch so unwirklich an. All die Nachrichten darüber, was vollkommen fremde Menschen mir antun möchten, sind überwältigend. Auch wenn all die furchtbaren Worte und Drohungen gelöscht sind, sind sie in meinem Kopf noch präsent. Wie kann man wegen einem dummen Footballspiel die Grenzen zur Belästigung einer vollkommen Fremden nur derart ungeniert überschreiten? Was für Menschen tun so etwas? Schmollend kuschle ich mich wieder an mein Kissen. Heute ist ein guter Tag, um nicht aufzustehen und die Welt an sich vorbeiziehen zu lassen. Ich fühle mich so leer und kein Eisbecher der Welt kann diese Leere wieder füllen.
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„Da ist sie ja“, begrüßt Daddy mich fröhlich. Mein Abendessen wartet bereits auf dem Tisch auf mich. „Setz dich.“
Ich lasse mich müde auf meinen üblichen Sitzplatz sinken. Mum schenkt mir Wasser in mein Glas. Sie lächelt leicht, als sie mich ansieht. „Wir haben dich schon vermisst.“
„Ich hatte eigentlich vor, mit meinem Bett zu verschmelzen“, antworte ich ruhig, dann greife ich nach meiner Gabel. Die vegetarische Lasagne duftet köstlich, doch heute habe ich nicht besonders viel Appetit. „Mein Kopf springt ständig von ‚Ich will nie wieder aufstehen‘ zu ‚Ich will mein Leben zurück‘ und ich weiß nicht, was ich tun soll. Die Welt da draußen macht mir aktuell zu viel Angst, um irgendetwas zu tun. Ich bin so erbärmlich.“
Daddy nickt nachdenklich, dann schlägt er vor: „Hey, was hältst du davon, wenn wir dir Hilfe suchen? Es kann bestimmt nicht schaden, wenn du dich mit jemandem über all die Dinge, die dir passiert sind, unterhältst.“
„Du meinst einen Therapeuten?“, frage ich nach. Ich schüttle den Kopf. „Wenn du mich fragst, sollten sich die Typen Hilfe holen, die drohen, ein unschuldiges Mädchen zu vergewaltigen und zu ermorden, nur weil die Colts ein verdammtes Footballspiel verloren haben. Die brauchen Hilfe.“ Ich sehe auf mein Abendessen, dann seufze ich. „Das ist alles so verrückt. Aber du hast wahrscheinlich recht und ich brauche auch Hilfe. Damit kommt doch kein Mensch alleine zurecht.“
Mum seufzt. „Fühlt sich unfair an, dass Ilaria jetzt einen Therapeuten braucht, obwohl sie nichts getan hat.“
„Ja, das ist scheiß unfair“, stimme ich ihr zu.
„Ein Therapeut ist ja keine Strafe“, entgegnet Daddy uns beiden. „Nach meiner Verletzung hatte ich auch Hilfe und mir hat sie sehr gutgetan. Du hast in den letzten Monaten viel durchgemacht und wenn du wieder auf die Beine kommen möchtest, dann wäre das ein guter Schritt. Zwingen werde ich dich natürlich nicht, aber wenn du nicht länger im Bett bleiben möchtest und dein Leben zurückhaben willst, dann kannst du da anfangen.“
Ich nicke leicht. „Der Therapeut wird mir allerdings nicht helfen, wenn mir da draußen wirklich etwas passiert.“
„Ich könnte dich begleiten, bis du wieder mutig genug bist, alleine nach draußen zu gehen.“
Ich lehne mich in meinen Stuhl zurück und verziehe die Lippen. „Das ist alles so unfair. Ich sollte keine Angst haben und ich sollte da raus gehen können, um mir nachts Jelly Beans und eine Packung Chips kaufen zu können. Das macht mich so wütend. Es ist nicht fair, einfach nicht fair.“ Mit verschränkten Armen sehe ich auf meine Lasagne. „Ich will mein Leben zurück, Daddy.“
Daddy schenkt mir ein aufmunterndes Lächeln. „Wenn du deine Chips und deine Jelly Beans haben willst, können wir nachher zum Store fahren.“
„Ja“, antworte ich eher schmollend, als tatsächlich begeistert.
„Was für ein süßer Schmollfisch.“ Daddy macht einen Fischmund, was sofort meine Aufmerksamkeit auf ihn zieht. Ich kann nicht anders, als zu lächeln. Daddy geht es nicht anders.
„Hör auf, das ist fies. Ich will doch sauer sein.“ Geschlagen greife ich wieder nach meiner Gabel und nehme dieses Mal auch mein Messer zur Hand. Ich schneide ein Stückchen von meiner Lasagne und stecke es dann in den Mund. Kauend nicke ich. „Schmeckt gut.“
„Freut mich, dass du es magst“, antwortet Mum mir. Sie sieht zufrieden aus.
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Die Fahrt ist nicht besonders lange. Daddy parkt direkt vor dem Laden. Um diese Uhrzeit ist nicht mehr besonders viel los. Vom Haus ins Auto war kein Problem für mich, aber jetzt auszusteigen und tatsächlich unter Menschen zu gehen, macht mir Angst. Ich löse den Gurt, halte dann aber lange inne.
„Du musst mich doch nach drinnen begleiten.“
„Kein Problem.“
„Danke, dass du das alles mitmachst. Das ist so dumm und kindisch. Ich hatte nie Angst, irgendwohin zu gehen und jetzt sterbe ich innerlich, wenn ich nur daran denke, die Tür zu öffnen und mir einen Snack zu kaufen.“
Daddy lehnt sich in meine Richtung. Er legt seinen Arm um mich und drückt mich an sich. „Ich glaube, dass es jedem so gehen würde, wenn er in deinen Schuhen stecken würde.“
„Dir auch?“
„Sicher. Ich bin zwar groß, aber ich bin ein Teddy.“
„Danke, Daddy, das qualifiziert dich nicht gerade als guten Bodyguard.“
Er lacht, dann lässt er von mir ab. „Tackeln kann ich immer noch, auch wenn meine Footballtage schon eine Weile her sind.“
„Klingt schon besser.“
Ich öffne die Tür und steige aus dem Wagen. Die kalte Luft holt mich vollkommen in die Realität. Die schützende Wärme meines Bettes ist verflogen. Wenn ich mein Leben wiederhaben will, dann muss ich es mir holen. Ich kann nicht weinend darauf warten, dass sich etwas ändert. Die Zeiten, in denen ich passiv auf mein Leben gewartet habe, sind vorbei.
Zusammen mit Daddy betrete ich den Laden. Durch die Mütze an meinem Kopf ist mein blondes Haar gut versteckt. Makeup trage ich auch keines. Ich bin ziemlich sicher, dass man mich in meiner dicken Winterjacke nicht erkennt. Aus dem Internet kennen mich alle nur in hübschen Kleidern und mit schöner Frisur. Heute verkörpere ich das komplette Gegenteil.
Daddy greift sich ein Sixpack Bier, dann sehen wir uns zusammen bei den Snacks um. Ich fülle meine Stofftasche mit Chips, Schokolade und Jelly Beans, auch eine Packung Bananen Twinkies findet ihren Weg hinein. Abgesehen von uns ist nur ein weiterer Mann in dem Store, der ist jedoch ganz auf seinen Einkauf fixiert und bemerkt uns wahrscheinlich gar nicht. Abgesehen von meiner Angst, fühlt sich der Einkauf erschreckend normal an. Um nicht nur Süßigkeiten zu kaufen, als wäre ich ein Kind, dass sein Taschengeld aus dem Fenster wirft, greife ich mir noch Joghurt, Brot und ein paar Bananen. Obwohl ich eigentlich selbst bezahlen wollte, zückt Daddy seine Kreditkarte und bezahlt auch meinen Einkauf. Auf dem Weg nach draußen kann ich mir mein Lächeln nicht mehr verkneifen.
„Es hat geklappt. Ich war einkaufen“, freue ich mich mit meiner gut gefüllten Einkaufstasche auf der Schulter.
„Du kannst stolz auf dich sein.“
„Das bin ich“, antworte ich zufrieden. „Es ist alles gut gegangen und ich fühle mich toll.“
Daddy macht mir einen weiteren Vorschlag: „Wenn du willst, kann ich dich in den nächsten Tagen mit ins Fitnessstudio nehmen. Bewegung hat dir ja immer schon gutgetan.“
„Das ist eine gute Idee.“ Ich hake mich bei Daddy ein, da der Weg ein wenig rutschig ist. „Und so hole ich mir Stück für Stück mein Leben zurück. Ich hab' das Weinen wirklich satt, Daddy.“
„Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie sehr mich das erleichtert.“ Daddy öffnet mir die Beifahrertür. Ich steige ein und drücke meinen Einkauf glücklich an mich. Daddy schließt die Tür und ich atme tief durch.
So lächerlich es auch klingen mag, dieser winzige Einkauf bedeutet mir unheimlich viel. Er lässt die Angst wahrscheinlich nicht verschwinden, aber jeder kleine Schritt ist ein großer Erfolg für mich. Ich will endlich wieder ich selbst sein.