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KAPITEL 7
Im Schoß der Familie
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Als ich ein Klopfen an meiner Zimmertür höre, sehe ich auf. Mein Dad betritt mein Zimmer. Er sieht auf den halb ausgepackten Koffer in mitten des Raumes und kommt dann auf mich zu. Durch die Dachschrägen wirkt Dad noch größer als sonst.
„Hey, mein Goldfisch.“
„Was gibt’s?“
„Ich dachte, ich sehe mal nach dir, bevor ich ins Bett gehe.“
Ich klappe meinen Laptop zu und lege ihn zur Seite. „Das ist ja lieb von dir.“
„Darf ich?“, fragt Daddy mich und deutet auf das Bett. Ich nicke und er setzt sich zu mir. „Alles in Ordnung?“
„Ja, danke, alles in Ordnung.“
„Ich habe dieses pinke Duschgel gekauft, das mit den Blumen, das du so gern hast. Es steht in deinem Badezimmer.“
Ich lächle breit, dann deute ich auf die Pralinen an meinem Nachttisch. „Und meine liebste Schokolade, danke Daddy.“
Mein Dad lächelt mich an, dann streichelt er meinen Oberarm. „Möchtest du noch einmal reden? Du warst den ganzen Abend so nachdenklich.“
„Ja, schätze schon.“ Ich seufze. „Ich weiß nicht, was ich machen soll. Ich habe die Entscheidung zwar auf Mittwoch verschoben, aber ich mache mir trotzdem ständig Gedanken darum. Das ist ein großer Schritt. Ich arbeite gerne in der Werbeagentur, aber ich liege auch gerne am Pool oder lese in der Sonne. Ich bin aber auch gerne mit Matt zusammen und in der Football Saison haben wir nicht viel Zeit für einander, wenn ich arbeite und er unterwegs ist. Das ist alles sehr verwirrend im Moment. Ich weiß nicht, was ich tun soll oder was ich will. Es wäre einfacher, wenn jemand die Entscheidungen für mich trifft. Deswegen warte ich wahrscheinlich auf Mittwoch.“
„Hm“, gibt Dad nachdenklich von sich. „Wenn du deinen Job kündigst und dich nicht ausgelastet fühlst, kannst du immer noch einen anderen Job antreten.“ Dad hält einen Moment inne, ehe er fortfährt: „Ich habe mir für dich immer gewünscht, dass du ein schönes Leben führst, dass du deine Zeit mit den Dingen verbringst, die dir Freude bereiten und dass du glücklich bist.“ Dad nimmt meine Hand. „Probier' aus, was dir durch den Kopf geht. Wenn du feststellst, dass es nicht das ist, was dir gefällt, dann änderst du es. Du hast das Glück, dass du nicht in finanzielle Schwierigkeiten kommst, wenn du Zeit zum Nachdenken brauchst. Und dein Matt ist ein toller Kerl, er bietet dir an, dass du Zeit für dich hast und dass du deiner Leidenschaft nachgehen kannst. Du kommst gerade erst aus dem College, du hast noch dein ganzes Leben vor dir. Mach das, was dich glücklich macht. Denk einfach immer daran, dass keine Entscheidung endgültig ist, okay?“ Er lächelt mich an. „Du wärst nicht die Erste und auch nicht die Letzte, die sich nach dem College ein Jahr Zeit nimmt, um sich selbst zu finden. Kopf hoch.“
„Und was ist, wenn ich meinen Job behalten möchte? Ich weiß, dass ich viel arbeite und dass ich Matt dadurch nicht begleiten kann. Ich will nicht, dass er denkt, dass mir der Job wichtiger ist. Mir ist alles gleich wichtig. Das alles ist Teil meines Lebens.“
„Er wird das verstehen. Klar ist es schöner, wenn man jemanden hat, der einen begleitet und anfeuert, wenn man auf dem Spielfeld steht. Und es ist auch schön, wenn man die Nächte mit seiner Freundin verbringt, aber er ist nicht alleine, wenn er unterwegs ist. Er kommt ja auch wieder nach Hause.“ Dad mustert mich. „Man kann es nicht allen Menschen recht machen.“
„Ich will das aber“, antworte ich energisch. „Ich will, dass alle um mich herum glücklich und zufrieden sind.“
Dad schmunzelt, aber er schüttelt den Kopf. „Vergiss das, okay? Du bist nicht für das Glück von allen anderen verantwortlich. Du musst es nur dir selbst recht machen. Du bist diejenige, die mit ihren Entscheidungen leben muss.“
„Und wenn ich mich falsch entscheide?“, frage ich unsicher nach. „Ich will nichts falsch machen.“
„Mach dir darüber keine Sorgen. Es gibt dabei keine falschen Entscheidungen. Wenn du siehst, dass es dir keinen Spaß macht, ständig Matts Cheerleader zu sein, dann suchst du dir einen neuen Job. Und wenn du deinen Job nicht aufgibst und nach ein paar weiteren Monaten siehst, dass du doch lieber Zeit mit Matt verbringen willst, dann kannst du immer noch kündigen. Und selbst wenn sich etwas wie ein Fehler anfühlt, dann machst du das Beste daraus.“ Daddy drückt meine Hand. „Ich weiß, dass es fast schon unnötig ist, dir zu sagen, dass du dir nicht zu viele Gedanken machen musst, weil ich weiß, dass du es trotzdem machst, aber mach dir nicht zu viele Gedanken. Lass alles auf dich zukommen. Du hast noch ein paar Tage bis zu deiner Präsentation und selbst wenn du es danach noch nicht weißt, kannst du deine Entscheidung immer noch aufschieben. Niemand sagt, dass du es am Mittwoch? …“
„Ja, Mittwoch.“
„…am Mittwoch wissen musst.“
Ich ziehe meine Beine an meinen Körper und lehne mich an meine Knie. „Ja, da hast du Recht. Ich wünschte, es wäre einfacher für mich, Entscheidungen zu treffen.“
„Du wirst deinen Weg schon finden.“ Daddy beugt sich zu mir und drückt mir einen Kuss auf die Stirn. „Schlaf schön.“
„Danke, du auch.“ Mein Dad steht auf und geht auf die Tür zu. „Daddy, warte.“ Er dreht sich in meine Richtung. „Danke, dass du immer für mich da bist, obwohl ich mich ständig nur beschwere und jammere. Du hast mir wirklich sehr geholfen.“
Er grinst. „Ich muss doch meiner Tasse gerecht werden.“
Es dauert eine Sekunde, bis es in meinem Kopf klick macht. Ich lache, als ich mich daran erinnere, dass ich ihm eine Tasse geschenkt habe, auf der steht, dass er der beste Daddy auf der ganzen Welt ist.
„Gute Nacht, Daddy.“
„Nacht.“
· • ❀ • ·
Am nächsten Morgen kümmert sich Mum um das Frühstück, während Dad den Tisch deckt. Ich sorge dafür, dass Laileena etwas zu essen bekommt, auch wenn sie darauf scheinbar gar keine Lust hat. Die verspielte Katze möchte lieber, dass ich sie mit einer Feder ärgere und beschäftige. Angriffslustig stürzt Laileena sich auf das Spielzeug, mit dessen bunten Federn ich vor ihrer Nase herumwedle. Kichernd beobachte ich, wie sie versucht, die Feder mit ihren Pfoten festzuhalten. Ich bin jedoch ein kleines bisschen schneller.
Als mir der Duft von Pfannkuchen in die Nase steigt, inhaliere ich ihn genüsslich. Mir läuft bereits jetzt das Wasser im Mund zusammen. Wie jeden Samstagmorgen gibt es Bananenpfannkuchen zum Frühstück. Mum macht sie seit Jahren. Manchmal frage ich mich, ob Daddy die Nase voll von dem süßen Frühstücksgericht hat, doch er scheint auch nach all den Jahren immer noch begeistert zu sein. Ich beobachte, wie er seinen kräftigen Arm um ihre schmalen Schultern legt und ihr einen Kuss gibt. Meine Eltern sind sehr gegensätzlich, doch sie waren immer ein Vorbild für mich, was Beziehungen angeht. An ihnen sehe ich immer wieder, dass vollkommen verschiedene Charaktere zusammenpassen können, wenn man aufeinander eingeht und sich unterstützt. Ich wollte immer so glücklich werden wie die beiden. Bis jetzt hat das leider noch nicht so funktioniert, wie ich es mir immer ausgemalt habe.
Laileena nutzt die Gelegenheit, dass ich abgelenkt bin, und stürzt sich auf die Feder. Dieses freche Ding. Ich stehe vom Boden auf und gebe Laileena die Möglichkeit, ihren Sieg auszukosten. Sie hält das Spielzeug mit ihren Pfoten fest und beißt hinein. Vielleicht sollte ich mir auch eine Katze zulegen.
„Das riecht köstlich“, mache ich Mum ein Kompliment und setze mich an meinen alten Platz.
„Ja, das finde ich auch. Ich freue mich schon die ganze Woche darauf“, gibt Dad vergnügt von sich. Wie immer setzt er sich mir gegenüber hin. Ich schmunzle, als ich sehe, dass er seinen Morgenkaffee aus dieser fürchterlich hässlichen Tasse trinkt, die ich ihm geschenkt habe, als ich sieben oder acht Jahre alt war. Ein Glück, dass ich mich künstlerisch weiterentwickelt habe und mittlerweile meinen eigenen Stil gefunden habe. Trotzdem ist es ganz nett, seine Anfänge zu betrachten.
„Hübsche Tasse.“
Dad sieht auf seine Tasse, dann grinst er. „Meine liebste Tochter hat sie gemacht.“
„Die würde ich ja zu gerne kennenlernen“, scherze ich.
Mein Dad steigt sofort auf meinen Witz ein: „Kannst du. Du musst nur in den Spiegel sehen, mein kleiner Goldfisch.“
„Aww, danke, Daddy.“
Ich schenke mir selbst Kaffee ein und gieße dann noch Milch dazu. Zu guter Letzt rühre ich noch zwei Löffel Zucker in meine Tasse. So lässt es sich leben.
Mum serviert die Pfannkuchen auf einem großen Teller. Zuerst greift Dad zu, dann ich und schließlich meine Mum.
„Die sehen unglaublich aus, Mum.“ Ich greife nach der Flasche Ahornsirup, doch ich bin zu schwach, sie zu öffnen. Nach einem prüfenden Blick stelle ich fest, dass das Siegel noch unbeschädigt ist.
„Brauchst du Hilfe?“
„Ja“, antworte ich leidend, als wäre das die schwierigste Aufgabe, die ich jemals lösen musste. Geschlagen reiche ich meinem Dad die Flasche und reibe über die schmerzende Druckstelle meiner Handfläche. Er hat etwas mehr Glück und viel mehr Kraft als ich es habe. Die Flasche ist schnell geöffnet. Ich nehme sie freudig entgegen.
„Hier, bitte.“
„Danke, Daddy, du bist wirklich der Beste.“
Ich übergieße meine Pancakes mit Ahornsirup und reiche die Flasche dann weiter. Um mein Werk abzuschließen, lege ich noch ein kleines Stück Butter auf meinen Pancake-Stapel. Ich greife zu meinem Smartphone und mache ein Foto von meinem Frühstück, um es mit Matt zu teilen. Ich weiß ganz genau, dass er neidisch sein wird, wenn er die leckeren Pancakes sieht.
„Bitte kein Smartphone am Tisch“, erinnert mich Mum an ihre eiserne, unverhandelbare Regel.
„Entschuldige. Ich wollte nur ein Foto für Matt machen.“ Ich lege mein Smartphone hinter mich auf den Stuhl und zeige Mum dann meine leeren Hände. „Siehst du? Schon weg.“
„Danke.“
Schon der erste Biss lässt mich in den Himmel aufsteigen. Die Bananen-Pancakes harmonieren perfekt mit dem Ahornsirup. Der knusprige Rand schmeckt mir am besten. Glücklich schneide ich mir noch ein Stückchen herunter und stecke es dann in den Mund. Diese Pancakes sind so unendlich lecker!
„Was habt ihr heute geplant?“, frage ich meine Eltern.
„Einkaufen“, antwortet meine Mum mir. „Und am Nachmittag ein Spaziergang.“
„Also wie immer, hm?“
„Genau“, antwortet sie und schiebt sich dann ein Stück Pfannkuchen in den Mund.
„Schatz, heute hast du dich mit den Pfannkuchen selbst übertroffen. Sie sind fast noch besser als sonst.“
Mum lächelt, dann legt sie ihre Hand an Dads Oberarm und streichelt ihn. „Sie schmecken wie immer.“
„Nein, heute schmecke ich besonders viel Liebe.“
Ich kichere, auch Mum lächelt. „Schön, dass es dir schmeckt.“
Ich greife nach einer Erdbeere und beiße genüsslich hinein. „Kannst du Chips mitbringen, wenn du Einkaufen gehst? Am liebsten die mit Meersalz.“ Mum nickt. Sie steht auf und geht zum Kühlschrank, um meinen Wunsch auf ihre Liste zu schreiben. Die Einkaufsliste am Kühlschrank hat fast schon Tradition. „Du hättest ruhig sitzen bleiben können.“
„Ich will es nicht vergessen“, antwortet sie mir.
Ich zucke mit den Schultern. „Du hast wahrscheinlich Recht. Immer wenn ich mir denke, dass ich etwas aufschreiben sollte und es dann später machen will, vergesse ich es doch.“
Dad nickt zustimmend. „Ja, das liegt in der Familie.“
„Möchtest du noch irgendetwas?“
„Ich weiß es noch nicht. Ich werde mir ansehen, was ihr alles in den Schränken habt und mich dann entscheiden, wenn das in Ordnung ist.“ Mum nickt und setzt sich im Anschluss wieder hin.
Ich trinke von meinem Kaffee und lehne mich dann in meinem Stuhl zurück. Immer wenn ich bei meinen Eltern bin, fühlt sich das Leben leichter und unbeschwerter an. Ich muss nicht so viel nachdenken. Hier habe ich die Rolle der Tochter, des verwöhnten Einzelkindes. Zuhause bei Matt bin ich die Erwachsene, die sich um das Geschirr kümmert, die Wäsche zusammensammelt und ihrem Freund ein Bier bringt, wenn er sich eine Sportsendung ansieht. Manchmal würde ich schon gerne die Zeit zurückdrehen, doch ich weiß, dass ich erwachsen werden muss. Und dazu gehört, dass man manchmal Dinge macht, auf die man keine Lust hat.
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Die heiße Sommersonne ist verschwunden. Es ist bereits dunkel und einige Zikaden singen ihre Lieder. Solange sie in den Bäumen sitzen und nicht auf mir landen, ist mir das mehr als recht. Diese kleinen Biester sind eklig. Schon bei dem Gedanken an ihre unheimlichen, roten Augen, schüttle ich mich vor Ekel. Schnell konzentriere ich mich auf das, was ich eigentlich tun wollte. Ich tippe auf meinen Bildschirm und lege mir dann mein Smartphone ans Ohr. Es dauert einen Moment…
„Hey, Baby“, begrüßt Matt mich sofort, als er das Gespräch annimmt.
„Hey“, begrüße auch ich ihn.
Ich lasse meine Beine im Wasser auf und ab gleiten. Das kühle Wasser ist eine willkommene Abwechslung zur warmen Luft. Obwohl es bereits deutlich kühler als heute Nachmittag ist, ist es immer noch warm genug, um in kurzer Kleidung draußen sitzen zu können. Durch die Lavendelbüsche, die Mum um den Pool herum platziert hat, bin ich vor Mücken sicher, außerdem duftet es angenehm.
„Du fehlst mir.“
„Du mir auch, Matt. Sehr sogar.“
„Wie läuft’s mit deiner Präsentation? Hast du schon alles erledigt?“
„Ich schätze schon. Ich kann trotzdem nicht aufhören, die Folien immer wieder durchzuspielen. Ich habe sie tausendmal gelesen, aber ich bin immer noch unsicher, ob sich nicht irgendwo ein Fehler versteckt.“
„Lass doch deine Eltern mal checken, ob sie etwas finden.“
„Schon erledigt“, antworte ich Matt.
Mein Blick ist auf meine Beine gerichtet. Das Wasser wird durch die Poolbeleuchtung erhellt. Die Wellen leuchten und glitzern. Es sieht schön aus. Es ist fast schon hypnotisch, die Wellen zu betrachten.
„Und? Haben sie etwas gefunden?“
„Nein.“
„Ist doch gut, nicht?“
„Schätze schon.“
„Okay, irgendwas ist doch. Du wirkst traurig.“
Ich streiche mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Ich weiß es nicht. Es fühlt sich an, als wäre ich in einer schlimmen Lebenskrise. Es ist das erste Mal, dass ich nicht weiß, was ich machen möchte. Ich wusste immer, dass ich an die Uni wollte, um Kunst zu studieren. Das habe ich auch gemacht. Ich habe hart gearbeitet und das getan, was ich wollte. Jetzt fehlt mir irgendwie ein Ziel.“
„Wie hat dein alter Plan ausgesehen? Was wolltest du nach der Uni machen?“, hakt Matt nach.
Ich zucke mit den Schultern. „Von meiner Kunst leben. Ich wollte malen und ich wollte mein eigenes Schmuckgeschäft gründen.“
„Und wieso machst du das nicht, du Schäfchen?“
„Keine Ahnung. Es ist schwer? Ich will dir auch nicht auf der Tasche liegen, während ich versuche, meine Bilder zu verkaufen.“
Matt seufzt. „Du weißt, dass ich von dir keinen Beitrag verlange.“
„Aber ich fühle mich unwohl, wenn ich keinen Beitrag leiste. Ich will dir nichts schulden.“
Matt murrt. Es ist mehr als deutlich, dass er verstimmt ist. „Jetzt hör doch endlich mal auf mit diesem Scheiß. Du schuldest mir nichts. Ich habe dir so oft angeboten, dass du deine Kunst machen kannst und trotzdem tust du es nicht, weil du dich wegen irgendetwas, das gar keinen Sinn macht, schlecht fühlst. Ich liebe dich, Ilaria. Das Wichtigste ist, dass du glücklich bist und das bist du aktuell nicht. Zieh endlich deinen Kopf aus deinem Arsch und tu, was dich glücklich macht.“
Ich blinzle verwirrt. Matts Worte sind doch ziemlich hart. „Na vielen Dank auch.“
„Entschuldige. Ich hab’s so oft nett versucht, aber jetzt muss ich auch mal strenger sein. Du machst dir diese Probleme nur selbst, indem du nachdenkst und schmollst und dann noch mehr nachdenkst und noch mehr schmollst. Du bist gerade dein eigenes Problem. Kündige oder kündige nicht, das ist zweitrangig. Aber nimm wieder einen Pinsel in die Hand und mal etwas. Bitte.“ Ich presse meine Lippen zusammen. „Bist du noch da?“
„Ja“, antworte ich leise. „Matt, was mache ich, wenn ich nicht gut genug bin?“
Seine Stimme ist wieder sanfter, als er spricht: „Du bist gut genug. Du bist sogar noch besser. Glaub mir. Erinnere dich an damals. An das Bild mit den Pilzen und den Feen. Dafür hast du mehrere Angebote bekommen. Erinnerst du dich?“
„Ja, ich erinnere mich.“
„Kunst ist doch objektiv oder subjektiv, keine Ahnung, welches das richtige Wort ist. Was ich sagen will, ist, dass Kunst immer Anhänger findet. Es findet sich immer irgendjemand, der deine Bilder gut findet“, spricht Matt mir gut zu. „Gott, ich würde dich jetzt so gerne in den Arm nehmen und fest an mich drücken.“
Ich wische mir über die Augen. Es ist schwer, mein Schluchzen zu unterdrücken. „Das wäre schön.“
„Hey, nicht weinen.“
„Entschuldige.“
„Ganz ruhig. Tief durchatmen. Sag nur ein Wort und ich springe ins Auto und komme zu dir.“
Ich schüttle den Kopf. „Nein. Nein, das machst du nicht. Du bleibst im Trainingscamp. Das ist wichtig. Und ich besuche dich am Freitag und bis dahin weiß ich bestimmt, was ich will.“
„Wenn nicht, ist das auch okay.“ Ich nicke leicht. „Wir schaffen das schon irgendwie.“
„Ja, das hoffe ich auch.“
„Ich liebe dich, Ilaria, ganz egal, wofür du dich entscheidest.“
„Ich liebe dich auch.“ Erneut streiche ich mir über die Augen. Glücklicherweise wird das trübe Gefühl wieder leichter. „Ich kann es kaum erwarten, dich zu sehen.“
„Geht mir genauso.“
„Ich will jetzt ins Bett. Ich rufe dich morgen wieder an, wenn das okay ist?“
„Wenn du willst, kann ich dranbleiben, bis du einschläfst.“
„Nein, nicht nötig. Ich will noch duschen und ich kann dich auch nicht so lange aufhalten. Du brauchst doch deinen Schlaf. Du musst fit sein.“
„Du würdest mich zwar nicht aufhalten, aber wenn du nicht willst, dann nicht. Naja, dann bis morgen, hm?“
„Ja, bis morgen.“
„Ich liebe dich. Und mach dir nicht zu viel Stress, das tut dir nicht gut.“
„Ich versuche es. Gute Nacht, Matt“, verabschiede ich mich.
„Gute Nacht.“
Ich beende das Gespräch und ziehe meine Beine aus dem Wasser. Nachdenklich spaziere ich durch den Garten. Wahrscheinlich hat Matt recht. Und es musste wohl auch sein, dass er es so ausdrückt. Es stimmt schon. Ich stehe mir selbst im Weg und damit muss Schluss sein. Ich kann den Sommer gar nicht richtig genießen, wenn ich mir ständig nur Gedanken mache und mich im Kreis drehe.
Auf der Terrasse trockne ich meine Füße, bevor ich das Haus betrete. Mum sitzt im Wohnzimmer und liest. Sie wirkt, als wäre sie sehr in einen Artikel vertieft.
„Ich geh dann mal ins Bett. Gute Nacht, Mum.“
„Gute Nacht.“
Als ich am Kratzbaum vorbei gehe, entdecke ich die schlafende Laileena. Liebevoll streichle ich ihr Köpfchen. Sie schnurrt, als ich ihren Nacken kraule. Ich würde sie eigentlich gerne mit in mein Zimmer nehmen, um mit ihr zu kuscheln, aber da sie eingerollt in ihrer Hängematte liegt, möchte ich sie nicht weiter belästigen.
„Dir auch eine gute Nacht, Laileena.“
In meinem Zimmer durchsuche ich meinen Koffer nach meinem Nachthemd und nehme es mit in mein Badezimmer. Ich nehme eine sehr lange Dusche. Gedanklich wasche ich alle Zweifel von mir. Ich versuche, zu visualisieren, wie alles Negative von mir gespült wird. Die sprichwörtliche trübe Wolke über meinem Kopf verschwindet. Sie löst sich auf und hinterlässt einen Regenbogen und strahlenden Sonnenschein.
Ich steige aus der Dusche, wickle meine Haare in ein Handtuch und schlüpfe in meinen Bademantel. Im Spiegel bemerke ich, dass ich viel zufriedener aussehe.
„Ich bezwinge alles, was sich mir entgegenstellt“, spreche ich meinem Spiegelbild motivierend zu. „Und dabei sehe ich auch noch wunderschön aus.“ Ich schmunzle über mich selbst und schüttle dann den Kopf. „Das klang vielleicht furchtbar eingebildet, aber es ist in Ordnung, sich schön zu fühlen.“ Mit einem Handgriff löse ich das Handtuch von meinem Kopf. „Und du darfst dich auch schön fühlen, Ilaria. Du hast dich viel zu lange unwohl gefühlt.“ Sanft trockne ich mein Gesicht, indem ich es abtupfe, ehe ich nach meinem Kosmetikbeutel greife. „Ich bezwinge alles, was sich mir entgegenstellt.“
Nachdem ich einmal tief durchgeatmet habe, lächle ich mein Spiegelbild an. Daddy hat Recht. Es gibt keine falsche Entscheidung. Ich werde meinen Weg finden. Da bin ich mir sicher.