╭─━ · • ❀ • · ━━━━━━━━━━━━━━━━━━─╮
KAPITEL 32
Kein Grund zum Feiern
╰─━━━━━━━━━━━━━━━━━━ · • ❀ • · ━─╯
In den letzten Tagen habe ich immer wieder kleine Fortschritte, aber auch Rückschritte gemacht. Auf einem Nachmittag im Fitnessstudio folgte ein Abend, an dem ich mich am liebsten unter meiner Decke versteckt hätte, um für immer dort zu bleiben. Ob es nun ein guter oder ein schlechter Tag für mich ist, ist schwer einzuschätzen, denn bereits eine unvorhergesehene Kleinigkeit, kann meine Laune zum Kippen bringen. Sobald ich mich mies fühle, denke ich daran, wieder zu Alkohol zu greifen, doch seit ich bei meinen Eltern bin, habe ich keinen Tropfen mehr getrunken. Wahrscheinlich ist es albern, sich darüber zu freuen, doch ich bin stolz auf mich, dass ich nicht mehr versuche, meine Gefühle durch Alkohol zu verarbeiten. Es hat ohnehin nie richtig funktioniert.
Trotz der vielen, schönen Lichter, die den Winter erhellen, komme ich nicht in weihnachtliche Stimmung. Es war schon schwer, zu beantworten, was ich mir zu Weihnachten wünsche. Ein neues Leben kann man nicht eben im Internet bestellen oder in der Mall kaufen. Eigentlich ist das eine Marktlücke, die längst geschlossen sein sollte.
Mit einer heißen Schokolade und in eine Decke gewickelt sitze ich auf der Terrasse. Ich beobachte den Schnee dabei, wie er sanft auf den Boden fällt. Die friedliche Stille lenkt mich von meinen trüben Gedanken ab. Ich vermisse Matt. Obwohl ich wütend auf ihn bin und weiß, dass ich nicht mehr bei ihm sein kann, vermisse ich ihn. Ich vermisse es, von ihm umarmt zu werden und mich wie ein kleiner, beschützter Football zu fühlen. Ich vermisse es, geküsst zu werden. Ich vermisse es, von ihm getragen zu werden und noch mehr vermisse ich es, mit ihm herumzualbern. Auf dem College war alles so perfekt. Ich verfluche mich dafür, dass ich so lange gebraucht habe, um mich auf Matt einzulassen, anstatt jede einzelne der guten Sekunden vollkommen auszukosten. Tränen laufen von meinen Wangen, doch ich wische sie schnell wieder weg. Die Kälte an meinem Gesicht ist so gnadenlos wie ich es zu mir selbst bin. Ich wünschte, ich könnte die Zeit zurückdrehen und meine Fehler ausbügeln. Ich wünschte, ich könnte das perfekte Leben führen, was ich mir zusammen mit Matt erträumt habe. Doch es ist vorbei. Ich bin alleine.
„Wieso ist es so schwer, wieder nach vorne zu sehen?“, frage ich mich selbst, dann trinke ich einen Schluck meiner nicht mehr ganz so heißen Schokolade. Ich hasse es, dass es so lange dauert, über all den Mist in diesem Jahr hinweg zu kommen. Dabei sollte das Leben nach dem College erst so richtig spannend werden. Wahrscheinlich waren meine Erwartungen viel zu hochgesteckt.
Vielleicht bin ich ja doch dazu bestimmt, einen normalen, langweiligen Job zu haben, bei meinen Eltern zu wohnen und einsam zu sterben. Ich seufze über mich selbst. Meine Negativität geht mir selbst schon auf die Nerven. Wenn ich mit mir befreundet wäre, würde ich mich auch absägen. Kein Wunder, dass es Brooke, Amber und Hailey so leichtgefallen ist, mich aus ihrem Leben zu streichen.
Die Terassentür neben mir öffnet sich. „Wieso sitzt du denn hier draußen?“, fragt Mum mich überrascht. „Es ist doch kalt.“
„Deswegen die Decke.“
„Komm rein, bevor du noch krank wirst.“
„Ich will nicht.“
Mum hält einen Moment inne, dann antwortet sie mir: „Ich könnte aber deine Hilfe brauchen.“
„Wobei denn?“
„Es sind noch ein paar Bestellungen eingegangen und du könntest mir helfen, die Pakete zu packen“, erklärt sie.
„Ist das ein Trick, um mich wieder aus meinem Loch herauszulocken?“, hake ich skeptisch nach, worauf meine Mum lacht.
„Nein, ich setze keine Tricks ein. Das ist die Aufgabe deines Dads.“
„Netter Versuch, Mum. Dein Lachen hat dich verraten.“
Sie zuckt mit den Schultern und will gerade die Tür schließen, da quetscht Laileena sich durch den Spalt. Die Kälte scheint sie zu überraschen. Unbegeistert zieht sie ihre Pfote hoch, sobald sie den Schnee berührt und beschließt, lieber wieder nach drinnen zu gehen, um sich aufzuwärmen.
„Gute Entscheidung“, stimmt Mum unserer Katze zu, dann sieht sie mich erwartungsvoll an.
„Ich komme ja schon.“ Ich stelle meine Lieblingstasse ab und kämpfe mich dann aus der Decke, in die ich mich erstaunlich gut eingewickelt habe. „Aber nur, weil mein Bein sowieso schon einschläft.“ Mit meiner Tasse und meiner Decke betrete ich das Haus. Eine Beschäftigung wäre vielleicht gar nicht so dumm, sie könnte mir helfen, mich von meinen trüben Gedanken abzulenken.
· • ❀ • ·
Um mich heute Abend nicht ein weiteres Mal in den Schlaf zu schmollen, ziehe ich mich warm an und schnappe mir meinen Schlüssel.
„Ilaria?“, fragt Daddy aus dem Wohnzimmer. Ich gehe einige Schritte, um zu ihm sehen zu können. Er sitzt auf der Couch. Seine Füße hat er auf einem Kissen auf dem Couchtisch abgelegt. „Es ist schon spät, wohin willst du denn?“
„Ich möchte zu Subways. Ein paar Cookies und vielleicht ein Sandwich holen.“
„Bist du sicher? Es ist ziemlich rutschig.“
„Ja, ich will raus. Mir fällt hier alles auf den Kopf.“
„Soll ich dich begleiten?“, bietet er an. „Ich kann in drei Minuten fertig sein.“
Da ich nicht möchte, dass Daddy seinen bequemen Pyjama gegen warme Kleidung austauscht und seinen gemütlichen Abend mit Mum durch eine spontane Fahrt zu Subways unterbricht, schüttle ich den Kopf. „Nein, schon in Ordnung. Ich brauche ein bisschen Zeit für mich. Wird mir auch guttun, das ab und zu alleine zu machen.“
„Okay, aber bitte fahr vorsichtig. Ich will dich nicht identifizieren.“
„Mach mir keine Angst, Daddy“, antworte ich amüsiert. Seine Fürsorge ist lieb und berechtigt, aber ich bin eine gute Fahrerin und bei Unwetter und Schnee bin ich noch einmal extra vorsichtig. „Soll ich euch etwas mitbringen?“
„Chips“, bittet Mum mich.
„In Ordnung.“
Glücklicherweise hat Daddy mir die Arbeit abgenommen und mein Auto bereits von dem gröbsten Schnee befreit. Mit einem Besen kehre ich die zarte Schneedecke, die sich in den letzten Stunden gebildet hat, von meinem Auto. Als ich das Eis von meinen Scheiben kratze, ziehe ich eine Schmolllippe. Ich bin nicht begeistert. Wehmütig denke ich an die große Garage, in der mein Auto stehen könnte, hätte ich mich nicht von Matt getrennt. In diesem Moment vermisse ich die Garage sogar mehr als meinen Ex-Freund. Irgendwie traurig.
Zitternd setze ich mich auf den Fahrersitz. Wenn mir die Chocolate Chip Cookies von Subway nicht so unglaublich gut schmecken würden, würde ich mich jetzt sofort in mein Bett verkriechen, um mich aufzuwärmen. Vielleicht würde ich auch ein heißes Bad mit einer hübschen Badebombe nehmen, um meine erfrorenen Finger wieder zum Leben zu erwecken. Ich beschließe, Fantasie und Realität zu vereinen. Wenn ich wieder zu Hause bin, dann werde ich meine Kekse in der Badewanne essen. Zufrieden mit meinem Plan finde ich mich in einer gut beleuchteten Parklücke ein. Ich reibe meine Hände aneinander und hauche in meine Fäuste, um mich zu wärmen. Das Bad kann gar nicht früh genug kommen.
Ich betrete Subway und finde schnell, was ich suche. An der Theke bestelle ich mir die Cookies und ein Sandwich, das ich eventuell auch in der Badewanne essen werde. So genau weiß ich das noch nicht.
„Sag mal, wir kennen uns doch, oder?“, fragt die Frau an der Theke, während sie mir mein vegetarisches Sandwich zubereitet. „Du bist Ilaria, nicht?“
Erschrocken sehe ich sie an, doch dann senke ich meinen Blick. „Nein, denke ich nicht.“
„Ich bin ganz sicher, dass wir uns in der Toilette einer Bar kennengelernt haben. Du hattest ganz schön viel intus und hast mit deinem Freund telefoniert. Dein Dad hat dich nach Hause gefahren.“
Ich sehe die Frau hinter der Theke an. „Alice?“
„Ganz genau“, antwortet sie grinsend, deutet dann auf ihr Namensschild und grinst noch breiter. „Ich hätte mich auch nicht erkannt mit Alltagsmakeup und ohne Locken.“ Sie zuckt mit den Schultern.
„Was soll ich sagen? Ich sehe aus wie der Albtraum von Freddy Krueger.“
Alice lacht, dann schüttelt sie den Kopf. „Quatsch, du siehst gut aus. Wenn man sich abends ein Sandwich holt, muss man kein Ballkleid tragen.“
Alice bringt mich zum Lächeln. „Es ist schön, ein freundliches Gesicht zu sehen, wenn man sich Abendessen holt, das man wie ein Kobold in der Badewanne verdrücken will.“
Sie lacht. „Wenn du mich fragst, klingt das nach einem gelungenen Abend. Hey, wir haben noch so viele Kekse übrig, ich packe dir ein paar mehr dazu. Ich glaube, dass du sie brauchst.“
„Danke, Alice. Jetzt rettest du mir schon das zweite Mal das Leben.“
„So bin ich. Tagsüber Subway-Managerin und nachts rette ich das Leben von schönen Mädchen.“
„Du schmeichelst mir doch nur, damit ich dein Trinkgeld erhöhe“, scherze ich und reiche bereits in meine Tasche, um ein paar Scheine zusammenzusuchen.
„Funktioniert es denn?“
„Ja“, antworte ich amüsiert. „Aktuell bin ich sehr empfänglich für nette Worte.“ Ich fülle das Trinkgeldglas an der Theke mit Münzen und Scheinen. Mein Essen bezahle ich mit Kreditkarte. „Ganz im Ernst, Alice, ich habe eine nette Unterhaltung gebraucht. Die Welt ist im Moment nicht gut auf mich zu sprechen.“
„Es wird bestimmt bald wieder bergauf gehen, da bin ich mir sicher“, ermutigt sie mich mit einem Lächeln. „Und falls nicht, weißt du ja, wo du deine tröstenden Cookies herbekommst.“
„Danke.“ Ich nehme meine Bestellung an mich. „Ich wünsche dir noch eine angenehme Schicht.“
„Danke. Pass auf, dass dir dein Sandwich nicht in die Badewanne fällt. Für nasse Sandwiches gibt es keine Rückerstattung.“
Lachend bedanke ich mich ein weiteres Mal, dann mache ich mich wieder auf den Weg nach draußen. Meine Badewanne ruft bereits nach mir.
Schritt für Schritt gehe ich über den Parkplatz, dabei suche ich bereits den Schlüssel in meiner Jackentasche. Als ich ihn gefunden habe, sehe ich zu meinem Auto und bleibe abrupt stehen. Mein Auto wirkt seltsam. Schief, um genau zu sein. Mein Herz schlägt höher, als ich noch einen Schritt herangehe, doch dann drehe ich mich um und eile zurück in das Geschäft. Irgendjemand hat etwas mit meinem Auto gemacht, ich traue mich jedoch nicht, alleine nachzusehen.
Alice sieht mich verwundert an, als ich wieder durch die Tür eile. „Ist alles okay?“
„Nein, keine Ahnung. Irgendwas ist mit meinem Auto. Kannst du mir helfen?“
„Warte mal. James?! Komm mal.“ Es dauert einen kurzen Moment, doch dann tritt ein kräftiger Mann durch die Tür des Personalbereiches. „Kannst du meine Freundin zu ihrem Auto begleiten?“
„Sicher.“ Er sieht durch das Fenster nach draußen. „Ist immer gut, wenn man jemanden dabeihat, man weiß ja nie.“
Erleichtert und froh darüber, Hilfe zu bekommen, verlasse ich zusammen mit James das Gebäude. „Irgendwie sieht mein Auto schief aus, findest du nicht?“, frage ich und zeige dann auf meinen Wagen.
„Sieht aus wie ein Platten.“ Er begleitet mich ans Auto. Was ich da sehe, lässt mein Herz schwer werden. Jemand hat nicht nur meine Reifen kaputt gemacht, sondern auch ‚SLUT!‘ quer über die Fahrertür und die hintere Tür daneben geritzt. „Ach du scheiße, was für ein krankes Arschloch macht denn sowas?“ James legt schützend seinen Arm um meine Schultern. „Komm, wir rufen die Bullen.“ Mit Tränen in den Augen nicke ich. „Hey, nicht weinen. Wer auch immer das gemacht hat, bekommt einen Tritt in den Arsch.“ James begleitet mich wieder zurück ins Innere des Subways. „Mach dir keine Sorgen, bei uns bist du in Sicherheit. Wir rufen die Bullen, dann ist alles gut.“
Weinend sitze ich an einem der Tische. Mein Essen liegt vor mir in einer Tüte. Mein Gesicht ist in meinen Händen vergraben. Mich im Internet zu beschimpfen und zu bedrohen ist eine Sache, doch mich zu verfolgen und mein Auto zu zerstören ist einfach nur böse. Da ich zu aufgelöst bin, mich um das alles zu kümmern, ruft Alice nicht nur die Polizei, sondern auch meinen Daddy an. Ich dachte, dass ich meinen Tiefpunkt längst überwunden habe, doch nun ist das Loch, in dem ich sitze so tief, dass ich kaum noch das Tageslicht erblicken kann. Ich weiß nicht mehr weiter.
Alice setzt sich neben mich. Sie legt ihre Hand um meine Schultern und lehnt sich tröstend gegen mich. „Hey, Süße. Es ist ja nur ein Auto. Ich weiß, das sagt sich so einfach, weil es ein echt verdammt schönes Auto ist, aber das kann man ja reparieren lassen. Es wird alles wieder gut.“
Schluchzend wische ich mir die Tränen von den Wangen, da lässt sie von mir ab und reicht mir ein Taschentuch. Ich putze meine Nase.
„Das ist es gar nicht. Es ist nur ein Auto, aber das bedeutet, dass das alles real wird.“
„Was meinst du?“
Weinend erzähle ich Alice von dem Antrag, davon, dass ich mich nach Thanksgiving von Matt getrennt habe und davon, was für furchtbare Dinge mir geschrieben wurden, nachdem die Colts ein Spiel verloren haben. Ich erzähle ihr, wie sich die letzten Wochen für mich angefühlt haben und auch davon, dass meine Freundinnen mich wortlos aus ihrem Leben gestrichen haben, als hätte es mich nie gegeben. Dass die Reifen meines Autos aufgestochen wurden, ist nur die Spitze des Eisberges. Doch das zeigt mir, dass die Drohungen der Menschen im Internet durchaus ernstgemeint waren.
Meine Eltern kommen, um mich abzuholen. Daddy übernimmt den Großteil der Gespräche mit der Polizei, da ich selbst viel zu aufgelöst bin, um alles richtig zu erklären. Die Überwachungskameras decken leider nur den Eingang ab, also gibt es keine Aufzeichnungen von dem Täter oder den Tätern. Es bricht mir das Herz, dass für diese Ungerechtigkeit wahrscheinlich niemand zur Verantwortung gezogen wird. Bei meinem Pech musste das passieren. Eigentlich habe ich nichts Anderes erwartet. Ich weiß, dass ich mich nicht immer richtig verhalten habe, aber ich bin sicher, dass ich das alles nicht verdient habe.
· • ❀ • ·
Daddy parkt seinen Wagen in der Einfahrt und versteckt mein Auto in der Garage. Er hat es zwar nicht explizit so gesagt, doch ich bin sicher, dass er nicht möchte, dass ich mit der Beleidigung auf meinen Autotüren konfrontiert werde, sobald ich das Haus verlasse. Die zwei kaputten Reifen konnten ersetzt werden. Er hat mir seinen Ersatzreifen geliehen, damit ich zumindest nach Hause fahren kann.
Der Abend war länger und anstrengender, als ich es geplant habe. Was mich eigentlich aus dem Bett holen sollte, hat mich nun wieder ins Bett zurückgeschickt. Immer wieder habe ich mit den Beleidigungen gekämpft, hatte das Gefühl, mich nicht sicher zu fühlen, aber auch, dass ich vielleicht überreagieren könnte und dass ich in Sicherheit bin. Der heutige Abend hat mich davon überzeugt, dass ganz Indiana mich hasst. Wenn jemand so skrupellos ist und mein Auto zerstört, wie hoch ist dann die Hemmschwelle, mir etwas anzutun, wenn man mich alleine auf offener Straße entdeckt? Bei dem Gedanken, was mir passieren könnte, verknotet sich mein Magen. Kann ich mich jemals wieder in meiner eigenen Haut sicher fühlen?
Ich esse mein Sandwich in meinem Bett. Auf meinem Laptop läuft eine meiner Lieblingsserien, doch ich schenke ihr keine Beachtung. Sie ist hauptsächlich dazu da, damit ich mich nicht alleine fühle, obwohl ich paradoxerweise im Moment alleine sein möchte. Laileena leistet mir dennoch Gesellschaft. Neugierig schnuppert sie an meinem Sandwich, doch als sie feststellt, dass es weder Fisch, noch Fleisch für sie gibt, lässt sie mich in Frieden weiteressen. Sie tappst über das Bett und streckt ihre Hinterbeine. Ich beobachte sie dabei, wie sie sich setzt und über ihre Pfote leckt.
„Hab' ich dir schon gesagt, dass ich dir dankbar dafür bin, dass du mich nicht alleine lässt?“ Laileena putzt sich unbehelligt weiter. „Das müsstest du gar nicht, aber du machst es trotzdem. Keine Ahnung, ob du spürst, dass es mir schlecht geht oder ob ich von dem vielen Rumheulen einfach nur warm bin und du deswegen kuscheln kommst, aber es ist schön, Gesellschaft zu haben.“ Laileena miaut, dann springt sie von dem Bett. Sie spaziert durch das Zimmer und quetscht sich durch den Spalt nach draußen. „Na vielen Dank auch.“ Dass die Katze meines Dads ausgerechnet dann verschwindet, als ich mich für ihre Gesellschaft bedanke, löst in mir etwas aus. Anstatt es persönlich zu nehmen, fange ich an zu lachen. Die Ironie ist zu köstlich, um sie nicht zu meinem Sandwich als Beilage zu genießen.
· • ❀ • ·
Es klopft an meiner Zimmertür. Müde drehe ich mich im Bett um. Ich bin nicht für die Feiertage bereit. Wenn es nach mir geht, könnten wir sie dieses Jahr streichen. „Was ist denn?“, frage ich verstimmt, dann kuschle ich mich wieder in mein Kissen. Ich höre Schritte, die an meinem Bett enden. „Ich schlafe noch und ich höre damit erst nächstes Jahr wieder auf.“
„Aber Ilaria, Santa war schon da und hat Geschenke gebracht.“
„Ich will keine Geschenke. Ich will ein neues Leben. Eine Zeitmaschine wäre auch in Ordnung.“
„Tja, ich weiß leider nicht, was du bekommen hast, das musst du schon selbst herausfinden.“
Ich blicke zu meinem Dad nach oben, erst bin ich überrascht, doch dann lache ich. Damit habe ich nicht gerechnet. Damit rechnet niemand, wenn er mies gelaunt am Weihnachtsmorgen aufwacht. „Was ist das denn? Bist du ein Rentier?“
„Ich bin Rudolf“, antwortet Daddy, dabei zeigt er auf die runde, leuchtende, rote Nase, die er auf seiner Nase trägt. Die Nase alleine ist schon lächerlich genug, das Geweih dazu gibt mir allerdings den Rest.
„Warum machst du das?“
„Um dich aufzuheitern. Gestern meintest du noch, dass das die schlimmsten Weihnachten aller Zeiten sind, also dachte ich, dass ich das ändere.“
Ich setze mich auf, da bemerke ich, dass Okti aus dem Bett gefallen ist und hebe ihn auf. Er findet seinen Platz neben mir auf seinem Kissen. Um ihn dafür zu entschädigen, dass er vielleicht schon die ganze Nacht da unten liegt, decke ich ihn gut zu. „Daddy, du weißt aber schon, dass ich erwachsen bin?“
„Ja und? Erwachsene dürfen auch albern sein und Spaß haben.“
„Hm. Ich habe aktuell nicht so viel Spaß, wenn ich ehrlich sein soll.“
„Das ändern wir. Komm, raus aus dem Bett“, bittet Daddy mich. „Lass dir von Rudolf den Weg durch den Nebel deiner miesen Laune und zu deinen Geschenken leiten.“
„Daddy?“
„Ja, mein Goldfisch?“
„Es ist schön, dass du mich so sehr liebst, dass du dich als Rentier verkleidest. Ich hoffe, du weißt, dass ich das sehr zu schätzen weiß, dass du mich immer aufmuntern willst.“
„Wir brauchen alle irgendwann Hilfe.“ Er reicht mir die Hand, die ich lächelnd annehme, um mir aus dem Bett helfen zu lassen. „Ich verbringe gerne Zeit mit dir. Wer weiß, wie lange du noch bleibst. Ich muss das genießen.“
Ich lasse Daddys Hand los und greife mir dann das leere Glas auf meinem Nachttisch. „Ich habe nicht vor, schnell auszuziehen. Ich brauche einen Job, eine eigene Wohnung und wieder genug Selbstbewusstsein, um überhaupt einen Job und eine Wohnung zu bekommen. Nach meinem zerkratzten Auto kann das vielleicht zehn Jahre dauern.“
„Zehn Jahre? Das klingt ja schon fast wieder optimistisch“, zieht Daddy mich auf. „Das ist deutlich kürzer als das ‚für immer‘ was du mir noch ein paar Tagen an den Kopf geworfen hast.“
„Ja, das variiert mit meiner Laune, vielleicht pendle ich mich irgendwo in der Mitte ein.“
Ich setze mich vor den leuchtenden Weihnachtsbaum. Meine Eltern haben sich viel Mühe damit gegeben, die Magie für mich am Leben zu erhalten. Die glänzenden Kugeln haben mich als Kind in ein Winterwunderland versetzt. Heute verfehlen sie leider ihre Wirkung, dennoch spüre ich tiefe Dankbarkeit meinen Eltern gegenüber. Ich lasse mich auf den Boden auf ein Kissen sinken, das für mich platziert wurde.
„Ich bin gerade ein bisschen irritiert“, meine ich, als ich die Geschenke betrachte. „Ich wusste gar nicht, dass ich mir so viel wünsche.“
„Tja“, antwortet Mum mir, dann begutachtet sie bereits die Geschenke, um ihre Geschenke zu finden. „Santa war sehr großzügig. Er hat sicher gesehen, dass eines der Mädchen auf seiner Liste eine sehr schwere Zeit hat und hat sich deswegen extra viel Mühe gegeben.“
Ich kichere, dann wische ich mir aber über die Augen. Es rührt mich, dass meine Eltern Santa vorschieben. Es ist so albern, aber doch typisch für sie. „Ich hoffe, dass ihm die Kekse geschmeckt haben. Santa hat sie sich verdient.“
Ich öffne das erste Geschenk. Es ist ein kleiner Umschlag, in dem sich ein Gutschein für meinen liebsten Onlineshop befindet. Sobald meine Muse wieder zurückkommt, um mich zu küssen, bin ich gut darauf vorbereitet, wieder an eine Leinwand zu treten. Ich bekomme ein neues Paar Stiefel und Pumps, die mich wünschen lassen, dass der Frühling so schnell wie möglich wieder zurückkommt, außerdem noch Socken, die mich daran erinnern, dass ich tatsächlich schon erwachsen bin. Zusätzlich zu einem Kleid und zwei schlichten Hoodies bekomme ich einen weiteren Gutschein, der mir helfen wird, mich einzukleiden. Ganz hinten unter dem Baum steht noch ein großes Geschenk, dass ich mir bis zum Schluss aufgehoben habe. Es ist schwer, als ich es hervorziehe.
„Santa war ja ausgesprochen großzügig“, antworte ich erstaunt, dann reiße ich das Papier von meinem riesigen Geschenk. „Oh, wie toll ist das denn?“ Begeistert sehe ich meine Eltern an. Ein Geschirrset, dass nicht nur Meerjungfrauen erfreuen würde, sondern auch mich glücklich macht. Muscheln und Seepferdchen so weit das Auge reicht.
„Santa dachte sich bestimmt, dass du hübsches Geschirr brauchst, wenn du bereit bist, dein neues Leben anzufangen“, erklärt Daddy.
„Das hat er gut durchdacht“, antworte ich mit einem Lächeln, dann sehe ich wieder auf den Karton.
„Hier ist noch eine Kleinigkeit, die du übersehen hast.“ Mum reicht mir einen weiteren Umschlag, den ich annehme.
Als ich die Karte öffne, wird mein Herz ganz schwer. „Ich dachte, dass du eine Auszeit von deinem alten Leben brauchst. Liebe Grüße, Santa“, lese ich vor, dann nehme ich den provisorischen Gutschein in die Hand. „Ein Flugticket nach New York?“
„Welch Zufall, dass Brad dich eingeladen hat, ein paar Tage bei ihm zu bleiben“, gibt Mum deutlich gespielt überrascht von sich. Sie ist keine gute Schauspielerin. Daddy lacht.
„Ja“, stimme ich ihr zu. „Welch zufälliger Zufall, hm?“
Ich atme tief durch und sehe auf den Weihnachtsbaum vor mir. Obwohl Santa mir kein neues Leben schenken konnte, hat er sein Bestes gegeben, um mir meinen sehnlichsten Wunsch zu erfüllen. „Danke, Santa“, spreche ich mit kratziger Stimme und wische mir dann die Tränen aus den Augen.