╭─━ · • ❀ • · ━━━━━━━━━━━━━━━━━━━━━─╮
KAPITEL 33
New Year, New Me, New York
╰─━━━━━━━━━━━━━━━━━━━━━ · • ❀ • · ━─╯
Ich bin unendlich nervös, als ich am Flughafen Ausschau nach meinem Cousin halte. Winkend und mit einem Schild in der Hand, macht Brad mich auf sich aufmerksam. Mein Herz tanzt vor Freude, als ich ihn erblicke. Aufgeregt laufe ich auf ihn zu und wir fallen uns in die Arme. Brad drückt mich fest. Wir haben uns schon viel zu lange nicht mehr gesehen.
„Oh mein Gott, du siehst aus wie eine Reallife Barbie. Ich vergesse immer wieder, wie wunderschön du bist.“ Brad lässt von mir ab und betrachtet mich. „Winter-Barbie Vibes. Ich liebe es.“ Er blickt auf meinen pinken Rollkoffer. „Und jetzt bin ich auch noch neidisch auf deinen Koffer.“
Lachend nehme ich einen Schritt Abstand und greife wieder nach meinem Rollkoffer. „Vielen Dank. Durch das Pink finde ich ihn immer ganz schnell wieder. Das spart Zeit und Nerven.“
„Schön und clever, wundervolle Kombination. Also, Kleines, ich habe so viel für uns geplant. Partys, Kunstausstellungen, Shoppingtrips, Sightseeing oder auch nur Chillen auf der Couch, falls du es ruhig angehen willst.“ Wie immer spricht Brad mit großen Handgesten. Er hat mir gefehlt. „Und ich habe dir von Alejandro diese sündhaft schönen Pumps zurücklegen lassen. Du wirst sterben, wenn du sie siehst. Du wirst sie ansehen und tot umfallen.“
Nun bringt Brad mich noch mehr zum Lachen. „Ganz ruhig, ich bin doch noch gar nicht richtig angekommen. Wir haben viel Zeit.“
„Um die zehn Tage für dich freizuschaufeln, muss ich in den kommenden Wochen viele Schichten übernehmen, also mach dich bereit, viel zu erleben, immerhin muss ich die Zeit ebenfalls auskosten“, antwortet er selbstbewusst und grinst mich breit an. Gegen seine gebleichten Zähne wirkt eine leere Leinwand grau. Brad hat sich sehr verändert, seit er in New York wohnt. Er ist deutlich kräftiger geworden. Wahrscheinlich verbringt er viel Zeit damit, im Fitnessstudio Gewichte zu heben und auf seine Ernährung zu achten. Er sieht wirklich sehr gut aus. „Lass uns gehen, unser Fahrer wartet schon auf uns.“
„Unser Fahrer?“, frage ich nach. „Ich hoffe, dass du keine Limousine bestellt hast. Das wäre selbst für dich sehr extra und nicht das, was ich erwartet habe.“
„Nein, du Schäfchen, wir fahren Uber.“ Brad hakt sich bei mir ein und wir verlassen den Flughafen.
Wie versprochen wartet draußen ein Uber auf uns. Brad stellt uns einander vor und ich erfahre auf dem Weg zu Brad nach Hause bereits die halbe Lebensgeschichte unseres Fahrers. Brad hat unseren Fahrer Maurice bei einem Praktikum kennengelernt. Er verdient sich etwas als Uber-Fahrer dazu, da es schwer ist, in der Modewelt Fuß zu fassen. Ich kann mir gut vorstellen, dass es nicht einfach ist, als Designer seine Brötchen zu verdienen. Uns Künstlern geht es doch immer so. Egal, ob mit Malerei, Schmuck, Mode oder Musik, wir alle müssen kämpfen, um uns einen Namen zu machen.
Maurice bekommt ein großzügiges Trinkgeld, gesponsert von meinem Daddy, wie der gesamte Trip nach New York. Brad und ich finden uns in seiner Wohnung ein. Schon als wir per Video miteinander telefoniert haben, hat er mir gezeigt, wie bescheiden er wohnt, doch als ich in Brads Wohnung, oder besser gesagt Zimmer, stehe, bin ich doch ein wenig erschrocken, wie winzig sein Zuhause ist. Selbst trotz Dachschrägen ist mein Zimmer um einiges größer als Brads gesamte Wohnung. Für ein Bett hat er keinen Platz. Sein gesamter Wohnbereich ist von seiner Couch und seinem Schreibtisch eingenommen. Auf einem rollbaren Wagen liegen einige Materialien. Ein Stoffballen und eine Nähkiste, ich erkenne außerdem einige bunte Bänder und ein Nadelkissen, das die Form eines Igels hat. Über seinem Schreibtisch hängt eine Pinnwand mit Grußkarten, einigen Fotos und Skizzen, die ich genauer betrachte. Die Küche ist ebenfalls besonders klein, doch sie hat das nötigste, damit man nicht verhungern muss. Die zwei Barhocker an der Theke sind der Essbereich. Alles ist besonders platzsparend eingerichtet.
„Hinter der Tür ist das kleinste Badezimmer New Yorks und hinter der zweiten Tür ist der dazu passende winzige Kleiderschrank und das war auch schon die ganze Führung.“
„Ist doch nett?“, antworte ich, worauf er lacht.
„Ach, ich bin ohnehin kaum hier. Ich bin entweder in der Arbeit oder in einem Club und wenn ich nicht arbeite oder feiere, dann nähe oder skizziere ich, was genau genommen auch wieder Arbeit ist.“
„Nutze die Muse so lange du sie hast. Ich habe seit einem halben Jahr nichts mehr geschafft. Manchmal denke ich, dass meine Muse Selbstmord begangen hat.“ Ich betrachte einen von Brads entwürfen, der an der Pinnwand hängt. „Ich muss gestehen, dass ich für dieses Kleid auch sterben würde. Ich liebe die Rüschen und ich kann mir gut vorstellen, meine Haare hochzustecken, damit man die Spitzen am Rücken gut sehen kann.“
Brad sieht mich an, dann lacht er. „Ich muss dich leider enttäuschen. Wahrscheinlich wird das ein Entwurf bleiben.“
„Wäre es sehr teuer, wenn du es für mich schneiderst? Ich würde eine meiner Nieren verkaufen, nur um dich zu bezahlen“, frage ich nach. Brad bekommt ganz große Augen.
„Meinst du das ernst oder willst du nur nett sein?“, hakt er nach.
„Ich bin schon bereit, mich in eine Eiswanne zu legen.“
Brad lacht, dann tritt er an mich heran und nimmt den Entwurf von der Pinnwand. „Es wäre mir eine Ehre, es für dich zu machen.“ Brad mustert mich. „Du würdest ein gutes Model abgeben, wenn du nur ein bisschen größer und ein bisschen weniger kurvig wärst.“
„Oh wow, welch nettes Kompliment. Na vielen Dank auch.“
Brad hebt beschwichtigend die Arme. „Industrie-Standard. Für mich persönlich bist du wunderschön und perfekt und ich liebe dich.“
Brad bekommt einen leichten Schubs von mir. „Hör auf, du machst mich verlegen. Das sind zu viele Komplimente.“
„Du hast sie dir verdient, Kleines. Wir bauen dich wieder auf, versprochen.“
Ein leichtes Lächeln schleicht sich auf meine Lippen. „Vielen Dank, Brad. Tut gut, das zu hören.“
Da es heute schon recht spät ist und ich meinen ersten Abend in New York ruhig angehen will, schlüpfen wir bloß in bequeme Kleidung und verbringen unsere Zeit damit, Pizza zu bestellen, fernzusehen und die bestellte Pizza zu essen. Das Essen meiner liebsten Pizzeria ist zwar um einiges authentischer, dennoch gebe ich mich mit meinem Abendessen zufrieden.
Brad bringt mich auf den neuesten Stand in seinem Leben. Auch er hat eine Trennung hinter sich, die glücklicherweise weniger dramatisch vonstattenging als meine. Es war einvernehmlich. Die beiden haben festgestellt, dass es zwischen ihnen nicht mehr funktioniert und sich für eine Trennung entschieden. Beruflich hat er ein neues Praktikum in Aussicht. Ich drücke ihm die Daumen, dass er aufgenommen wird. Und ich drücke sie noch fester, damit jemand sein Talent erkennt, anstatt ihn damit zu beschäftigen, Kaffee für alle Beteiligten zu besorgen.
„Also, Kleines, was willst du in New York erleben?“
„Ich will die Freiheitsstatue sehen“, antworte ich, als wäre ich der langweiligste Tourist, den New York je gesehen hat. „Und ich will für die Schuhe sterben, die du mir zurückgelegt hast. Nicht unbedingt in dieser Reihenfolge.“
Brad schüttelt amüsiert den Kopf. „Dann willst du shoppen gehen?“
„Unbedingt. Du weißt schon. New Year, new me. Nach der vielen Scheiße, die mir in der letzten Zeit passiert ist, könnte ich mich wirklich mit einem schönen Paar Schuhe und einem engen, sexy Kleid trösten.“
Brad rümpft die Nase. „Bitte sag mir nicht, dass du vorhast, deinem Ex zu zeigen, was er vermisst. Das wäre zu klischeehaft und du hast das absolut nicht nötig. Seine Meinung ist irrelevant und unterqualifiziert.“
Empört sehe ich Brad an. „Oh nein, ganz sicher nicht. Ich will gar nichts mehr für andere Menschen machen. Es geht um mich.“ Ich zeige auf meinen Brustkorb. „Um mich alleine. Es geht um Ilaria und Ilaria will ihr Leben zurückhaben. Und sie will Indiana für ein paar Tage vergessen.“
„Ich bin froh, dass du das sagst.“ Brad lächelt sanft. „Ich klinge jetzt vielleicht wie ein unsensibles Arschloch, aber ich hatte doch irgendwie die Befürchtung, dass du die ganze Zeit jammern und weinen willst. Dafür hätte ich nicht genug Empathie. Entschuldige, Kleines.“
„Mach dir darüber keine Gedanken.“ Ich atme tief durch, dann greife ich mir das letzte Stück Pizza. „Ich habe in den letzten Monaten so viele Tränen vergossen. Ich habe mich verbogen und gelogen und ich habe mich so schlecht wie noch nie gefühlt. Ich muss zugeben, dass ich seit dem Vorfall mit meinem Auto große Angst davor habe, da raus in die Welt zu gehen und zu leben, aber ich kann auch nicht mehr sitzen und weinen.“ Brad nickt. Er streichelt meinen Arm. Ihm ist deutlich anzusehen, dass er mir aufmerksam zuhört. „Dieser Szenenwechsel wird mir bestimmt guttun. In Indiana fühle ich mich nicht mehr wohl. Im Moment kann ich mir gar nicht vorstellen, dass ich mir dort irgendwo eine nette Bleibe suche. Ich fühle mich da auch gar nicht mehr sicher.“ Ich sehe mich in Brads kleiner Wohnung um. „Vielleicht suche ich mir ja auch so einen netten Wandschrank hier in New York. Minimalistisch zu leben tut ja auch den Mönchen gut.“
Brad lacht los. „Oh bitte, minimalistisch. Du brauchst all das hier alleine für deine Schuhe. Du hättest gar keinen Platz für eine Staffelei. Das geht nicht, Kleines. Du brauchst ein bisschen mehr Platz.“ Er überlegt. „Ich könnte mir dich aber ganz gut in einem Künstlerkollektiv vorstellen. Ein Haufen Mitbewohner, mit denen du ich austauschen kannst. Ihr lebt und malt zusammen. Und dann füllt ihr eine Galerie mit euren Kunstwerken.“ Zufrieden mit seiner Fantasie nickt Brad. „Du kommst ja immer schon gut mit Menschen aus, das wäre perfekt für dich.“
„Klingt ein bisschen nach Sekte“, antworte ich ihm.
Er wiegt seinen Kopf hin und her, dann spricht er wieder: „Ach, irgendwo muss man Abstriche machen.“
Lachend schüttle ich den Kopf. „Wenn es nur so einfach wäre. Ich muss ohnehin erst meine Muse wiederfinden, dann kann ich immer noch entscheiden, was ich machen möchte. Meine Eltern haben mir angeboten, dass ich so lange bleiben kann, wie ich will. Aber wenn ich ehrlich sein soll, würde ich mir wünschen, dass ich endlich, endlich wieder auf eigenen Beinen stehen kann. Naja, wobei das ‚wieder‘ ja auch eigentlich gelogen ist, denn genau genommen habe ich mich direkt nach meinem Abschluss bei Matt eingenistet.“
„Nein, nein, nein.“ Brad schüttelt den Kopf. „Du hast dich doch nicht eingenistet. Ihr wart ein Paar und ihr wolltet zusammenleben. Ihr wart doch sogar verlobt und ihr hättet bestimmt geheiratet, wenn ihr euch nicht getrennt hättet. Da wäre es seltsamer gewesen, wenn ihr nicht zusammengelebt hättet. Ich finde ja, dass man das schon vor der Hochzeit machen sollte, sonst weiß man ja gar nicht wen man da überhaupt heiratet.“
„Ja, ich denke, dass mich das auch vor dem bösen Erwachen bewahrt hat. Ich bin zwar jetzt auch nicht wirklich glücklich, aber ich kann wenigstens ich selbst sein, während ich unglücklich bin.“
„Diese Gedanken treiben wir dir in den nächsten Tagen aus. Wenn du zurück nach Indiana fliegst, wirst du eine vollkommen neue Ilaria sein. Glücklicher, dank meinem Einfluss. Selbstbewusster, dank deinen neuen Schuhen und noch schöner, dank Jessica.“
„Wer zur Hölle ist denn Jessica?“, frage ich verwirrt nach.
„Eine Freundin“, antwortet Brad mir. „Sie ist Stylistin und sie hat einen langen Termin für dich freigehalten. Es wird deinen Haaren guttun, wenn sich jemand um sie kümmert. Wenn man depressiv ist, ist das alles ja nicht so einfach.“ Damit ich nichts darauf antworten muss, beiße ich in meine Pizza und kaue langsam. „Keine Sorge, ich habe nicht alle Details verbreitet. Nur, dass meine Cousine zu Besuch kommt und dass dir ein neuer Haarschnitt und ein kleines Umstyling guttun wird. Natürlich kannst du auch bleiben wie du bist und du bekommst eine Kopfmassage und eine Haarkur. Ich will dir nichts aufdrängen, nur Möglichkeiten bieten.“
„Du hast dir viel zu viel Mühe gegeben, Brad. Ehrlich.“ Ich mustere ihn, dann sehe ich wieder auf meine Pizza. „Danke für alles. Das wäre nicht nötig gewesen. Ich hätte mich auch mit einem Besuch bei der Freiheitsstatue und Pizza zufriedengegeben.“
„Ach, Unsinn, Kleines. Dieses Jahr wird dein Jahr und das sollte nicht gelangweilt auf meiner Aufklappcouch starten.“
„Apropos Aufklappcouch. Wird wohl ein kuscheliger Aufenthalt.“
„Ja, ein Glück, dass du so dünn bist, sonst müsste ich auf dem Boden schlafen“, antwortet er, ehe er lacht.
· • ❀ • ·
Nach einem sehr aufregenden Brunch, bei dem ich einigen sehr talentierten und wunderschönen Dragqueens Trinkgeld in den Ausschnitt gesteckt habe, spazieren Brad und ich zu dem Schuhladen, in dem die reservierten Pumps bereits auf mich warten. Ich schwärme von den aufwendigen Perücken und dem glitzernden, bunten Makeup, das ich schon am frühen Morgen betrachten durfte. Auch mein Cousin scheint zufrieden zu sein, etwas gefunden zu haben, für das ich mich derart begeistern kann. Beim Brunch mit meinen Freundinnen hatte ich nicht einmal ansatzweise so viel Spaß wie heute.
„Denkst du, dass mir eine dieser Perücken stehen würde? Ich liebe ja diese hochtoupierten Frisuren. Schade, dass das nichts für den Alltag ist. Ich würde fabelhaft aussehen.“
„Ich bin mir nicht ganz sicher, ob du der Typ dafür bist. Du hast eher diese ‚Mädchen von Nebenan‘ Vibes mit deinem süßen Gesicht und deinen niedlichen Kleidern.“
„Ich bin sicher, dass sich da etwas machen lässt. Ich brauche nur eine riesengroße Perücke, ausgefallenes Makeup und ein Paillettenkleid und schon könnte ich selbst eine Queen sein. Wenn ich dann noch eine Stange habe, um die ich mich wickeln darf, kann ich mir eine Wohnung in New York ertanzen.“
„Kleines, das klingt eher, als würdest du in einem Stripclub landen und einem Zuhälter in die Arme laufen, der alt genug ist, um dein Dad zu sein. Schlag dir das lieber aus dem Kopf.“
„Brad, hör auf, meine Träume zu zerstören“, bitte ich ihn gespielt beleidigt, worauf er nur lacht.
„Ja, ja, schon gut, behalt deinen funkelnden Tagtraum. Ich wollte dir nicht deine Freude nehmen.“
„Vielen Dank.“
Brad lotst mich in das Geschäft. Er hält Ausschau nach Alejandro, dem Verkäufer, der die sagenumwobenen Schuhe für mich zurückgelegt hat. Als die beiden sich finden, begrüßen sie sich mit einer Umarmung. Ich muss zugeben, dass Alejandro mir gut gefällt. Seine dunklen Locken und sein nettes Lächeln laden mich sofort zum Träumen ein. Seine gebräunte Haut erinnert mich an Sommer, Sonne und Strandurlaub. Ein Mann, der nicht nur zum Anbeißen aussieht, sondern auch noch Schuhe verkauft, könnte der wahrgewordene Mann meiner Träume sein.
„Das ist Ilaria“, stellt Brad mich vor.
„Hi“, gebe ich erschreckend schüchtern von mir und reiche Alejandro die Hand.
„Schön, dich endlich kennenzulernen.“ Als er meine Hand wieder loslässt, streiche ich mir eine Haarsträhne hinter mein Ohr. „Brad hat mir viel von dir und deiner Liebe zu Schuhen erzählt.“
„Ich hoffe, dass seine Worte meiner Obsession auch gerecht geworden sind.“
„Das werden wir herausfinden, sobald du den Karton öffnest. Ich hole eben deine Schuhe, um dich nicht zu lange auf die Folter zu spannen. Bin gleich wieder da“, verabschiedet er sich und macht sich schon auf den Weg. Ich sehe ihm nach, bis er hinter einer Tür verschwindet, auf der mit großen Lettern das Wort ‚Privat‘ geschrieben steht.
„Wenn du mir gesagt hättest, dass er so gut aussieht, dann hätte ich mir hübschere Sachen angezogen“, belehre ich Brad, der vor sich hin grinst.
„BH und Slip in derselben Farbe vielleicht?“, fragt er frech nach, wofür ich ihn sofort mit einem Klaps gegen den Arm bestrafe.
„Ja, vielleicht.“ Ich bin ziemlich sicher, dass ich gerade rot werde. Mir wird zumindest heiß, also ziehe ich meine Jacke aus. „Bitte sag mir, dass er single und hetero ist.“
„Ja, das ist er.“ Ich lächle zufrieden. Grinsend schlägt Brad vor: „Wenn du ein Date mit ihm willst, kann ich dir das klarmachen.“
„Was? Nein! Dann denkt er doch, dass ich seltsam bin und auf ihn stehe. Wir kennen uns seit 2 Sekunden, das geht doch nicht.“
„Wie lange wäre deiner Meinung nach angemessen?“, fragt Brad nach, worauf ich keine Antwort weiß. Ich komme auch nicht dazu, lange darüber nachzudenken, denn Alejandro bringt mir einen Karton.
Ich mache es mir auf einem der Hocker bequem und lege meine Jacke neben mir ab. Gespannt öffne ich den Karton und hebe das Seidenpapier an, um den Schuh betrachten zu können.
„Oh mein Gott. Ich liebe dich.“
Glücklicher, als man es vermutlich sein sollte, wenn man einen Schuh ansieht, nehme ich einen davon heraus und betrachte ihn. Die dunkelblaue Farbe ist nicht nur wunderschön, sondern auch sehr edel. Um den Absatz schlingen sich silberne Zweige und Blätter. Die Blüten sind mit funkelnden Strasssteinen besetzt. Ich liebe sie bereits jetzt so sehr, dass ich sie bei meinem Rückflug tragen möchte, um sicher zu gehen, dass sie nicht mit meinem Gepäck verloren gehen.
„Willst du sie nur ansehen oder auch anprobieren?“, fragt Alejandro amüsiert, was mich aus meinem Staunen herausholt.
„Oh, natürlich.“
Ich lege den Schuh ganz vorsichtig zurück in den Karton und ziehe meine Stiefel und meine dicken Socken aus. Aufgeregt stelle ich meine neuen Schuhe auf den Boden und steige hinein. Ein freudiges Quietschen entkommt meinen Lippen, doch ich halte mir sofort die Hand vor den Mund. „Das habt ihr nicht gehört.“
„Ach, das ist ganz normal“, beschwichtigt Alejandro mich. „Gibt viele Schuh-Freaks. Einige sind freakiger als andere.“
Ich gehe einige Schritte bis zu einem großen Spiegel, vor dem ich mich betrachte. Die Schuhe passen wie angegossen. Sie fühlen sich weich, allerdings auch stabil genug an, um den ganzen Tag in ihnen zu laufen oder die ganze Nacht in ihnen zu tanzen. Glücklich betrachte ich mein Spiegelbild.
„Sie sind so schön. Ich traue mich gar nicht, nach dem Preis zu fragen. Obwohl, das spielt eigentlich gar keine Rolle. Ich bin schon verliebt. Wenn ich sie nicht mitnehmen würde, würde ich es für immer und ewig bereuen.“ Das Gespräch ist eigentlich eher ein Monolog und meine laut ausgesprochenen Gedanken. Eine Antwort brauche ich nicht, denn mein Herz hat sich bereits für diese Schuhe entschieden. „Wenn ich mir da draußen nicht die Füße abfrieren würde, würde ich sie sofort anbehalten.“
„Ich wusste, dass sie dir gefallen.“
„Kann ich dich auch für das rosa Paar begeistern?“, fragt Alejandro mich. Sofort sehe ich zu ihm und nicke enthusiastisch.
„Ja, unbedingt“, freue ich mich aufgeregt.
„Jetzt willst du sie aber ausnehmen, Alejandro. Das ist nicht sehr freundlich.“ Brad schüttelt verurteilend den Kopf, an seinem Grinsen erkennt man allerdings mehr als deutlich, dass er nur einen Witz macht.
Alejandro verteidigt sich sofort: „Ich versuche nur, eine Frau glücklich zu machen. Das ist Teil meines Jobs.“
„Es funktioniert“, antworte ich freudig. Ich spaziere in meinen neuen Schuhen auf und ab. Brad mustert mich. Als ich ihn anlächle, erwidert er das Lächeln.
„Ich würde sagen, dass wir deine Schuhe nach Hause bringen und uns dann überlegen, wann wir die Sightseeing-Tour planen.“
„Hast du für heute Abend schon etwas geplant?“, frage ich nach, meine Aufmerksamkeit liegt allerdings schon wieder bei meinem Spiegelbild und meinen neuen Schuhen.
„Ja, wir gehen in eine Galerie. Vielleicht taucht deine Muse auf, wenn du dich wieder etwas neutraler mit Kunst beschäftigst.“
„Ich hoffe es. Ohne meine Kunst fühlt es sich so an, als würde ein Teil von mir fehlen. Und ich hätte diesen Teil wirklich gerne zurück.“
„Das kann ich mir gut vorstellen. Ohne meiner Muse wäre ich komplett hilflos.“
Als Alejandro den zweiten Schuhkarton bringt, sind alle Zweifel und all die schlechte Laune wieder vergessen. Als ich die rosa Schuhe in meinen Händen halte, fällt mir sofort das Kleid ein, dass ich von meinen Eltern zu Weihnachten bekommen habe. Ich kann den Tag, an dem es wieder warm genug wird, um kurze Kleider und schöne Schuhe zu tragen, nicht erwarten. Am liebsten würde ich die kalten, grauen Wintertage sofort überspringen und in das Outfit, das ich gerade im Sinn habe, schlüpfen. In meinem Kopf spielt sich sofort eine romantische Komödie ab, die ich zu gerne zu meinem Leben machen würde. Ich würde in meinem neuen Kleid in ein Café spazieren und einen Kaffee bestellen. Wenn der Barista mir mein Getränk reicht und unsere Hände sich berühren, spüren wir ein Knistern und mein Leben nimmt wieder eine romantische Richtung ein. Wenn es doch nur so einfach wäre.
Ich sehe von meinen Schuhen zurück zu Alejandro, der mich erwartungsvoll ansieht. „Weißt du, Alejandro, du hast mich heute zu einer sehr, sehr glücklichen Frau gemacht. Vielen Dank dafür.“