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KAPITEL 36
Des Goldfischs neue Haarfarbe
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„Oh Gott, ich hoffe, dass Onkel Nate mich nicht umbringt.“
„Wieso sollte er das tun?“, frage ich nach.
„Tu nicht so unschuldig. Das weißt du ganz genau, Kleines.“
Mit unserem Take-out-Sushi finden wir uns in Brads Wohnung ein. Unsere Schuhe lassen wir an der Tür stehen. Brad stellt die Tüte auf die Küchentheke und wir waschen uns die Hände, ehe wir uns setzen, um unser verspätetes Mittagessen einzunehmen. Ich übergieße mein Sushi sehr gründlich mit Soja Sauce, während Brad es bevorzugt, sein Sushi eher vorsichtig mit Hilfe seiner Stäbchen in Soja Sauce einzutauchen. Dazu verwendet er ein kleines Schüsselchen. Mir entgeht natürlich nicht, dass Brad mich immer wieder ansieht. Er rümpft die Nase, legt seinen Kopf schief und wirkt, als würde er nachdenken, während er kaut. Dass er über meine Haare nachdenkt, ist mehr als offensichtlich.
„So schlimm?“, frage ich nach. „Du hast selbst gesagt, dass es vollkommen egal ist, was Andere von mir denken, wenn ich nur selbst mit meinem Aussehen zufrieden bin.“
„Das stimmt natürlich auch und der Meinung bin ich weiterhin, aber die Veränderung ist sehr drastisch, Kleines. Von hell zu dunkel und du bist ja eigentlich auch ein warmer Typ. Dein Blond war immer im Gold-Bereich, deine dunklen Augen. Du weißt schon, was ich meine. Du wirkst jetzt viel blasser. Es ist gewöhnungsbedürftig, verstehst du?“
„Ich finde es sehr schön. Es ist neu und anders und erfrischend.“
„Ich hoffe auf einen schnellen Tod. Onkel Nate steht hoffentlich nicht auf Folter.“
Lachend schüttle ich den Kopf. „Du bist so eine verdammte Dramaqueen. Es ist mein Kopf, meine Entscheidung und mein wunderschönes Haar.“ Um das noch zu unterstreichen, streiche ich durch mein frisch gefärbtes Haar. „Ich bin eine wunderschöne Meerjungfrau.“
Brad seufzt. „Ja, stimmt schon. Wie gesagt: Es ist gewöhnungsbedürftig. Aber ich bin ehrlich gesagt wirklich besorgt, dass Onkel Nate es nicht gut findet und dass ich dann die Schuld tragen muss.“ Erschrocken sieht er auf mein aufleuchtendes Smartphone. „Oh Gott, ich habe ihn beschworen.“
„Selbst schuld. Du hast dreimal seinen Namen gesagt“, stelle ich lachend fest. „Es muss wohl in seinen Ohren geklingelt haben.“
„Ich hätte nie gedacht, dass Sushi meine Henkersmahlzeit werden würde. Wenn ich das gewusst hätte, dann hätte ich Tacos und Burger besorgt. Im Tod muss ich mir um zusätzliche Kalorien keine Sorgen mehr machen.“ Brad legt seine Hand überdramatisch an seine Stirn und legt seinen Kopf in seinen Nacken.
„Bei einem Anruf kann er mich doch gar nicht sehen, du Genie“, beruhige ich ihn und nehme das Gespräch an. „Hey, Daddy. Wir essen grade. Ich stelle dich auf Lautsprecher.“ Ich lege das Smartphone zwischen Brad und mich auf die Theke und drücke den Lautsprecher-Knopf.
„Hey, mein Goldfisch. Hey, Brad. Ich habe leider schlechte Neuigkeiten.“
„Schlechte Neuigkeiten will ich gar nicht erst hören“, antworte ich, wobei ich gleich eine Schmolllippe ziehe. „New York ist eine Anti-schlechte-Neuigkeiten-Zone.“
„Das tut mir leid, ich will dir auch gar nicht die Stimmung verderben, aber ich muss sie dir leider trotzdem übermitteln. Die Polizei stellt deinen Fall ein. Es gibt kein Video, auf dem man etwas sehen könnte und auch keine Zeugen, die gesehen haben, wer dein Auto zerkratzt haben könnte.“ Er seufzt. „Sie haben ein paar Leute aus deinem Umfeld befragt, unter anderem auch Matt, aber es gibt wohl keine Verdächtigen. Tut mir leid, dass das alles im Sande verläuft.“
Um mich zu trösten streichelt Brad meinen Rücken. Ich stupse mein Sushi mit meinen Stäbchen an. „Und mein Auto?“
„Den Schaden wird die Versicherung übernehmen, aber wenn du es noch verkaufen willst, dann kann ich zusehen, was sich machen lässt. So lange hattest du es ja noch nicht, mit neuem Lack und neuen Reifen findet sich bestimmt schnell jemand.“
„Ich werde mein Baby vermissen, aber ich fühle mich damit wirklich nicht mehr sicher.“ Ich schiebe mein Sushi in der Soja Sauce hin und her. „Kannst du dich um das alles kümmern? Oder wir machen das zusammen, wenn ich wieder zurück bin.“
„Natürlich, das ist alles kein Problem. Oh, apropos. Goldfisch, wenn sich etwas bei deinem Flug ändert, musst du mir sofort Bescheid sagen. Ich habe das alles zwar im Auge, aber sicher ist sicher. Ich möchte nicht, dass du unnötig lange auf mich warten musst, falls etwas schief geht.“
„Ja, das mache ich, aber du, Daddy, bevor du mich abholst, muss ich dir noch etwas zeigen. Sonst erkennst du mich vielleicht gar nicht mehr.“
„Was hast du angestellt?“, fragt Daddy vorsichtig nach.
„Ich lege auf und rufe gleich wieder an.“ Ich tue genau das. Brad macht ein Kreuz und sieht Richtung Himmel. Seine dramatische Geste lässt mich nur den Kopf schütteln. Bevor ich Daddy zeige, wie ich jetzt aussehe, bedecke ich die Frontkamera noch mit meinem Daumen.
„Goldfisch?“, erklingt Daddys Stimme aus meinem Lautsprecher. Er sieht etwas verwirrt aus. „Ich kann dich gar nicht sehen.“
„Du siehst meinen Finger, Daddy. Ich will dich nur kurz vorbereiten, damit du keinen Herzinfarkt bekommst. Brad hat für mich einen Friseurtermin für ein Umstyling ausgemacht und da waren wir heute.“
„Oh ja, schieb die Schuld auf mich, dass er jetzt seinen geliebten Goldfisch nicht mehr erkennt!“, beschwert Brad sich, doch ich lache nur.
„Daddy, es ist nicht schlimm! Brad übertreibt. Er übertreibt schon die ganze Zeit. Er ist so eine Dramaqueen.“
„Na los, zeig schon! Du spannst mich viel zu lange auf die Folter!“, fordert Daddy. „Hast du jetzt kurze Haare? Wie sieht das aus? Ich glaube, dass du als kleines Kind zuletzt kurze Haare hattest.“
„Nein, Daddy, sie sind noch lang.“ Ich nehme meinen Zeigefinger von der Frontkamera und zeige mich. Etwas nervös streiche ich durch mein blaues Haar. Daddy sieht mit geöffnetem Mund auf den Bildschirm.
„Du veralberst mich. Das ist doch eine Perücke!“ Er wirkt skeptisch.
„Nein, Daddy, das ist mein echtes Haar.“ Um das zu verdeutlichen ziehe ich an einer Strähne. „Ich dachte erst daran, mir wieder neue Strähnchen machen zu lassen, aber dann hatte eine der Stylistinnen grüne Haare und ich wollte auch etwas Buntes. Es war Zeit für eine Veränderung.“
Lächelnd nickt Daddy. „Goldfisch, das muss ich in echt sehen. Das sieht toll aus.“
Brad atmet neben mir tief durch. Ich sehe kurz zu ihm, dann aber wieder auf den Bildschirm meines Smartphones. „Dann gefällt es dir?“
Daddy nickt. „Ja, das ist mal etwas ganz Anderes und du wolltest ja schon als Kind eine Meerjungfrau sein. Jetzt fehlt nur noch so ein Muschel-Bikinioberteil und eine dieser Meerjungfrauenflossen.“ Er grinst breit. „Halloween kommt ja bald wieder.“
„Ja, im Oktober“, antwortet Brad amüsiert. „Ist doch noch ein Weilchen.“
„Ich kann mich ja als Meerjungfrau auch an den Pool legen, so ist es ja nicht.“ Ich lächle breit, als ich wieder Daddy ansehe. „Es freut mich, dass es dir gefällt. Brad dachte schon, dass du ihm etwas antust, weil ich jetzt ganz anders aussehe und er mich nicht davon abhalten konnte.“
Geschockt sieht Brad mich an. Er beschwert sich: „Du kleine Petze. Beim nächsten Mal schläfst du im Hotel, nur dass du es weißt.“
Ich zeige Brad die Zunge. Daddy lacht bloß. „Wenn Ilaria sich etwas in den Kopf gesetzt hat, kann man sie ohnehin nicht mehr davon abbringen.“ Ich drehe mein Smartphone zu Brad, sodass Daddy ihn sehen kann. „Du warst von Anfang an machtlos, Brad.“
„Ja, das musste ich auch feststellen.“ Brad hebt sein Sushi an und steckt es in den Mund. Er nickt kauend. „Aber sonst war sie wirklich sehr brav. Wir hatten viel Spaß. Sie durfte bei mir aber lange aufbleiben, Süßigkeiten essen und Alkohol trinken.“
Daddy lacht erneut. „Ich habe nichts Anderes erwartet. Sie sollte ja eine gute Zeit haben.“
„Und die habe ich“, antworte ich und richte das Smartphone wieder auf mich. „Danke, dass du mir das ermöglichst, Daddy. Ich hatte diese Auszeit dringend nötig.“
„Tja, bedank dich bei Santa, denn der hat dir das Ticket geschenkt.“
„Daddy, hör auf. Ich meine es ernst. Danke.“
„Ich würde alles für dich tun, mein Goldfisch, das weißt du doch.“ Daddy lächelt, ich tue es ihm gleich. „Ich will euch jetzt aber nicht weiter stören. Genießt euer Essen. Denk unbedingt daran, rechtzeitig am Flughafen zu sein.“
„Ja, Daddy, das mache ich.“
„Hab' dich lieb.“
„Ich dich auch.“ Ich winke in die Kamera.
„Bis dann, Onkel Nate!“, verabschiedet sich auch Brad.
„Bis dann.“
Ich winke noch einmal, dann lege ich auf. Brad betrachtet wieder mein Haar. Sein Blick ist bereits weniger skeptisch. Er wirkt auch gar nicht mehr so verurteilend, wie bei meiner Entscheidung im Friseursalon. Vielleicht war es doch nicht gelogen und er findet es schön, nur eben gewöhnungsbedürftig. Mir selbst geht es nicht anders. Mein Spiegelbild sieht fast gar nicht nach mir aus. Ich muss mich selbst daran gewöhnen, immerhin hatte ich mein ganzes Leben lang blonde Haare.
„Du solltest heute ein Handtuch drunter legen. Ich bin mir nicht sicher, ob das Blau auf mein Kissen abfärbt.“
„Du bist der Boss“, stimme ich ihm zu und versuche, mein mittlerweile doch ziemlich aufgeweichtes Sushi mit meinen Stäbchen zu essen. Leider gelingt mir das nicht besonders gut. Es zerbröselt förmlich unter meinen ungeschickten Stäbchen. „Brad, ich glaube, dass ich einen Löffel brauche.“
„Du bist so ein Banause.“
· • ❀ • ·
Bevor ich New York verlasse und wieder zurück nach Indiana fliege, komme ich noch dazu, die Freiheitsstatue zu besichtigen. Zu meinem Glück ist das Wetter auf meiner Seite und es ist möglich, schöne Fotos zu schießen. Auch meine neue Haarfarbe bekommt die Chance, abgelichtet zu werden. Ich liebe das intensive, strahlende Blau so sehr, dass ich mein Tagebuch wahrscheinlich seitenweise mit Selfies zupflastern werde, sobald ich zu Hause alle Fotos ausgedruckt habe.
So sehr es schmerzt, New York wieder verlassen zu müssen, so sehr freue ich mich aber auch auf die kommenden Tage, Wochen und Monate. Ich habe neue Kraft und neue Hoffnung geschöpft und ich weiß, dass ich mein Leben wieder in die Hand nehmen kann und es auch werde. Bereits jetzt habe ich viele Ideen, die noch zu ausgereiften Plänen für meine Zukunft heranwachsen werden.
Um meinen letzten Abend in New York vollkommen auszukosten, treffen wir uns mit Brads Freunden in der Bar. Ich bin erstaunt, als ich sehe, welchen Aufwand sie für mich betrieben haben. Es gibt nicht nur Alkohol, sondern auch einen großen Kuchen, auf dem eine große, funkensprühende Kerze brennt. Und dabei habe ich noch gar nicht Geburtstag!
Auf dem Tisch erkenne ich das eingerahmte Schild, mit dem Brad mich am Flughafen empfangen hat. Heute sieht es jedoch ganz anders aus. Um den Schriftzug ‚Welcome to New York‘ wurden einige Fotos geklebt, die wir in der Bar und in dem Club gemacht haben, außerdem hat jeder auf dem Schild unterschrieben und auch eine kleine Botschaft für mich hinterlassen. Es rührt mich zu tiefst, wie viel Liebe mir entgegengebracht wird, obwohl wir uns erst vor wenigen Tagen kennengelernt haben.
Überwältigt wische ich mir die Tränen von den Wangen. In diesem Moment bricht so viel auf mich ein, dass ich gar nicht weiß, was ich tun soll. Brian nimmt mich fest in den Arm, um mich zu trösten. Ich werde gedrückt und gestreichelt. Um nicht die Stimmung zu ruinieren, versuche ich, mich zusammenzureißen und lasse von Brian ab. Er lächelt mich gutmütig an und streichelt meine Wange.
„Vielen Dank. Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.“
„Dann sag gar nichts und iss ein Stück Kuchen“, schlägt einer von Brads Freunden vor.
Brian lenkt mich zu meinem Sitzplatz und schiebt mir den Stuhl zurecht. „Setz dich, mein Schatz.“
Ich komme seiner Bitte nach und wische mir vorsichtig die Tränen von den Wangen. Mein Makeup ist bestimmt jetzt schon ruiniert. Wie hypnotisiert starre ich auf die letzten Momente der goldenen Funken. Ich atme den Rauch der erlöschenden Sprühkerze ein. Einer von Brads Freunden zieht die Kerze vorsichtig aus der Torte, dafür nutzt er eine Serviette, vermutlich, um die Hitze ein wenig zu dämpfen. Der Schokoladekuchen sieht ausgesprochen lecker aus. Die Aufschrift ‚New York loves you‘ trifft mich genau ins Herz. Ich fühle mich, als hätte ich eine neue Familie und eine neue Heimat gefunden. Sie morgen wieder verlassen zu müssen, bricht mir das Herz. Am liebsten würde ich meinen Abflug auf unbestimmte Zeit verschieben.
Ich bekomme nicht nur ein großes Stück Kuchen, sondern werde zusätzlich mit leckeren Cocktails versorgt. Obwohl wir heute meinen Abschied feiern, möchte ich mich dieses Mal wirklich daranhalten, so wenig wie möglich zu trinken. Mit einem Kater im Flugzeug zu sitzen, ist nichts, was ich mir wünsche, selbst wenn es nur zwei Stunden sind. Auch heute wird die Jukebox mit Münzen gefüttert. Doch heute bin ich darauf vorbereitet, mit meinen neugewonnenen Freunden zu tanzen. Ich bin jetzt eine von ihnen.
All die Getränke müssen irgendwann wieder meinen Körper verlassen, also suche ich die Toilette auf. Ich beeile mich, um so wenig wie möglich von meiner Abschiedsparty zu verpassen. Ich wasche mir gründlich die Hände und kühle meinen Hals mit einem angefeuchteten, kalten Tuch, dabei behalte ich mein Spiegelbild gründlich im Auge. Meine dunklen, blauen Haare sind auch heute noch ungewohnt für mich, doch sie fühlen sich immer mehr nach mir selbst an. Ich fühle mich so schön und selbstbewusst, wie schon lange nicht mehr. Mit dem angefeuchteten Tuch korrigiere ich mein verwischtes Augen-Makeup.
„Oh, hier bist du“, bemerkt Jane, als sie die Toilette betritt. „Hab' dich schon vermisst.“
„Ich wollte gerade wieder nach draußen“, antworte ich ihr. Ich werfe das Tuch weg. Im Augenwinkel bemerke ich, dass sie mich mustert.
„Hey, ist wahrscheinlich eine bescheuerte Frage, aber du hast das doch nicht meinetwegen gemacht, oder?“
„Hm?“
Sie deutet mit dem Kopf in meine Richtung, dann streicht sie sich durch ihr Haar. „Deine Haare. Ich hab' dir gesagt, dass ich auf Blondinen stehe und plötzlich bist du nicht mehr blond.“ Sie kratzt sich am Kopf. „Du warst betrunken und ich dachte, dass du vielleicht bereust, mit zu mir gekommen zu sein.“ Jane seufzt. „Falls es so ist, tut es mir leid. Ich wollte dir nicht zu nahetreten und ich wollte auch nicht, dass du dich wegen mir unwohl fühlst.“
„Ach, Jane.“ Ich trete auf sie zu und nehme ihre Hand. „Das hat nichts mit dir zu tun.“ Mit einem Lächeln sehe ich auf unsere Hände, dann in ihr Gesicht. „Es ist nur eine Haarfarbe.“
„Bist du sicher?“ Sie lacht verlegen. „Oh Mann, ich blamiere mich gerade total. Natürlich dreht sich deine Welt nicht um mich. Das war richtig dumm von mir. Das hat man davon, wenn man auf seine Unsicherheiten hört.“ Jane atmet tief durch. „Tut mir leid.“
„Muss es nicht. Ich kann diese verrückte, unsichere Stimme ganz genau nachvollziehen. Sie sitzt auch in meinem Kopf und meldet sich genau dann, wenn ich sie nicht brauche.“ Ich lächle Jane an.
„Ach, tatsächlich? Du?“, fragt sie nach. „Wahrscheinlich wegen deinem Ex, hm? Da gab’s ja so viel Drama, wie ich gehört hab.“
Ich zucke mit den Schultern. „Wegen vielen Dingen.“ Ich stupse gegen eine meiner Brüste. „Zum Beispiel wegen denen hier. Ohne Operation würde ich immer noch aussehen, als wäre ich gerade mal zwölf Jahre alt.“
Jane sieht mich verdutzt an, dann lacht sie. „Oh mein Gott. Wegen deinem Aussehen?“ Sie schüttelt den Kopf. „Wow, wenn eine Frau wie du unsicher ist, habe ich gar keine Chance im Leben. Ich bin verloren.“
„Nein!“, antworte ich ihr schnell. „Sag sowas doch nicht.“ Sie seufzt. „Hey, wenn du nicht sexy und cool wärst, dann hättest du mich gar nicht aufreißen können. Ich habe nämlich hohe Ansprüche.“
Janes Körpersprache verändert sich sofort. Sie lacht herzlich, dabei schüttelt sie wieder ihren Kopf. „Oh Gott, ich wünschte, du würdest bleiben.“
„Vielleicht komme ich ja bald zurück.“ Ich lächle Jane an. „In Indiana hält mich nicht mehr viel.“
„Mach mir keine Hoffnungen, Ilaria.“
Ich greife wieder nach ihrer Hand. „Willst du tanzen, solange ich noch hier bin?“
„Nichts lieber als das.“ Jane lässt meine Hand los. „Aber vorher muss ich noch für kleine Kätzchen.“ Sie verschwindet in eine der freien Kabinen.
„Lass dich nicht aufhalten. Ich warte auf dich.“
· • ❀ • ·
Es ist spät nachts oder sehr früh morgens, als Brad und ich endlich bereit fürs Bett sind. Die Lichter sind erloschen, doch da die Jalousie geöffnet ist, ist es hell genug, um mich problemlos orientieren zu können. Ich starre an die Decke über uns. Die Wohnung wird von blinkendem Blaulicht erhellt, dass allerdings schnell wieder verschwindet.
„Denkst du, dass ich das alles wieder in den Griff bekomme? Jetzt, da ich fast schon wieder zu Hause bin, mache ich mir Sorgen, dass alles wieder so wie vorher sein könnte. Ich kann vor Bauchschmerzen gar nicht einschlafen.“
Brad dreht sich in meine Richtung. „Mach dir Augen zu und hoffe, dass es nur der viele Zucker der Cocktails und des Kuchens ist.“
„Brad.“
„Schon gut, ich bin wieder konstruktiv. Was bedrückt dich genau?“, erkundigt er sich interessiert.
„Indiana. Football. Footballfans. Matt. Mein Auto. Mein Herz. Einfach alles, schätze ich?“, antworte ich leise. „In dem hübschen Paillettenkleid und mit viel Alkohol im Blut habe ich mich viel selbstbewusster gefühlt.“
„Ach, Kleines.“ Brad tätschelt meinen Bauch, der unter einer dicken Decke versteckt ist. „Natürlich können ein paar Tage in New York dein Leben in Indiana nicht vollkommen neugestalten. Das kannst nur du selbst. Gebrochene Herzen brauchen Zeit, um wieder zu heilen. Ich weiß nicht, was ich dir wegen den Footballfans raten kann, aber dank deiner neuen Haarfarbe erkennt dich vielleicht niemand mehr. Hat also doch etwas Gutes, dass du dich gegen die Strähnchen und für das Blau entschieden hast. Obwohl Blau im Nachhinein betrachtet vielleicht eine dumme Farbwahl war, immerhin ist das ja die Farbe der Colts.“
Überrascht halte ich einen Moment inne, doch dann bricht es aus mir heraus: „Ich hasse dich.“ Nun lache ich. „Daran habe ich überhaupt nicht gedacht! Ich meine, ich wusste es, aber ich hatte diese Assoziation gar nicht.“ Ich drehe mich zur Seite und gebe Brad einen leichten Schubser. „Du bist so fies. Hör auf, mir meine schönen Haare mies zu machen, du fieser Fiesling.“ Brad lacht, dabei schubst er nun mich.
„Das wäscht sich ja ohnehin wieder aus. Du könntest ja immer noch zu einer anderen Farbe des Regenbogens wechseln.“
„Ja, wäre vielleicht eine gute Idee. Ich könnte aber auch pink nehmen. Ich bin ziemlich sicher, dass es keine pinken Footballteams in der NFL gibt.“ Ich atme tief durch. „Ich hoffe wirklich, dass jetzt alles besser wird.“
„Das wird es, Kleines. Vertrau mir.“ Brad lächelt mich an. „Du hast viele tolle Ideen für deine Zukunft. Du gehst einen Schritt nach dem anderen und du legst ein Steinchen neben das nächste und baust so deine Zukunft auf. Oder so.“
„Oder so?“, frage ich amüsiert.
„Ja, ich bin müde, mir sind die Glückskekssprüche ausgegangen. Entschuldige.“
„Schon in Ordnung. Ich weiß, was du meinst.“ Ich atme tief durch. „Ich bin so nervös. Mein Magen kribbelt.“
„Hilft es, wenn du noch einmal nachsiehst, ob du deinen Wecker gestellt hast?“
„Vielleicht. Die letzten fünf Male hat es zwar nur kurz geholfen, aber vielleicht verändert das sechste Mal meine Gehirnchemie“, antworte ich und greife nach meinem Smartphone. Der Wecker und fünf weitere Wecker sind gestellt. Obwohl ich nicht nach Hause fliegen will, will ich meinen Flug keinesfalls verpassen.
Als mein Display wieder erlischt fragt Brad: „Und? Fühlst du dich besser?“
„Nein“, antworte ich. „Vielleicht muss ich mehr Kuchen essen.“
„Jetzt? Du willst jetzt Kuchen essen?“
„Ja. Wenn nicht jetzt, wann dann? Mitnehmen kann ich ihn ja nicht und du wolltest fasten, sobald ich wieder weg bin.“
„Ich hab' drei Pfund zugenommen, seit du hier bist, also bitte geh' endlich“, beschwert Brad sich halbherzig.
„Tz, du wirst mich noch sehr vermissen, sobald ich wieder weg bin.“
„Ich werde schon am Flughafen weinen.“
„Ich höchstwahrscheinlich auch.“
Ich kämpfe mich aus der schweren Decke und steige von der Klappcouch. Ich spaziere die wenigen Schritte zur Theke, auf der die restliche Torte auf mich wartet. Ich nehme mir eine Gabel aus der Schublade und ziehe dann die Folie von dem Kuchen.
„Willst du auch etwas? Letzte Chance, bevor du wieder Diät machst. Mhm, wie köstlich. Zum Sterben lecker. Also wer jetzt keinen Kuchen isst, der verpasst etwas.“
Ich höre ein lautes Seufzen. „Du bist der Teufel.“
„Liegt wohl in der Familie“, antworte ich ihm frech grinsend. Brad stolpert schon fast von der Couch, dabei wickelt er sich sehr unelegant in eine Decke. Ich halte bereits eine zweite Gabel für ihn bereit. „Hier, bitteschön.“
Brad greift nach der Gabel, dann sieht er mich an. „Du wirst mir wirklich fehlen. Wir müssen mehr Kontakt halten.“
„Ich verspreche, dass ich mein Bestes gebe, an dich zu denken, während ich die Welt bereise.“
„Vielleicht vermisse ich dich doch nicht so sehr, wie ich dachte.“ Er spießt ein Stückchen Kuchen auf und steckt es sich in den Mund. Zufrieden damit, Brad auf die dunkle Seite gelockt zu haben, bediene ich mich ebenfalls an dem köstlichen Abschiedskuchen.
Ich kann gar nicht glauben, dass ich in wenigen Stunden wieder nach Hause fliege.